Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 366



128 III 366

66. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. ABZ Recycling AG
gegen Stadt Zürich (Berufung)

    5C.8/2002 vom 30. Mai 2002

Regeste

    Klagelegitimation bei verpfändeter Forderung; Einziehungsrecht gemäss
Art. 906 Abs. 1 ZGB.

    Der Pfandgläubiger erhält lediglich ein Sicherungsrecht an der
verpfändeten Forderung; ihr Inhaber bleibt der Verpfänder. Dieser kann die
Forderung kraft seines Einziehungsrechts auf dem Klageweg geltend machen,
ohne dass es hierfür der Zustimmung des Pfandgläubigers bedürfte (E. 2).

Sachverhalt

    Die ABZ Recycling AG verpflichtete sich in einem Fünfjahresvertrag, der
Stadt Zürich ab 1. Januar 1990 eine jährlich garantierte Mindestliefermenge
von 6'000 Tonnen entwässertem Klärschlamm abzunehmen und diesen in Orange
(Frankreich) zu Kompost verarbeiten zu lassen. Nachdem gegen einen
Beamten der Stadtentwässerung und den Geschäftsführer der ABZ Recycling
AG Strafverfahren wegen Verdachts auf Bestechung im Zusammenhang mit
der Vertragsabwicklung eingeleitet worden waren (so genannte Zürcher
Klärschlammaffäre), hielt die Stadt Zürich dafür, der Vertrag sei durch
sie nicht mehr zu erfüllen.

    In der Folge klagte die ABZ Recycling AG auf Bezahlung der fälligen
Rechnungen für den entsorgten Klärschlamm sowie auf Bezahlung der Differenz
zwischen der garantierten und der tatsächlich gelieferten Menge.

    Mit Urteil vom 20. November 2001 wies das Obergericht des Kantons
Zürich, II. Zivilkammer, die Klage mit der Begründung ab, die Forderung sei
teilweise verpfändet worden und es hätte deshalb für die Prozessführung der
Einwilligung der beiden Pfandgläubigerinnen bedurft. Mit Berufung an das
Bundesgericht vom 21. Dezember 2001 verlangt die Klägerin im Wesentlichen,
in Aufhebung von Ziffer 1 des angefochtenen Urteils sei die Beklagte zu
verpflichten, ihr Fr. 619'130.- zuzüglich Zinsen zu bezahlen.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und weist die
Sache zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob die Klägerin ihre
verpfändete Forderung gegen die Beklagte im Alleingang einklagen durfte
oder ob es hierfür der Zustimmung der beiden Pfandgläubigerinnen bedurft
hätte.

    a) Die Klägerin macht geltend, ihr Klageanspruch gründe auf dem
Einziehungsrecht, das ihr gemäss Art. 906 Abs. 1 ZGB uneingeschränkt
zustehe. Einzig für das Inkasso der Forderung bedürfte es gemäss Art. 906
Abs. 2 ZGB der Zustimmung der Pfandgläubigerinnen. Vorliegend gehe es
nicht etwa um eine Anerkennungsklage im Rahmen einer hängigen Betreibung,
sondern um eine normale Forderungsklage. Das Obergericht des Kantons Zürich
verletze deshalb Art. 906 Abs. 1 und 2 ZGB, indem es die Einwilligung
der Pfandgläubigerinnen in die Prozessführung verlange.

    Die Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, infolge Verpfändung könne
die Klägerin nicht mehr über ihre Forderung verfügen. Zudem hätte diese
mit einem zusprechenden Urteil in der vorliegenden Sache einen definitiven
Rechtsöffnungstitel. Angesichts der beschränkten Einwendungsmöglichkeiten
im Verfahren der definitiven Rechtsöffnung wäre sie (die Beklagte) als
Betriebene gezwungen, an die Klägerin zu leisten, und würde sich damit
dem Risiko der Doppelzahlung aussetzen.

    b) Mit der Abtretung (Art. 164 Abs. 1 OR) geht die Forderung vom
Zedenten auf den Zessionar über. Demgegenüber findet bei der Verpfändung
einer Forderung (Art. 899 Abs. 1 ZGB) kein Wechsel in der Person
des Gläubigers statt; vielmehr bleibt der Verpfänder (vorliegend: die
Klägerin) Inhaber der Forderung und als solcher ist er weiterhin Träger
aller Rechte und Befugnisse, die sie ihm verleiht. Umgekehrt erhält
der Pfandgläubiger (vorliegend: SIBAG und ZKB) mit seinem Pfandrecht
lediglich ein Sicherungsrecht am Pfandgegenstand (vorliegend: eingeklagte
Forderung). Dieses aktualisiert sich nur und erst, wenn der Verpfänder die
gesicherte Forderung bei Fälligkeit nicht bezahlt. Diesfalls ermöglicht das
Pfandrecht dem Pfandgläubiger den wertmässigen Zugriff auf das Pfandobjekt,
indem dieses verwertet und er aus dem Erlös befriedigt wird. Das
bis zu jenem Zeitpunkt latente Sicherungsrecht des Pfandgläubigers
würde nun illusorisch, wenn der Schuldner (vorliegend: die Beklagte)
die verpfändete Forderung ohne Zustimmung des Pfandgläubigers an den
Verpfänder zurückzahlen würde, denn mit der Erfüllung geht die Forderung
unter (Art. 114 Abs. 1 OR) und damit die Sicherheit des Pfandgläubigers.

    Auf einen Ausgleich zielend zwischen dem Grundsatz, dass der Verpfänder
Gläubiger der Forderung bleibt, und der damit verbundenen Gefahr für den
Pfandgläubiger, dass sein Pfandobjekt durch Zahlung an den Verpfänder
untergeht, bestimmt Art. 906 ZGB Folgendes: Erfordert die sorgfältige
Verwaltung die Kündigung und Einziehung der verpfändeten Forderung, so
darf deren Gläubiger sie vornehmen und der Pfandgläubiger verlangen, dass
sie vorgenommen werde (Abs. 1). Zahlungen darf der Schuldner, sobald er
von der Verpfändung benachrichtigt ist, an den einen nur mit Einwilligung
des andern entrichten (Abs. 2).

    Art. 906 Abs. 1 ZGB regelt die Verwaltung der verpfändeten
Forderung. Diese obliegt dem Verpfänder als Forderungsinhaber. Er hat dabei
alles vorzukehren, was zum Erhalt der Forderung notwendig ist, und der
Pfandgläubiger hat einen Anspruch darauf, dass sein Pfandobjekt sorgfältig
verwaltet wird. Zur Erfüllung dieser Pflicht steht dem Verpfänder das so
genannte Kündigungs- und Einziehungsrecht zu. Das Einziehungsrecht befugt
ihn nicht nur zur Mahnung und Betreibung der Forderung sowie zur Eingabe
im Konkurs oder zur Anmeldung im Lastenverzeichnis, sondern es erlaubt ihm
namentlich auch, diese auf dem Klageweg geltend zu machen (OFTINGER/BÄR,
Zürcher Kommentar, N. 10 und 15 zu Art. 906 ZGB; LEEMANN, Berner Kommentar,
N. 2 zu Art. 906 ZGB; BAUER, Basler Kommentar, N. 4 zu Art. 906 ZGB).

    Art. 906 Abs. 2 ZGB regelt demgegenüber die Zahlung der verpfändeten
Forderung und beantwortet die Frage, an wen der Schuldner zu leisten
hat. Damit das Forderungspfandrecht nicht seiner Sicherungsfunktion
beraubt wird, darf der Schuldner, wenn ihm die Verpfändung der Forderung
notifiziert worden ist, nur an den Verpfänder und den Pfandgläubiger
gemeinsam bzw. an den einen nur mit Einwilligung des andern leisten. Wo
diese fehlt, hat er den geschuldeten Betrag gemäss Art. 906 Abs. 3 ZGB
zu hinterlegen.

    c) Die Beklagte wendet ein, mit einem gutheissenden Urteil erhalte
die Klägerin gegen sie einen definitiven Rechtsöffnungstitel und sie würde
eine Doppelzahlung riskieren. Dieses Argument geht an der Sache vorbei:

    Wenn die Verpfändung der Forderung dem Pfandschuldner nicht notifiziert
worden ist, darf er mit befreiender Wirkung an den Verpfänder leisten;
dies ergibt sich e contrario aus dem Wortlaut von Art. 906 Abs. 2 ZGB. Ist
die Notifikation erfolgt, kann der Pfandschuldner den geschuldeten
Betrag hinterlegen oder Rechtsvorschlag erheben, wenn der Verpfänder
ohne Zustimmung des Pfandgläubigers die Betreibung einleitet (BGE 42
III 270 E. 3 S. 273; LEEMANN, aaO, N. 19 zu Art. 906 ZGB; ZOBL, Berner
Kommentar, N. 25 zu Art. 906 ZGB). In diesem Fall darf die Rechtsöffnung
nur erteilt werden, wenn der Pfandgläubiger zustimmt (PANCHAUD/CAPREZ, Die
Rechtsöffnung, 2. Aufl. 1980, § 52, S. 123; STAEHELIN, in: Kommentar zum
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 1998, N. 32 zu Art. 84
SchKG). Entgegen ihrer sinngemässen Argumentation ist die Beklagte
folglich nicht darauf angewiesen, eine Einwendung gemäss Art. 81 Abs. 2
SchKG gegen die Forderung, für die Rechtsöffnung gewährt worden ist, oder
eine solche gegen den Rechtsöffnungstitel selbst zu erheben. Vielmehr
ist ein unanfechtbarer Rechtsöffnungstitel gewiss erforderlich, aber für
sich allein ungenügend: Die Erteilung der definitiven Rechtsöffnung setzt
voraus, dass zum Rechtsöffnungstitel die Einwilligung des Pfandgläubigers
gemäss Art. 906 Abs. 2 ZGB hinzutritt.

    d) Zusammenfassend ergibt sich, dass die beiden Pfandgläubigerinnen
SIBAG und ZKB angesichts der klägerischen Anträge, die nicht auf eine
Aufhebung des Rechtsvorschlags lauten, ausserhalb des vorliegenden
Erkenntnisverfahrens stehen und die Klage nicht von deren Einverständnis
abhängig ist. Weil das Obergericht Bestand und Umfang des klägerischen
Anspruches gar nicht erst geprüft und diesbezüglich auch keine
Tatsachenfeststellungen getroffen hat, kann das Bundesgericht nicht selbst
ein Urteil in der Sache fällen. Das Berufungsbegehren um Zuspruch einer
Geldsumme schliesst jedoch den Antrag auf Rückweisung zur Beurteilung in
der Sache in sich. In teilweiser Gutheissung der Berufung sind folglich
die Ziffern 1 und 3-5 (Kosten) des angefochtenen Urteils aufzuheben und
die Sache ist diesbezüglich zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.