Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 198



128 III 198

38. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
i.S. Kollektivgesellschaft Z. (Beschwerde)

    7B.21/2002 vom 26. April 2002

Regeste

    Schriftliches Steigerungsangebot (Art. 58 Abs. 4 VZG).

    Ein schriftliches Steigerungsangebot kann bis zu seiner Bekanntgabe
bei Beginn der Steigerung zurückgezogen werden (E. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Das Betreibungsamt hat die Verwertung der Grundstücke durch
öffentliche Steigerung (Art. 133 SchKG) angeordnet und am 7. Dezember
2001 vollzogen. Strittig ist, ob das von der T. AG am 4. Dezember 2001
eingereichte Angebot rechtsgültig habe zurückgezogen werden können oder
ob die Offerentin daran gebunden geblieben sei. Die Beschwerdeführerin
leitet sowohl aus Art. 9 OR als auch aus Art. 58 Abs. 4 der Verordnung
des Bundesgerichts vom 23. April 1920 über die Zwangsverwertung von
Grundstücken (VZG; SR 281.42) ab, dass letzteres der Fall sei.

    a) Art. 229 Abs. 1 OR bestimmt, dass bei der Zwangsversteigerung der
Kaufvertrag dadurch zum Abschluss gelangt, dass der Versteigerungsbeamte
den Gegenstand zuschlägt. Auch wenn hier von "Kaufvertrag" die Rede ist,
wird die betreibungsrechtliche Versteigerung seit langem nicht mehr als
privates Rechtsgeschäft betrachtet (dazu PIERRE CAVIN, Kauf, Tausch und
Schenkung, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/1, S. 163). Nach
heutiger Auffassung stellt übrigens nicht nur die Verwertungsform der
öffentlichen Steigerung, sondern ebenso diejenige des Freihandverkaufs
(hierzu BGE 106 III 79 E. 4 S. 82) einen staatlichen Hoheitsakt dar. Der
Zuschlag des Vollstreckungsbeamten ist somit eine betreibungsrechtliche
Verfügung (BGE 38 I 312 S. 314; vgl. auch BGE 128 III 104 E. 3c). Die
Rechtsnatur wie auch die Besonderheiten des - (im Abschlussstadium)
öffentlich durchzuführenden - Steigerungsverfahrens lassen nicht zu, die
allgemeinen Regeln über das Zustandekommen eines Vertrags, insbesondere
die Bestimmungen über Antrag und Annahme (Art. 3 ff. OR) hier auch nur
sinngemäss anzuwenden. Der Art. 231 OR, wonach der Bietende nach Massgabe
der Versteigerungsbedingungen an sein Angebot gebunden ist (Abs. 1) und
wonach der Bietende - unter dem Vorbehalt einer gegenteiligen Anordnung in
den erwähnten Bedingungen - frei wird, wenn ein höheres Angebot erfolgt
oder sein Angebot nicht sofort nach dem üblichen Aufruf angenommen wird
(Abs. 2), verweist

im Ergebnis seinerseits auf das Zwangsvollstreckungsrecht, namentlich auf
die Bestimmungen über die Steigerungsbedingungen (Art. 134 ff. SchKG;
vgl. auch ANTON PESTALOZZI, Der Steigerungskauf, Zürich 1997, Rz. 971).

    Im Schuldbetreibungsrecht werden schriftliche Steigerungsangebote
einzig insofern erwähnt, als Art. 58 Abs. 4 VZG bestimmt, sie seien bei
Beginn der Steigerung den Teilnehmern bekanntzugeben und unter den gleichen
Bedingungen zu berücksichtigen wie mündliche Angebote. Es wird nirgends
ausdrücklich bestimmt, der Widerruf einer schriftlichen Offerte sei
grundsätzlich ausgeschlossen. Dass dies hier in den Steigerungsbedingungen
angeordnet worden wäre, ist nicht dargetan.

    b) Die betreibungsrechtliche Steigerung ist ein öffentlich
durchzuführender Verwertungsakt (KURT AMONN/DOMINIK GASSER,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl., § 27
Rz. 28). Charakteristisch ist der enge zeitliche Zusammenhang zwischen
dem Ausruf des Gantbeamten, dem Angebot aus der Reihe der anwesenden
Interessenten und dem Zuschlag, die grundsätzlich Elemente einer
einzigen in sich geschlossenen Veranstaltung bilden (dazu HANS GIGER,
Berner Kommentar, N. 35 zu Art. 229 OR). Als Folge dieses Prinzips der
Einheitlichkeit des Steigerungsverfahrens ist denn auch vom Gantbeamten zu
verlangen, dass er schriftliche Angebote, die vor dem Steigerungstermin
beim Betreibungsamt eingegangen sind, am Anfang bekanntgibt (Art. 58
Abs. 4 VZG). Erst mit dieser Bekanntgabe an die anwesenden Interessenten
erlangt die schriftliche Offerte die steigerungsrechtliche Wirksamkeit,
die sie als mit den (nachfolgenden) Angeboten von Steigerungsteilnehmern
gleichwertig erscheinen lässt (vgl. PESTALOZZI, aaO, Rz. 203; dazu auch das
Obergericht des Kantons Zürich in dem in ZR 63/1964 Nr. 48 veröffentlichten
Entscheid vom 29. März 1963 [S. 105]). Gründe, die gebieten würden, einem
schriftlichen Angebot beispielsweise schon mit seinem Eintreffen beim
Betreibungsamt eine Wirkung beizumessen, die einen Widerruf ausschlösse,
vermag die Beschwerdeführerin nicht namhaft zu machen und sind auch nicht
ersichtlich. Es ist zu bedenken, dass das Betreibungsamt die Offerte
lediglich zu Händen der Steigerungsteilnehmer entgegennimmt und ein
Zuschlag vor der Steigerung von vornherein unzulässig ist. Solange die
eigentliche Steigerungsverhandlung nicht eröffnet ist, ist niemandem vom
Eingang eines schriftlichen Angebots Kenntnis zu geben und sind Dritte
von einem solchen auch gar nicht betroffen. Unbehelflich ist der Hinweis
der Beschwerdeführerin auf die

Unzulässigkeit von Offerten, die an Bedingungen oder Vorbehalte geknüpft
sind (Art. 58 Abs. 1 VZG). Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden,
dass der Steigerungsgegenstand nicht vorbehaltlos zugeschlagen werden
kann. Wo es vor der Eröffnung der Gant widerrufen wird, kann das
schriftliche Angebot jedoch von vornherein nicht zu einem Zuschlag
führen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und der von ihr
angerufenen Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen des
Kantons Tessin (vgl. den in Rep 1999 Nr. 89 veröffentlichten Entscheid
vom 11. Januar 1999) führt die dargelegte Betrachtungsweise jedenfalls
insofern nicht zu einer ungleichen Behandlung der schriftlich und der
mündlich Bietenden, als vom Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung an
beide Angebote gleichgestellt sind.