Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 182



131 III 182

23. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A.X. gegen B.X.
sowie Obergericht des Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    5A.26/2004 vom 26. Januar 2005

Regeste

    Art. 27 Abs. 1 IPRG; Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils,
Ordre public.

    Eine in einer Anwaltsvollmacht erteilte Zustimmung zur einvernehmlichen
Scheidung kann als Erklärung des Scheidungswillens an das Gericht
verstanden werden (E. 3).

    Es gehört zum schweizerischen Ordre public, dass sich das Gericht bei
einer einvernehmlichen Scheidung hinreichend sicher vom Scheidungswillen
der Ehegatten überzeugt. Der Nachweis des Scheidungswillens muss aber
nicht durch persönliche Anhörung der Ehegatten durch das Gericht erfolgen,
sondern kann auch durch schriftliche Erklärung erbracht werden (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 30. Mai 2003 schied das Bezirksgericht Prizren,
Kosovo, die Ehe zwischen A.X. und B.X.

    Am 7. Oktober 2003 verfügte das Departement des Innern des Kantons
Aargau, Sektion Bürgerrecht und Personenstand, die Anerkennung und
Eintragung der ausländischen Scheidung in die Zivilstandsregister des
Wohnortes von A.X.

    B.- Am 8. März 2004 reichte B.X. beim Obergericht des Kantons
Aargau Beschwerde ein und beantragte, die Verfügung vom 7. Oktober 2003
betreffend Anerkennung und Eintragung sei aufzuheben. Das Obergericht
hiess die Beschwerde mit Urteil vom 1. Juni 2004 teilweise gut und hob
die angefochtene Verfügung auf.

    C.- A.X. gelangt mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das
Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen
Urteils, soweit darin die Anerkennung und Eintragung des ausländischen
Scheidungsurteils in die Zivilstandsregister verweigert worden
ist. Weiter verlangt er, es sei festzustellen, dass die Ehe zwischen
ihm und B.X. rechtskräftig geschieden sei. Zudem stellt er ein Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege einschliesslich Verbeiständung.

    B.X. schliesst in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde.
Ferner stellt sie ebenfalls ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement
hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

    Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut,
soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.  Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine fehlerhafte Feststellung
des Sachverhaltes im Sinne von Art. 104 lit. b OG. Dabei ist zu beachten,
dass es sich beim Obergericht, welches das angefochtene Urteil gefällt hat,
um eine richterliche Behörde handelt. Gemäss Art. 105 Abs. 2 OG ist in
einem solchen Fall die Feststellung des Sachverhaltes für das Bundesgericht
verbindlich, wenn die Vorinstanz diesen nicht offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt hat. Der Beschwerdeführer macht mit dieser Rüge in erster
Linie geltend, das Obergericht habe die von der Beschwerdegegnerin
unterzeichnete Anwaltsvollmacht zu Unrecht nicht als Erklärung ihres
Scheidungswillens an das zuständige Gericht gewertet. Dabei handelt es sich
indes nicht um eine Sachverhaltsfeststellung, sondern um eine Rechtsfrage,
die das Bundesgericht im vorliegenden Beschwerdeverfahren frei prüfen kann
(BGE 123 II 49 E. 6a S. 54 f.).

    3.1  Gemäss einer in albanischer Sprache verfassten Vollmacht
vom 6. Mai 2003 hat die Beschwerdegegnerin einen Rechtsanwalt im
Kosovo beauftragt, sie im Scheidungsverfahren zwischen ihr und dem
Beschwerdeführer zu vertreten. Konkret wird der Anwalt "zur Vertretung
vor dem Bezirksgericht in Prizren betreffend die einvernehmliche Auflösung
der ehelichen Gemeinschaft" bevollmächtigt. Die Anwaltsvollmacht ist
mit einer von einem schweizerischen Notar beglaubigten Unterschrift der
Beschwerdegegnerin versehen.

    Aus der Wendung "einvernehmliche Auflösung" der ehelichen
Gemeinschaft lässt sich das Einverständnis der Beschwerdegegnerin
zur Scheidung ableiten. Bereits das Obergericht hat festgestellt,
die Beschwerdegegnerin habe mit der Vollmacht den Anwalt mit der
einvernehmlichen Auflösung der ehelichen Gemeinschaft beauftragt. Es
ist folglich davon auszugehen, dass die Beschwerdegegnerin in der
Anwaltsvollmacht ihre Zustimmung zur Ehescheidung erteilt hat. Dem
entspricht im Übrigen das Scheidungsurteil des Bezirksgerichts Prizren
vom 30. Mai 2003, welches beide Parteien als "Antragsteller" bezeichnet
und von einer "gemeinsamen Ehescheidungsvereinbarung" spricht.

    3.2  Damit ist weiter darüber zu befinden, ob die in der Vollmacht
erklärte Zustimmung zur Ehescheidung als Erklärung an das Gericht angesehen
werden kann. Dies hat das Obergericht verneint und aus diesem Grund die
Anerkennung des Scheidungsurteils verweigert. Der Beschwerdeführer bringt
dagegen vor, die Anwaltsvollmacht sei dafür vorgesehen, dem zuständigen
Gericht eingereicht zu werden und daher geeignet, den Scheidungswillen
der Beschwerdegegnerin gegenüber dem Scheidungsgericht zu manifestieren.

    Es ist tatsächlich nicht ersichtlich, welchem anderen Zweck als der
Geltendmachung vor dem zuständigen Gericht der in der Vollmacht geäusserte
Scheidungswille dienen könnte. So wird der Anwalt ausdrücklich mit der
Vertretung vor Gericht beauftragt. Dass der Inhalt der Erklärung (auch)
für das Gericht bestimmt ist, wird zudem dadurch bestätigt, als darin
ausdrücklich festgehalten wird, dass es dem Bevollmächtigten "obliegt
mitzuteilen", dass aus der Ehe keine Kinder hervorgegangen seien und beide
Ehegatten in einem Arbeitsverhältnis stehen würden. Die in der Vollmacht
enthaltene Erklärung des Scheidungswillens ist folglich als Erklärung an
das Gericht zu verstehen.

Erwägung 4

    4.  Strittig ist weiter, ob die Anerkennung des Scheidungsurteils
zu verweigern ist, weil die Beschwerdegegnerin ihren Scheidungswillen
nicht persönlich vor dem Richter geäussert hat. Es stellt sich somit die
Frage, ob die in Art. 111 Abs. 1 ZGB vorgesehene persönliche Anhörung
der Ehegatten durch den Richter bei einer einvernehmlichen Scheidung zum
schweizerischen Ordre public gehört.

    4.1  Gemäss Art. 27 Abs. 1 IPRG kann eine ausländische Entscheidung
in der Schweiz nicht anerkannt werden, wenn die Anerkennung mit der
schweizerischen öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar wäre. Eine
Anerkennung verstösst dann gegen den materiellen Ordre public, wenn
das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung
eines ausländischen Entscheids in unerträglicher Weise verletzt würde,
weil dadurch grundlegende Vorschriften der schweizerischen Rechtsordnung
missachtet werden. Die Anwendung des Ordre public-Vorbehaltes ist im
Bereich der Anerkennung ausländischer Entscheide nach dem Wortlaut des
Gesetzes restriktiver als im Bereich der Anwendung des fremden Rechts
gemäss Art. 17 IPRG (BGE 116 II 625 E. 4a S. 629; 122 III 344 E. 4a S. 348;
126 III 327 E. 2b S. 330).

    4.2  Die Beschwerdegegnerin leitet aus dem nicht publizierten
Urteil des Bundesgerichts 5C.297/2001 vom 4. März 2002 (publ. in: Pra
91/2002 Nr. 87 S. 499) ab, die persönliche Teilnahme der Ehegatten
am Scheidungsverfahren bzw. deren persönliche Anhörung gehöre zum
schweizerischen Ordre public. In diesem Urteil hat das Bundesgericht
vorab ausgeführt, eine einvernehmliche Scheidung verstosse gegen
den Ordre public, wenn eine Partei vor dem Gericht nicht selber
erkläre, sie willige in die Scheidung ein. Nach einem Hinweis auf
das schweizerische Recht, das die persönliche Anhörung der Parteien
im Scheidungsverfahren (Art. 111 Abs. 1 ZGB) sowie die schriftliche
Bestätigung des Scheidungswillens nach einer Bedenkzeit (Art. 111 Abs. 2
ZGB) vorsieht, hat das Bundesgericht weiter festgehalten, es gehöre zu den
Grundvoraussetzungen des schweizerischen Scheidungsrechts und entspreche
daher gleichsam dem schweizerischen Ordre public, dass sich der Richter
vom Scheidungswillen der Parteien hinreichend sicher überzeuge. Daher
müsse auch in einem im Ausland durchgeführten Scheidungsverfahren der
entsprechende Wille nachgewiesen sein, bevor der Richter die Scheidung
einvernehmlich ausspreche. Das Bundesgericht hat in diesem Fall das
ausländische Urteil für Ordre publicwidrig gehalten, da überhaupt keine
Erklärung der Ehefrau vorlag, mit der sie in die Scheidung einwilligte,
und diese ohne ihr Wissen erfolgte.

    Die Anerkennung einer einvernehmlichen Scheidung setzt nicht
voraus, dass das ausländische Gericht entsprechend den Regeln von
Art. 111 ZGB vorgegangen ist. Dagegen gehört das Erfordernis, dass
eine Partei selber erklärt, sie willige in die Scheidung ein, und sich
das Gericht vom Scheidungswillen der Parteien hinreichend überzeugt,
zu den grundlegenden Prinzipien der schweizerischen Rechtsordnung. Die
Gewissheit über den Scheidungswillen wird durch persönliche Anhörung der
Parteien und schriftlicher Bestätigung des Scheidungswillens nach einer
Bedenkzeit - wie in Art. 111 ZGB vorgesehen - optimal gewährleistet. Dies
bedeutet indes nicht, dass der Scheidungswille nicht auch auf andere
Weise nachgewiesen werden kann. Das Scheidungsgericht kann sich auch auf
Grund einer schriftlichen Erklärung der Parteien hinreichend sicher von
deren Einverständnis mit der Scheidung überzeugen. Dem entspricht BGE
122 III 344, in welchem das Bundesgericht festgehalten hat, ein Verstoss
gegen Art. 27 Abs. 1 IPRG liege vor, wenn nur Repräsentanten der Familie
zusammengetroffen seien und die Ehe bloss ihrerseits einverständlich
aufgelöst haben, ohne dass beide Ehegatten anwesend oder damit zumindest
einverstanden gewesen seien (E. 4b S. 439). Es ist folglich nicht
ausgeschlossen, dass eine Scheidung auch anerkannt werden kann, wenn die
Ehegatten nicht persönlich beim Verfahren anwesend gewesen sind. Im Übrigen
wird in der Literatur zu Art. 111 ZGB teilweise die Ansicht vertreten, dass
unter gewissen Umständen auf eine persönliche Anhörung verzichtet werden
kann (ROLAND FANKHAUSER, in: Ingeborg Schwenzer [Hrsg.], Praxiskommentar
Scheidungsrecht, N. 14 zu Art. 111 ZGB; GLOOR, Basler Kommentar, N. 8
zu Art. 111 ZGB; RUTH REUSSER, Die Scheidungsgründe und die Ehetrennung,
in: Heinz Hausheer [Hrsg.], Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, N. 1.35).

    4.3  Im vorliegenden Fall ergibt sich die Zustimmung zur Scheidung
aus der erwähnten Anwaltsvollmacht. Das Abstellen auf eine blosse
Anwaltsvollmacht kann zwar heikel sein, insbesondere wenn nicht bekannt
ist, unter welchem Umständen sie unterzeichnet worden ist. Hier ist
nun aber die vor einem schweizerischen Notar unterzeichnete Vollmacht
so konkret abgefasst (vgl. E. 3.1 vorangehend), dass am Einverständnis
der Beschwerdegegnerin zur einvernehmlichen Scheidung keine Zweifel
bestehen. Die Bedenken, welche die Beschwerdegegnerin in diesem
Zusammenhang vorbringt (Widerruf der Vollmacht, ohne dass das Gericht
davon Kenntnis erhält), sind rein theoretischer Natur, da sie nicht
behauptet, sie habe die Vollmacht tatsächlich widerrufen. Im Verfahren
vor Obergericht hat sie noch behauptet, keinen Anwalt mit der Scheidung
beauftragt zu haben. Dies macht sie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
vor Bundesgericht nicht mehr geltend und bestreitet insbesondere nicht
mehr, die Vollmacht unterschrieben zu haben. Hingegen erklärt sie
in einem nach Ablauf der Vernehmlassungsfrist eingereichten Schreiben
betreffend ihre Bedürftigkeit, sie sei - der deutschen Sprache nicht
mächtig - getäuscht worden und habe geglaubt, eine Lebensversicherung
zu unterschreiben. Abgesehen davon, dass diese Erklärung verspätet
ist, erweist sie sich als offensichtlich aktenwidrig, ist doch die
Anwaltsvollmacht in albanischer Sprache verfasst. Zudem ergibt sich aus
den Akten, dass die Beschwerdegegnerin am 20. Dezember 2003 anlässlich
einer Einvernahme gegenüber der Kantonspolizei Aargau zum Stichwort
Heirat vorbehaltlos erklärt hat, sie sei seit dem 30. Mai 2003 (dies
entspricht dem Datum des Scheidungsurteils des Bezirksgerichts Prizren)
geschieden und zum Stichwort Eheleben, "schlecht, aus diesem Grund haben
wir geschieden". Die Behauptung der Beschwerdegegnerin, entgegen dem
Anschein der von ihr unterzeichneten Vollmacht ohne ihre Einwilligung
geschieden worden zu sein, erweist sich folglich als aktenwidrig.

    Zusammenfassend ist festzuhalten, dass auf Grund der Akten das
Einverständnis der Beschwerdegegnerin mit der Scheidung klar dokumentiert
ist und das Scheidungsgericht sich von ihrem Scheidungswillen durch die
Vollmacht hinreichend sicher überzeugen konnte. Die Einwendungen der
Beschwerdegegnerin erweisen sich als aktenwidrig und unglaubwürdig.

    4.4  Dementsprechend verstösst die Anerkennung des Urteils des
Bezirksgerichts Prizren vom 30. Mai 2003 nicht gegen den schweizerischen
Ordre public und die Scheidung der Parteien kann in die Zivilstandsregister
eingetragen werden. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist insoweit
gutzuheissen. Mit der Aufhebung des obergerichtlichen Urteils tritt die
Verfügung des Departement des Innern des Kantons Aargau vom 7. Oktober
2003 wieder in Kraft.