Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 479



127 V 479

69. Auszug aus dem Urteil vom 13. November 2001 i. S. Staatssekretariat
für Wirtschaft gegen E. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich

Regeste

    Art. 24 Abs. 1-3 AVIG; Art. 41a Abs. 1 AVIV: Differenzausgleich bei
Zwischenverdienst. Bei der Prüfung des Anspruchs auf Differenzausgleich
sind Einkommen aus mehreren Teilzeittätigkeiten zu addieren. Ein
Anspruch auf Kompensationszahlungen besteht nur, wenn das gesamte
Einkommen der versicherten Person geringer ist als die mögliche
Arbeitslosenentschädigung.

Sachverhalt

    A.- E. (geboren 1965) arbeitete im Januar 1999 zu einem Monatslohn
von Fr. 2690.- teilzeitlich (60% einer Vollzeitbeschäftigung) in der
Schule X. Daneben erzielte sie ein Einkommen von Fr. 175.- bei der Firma
Y AG. Gemäss Abrechnung vom 1. Februar 1999 stellte die Arbeitslosenkasse
der Industrien des Zürcher Oberlandes fest, dass E. für den Januar 1999
bei einem versicherten Verdienst von Fr. 3482.- und einem erzielten
Einkommen von Fr. 2865.- keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung
in Form von Kompensationszahlungen habe.

    B.- Die von E. hiegegen eingereichte Beschwerde hiess das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom
10. August 2000 in dem Sinne gut, dass es die Abrechnung vom 1. Februar
1999 aufhob und die Sache an die Kasse zurückwies, damit sie den Anspruch
auf Kompensationszahlungen für den Monat Januar 1999 neu berechne und
hernach eine neue Abrechnung erlasse.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Staatssekretariat
für Wirtschaft (seco), der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.

    Während sich E. nicht vernehmen lässt, verzichtet die Arbeitslosenkasse
auf eine Stellungnahme.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 24 AVIG gilt als Zwischenverdienst jedes Einkommen
aus unselbstständiger oder selbstständiger Erwerbstätigkeit, das der
Arbeitslose innerhalb einer Kontrollperiode erzielt (Abs. 1). Der
Versicherte hat innerhalb der Rahmenfrist für den Leistungsbezug
Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls für Tage, an denen er einen
Zwischenverdienst erzielt. Der anzuwendende Entschädigungssatz bestimmt
sich nach Art. 22 (Abs. 2 Sätze 1 und 2). Als Verdienstausfall gilt die
Differenz zwischen dem in der Kontrollperiode erzielten Zwischenverdienst,
mindestens aber dem berufs- und ortsüblichen Ansatz für die betreffende
Arbeit, und dem versicherten Verdienst (Abs. 3 Satz 1).

    Nach der Rechtsprechung hat der Versicherte so lange Anspruch auf
Ersatz des Verdienstausfalls nach Art. 24 Abs. 1-3 AVIG, als er in der
fraglichen Kontrollperiode nicht eine zumutbare Arbeit im Sinne von Art. 16
AVIG aufnimmt. Nimmt der Versicherte während der streitigen Kontrollperiode
eine - insbesondere lohnmässig - zumutbare Arbeit auf, mithin eine
Tätigkeit, die ihm ein Einkommen verschafft, welches zumindest dem Betrag
der Arbeitslosenentschädigung entspricht, bleibt für die Annahme eines
Zwischenverdienstes kein Raum (BGE 120 V 250 ff. Erw. 5c, 512 Erw. 8c;
vgl. auch BGE 121 V 54 Erw. 2 und 359 Erw. 4b). Als Zwischenverdienst
gilt grundsätzlich auch das Einkommen, das in Fortführung der bisherigen
Arbeit in zeitlich reduziertem Umfang erzielt wird (BGE 120 V 514 Erw. 9;
vgl. auch BGE 122 V 433). Diese zum Anspruch auf Differenzausgleich bei
Zwischenverdienst nach Art. 24 AVIG (in der bis Ende 1995 gültig gewesenen
Fassung) ergangene Rechtsprechung ist auch unter der Herrschaft des neuen
(seit 1. Januar 1996 in Kraft stehenden) Rechts anwendbar (SVR 1999 ALV
Nr. 8 S. 21 Erw. 2). Gemäss dem im nämlichen Urteil als gesetzmässig
erklärten Art. 41a Abs. 1 AVIV (in der seit 1. Januar 1997 gültigen
Fassung) besteht innerhalb der Rahmenfrist für den Leistungsbezug ein
Anspruch auf Kompensationszahlungen, wenn das Einkommen geringer ist als
die dem Versicherten zustehende Arbeitslosenentschädigung.

Erwägung 3

    3.- Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin für den
Monat Januar 1999 Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung in Form eines
Differenzausgleichs hat.

    a) Ausgehend von einem versicherten Verdienst von Fr. 3482.-
und einem Entschädigungsansatz von 80% (Art. 22 Abs. 1 AVIG)
ermittelte die Vorinstanz eine mögliche Arbeitslosenentschädigung bei
Ganzarbeitslosigkeit von Fr. 2785.60, welcher Betrag die einkommensmässige
Grenze darstellt, unterhalb der gemäss Art. 41a Abs. 1 AVIV Anspruch auf
Kompensationszahlungen nach Art. 24 AVIG besteht. Da jede der beiden
Tätigkeiten der Versicherten im Januar 1999 einen Lohn (Fr. 2690.-
und Fr. 175.-) einbrachte, der für sich allein betrachtet unter
dieser Grenze lag, gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, dass
die Beschwerdegegnerin Kompensationszahlungen in der Höhe von 80% des
Verdienstausfalls von Fr. 617.- (Fr. 3482.- versicherter Verdienst minus
Fr. 2865.- [Total der erzielten Einkommen]) beanspruchen könne.

    b) Das seco wendet im Wesentlichen ein, ein Anspruch auf
Kompensationszahlungen sei nur gegeben, wenn das von der versicherten
Person in einer Kontrollperiode gesamthaft erzielte Einkommen tiefer sei
als die mögliche Arbeitslosenentschädigung. Art. 24 AVIG orientiere sich
primär am Verdienstausfall. Es sei zu prüfen, ob die versicherte Person
unter Einbezug sämtlicher Zwischenverdienste einen Verdienstausfall
erlitten habe, der einen Entschädigungsanspruch begründe. Die
Betrachtungsweise der Vorinstanz führe zu stossenden, vom Gesetzgeber
nicht gewollten Rechtsungleichheiten zwischen Versicherten, die ihr
Einkommen mit einer einzigen Erwerbstätigkeit verdienen, und solchen,
die Einkünfte in gleicher Höhe mit zwei oder mehreren Arbeiten erzielten,
indem letztgenannte Personen im Gegensatz zu denjenigen Versicherten,
die nur eine Erwerbstätigkeit ausüben, einen Differenzausgleich
beanspruchen könnten, obwohl ihr gesamtes Einkommen die mögliche
Arbeitslosenentschädigung übersteige.

Erwägung 4

    4.- a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat zur Frage, ob Einkommen
aus mehreren Arbeitsverhältnissen zusammenzuzählen sind, einerseits
im unveröffentlichten Urteil Z. vom 2. Dezember 1997, C 311/95, unter
Hinweis auf BGE 120 V 252 Erw. 5d und 513 Erw. 8d festgehalten, dass
die Zumutbarkeitsfrage (Art. 16 AVIG), einschliesslich des lohnmässigen
Gesichtspunktes, immer in Bezug auf e i n Arbeitsverhältnis zu beurteilen
ist. Daraus hat es geschlossen, dass es unzulässig sei, die verbleibenden
Einkünfte, welche die Versicherte mit einem zeitlich reduzierten Pensum
und einer weiteren Teilzeittätigkeit erzielte, zu addieren und einen
Entschädigungsanspruch abzulehnen, weil die resultierende Summe 70%
des versicherten Verdienstes übersteigt. Vielmehr sei einzig der mit dem

herabgesetzten Arbeitspensum erzielte Lohn hinsichtlich der Zumutbarkeit
als Vergleichsgrösse heranzuziehen. Andererseits hat das Gericht erkannt,
dass für die Beurteilung der Frage, ob die massgebende Grenze von 70%
bzw. 80% des versicherten Verdienstes erreicht wird, Einkünfte aus
verschiedenen teilzeitlich ausgeübten Tätigkeiten der versicherten Person
zu addieren sind und ein Anspruch auf Differenzausgleich nach Art. 24 AVIG
nur besteht, wenn das Total dieser Einkommen den massgebenden Grenzbetrag
nicht erreicht (nicht publiziertes Urteil S. vom 28. Oktober 1998,
C 29/98).

    b) Art. 41a Abs. 1 AVIV macht den Anspruch auf Kompensationszahlungen
gemäss Art. 24 AVIG davon abhängig, dass das Einkommen geringer ist als die
dem Versicherten zustehende Arbeitslosenentschädigung. Bereits der Wortlaut
dieser Verordnungsbestimmung lässt es als nahe liegend erscheinen, dass
Einkommen, welche die versicherte Person mit mehreren Erwerbstätigkeiten
erzielt, mit Blick auf die Prüfung des Entschädigungsanspruchs zu
addieren sind und der resultierende Betrag als Vergleichsgrösse der
Arbeitslosenentschädigung von 70% oder 80% des versicherten Verdienstes
(Art. 22 AVIG) gegenüberzustellen ist; denn die Wendung "das Einkommen"
umfasst in der Regel sämtliche (Erwerbs-) Einkünfte und nicht bloss
das Entgelt für eine einzelne Tätigkeit. Im erwähnten Urteil Z. vom
2. Dezember 1997, C 311/95, wurde für die Beurteilung des Anspruchs
auf Differenzausgleich lediglich das Einkommen aus der von 40% auf
20% reduzierten Tätigkeit der Versicherten dem versicherten Verdienst
gegenübergestellt, der mit einer weiteren Teilzeitbeschäftigung (von 45%)
erzielte Lohn hingegen ausser Acht gelassen. Ob dieses Vorgehen mit der
dafür angegebenen Begründung, dass die Zumutbarkeitsfrage, einschliesslich
des lohnmässigen Gesichtspunktes, immer in Bezug auf ein Arbeitsverhältnis
zu beurteilen sei, angesichts der in jenem Fall massgebenden Rechtslage
im Jahre 1995 korrekt war, braucht hier nicht geprüft zu werden. Denn
nach Art. 41a Abs. 1 AVIV in der vorliegend anwendbaren, seit 1. Januar
1997 geltenden Fassung ist der Differenzausgleichsanspruch auf sämtliche
Fälle von Einkommenserzielungen ausgeweitet worden, die geringer sind
als die der versicherten Person zustehende Arbeitslosenentschädigung
(SVR 1999 ALV Nr. 8 S. 21 Erw. 2c). Die Bezugnahme auf die (mögliche)
Arbeitslosenentschädigung - 70% oder 80% des versicherten Verdienstes
- in der revidierten Verordnungsbestimmung zeigt, dass nicht mehr die
lohnmässige

Zumutbarkeit (laut Art. 16 Abs. 2 lit. i AVIG 70% des versicherten
Verdienstes) das massgebliche Kriterium für die Abgrenzung zwischen
Zwischenverdienst und nicht entschädigungsberechtigter Erwirtschaftung
von Einkommen bildet. Bei der als Bezugsgrösse herangezogenen
Arbeitslosenentschädigung handelt es sich um eine rein rechnerische Grösse.
Die Rechtfertigung dafür, im Rahmen von Art. 24 AVIG die Zumutbarkeit des
einzelnen Anstellungsverhältnisses in lohnmässiger Hinsicht für die Prüfung
des Differenzausgleichsanspruchs als massgebend zu erklären, wenn eine
versicherte Person zwei oder mehrere Teilzeitstellen bekleidet, entfällt
damit. Vielmehr sind die vom Versicherten erzielten Erwerbseinkünfte -
ebenfalls im Sinne einer rein rechnerischen Operation - zu addieren,
worauf das Resultat mit der möglichen Arbeitslosenentschädigung zu
vergleichen ist. Anders zu entscheiden hiesse, Versicherte, die zwei
oder mehrere Teilzeitbeschäftigungen ausüben, die insgesamt einen
Lohn einbringen, der über 70% oder 80% des versicherten Verdienstes
liegt, gegenüber denjenigen Versicherten zu bevorzugen, die mit einem
einzigen Arbeitsverhältnis diese lohnmässige Grenze überschreiten, da
bei gleichen Einkommensverhältnissen im ersten Fall in aller Regel ein
Differenzausgleichsanspruch bestünde, im zweiten jedoch nicht, wie das
seco richtig bemerkt. Eine solche Ungleichbehandlung findet im Gesetz
keine Stütze. Die in einem allgemeineren Kontext erfolgte Aussage, dass
die Zumutbarkeitsfrage, einschliesslich des lohnmässigen Gesichtspunktes,
immer in Bezug auf ein Arbeitsverhältnis zu beurteilen ist (BGE 120 V
252 Erw. 5d und 513 Erw. 8d) wird durch die hier getroffene Lösung -
die Addition sämtlicher Erwerbseinkünfte, die in einer Kontrollperiode
erzielt werden - nicht in Frage gestellt.

Erwägung 5

    5.- Das Gesamteinkommen der Beschwerdegegnerin belief sich
im Januar 1999 auf Fr. 2865.- und überstieg den Grenzbetrag für
den Entschädigungsanspruch von Fr. 2785.60 (80% des versicherten
Verdienstes von Fr. 3482.-), weshalb ihr für diese Kontrollperiode kein
Differenzausgleich zusteht.