Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 II 241



128 II 241

30. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
i.S. A. gegen Migrationsdienst des Kantons Bern und Haftgericht III
Bern-Mittelland (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    2A.224/2002 vom 11. Juni 2002

Regeste

    Art. 13c Abs. 4 ANAG; Frist für die Behandlung eines
Haftentlassungsgesuchs bei der Ausschaffungshaft.

    Kann auf die Einhaltung der gesetzlichen Frist von acht
Arbeitstagen für die Behandlung eines Haftentlassungsgesuchs verzichtet
werden? Voraussetzungen, unter denen von einem solchen Verzicht auszugehen
ist (E. 2 und 3).

Sachverhalt

    Der albanische Staatsangehörige A. reiste anfangs November 2001 illegal
in die Schweiz ein. Am 13. November 2001 wurde er polizeilich angehalten,
und er stellte in der Folge ein Asylgesuch. Mit Entscheid vom 3. Dezember
2001 lehnte das Bundesamt für Flüchtlinge das Gesuch ab und wies A. aus
der Schweiz weg. Tags darauf verschwand dieser mit unbekanntem Ziel.

    Am 31. Januar 2002 wurde A. festgenommen und dem Migrationsdienst
des Kantons Bern zwecks Ausschaffung zugeführt. Dieser nahm ihn noch am
gleichen Tag in Ausschaffungshaft. Am 4. Februar 2002 (mit schriftlicher
Begründung vom 5. Februar 2002) prüfte und bestätigte die Haftrichterin
2 am Haftgericht III Bern-Mittelland die Haft.

    Am 3. April 2002 ging beim Haftgericht III Bern-Mittelland ein
mit 27.05.02 (richtig wohl: 27. März 2002) datiertes handschriftliches
Schreiben von A. in albanischer Sprache ein. Mit Verfügung vom 3. April
2002 nahm die Haftrichterin von der Eingabe als Haftentlassungsgesuch
Kenntnis, gewährte A. antragsgemäss einen amtlichen Anwalt und setzte
die haftrichterliche Verhandlung auf den 25. April 2002 fest. Mit seiner
Vernehmlassung vom 9. April 2002 zum Haftentlassungsgesuch beantragte
der Ausländer- und Bürgerrechtsdienst der Kantonspolizei des Kantons Bern
die Verlängerung der Ausschaffungshaft um drei Monate. Die Haftrichterin
legte in der Folge die beiden Verfahren zusammen. Mit Entscheid vom
25. April 2002, schriftlich begründet am 1. Mai 2002, wies sie das
Haftentlassungsgesuch ab und verlängerte die Ausschaffungshaft um drei
Monate bis zum 30. Juli 2002.

    Mit handschriftlicher Eingabe vom 5. Mai 2002 in albanischer Sprache,
worin er sich zu seiner Situation und seiner Haft äussert, wandte sich
A. an das Bundesgericht. Der Präsident der II. öffentlichrechtlichen
Abteilung des Bundesgerichts eröffnete daraufhin ein Verfahren der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Das Haftgericht III Bern-Mittelland und der Migrationsdienst des
Kantons Bern schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Ausländerfragen hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. A. nahm
die Gelegenheit nicht wahr, sich nochmals zur Sache zu äussern.

    Mit Verfügung vom 28. Mai 2002 ersuchte das Bundesgericht
die Haftrichterin um einen Amtsbericht darüber, weshalb über das
Haftentlassungsgesuch nicht innerhalb der Frist von acht Arbeitstagen
aufgrund einer mündlichen Verhandlung entschieden worden sei. A. erhielt
Gelegenheit, sich zum Amtsbericht zu äussern, welche er freilich nicht
wahr nahm.

    Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen

Erwägung 2

    2.

    2.1  Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft
nehmen, sofern die Voraussetzungen von Art. 13b des Bundesgesetzes vom
26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR
142.20) erfüllt sind. Danach ist erforderlich, dass ein erstinstanzlicher,
nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid
vorliegt (vgl. BGE 121 II 59 E. 2 S. 61; 122 II 148 ff.), dessen Vollzug
(z.B. wegen fehlender Reisepapiere) noch nicht möglich, jedoch absehbar
ist (BGE 125 II 369 E. 3a S. 374, 377 E. 2a S. 379). Nach Art. 13b
Abs. 1 lit. c ANAG kann Ausschaffungshaft insbesondere verfügt werden,
wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich der Ausländer
der Ausschaffung entziehen will (Gefahr des Untertauchens). Das
trifft namentlich zu, wenn der Ausländer bereits einmal untergetaucht
ist, behördlichen Anordnungen keine Folge leistet, durch erkennbar
unglaubwürdige und widersprüchliche Angaben die Vollzugsbemühungen der
Behörden erschwert oder sonst wie klar zu erkennen gibt, keinesfalls
in sein Herkunftsland zurückkehren zu wollen (BGE 125 II 369 E. 3b/aa
S. 375). Im Übrigen haben die Behörden die für den Vollzug der Weg-
oder Ausweisung notwendigen Vorkehren umgehend zu treffen (so genanntes
Beschleunigungsgebot; Art. 13b Abs. 3 ANAG; vgl. BGE 124 II 49).

    2.2  Nach Art. 13c Abs. 2 ANAG sind die Rechtmässigkeit und die
Angemessenheit der Haft spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche
Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen. Die
Haft darf höchstens drei Monate dauern; stehen dem Vollzug der Weg-
oder Ausweisung besondere Hindernisse entgegen, so kann die Haft mit
Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde um höchstens sechs Monate
verlängert werden (Art. 13b Abs. 2 ANAG). Frühestens einen Monat nach der
Haftüberprüfung kann der inhaftierte Ausländer ein Haftentlassungsgesuch
einreichen, worüber die richterliche Behörde innert acht Arbeitstagen
aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden hat (Art. 13c
Abs. 4 ANAG).

Erwägung 3

    3.

    3.1  Gegen den Beschwerdeführer liegt ein Wegweisungsentscheid
vor, dessen Vollzug zurzeit nicht möglich ist; es kann aber davon
ausgegangen werden, dass die Ausschaffung innert absehbarer Frist
tatsächlich durchführbar ist. Der Beschwerdeführer ist bereits einmal
untergetaucht und hat vor der Haftrichterin ausgesagt, nicht in sein
Heimatland zurückkehren zu wollen. Damit ist der Haftgrund (weiterhin)
gegeben. Sodann haben die Behörden bei der albanischen Botschaft
ein Reisepapier beantragt und dafür mit dieser ein Telefoninterview
organisiert und den Beschwerdeführer wiederholt angehalten, bei der
Papierbeschaffung mitzuwirken; sie sind damit dem Beschleunigungsgebot
bisher nachgekommen. Schliesslich liegen, namentlich aufgrund des eigenen
renitenten Verhaltens des Beschwerdeführers, besondere Hindernisse vor,
welche eine Verlängerung der Haft rechtfertigen. In materiellrechtlicher
Hinsicht sind die Haft an sich und deren Verlängerung somit nicht zu
beanstanden. Zu prüfen bleibt einzig, ob sich die Haftrichterin auch in
formeller Hinsicht an das Bundesrecht gehalten hat.

    3.2  Der Haftrichterentscheid vom 4./5. Februar 2002, womit die
erstmalige Anordnung der Ausschaffungshaft bestätigt worden war, äusserte
sich nicht darüber, ob die Haft für die volle Höchstdauer von (vorerst)
drei Monaten genehmigt werden sollte. Mangels einer ausdrücklichen
abweichenden Anordnung kann aber von einer stillschweigend festgelegten
maximalen Haftdauer von drei Monaten ausgegangen werden (so das Urteil des
Bundesgerichts 2A.402/1999 vom 25. August 1999). Die Haftrichterin hat das
bei ihr am 3. April 2002 eingegangene Schreiben des Beschwerdeführers als
Haftentlassungsgesuch behandelt. Nachdem der Migrationsdienst in seiner
Vernehmlassung gleichzeitig ein Gesuch um Haftverlängerung gestellt hatte,
hat sie die beiden Verfahren zusammengelegt. Im Hinblick darauf, dass in
beiden Verfahren grundsätzlich ähnliche Fragen zu beurteilen sind, erweist
sich dies als zulässig, sofern dem Ausländer dadurch kein Nachteil erwächst
(vgl. Urteil 2A.390/2001 vom 24. September 2001, E. 1c).

    3.3  Die Haftrichterverhandlung fand jedoch erst am 25. April 2002
statt. Während es für die Frage der Haftverlängerung einzig darauf ankommt,
dass die richterliche Genehmigung vor Ablauf der erstmalig angeordneten
Haftdauer erfolgt (vgl. Urteil 2A.132/2000 vom 12. April 2000, E. 5a),
ist für die Behandlung eines Haftentlassungsgesuchs die Bestimmung von
Art. 13c Abs. 4 ANAG anwendbar, wonach die richterliche Behörde darüber
innert acht Arbeitstagen zu entscheiden hat. Es ist daher zu prüfen,
welche Bedeutung dieser Frist im vorliegenden Zusammenhang zukommt.

    3.4  Zunächst fragt es sich, ob das offenbar am 27.
März 2002 abgefasste Schreiben des Beschwerdeführers überhaupt ein
Haftentlassungsgesuch darstellt. Die Eingabe ist in ihrer deutschsprachigen
Übersetzung als "Haftentlassungsgesuch" überschrieben. Der anschliessende
Text ist zum Teil unklar. Einerseits liegt das Schwergewicht auf dem
Wunsch um Beigabe eines amtlichen Anwalts. Verlangt wird der Anwalt für
einen vom Gericht noch anzusetzenden Termin, den der Beschwerdeführer
offenbar am 6. Mai 2002 erwartete. Andererseits hat der Beschwerdeführer
in seiner Eingabe aber auch deutlich um Freilassung ersucht. An ein
Haftentlassungsgesuch dürfen grundsätzlich keine besonderen formellen
Anforderungen gestellt werden (vgl. ANDREAS ZÜND, Zwangsmassnahmen
im Ausländerrecht: Verfahrensfragen und Rechtsschutz, in: AJP 1995
S. 863). Auch hat die Haftrichterin die Eingabe von Beginn an, ohne daran
irgendwelche Zweifel zu äussern, als Haftentlassungsgesuch entgegengenommen
und behandelt. Noch am Tag des Eingangs hat sie verfügt, "vom Eingang des
Haftentlassungsgesuchs" werde "Kenntnis genommen und gegeben". Unklar ist
jedoch, ob sie das Gesuch als solches um sofortige Haftentlassung oder
aber um Freilassung auf den Termin des Ablaufs der erstmalig bewilligten
Haft verstanden hat, womit der Eingabe lediglich der Charakter eines
Antrags auf Nichtbewilligung einer allfälligen Haftverlängerung zukäme.

    3.5  Die wenigen bundesgesetzlichen Verfahrensbestimmungen zu
den Zwangsmassnahmen sind weitgehend zwingender Natur. Dies gilt
namentlich für die Frist von Art. 13c Abs. 2 ANAG, wonach die erstmalige
Haftanordnung innert 96 Stunden richterlich zu überprüfen ist, sowie für
das Erfordernis der Zustimmung der kantonalen richterlichen Behörde zu
einer Haftverlängerung gemäss Art. 13b Abs. 2 ANAG, welche naturgemäss
vor Ablauf der bereits gültig angeordneten Haft zu ergehen hat. Auf die
Einhaltung dieser formellen Erfordernisse kann nicht oder höchstens
unter ganz ausserordentlichen Umständen verzichtet werden. Gänzlich
unverzichtbar ist die Durchführung einer Haftrichterverhandlung an
sich. Das Bundesgericht hat sich in diesem Sinne bereits wiederholt
geäussert. Danach stellt der Anspruch auf rechtzeitige richterliche
Prüfung der Ausschaffungshaft bzw. deren Verlängerung in einer mündlichen
Verhandlung die zentrale prozessuale Garantie dar, welche vor willkürlichem
Entzug der Freiheit schützen soll (BGE 121 II 110 E. 2b S. 113);
die entsprechenden Bestimmungen sind zwingender Natur und nicht blosse
Ordnungsvorschriften (Urteile 2A.200/2002 vom 17. Mai 2002 und 2A.520/1999
vom 25. Oktober 1999). Sie sind daher von Amtes wegen zu beachten.

    Für die Behandlung von Haftentlassungsgesuchen gilt im Grundsatz
dasselbe. Die gesetzlichen Verfahrensregeln sind von Amtes wegen zu
beachten und an sich verbindlich. Indessen kommt der für die richterliche
Beurteilung vorgesehenen Frist von acht Arbeitstagen nicht die gleiche
Bedeutung zu wie den entsprechenden Vorschriften bei der erstmaligen
Haftanordnung bzw. der Haftverlängerung. Eine richterliche Verhandlung
findet nur statt, wenn ein Haftentlassungsgesuch gestellt wird. Dies
bleibt jedoch dem Häftling überlassen. Er kann auf ein solches Gesuch
verzichten oder ein einmal gestelltes Haftentlassungsgesuch auch
wieder zurückziehen. Unterliegt insoweit das Haftentlassungsverfahren
der Disposition des Häftlings, muss es diesem grundsätzlich auch frei
stehen, auf die Einhaltung der Achttagesfrist zu verzichten bzw. für die
Verhandlung vor dem Haftrichter einen weiter entfernten Termin zu wünschen
oder zu akzeptieren.

    3.6  Nach der Rechtsprechung darf freilich ein Verzicht auf prozessuale
Rechte im Zusammenhang mit ausländerrechtlicher Administrativhaft
nicht ohne weiteres angenommen werden. Haft bedeutet einen erheblichen
Eingriff in die persönliche Freiheit des Ausländers. Es liegt daher
in der besonderen Natur des Haftverfahrens, dass der Ausländer,
der mit dem schweizerischen Recht und namentlich mit den gesetzlichen
Haftvoraussetzungen nicht vertraut ist, nur unter besonderen Bedingungen
auf seine Verfahrensrechte verzichten kann. Insbesondere darf einem
mit der Rechtslage nicht vertrauten Häftling ein Verzicht auf die
Einhaltung der Achttagesfrist gemäss Art. 13c Abs. 4 ANAG nicht leichthin
unterstellt werden. Solange keine anders lautende zuverlässige und klare
Äusserung vorliegt, muss ein Haftentlassungsgesuch innert der gesetzlich
festgelegten Frist behandelt werden. Hingegen kann ein Verzicht auf die
Einhaltung dieser Frist gültig erfolgen, wenn der Häftling durch einen
qualifizierten Vertreter verbeiständet ist (vgl. BGE 125 II 369 E. 2),
wobei es nicht darauf ankommen kann, ob es sich um einen frei gewählten
oder amtlich bestellten Anwalt handelt.

    3.7  Der Beschwerdeführer war - wie dargelegt, auf eigenen Antrag
hin - vor der Haftrichterin amtlich durch einen Anwalt vertreten. Diesem
wurde bereits die haftrichterliche Verfügung vom 3. April 2002 mitgeteilt,
worin sich unter anderem die Ansetzung der Verhandlung auf den 25. April
2002 findet. Gemäss dem bei der Haftrichterin eingeholten Amtsbericht
wurde der Verhandlungstermin zusammen mit dem Anwalt bzw. sogar auf
dessen Vorschlag hin festgesetzt. Die Akten enthalten auch keinen Hinweis
darauf, dass der Vertreter die Nichteinhaltung der achttägigen Frist
gemäss Art. 13c Abs. 4 ANAG beanstandet hätte. Genauso wenig ist dies
gemäss dem Verhandlungsprotokoll an der Verhandlung selber geschehen, wo
der Anwalt freilich nicht selber auftrat, sondern sich substituieren liess.

    Die Achttagesfrist scheint zwar nie thematisiert worden zu sein; es
liegt jedenfalls kein ausdrücklicher Verzicht darauf vor. Das Verhalten
des Anwalts lässt jedoch auf einen konkludenten Verzicht schliessen. Er hat
sich ohne Protest auf den späteren Termin eingelassen. Wohl sind die Gründe
dafür nicht bekannt; es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der spätere
Verhandlungstermin durchaus im Interesse des Beschwerdeführers lag. Dieser
rügt denn auch die Missachtung der Achttagesfrist vor dem Bundesgericht
gar nicht. Unter diesen Umständen muss sich der Beschwerdeführer das
Verhalten seines Anwalts anrechnen lassen.

    3.8  Damit verletzt der angefochtene Entscheid auch in
verfahrensrechtlicher Hinsicht Bundesrecht nicht.