Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 128 III 121



128 III 121

21. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. R.B. gegen
B.B. (Berufung)

    5C.259/2001 vom 10. Januar 2002

Regeste

    Beginn der nachehelichen Unterhaltspflicht im Fall der Teilrechtskraft
der Scheidung (Art. 126 Abs. 1 ZGB).

    Ist der Scheidungspunkt gemäss Art. 148 Abs. 1 ZGB in Rechtskraft
erwachsen, steht es dem Sachgericht im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens
frei, hinsichtlich des Beginns der nachehelichen Unterhaltspflicht an
den Zeitpunkt der Teilrechtskraft anzuknüpfen. Dies gilt auch dann, wenn
der Massnahmerichter für die Dauer des Verfahrens einen Unterhaltsanspruch
festgelegt hat und dieser über den Zeitpunkt der Teilrechtskraft hinausgeht
(E.3).

Sachverhalt

    A.- Die Parteien heirateten im Jahr 1971. Am 7. November 1996 erhob
die Ehefrau B.B. die Scheidungsklage. Mit gerichtlicher Vereinbarung vom
9. Dezember 1996 verpflichtete sich der Ehemann R.B., der Ehefrau B.B. für
die Dauer des Getrenntlebens monatlich Fr. 2'000.- an ihren Unterhalt zu
bezahlen. Mit Entscheid vom 7. Februar 2001 schied der Gerichtspräsident
die Ehe und sprach der Klägerin einen monatlichen Unterhaltsbeitrag zu.

    Beide Parteien fochten die erstinstanzliche Unterhaltsregelung beim
Appellationshof des Kantons Bern an. Mit Urteil vom 12. September 2001
verpflichtete dieser den Beklagten R.B. rückwirkend ab 1. März 2001 zur
Zahlung von zeitlich befristeten nachehelichen Unterhaltsbeiträgen.

    B.- Mit Berufung an das Bundesgericht beantragt der Beklagte
unter anderem, es seien ihm lediglich für die Zeit nach Rechtskraft
des bundesgerichtlichen Urteils Unterhaltsbeiträge an die Klägerin
aufzuerlegen. Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es darauf
eintritt, und bestätigt das angefochtene Urteil.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Appellationshof hat festgestellt, dass das erstinstanzliche
Urteil vom Februar 2001 im Scheidungspunkt in Rechtskraft erwachsen
ist, und hat den Beginn der nachehelichen Unterhaltspflicht auf
März 2001 angesetzt. Der Beklagte wendet ein, diese rückwirkende
Verpflichtung verstosse gegen Bundesrecht. Die Parteien hätten 1996 eine
Trennungsvereinbarung getroffen, welche für die Zeit des Getrenntlebens
einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von Fr. 2'000.- vorsehe. Der dort
festgelegte Betrag gelte bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils,
in welchem der nacheheliche Unterhalt bestimmt werde. Die nacheheliche
Unterhaltspflicht beginne deshalb erst ab Datum des bundesgerichtlichen
Urteils zu laufen.

    a) Wurde das Scheidungsurteil unter dem alten Scheidungsrecht
weitergezogen und wurden dabei nur die Nebenfolgen, nicht aber der
Scheidungspunkt selber angefochten, so hing es vom jeweiligen kantonalen
Prozessrecht ab, ob der Scheidungspunkt bereits in Rechtskraft erwuchs,
oder ob die Rechtskraft bis zum Zeitpunkt hinausgeschoben wurde, in
dem über sämtliche Folgen definitiv entschieden war (BGE 84 II 466 E. 1
S. 467). Seit 1. Januar 2000 gilt die Teilrechtskraft von Bundesrecht wegen
(Art. 148 Abs. 1 ZGB; AS 1999 1118 S. 1144).

    b) aa) War der Scheidungspunkt in Rechtskraft erwachsen, so konnte
unter altem Scheidungsrecht das Sachgericht im späteren Rentenurteil
- im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens - frei bestimmen, ob die
Unterhaltspflicht erst mit Rechtskraft desselben oder rückwirkend ab
Eintritt der Teilrechtskraft beginne. Zwar erachtete das Bundesgericht
den Beginn der Unterhaltsverpflichtung mit der Rechtskraft des
letztinstanzlichen Rentenurteils als die Regel, doch hielt es auch den
rückwirkenden Beginn als mit dem Bundesrecht vereinbar (BGE 109 II 87
E. 4b S. 92; SPÜHLER/FREI-MAURER, Berner Kommentar, N. 54 zu Art. 151 ZGB).

    bb) Gemäss Art. 126 ZGB, in Kraft seit dem 1. Januar 2000, bestimmt
das Gericht den Beginn der nachehelichen Beitragspflicht.

Mit der ausdrücklichen Normierung dieser Befugnis wollte der Gesetzgeber
keine Änderung gegenüber dem bisherigen Recht bewirken. Sinn und Zweck
von Art. 126 ZGB ist es, dem Gericht im Hinblick auf eine möglichst grosse
Einzelfallgerechtigkeit bezüglich der Modalitäten des Unterhaltsbeitrags
einen breiten Spielraum einzuräumen. Der Beginn der Unterhaltspflicht
mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft des Scheidungsurteils ist
nach wie vor die Regel, doch weist die neue Bestimmung das Gericht
nun auch auf die verschiedenen Möglichkeiten im Zusammenhang mit
der Festlegung der Unterhaltspflicht - etwa die Anknüpfung an eine
Bedingung oder an eine aufschiebende Befristung - hin (SCHWENZER, in:
Praxiskommentar Scheidungsrecht, 2000, N. 1 und 10 zu Art. 126 ZGB;
SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, 1999, N. 12
zu Art. 126 ZGB; Botschaft über die Änderung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches vom 15. November 1995, BBl 1996 I 1 [Botschaft],
S. 117). Dass der Gesetzgeber den Spielraum des Sachgerichts im Hinblick
auf den Beginn der Unterhaltspflicht im Allgemeinen und im Zusammenhang
mit der Teilrechtskraft im Besonderen einschränken wollte, ist nicht
anzunehmen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass es dem Sachgericht
auch heute - im Rahmen des pflichtgemässen Ermessens - frei steht, dem
Pflichtigen rückwirkend auf den Zeitpunkt des Eintritts der Teilrechtskraft
eine nacheheliche Unterhaltspflicht aufzuerlegen.

    c) aa) Dies gilt unabhängig von der Frage, ob für die Zeit nach
Eintritt der Teilrechtskraft schon gestützt auf einen Massnahmeentscheid
eine Unterhaltspflicht besteht. Das Bundesgericht hat darauf unter der
Geltung des alten Scheidungsrechts ausdrücklich hingewiesen (BGE 109 II
87 E. 4b S. 92).

    bb) Daran ändert auch nichts, dass das heutige Recht die Fortdauer
der vorsorglichen Massnahmen über den Zeitpunkt der Teilrechtskraft
im Gegensatz zu früher ausdrücklich vorsieht (Art. 137 Abs. 2 ZGB;
LEUENBERGER, in: Praxiskommentar Scheidungsrecht, 2000, N. 12 zu Art. 137
ZGB; SUTTER/FREIBURGHAUS, aaO, N. 44 zu Art. 137 ZGB), und dass zu
viel bezahlter vorsorglicher Unterhalt nach geltendem Recht nicht
mehr zurückbezahlt werden muss (AB 1996 S 766: Votum von Ständerätin
Beerli). Massgeblich ist, dass Unterhaltsbeiträge, welche der Pflichtige
aufgrund eines Massnahmeentscheids bezahlt hat, nach wie vor auf den
im Rentenurteil festgelegten Unterhalt angerechnet werden können (zur
Anrechenbarkeit unter dem alten Scheidungsrecht: VOGEL, in: ZBJV 123/1987
S. 267 ff.).

    d) aa) Ermessensentscheide überprüft das Bundesgericht an sich
frei. Es übt dabei aber Zurückhaltung und greift nur ein, wenn die
Vorinstanz grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten
Grundsätzen abgegangen ist, wenn sie Tatsachen berücksichtigt hat,
die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen,
oder wenn sie umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten
beachtet werden müssen. Es greift ausserdem in Ermessensentscheide ein,
wenn sich diese im Ergebnis als offensichtlich unbillig, als in stossender
Weise ungerecht erweisen (BGE 123 III 274 E. 1a/cc mit Hinweisen).

    bb) Vorliegend hat der Appellationshof den Beginn der nachehelichen
Unterhaltspflicht an den Zeitpunkt des Eintritts der Teilrechtskraft
geknüpft. Dass er dabei einen Ermessensfehler begangen hätte, aufgrund
dessen das Bundesgericht seinen Entscheid aufheben müsste, ist weder
behauptet noch dargetan. Eine Verletzung des Bundesrechts liegt demnach
auch in diesem Punkt nicht vor.