Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 214



131 III 214

27. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A. und Mitb. gegen
X. (Berufung)

    5C.117/2004 vom 1. November 2004

Regeste

    Notbrunnenrecht (Art. 710 ZGB).

    Das Notbrunnenrecht ist nicht auf landwirtschaftlich genutzte
Grundstücke beschränkt; es kann auch für ein Grundstück beansprucht werden,
auf dem ein Ferienhaus steht (E. 2).

Sachverhalt

    X. ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 1... in M. Das in der Nähe
gelegene Grundstück Nr. 2... steht im Eigentum von A., B. und C., Erben
von Y.

    Das Landgericht Uri hiess am 4. Juli 2002 eine Klage von X. in dem
Sinne gut, dass zu Gunsten seines Grundstücks und zu Lasten des Grundstücks
von A., B. und C. (Beklagte) ein Wasserbezugsrecht gemäss Art. 710 ZGB
und ein Durchleitungsrecht gemäss Art. 691 ZGB als Grunddienstbarkeit
eingeräumt werde. Gleichzeitig wurden die Rechte und Pflichten bezüglich
Fassung und Durchleitung des Wassers näher umschrieben.

    Eine von den Beklagten eingereichte Berufung wies das Obergericht
des Kantons Uri am 17. Juli 2003 ab.

    Die von den Beklagten gegen dieses Urteil eingereichte Berufung weist
das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.1  In grundsätzlicher Hinsicht halten die Beklagten dafür, die
Zusprechung eines Notbrunnenrechts setze voraus, dass das in Frage
stehende Grundstück landwirtschaftlich genutzt werde, was hier, wo auf
dem klägerischen Grundstück ein Ferienhaus stehe, nicht zutreffe.

    Eine Beschränkung des Notbrunnenrechts im geltend gemachten
Sinn ergibt sich weder aus dem Wortlaut von Art. 710 ZGB ("für Haus
und Hof notwendigen Wassers"; "l'eau nécessaire à sa maison et à
son fonds"; "l'acqua necessaria per la casa e le sue dipendenze")
noch aus der Entstehungsgeschichte dieser gesetzlichen Bestimmung
(vgl. die Erläuterungen zum Vorentwurf des Zivilgesetzbuches, Bd. 2,
2. Aufl., Bern 1914, S. 114 [wo in allgemeiner Form vom nötigen Wasser
"zur Bewirtschaftung oder für die Bewohner" die Rede ist], und die
bundesrätliche Botschaft vom 28. Mai 1904, in: BBl 1904 IV 66). Das Gleiche
gilt für die wenigen aus der (kantonalen) Praxis bekannten Entscheide. Dem
in ZBJV 70/1934 S. 189 ff. abgedruckten Entscheid des Appellationshofes
des Kantons Bern vom 14. Juli 1933 lagen freilich ausgesprochen
landwirtschaftliche Verhältnisse zugrunde. In einem Entscheid aus dem
Jahre 1944 erklärte das Waadtländer Kantonsgericht sogar ausdrücklich, die
Natur des Grundstücks, ob bäuerlich bzw. ländlich ("rural") oder städtisch
("citadin"), sei ohne Bedeutung. Es hielt weiter fest, der sich aus dem
Notbrunnenrecht ergebende Anspruch beschränke sich auf die Bedürfnisse
des Hauses und des Grundstücks ("besoins de la maison et du fonds"), was
industrielle und durch technische Einrichtungen verursachte Bedürfnisse
ausschliesse (SJZ 42/1946 S. 122 ff., insbes. S. 124). Aus dem in ZBGR 28/
1947 (S. 92 f., Nr. 33) wiedergegebenen Entscheid des Regierungsrates des
Kantons St. Gallen vom 17. November 1939 ergibt sich einzig, dass es um
die Beschaffung von "Trinkwasser" gegangen war.

    Ebenso wenig wird in der Literatur davon ausgegangen, das
Notbrunnenrecht sei ausschliesslich auf landwirtschaftliche
Verhältnisse zugeschnitten und könne namentlich für eine als
Ferienhaus genutzte Liegenschaft nicht beansprucht werden. Nach
TUOR/ SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO (Das Schweizerische Zivilgesetzbuch,
12. Aufl., Zürich 2002, S. 894) bezweckt der Anspruch aus Art. 710 ZGB
"einem Haus oder einem landwirtschaftlichen Gut" das ihm zur Bewohnung
oder Bewirtschaftung notwendige Wasser zu sichern. Der von den Beklagten
angerufene HEINZ REY (Basler Kommentar, 2. Aufl., N. 10 zu Art. 710 ZGB)
erklärt, der Anspruch auf einen Notbrunnen könne bezüglich des für das
Bewohnen und Bewirtschaften eines Grundstücks notwendigen Wassers geltend
gemacht werden, nicht jedoch für landwirtschaftsfremde gewerbliche oder
industrielle Zwecke (vgl. auch PAUL-HENRI STEINAUER, Les droits réels,
Bd. II, 3. Aufl., Bern 2002, Rz. 1888b). Damit sollte lediglich die
Meinung geäussert werden, dass im Falle gewerblicher bzw. industrieller
Nutzung nur bei einer solchen landwirtschaftlicher Natur Anspruch auf ein
Notbrunnenrecht erhoben werden könne. Für das Bewohnen als solches verneint
auch REY einen Anspruch einzig für den Wassergebrauch zu Luxuszwecken,
beispielsweise für einen Swimmingpool (aaO; im gleichen Sinne auch PETER
LIVER, Das Eigentum, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/1, S. 305
[Ausschluss des Notbrunnenrechts für Einrichtungen der Lustbarkeit]; WERNER
SCHERRER, Zürcher Kommentar, N. 14 zu Art. 709/710 ZGB [Springbrunnen];
STEINAUER, aaO, Rz. 1888b [privates Schwimmbecken]). Bezüglich eines
solchen Wasserbedarfs lässt sich denn auch in der Tat nicht von einer
Notlage sprechen.

    2.2  Dass der Kläger das Notbrunnenrecht für eine Liegenschaft
beansprucht, die er nur in der Freizeit bewohne und in der er nur selten
übernachte, vermag den angefochtenen Entscheid nach dem Gesagten nicht als
bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Im Übrigen machen die Beklagten
nicht geltend, der Kläger beanspruche mehr als das, was zur Deckung des
notwendigen Wasserbedarfs erforderlich ist.