Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 324



128 III 324

58. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S.A. SA gegen B. AG
(Berufung)

    4C.82/2002 vom 21. Juni 2002

Regeste

    Unterschriftsfälschung des Namensträgers auf einem Wechsel.
Wechselmässige Haftung aus veranlasstem Rechtsschein. Vertragshaftung.

    Hält die Wechselinhaberin gestützt auf das Verhalten der Bezogenen,
das in ihr Vertrauen erweckt, deren Unterschrift auf dem Wechsel für echt,
haftet ihr diese für den daraus erwachsenen Schaden. Diese Haftung ist
den Regeln der Vertragshaftung zu unterstellen (E. 1 und 2).

Sachverhalt

    Die B. AG (Klägerin) kam im Rahmen einer Geschäftsbeziehung mit der
C. GmbH in den Besitz von zwei am 22. Juli 1996 von dieser an eigene
Order ausgestellten Wechseln über SFr. 205'750.- bzw. US$ 264'000.-,
welche als Bezogene die A. SA (Beklagte) aufführen. Beide Wechsel tragen
die Unterschrift der einzigen Verwaltungsrätin der Beklagten.

    Vor der Diskontierung des ersten Wechsels verlangte die Klägerin von
der Beklagten am 30. Juli 1996 die Bestätigung, dass die

Unterschrift "korrekt" und die unterzeichnende Person zur Einzelzeichnung
befugt sei. Die Verwaltungsrätin der Beklagten teilte der Klägerin mittels
eines Faxschreibens mit, dass ein Wechsel über DM 205'750.- vorhanden und
sie zur Einzelzeichnung befugt sei. Sie unterzeichnete das Schreiben mit
dem Hinweis, dass es sich dabei um ihre Original-Unterschrift handle, die
für die Akten der Klägerin bestimmt sei. Da die im Faxschreiben angegebene
Währung mit derjenigen auf dem Wechsel nicht übereinstimmte, erkundigte
sich die Klägerin telefonisch bei der Verwaltungsrätin der Beklagten,
die in einem vom 31. Juli 1996 datierten Faxschreiben bestätigte, dass
der Wechsel auf Schweizer Franken lautete. Beide Antworten der Beklagten
gingen zuerst an die C. GmbH und von dieser weiter an die Klägerin.

    Die Wechsel wurden in der Folge fristgerecht, jedoch erfolglos zur
Zahlung vorgelegt. Die Beklagte bestritt die Echtheit der Unterschrift
auf den beiden Wechseln.

    Am 20. Mai 1998 und 10. Februar 1999 reichte die Klägerin beim
Handelsgericht des Kantons Zürich zwei Klagen ein und beantragte, die
Beklagte zur Zahlung von SFr. 205'750.- bzw. US$ 112'000.-, zuzüglich
Zins und Ersatz für die Protestkosten, zu verpflichten. Nach Vereinigung
beider Prozesse verpflichtete das Handelsgericht in seinem Urteil vom
20. Dezember 2001 die Beklagte zur Zahlung von SFr. 142'130.40, zuzüglich
Zins und Ersatz für die Protestkosten. Es wies die Klage im Mehrbetrag ab.

    Die Beklagte hat das Urteil des Handelsgerichts mit Berufung
angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.

    1.1  Die Vorinstanz erwog hinsichtlich des Wechsels über
SFr. 205'750.-, die Beklagte habe weder die Echtheit der Unterschrift
ihrer Verwaltungsrätin ausdrücklich bestätigt, noch die Zahlung der
Wechselsumme in Aussicht gestellt oder explizit erklärt, der Wechsel
gehe in Ordnung. Die schriftliche Bestätigung, es sei ein Wechsel über
diese Summe vorhanden, verbunden mit dem Schweigen über die Tatsache der
gefälschten Unterschrift vermöchten keine konkludente Genehmigung des
Begebungsvertrages zu bewirken. Eine Genehmigungswirkung sei daher aus
Gründen der nicht überzeugenden Analogie zum Stellvertretungsrecht und
in Berücksichtigung des konkreten Falles abzulehnen.

    Die Vorinstanz hielt jedoch dafür, das Verhalten der Beklagten begründe
hinsichtlich des Wechsels über SFr. 205'750.- eine wechselmässige Haftung
sowohl unter dem Aspekt des verursachten Rechtsscheins als auch unter
demjenigen von Treu und Glauben. Die Anfrage der Klägerin vom 30. Juli
1996 habe sich unmissverständlich auf die Gültigkeit der Unterschrift
auf dem Wechsel bezogen. Obwohl die Verwaltungsrätin der Beklagten die
Fälschung sofort erkannt habe, habe sie dies in ihrem Schreiben mit keinem
Wort erwähnt, sondern eine Formulierung gewählt, in welcher eine positive,
bejahende Antwort erblickt werden dürfe. Selbst wenn dieses Schreiben noch
nicht für die Klägerin, sondern zuerst für die C. GmbH bestimmt war, hätte
die Beklagte anlässlich der Anfrage der Klägerin vom 31. Juli 1996 ohne
Zweifel erkennen müssen, dass diese im Besitze ihres Schreibens war. Statt
sie aber über die Fälschung aufzuklären, habe die Verwaltungsrätin der
Beklagten lediglich ein weiteres Bestätigungsschreiben betreffend die
korrekte Währung verfasst. Die Beklagte habe damit nicht nur auf Anfrage
hin geschwiegen, sondern durch ihr aktives Handeln einen Rechtsschein
geschaffen, wodurch die Klägerin in einen Irrtum über die Echtheit der
Unterschrift versetzt worden sei, der sie schliesslich dazu bewogen habe,
den Wechsel zu diskontieren.

    1.2  Mit Hinweis auf BGE 41 II 369 ff. und auf die zur Theorie
des Rechtsscheins nicht einheitliche Lehre kritisiert die Beklagte
deren Anwendung durch die Vorinstanz. Sie behauptet, die Einrede
der Unterschriftsfälschung habe absoluten Charakter. Wenn eine
Wechselunterschrift gefälscht sei, dann habe der Namensträger keinerlei
Berührung mit dem Papier. Es gebe keinen Sachverhalt, auf Grund dessen er
wechselrechtlich behaftet werden könne. Der gutgläubige Wechselerwerber
müsse das inhärente Risiko selbst tragen. Die auf der gleichen Ebene wie
die Haftung aus Rechtsschein liegende Haftung nach Treu und Glauben müsse
ebenfalls abgelehnt werden.

Erwägung 2

    2.

    2.1  BGE 41 II 369 wurde vor Inkrafttreten der auf dem Genfer Abkommen
über die Vereinheitlichung des Wechselrechts von 1930 basierenden aktuellen
Regelung gefällt. In diesem Urteil lehnte das Bundesgericht eine mit
wechselrechtlicher Wirkung verbundene "nachträgliche Genehmigung" einer
Unterschriftsfälschung ab mit der Begründung, eine wechselmässige
Verpflichtung könne nur durch den Formalakt der eigenhändigen
Unterzeichnung des Wechsels entstehen. Das Bundesgericht befürwortete
dagegen eine deliktische Haftung des Ausstellers.

    2.2  Der Namensträger, insbesondere der Bezogene, dessen
Unterschrift auf einem Wechsel gefälscht wurde, haftet grundsätzlich
(wechselrechtlich) nicht, auch nicht einem gutgläubigen Erwerber,
da er die Wechselverpflichtung zumindest formell nie eingegangen ist
(BAUMBACH/HEFERMEHL, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 22. Aufl., München
2000, N. 5 zu Art. 7 WG/D). Es stellt sich jedoch die Frage nach einer
Haftung aus veranlasstem Rechtsschein bzw. aus Treu und Glauben, wie dies
die Vorinstanz angenommen hat. Dabei ist eine Abgrenzung zwischen diesen
Begriffen nicht nötig, drückt doch im Wechselrecht die Rechtsscheintheorie
den Inhalt des Vertrauensprinzips mit anderen Worten aus (JÄGGI, Zürcher
Kommentar, N. 57 zu Art. 979 OR; WALTER OTT, Das Vertrauensprinzip
und die Lehre vom Einredenausschluss im Wechselrecht, in: SJZ 75/1979
S. 153 ff., 154 Fn. 4 mit Hinweisen; vgl. ebenfalls HANS PETER WALTER,
Die Vertrauenshaftung: Unkraut oder Blume im Garten des Rechts?, in:
ZSR 120/2001 I S. 83; a.M. BAUMBACH/HEFERMEHL, aaO, N. 5 zu Art. 7 WG/D).

    Die Haftung aus erwecktem und enttäuschtem Vertrauen setzt das Bestehen
einer rechtlichen Sonderverbindung voraus. Diese unterscheidet sich von
der deliktsrechtlichen Konstellation des zufälligen und ungewollten
Zusammenpralls beliebiger Personen dadurch, dass die Beteiligten -
ausserhalb einer vertraglichen Bindung - rechtlich in besonderer Nähe
zueinander stehen, wobei sie einander gegenseitig Vertrauen gewähren und
Vertrauen in Anspruch nehmen. Aus dieser rechtlichen Sonderverbindung
ergeben sich aus Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) hergeleitete Schutz-
und Aufklärungspflichten (BGE 120 II 331 E. 5a S. 336). Eine derartige
Sonderverbindung entsteht allerdings nur aus bewusstem oder normativ
zurechenbarem Verhalten der in Anspruch genommenen Person (SJ 2000 I
S. 549 ff., S. 554; 4C.280/1999). Schutzwürdiges Vertrauen setzt zudem ein
Verhalten des Schädigers voraus, das geeignet ist, hinreichend konkrete
und bestimmte Erwartungen des Geschädigten zu wecken (BGE 124 III 297
E. 6a S. 304). Trifft der Geschädigte sich als nachteilig erweisende
Dispositionen, hat der Schädiger für den aus enttäuschtem Vertrauen
verursachten Schaden einzustehen.

    2.3  Der von der Vorinstanz vorgeschlagenen wechselmässigen Haftung
des Namensträgers aus veranlasstem Rechtsschein stimmt die Doktrin zu,
wenn auch zum Teil nur unter bestimmten Voraussetzungen (HUECK/CANARIS,
Recht der Wertpapiere, 12. Aufl., München 1986, § 9 II.3.b. S. 112 f.;
BAUMBACH/HEFERMEHL, aaO, N. 10 zu

Art. 7 WG/D: nur bei Verschulden; GRÜNINGER/HUNZIKER/NOTTER, Basler
Kommentar, N. 4 zu Art. 997 OR und N. 17 zu Art. 1007 OR: z.B. bei
mehrmaliger Einlösung gefälschter Akzeptunterschriften; im Ergebnis
gl.M. MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, Wertpapierrecht, 2. Aufl., Bern 2000, § 4
N. 49, insbesondere Fn. 63; a.M. PETER BÜLOW, Wechselgesetz, Scheckgesetz,
Allgemeine Geschäftsbedingungen, 2. Aufl., Heidelberg 1995, N. 11 ff.,
N. 14 zu Art. 7 WG/D).

    Für HUECK/CANARIS (aaO, § 9 II.3.b. S. 113 mit Hinweisen) schafft die
Bestätigung der Echtheit in zurechenbarer Weise einen Scheintatbestand, so
dass die Voraussetzungen einer Rechtsscheinhaftung gegeben sind. Für diese
Autoren gilt dasselbe grundsätzlich auch beim Schweigen auf eine Anfrage,
weil und sofern auch darin ein zurechenbarer Scheintatbestand liegt. Diese
Fälle, bei denen eine Verbindung zwischen dem Scheintatbestand und dem
Verhalten des Betroffenen gegeben ist, bilden somit eine Ausnahme von den
Zurechenbarkeitseinwendungen, die normalerweise absolut sind und jedem,
also auch dem gutgläubigen Erwerber eines Wechsels, entgegengehalten werden
können, weil der Scheinschuldner den Rechtsschein nicht in zurechenbarer
Weise veranlasst hat (HUECK/CANARIS, aaO, § 9 I.5.a. S. 108).

    2.4  Eine Sonderverbindung zwischen der Klägerin als Wechselinhaberin
und der Beklagten als Bezogene kann mit Blick auf ihr Verhalten bejaht
werden. Die Vorinstanz hat für das Bundesgericht verbindlich festgestellt
(Art. 63 Abs. 2 OG), die Beklagte habe nach der ersten Anfrage der Klägerin
vom 30. Juli 1996 die Fälschung sofort erkannt, aber ihr dies in ihrer
Antwort, nämlich in ihrem Faxschreiben, nicht mitgeteilt. Mit Recht hat
die Vorinstanz erwogen, auch wenn die Antwort der Beklagten damals nicht
für die Klägerin, sondern vorerst für den Aussteller bestimmt gewesen
sei, habe sie infolge der zweiten Anfrage der Klägerin vom 31. Juli
1996 erkennen müssen, dass Letztere im Besitze des Faxschreibens vom
30. Juli 1996 gewesen sei; sie habe jedoch die Klägerin nicht aufgeklärt,
sondern ein weiteres Bestätigungsschreiben verfasst, wiederum ohne
die Unterschriftsfälschung zu erwähnen. Der Einwand der Beklagten,
die Klägerin sei durch eine andere Erfahrung mit Wechseln misstrauisch
gewesen und hätte daher ihre Anfrage anders formulieren müssen, was sich
auf den Inhalt der Antwort der Beklagten ausgewirkt hätte, betrifft die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz und ist im Berufungsverfahren
nicht zu hören (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Ebenso verhält es sich mit
den Ausführungen der Beklagten betreffend die Erfahrung der Parteien mit

Wechselgeschäften (vgl. BGE 109 II 452 E. 5d S. 460 f.). Vielmehr
ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass die im Handel
tätige Beklagte mit dem Aussteller in geschäftlicher Verbindung stand;
darauf deutet auch hin, dass sie die beiden Faxschreiben zuerst an
diesen richtete. Unerheblich ist, dass die Beklagte nichts von den
Geschäftsbeziehungen der Klägerin mit dem Aussteller des Wechsels
wusste, zumal sie sich spätestens bei der Anfrage über die Echtheit
der Unterschrift danach erkundigen konnte. Mit der Vorinstanz ist davon
auszugehen, dass die Klägerin gestützt auf das Verhalten der Beklagten,
das ihr Vertrauen erweckt hatte, die Unterschrift auf dem Wechsel über SFr.
205'750.- für echt hielt. Indessen wurden die Wechsel, obwohl bei der
Zahlungsstelle fristgerecht vorgelegt, nicht eingelöst.

    2.5  Da die Klägerin in ihrem aus der Sonderverbindung zur
Beklagten erweckten Vertrauen enttäuscht wurde, haftet Letztere für
den Schaden, welcher der Klägerin daraus erwächst. Diese Haftung
ist vorliegend den Regeln der Vertragshaftung zu unterstellen (HANS
PETER WALTER, aaO, S. 99; derselbe, Vertrauenshaftung im Umfeld des
Vertrages, in: ZBJV 132/1996 S. 273 ff., 295), entsteht doch diese
Sonderverbindung, generell ausgedrückt, im Umfeld eines gescheiterten
Anweisungsverhältnisses (Leistungsverhältnis bzw. Einlösungsverhältnis;
dazu MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, aaO, § 6 N. 1 ff., N. 8) zwischen
Wechselinhaber und Wechselbezogenem oder, spezifischer ausgedrückt,
weil wegen der Annahmeverweigerung des Wechsels durch den Bezogenen kein
Begebungsvertrag zwischen diesem und dem Wechselinhaber zustande kommt
(dazu MEIER-HAYOZ/VON DER CRONE, aaO, § 7 N. 113; HUECK/CANARIS, aaO, §
7 III.3.). Daraus ergibt sich, dass die Festsetzung des Schadens sich
nach den Grundsätzen von Art. 99 in Verbindung mit Art. 43 f. OR zu
richten hat. Die von der Beklagten vorgebrachten Herabsetzungsgründe
(leichte Fahrlässigkeit der Beklagten, Selbstverschulden der Klägerin)
entbehren jedoch, wie bereits bemerkt (E. 2.4), jeglicher Grundlage im
festgestellten Sachverhalt, so dass diesbezüglich von einer Verletzung
des Bundesrechts durch die Vorinstanz keine Rede sein kann.