Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 38



127 V 38

6. Auszug aus dem Urteil vom 9. Januar 2001 i. S. A., B. und C., gegen
Die Eidgenössische Gesundheitskasse und Verwaltungsgericht des Kantons
Zug Regeste

    Art. 7 Abs. 5 KVG: Wechsel des Versicherers. Teilt der neue Versicherer
dem bisherigen erst nach Ablauf der Kündigungsfrist mit, dass die
betreffende Person bei ihm ohne Unterbrechung des Versicherungsschutzes
versichert ist, endet das bisherige Versicherungsverhältnis auf das Ende
des Monats, in dem die verspätete Mitteilung beim bisherigen Versicherer
eingegangen ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Gemäss Art. 7 Abs. 5 KVG endet das Versicherungsverhältnis
beim bisherigen Versicherer erst, wenn ihm der neue Versicherer
mitgeteilt hat, dass die betreffende Person bei ihm ohne Unterbrechung
des Versicherungsschutzes versichert ist (Satz 1). Unterlässt der neue
Versicherer diese Mitteilung, so hat er der versicherten Person den
daraus entstandenen Schaden zu ersetzen, insbesondere die Prämiendifferenz
(Satz 2). Sobald der bisherige Versicherer die Mitteilung erhalten hat,
informiert er die betroffene Person, ab welchem Zeitpunkt sie nicht mehr
bei ihm versichert ist (Satz 3).

    b) Vorliegend haben die Beschwerdeführer im Rahmen des
Schriftenwechsels vor dem kantonalen Gericht die Mitteilung der CSS
Versicherung vom 10. Januar 1997 zu den Akten gegeben, in welcher
ihre Weiterversicherung ohne Unterbruch in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung bestätigt wird. Die Eidgenössische
Gesundheitskasse hat in ihrer letztinstanzlich eingereichten Vernehmlassung
ausdrücklich festgehalten, dieses Schreiben der CSS Versicherung sei ihr am
10. Januar 1997 zugegangen. Die Bestätigung der Weiterversicherung erweist
sich damit im Hinblick auf den Kündigungstermin vom 31. Dezember 1996 als
verspätet. Zu prüfen bleibt, auf welchen Zeitpunkt die dem Obligatorium
unterstehenden Versicherungsverhältnisse bei der bisherigen Versicherung
unter diesen Umständen endeten.

    aa) Nach der Auffassung des Bundesamtes für Sozialversicherung (BSV)
ist eine erst nach dem Kündigungstermin beim bisherigen Versicherer
eingetroffene Mitteilung nicht geeignet, die Wirksamkeit der im Übrigen
form- und fristgerechten Kündigung hinauszuschieben. Insbesondere in
Jahren hoher Fluktuationen seien auch bei gut organisierten Versicherern
über das Jahresende hinaus verzögerte Abläufe im Korrespondenzwesen
verständlich. Der Gesetzgeber habe mit dem Erfordernis der Mitteilung der
ununterbrochenen Weiterversicherung einzig Versicherungslücken verhindern
wollen. Es sei deshalb unproblematisch, Versicherungsverhältnisse bei
einem Wechsel des Versicherers nach Art. 7 KVG rückwirkend aufzulösen
bzw. zu begründen, falls die Mitteilung des neuen Versicherers über
den ununterbrochenen Versicherungsschutz innert eines Monates seit
dem Kündigungstermin beim bisherigen Versicherer eintreffe. Das BSV
schlägt vor, das bisherige Versicherungsverhältnis rückwirkend auf
den Kündigungstermin als beendet zu qualifizieren, vorausgesetzt, die
Mitteilung des neuen Versicherers treffe innert Monatsfrist seit dem
Kündigungstermin beim bisherigen Versicherer ein.

    Dagegen wendet die beschwerdegegnerische Kasse im Wesentlichen
ein, auch der bisherige Versicherer habe Anspruch darauf, seinen
Versichertenbestand zuverlässig ermitteln zu können. Rückwirkende Wechsel
würden nicht nur administrativ aufwendige Rückzahlungen auslösen, sondern
auch unlösbare Probleme im Zusammenhang mit den Risikoausgleichszahlungen
und den kantonalen Prämienverbilligungen schaffen. Die Auslegung des BSV
gehe klar an der rechtlichen Situation vorbei. Sie sei geprägt durch ein
Verständnis zu Gunsten der Versicherten, welches auf die Belange des alten
Versicherers keinerlei Rücksicht nehme. Zur Frage, in welchem Zeitpunkt
bisherige Versicherungsverhältnisse bei verspäteter Mitteilung endeten,
äussert sich die Kasse nicht.

    bb) Zu den wichtigsten Zielen des Bundesgesetzes über die
Krankenversicherung vom 18. März 1994 (KVG) gehören die Einführung
des Krankenpflegeversicherungsobligatoriums und die Eindämmung der
Kostensteigerung im Gesundheitswesen, der unter anderem durch den
Wettbewerb unter den Versicherern begegnet werden soll. Im System der
Mehrfachträgerschaft des Versicherungsobligatoriums gewährleisten
verschiedene Bestimmungen die rechtliche und faktische Freiheit
des Versichererwechsels. Faktische Freiheit besteht etwa durch die
Unabhängigkeit der Prämienhöhe vom Eintrittsalter (Art. 61 KVG). Art. 7
KVG regelt die rechtliche Freiheit des Versichererwechsels einerseits
durch Statuierung von Kündigungsfristen und -terminen (Abs. 1 und 2),
anderseits durch die Bestimmung, dass das Versicherungsverhältnis
nur bei Bestätigung eines neuen Versicherungsverhältnisses endet
(Abs. 5). Während Kündigungsfristen und -termine den administrativen
Ablauf vereinfachen, bezweckt Art. 7 Abs. 5 KVG die Vermeidung von -
mit dem Versicherungsobligatorium unverträglichen - Versicherungslücken
(Botschaft des Bundesrates über die Revision der Krankenversicherung vom
6. November 1991, BBl 1992 I 93 ff., insbesondere 144; Amtl.Bull. 1992
S 1287, 1993 N 1729 und 1833, 1993 S 1048).

    Nach dem Wortlaut von Art. 7 Abs. 5 KVG endet das
Versicherungsverhältnis beim bisherigen Versicherer erst, wenn ihm
der neue Versicherer mitgeteilt hat, dass die betreffende Person
bei ihm ohne Unterbrechung des Versicherungsschutzes versichert ist
(Satz 1); sobald der bisherige Versicherer die Mitteilung erhalten hat,
informiert er die betroffene Person, ab welchem Zeitpunkt sie nicht mehr
bei ihm versichert ist (Satz 3). Ob dieser Zeitpunkt bei verspäteter
Mitteilung auf deren Eingang beim bisherigen Versicherer oder auf ein
früheres oder späteres Datum fällt, lässt die Bestimmung offen. Weder
auf Gesetzes- noch auf Verordnungsstufe wird der Endzeitpunkt des
bisherigen Versicherungsverhältnisses bei verspäteter Mitteilung des neuen
Versicherers konkretisiert. Auch die ratio legis, welche im Verhindern
von Versicherungslücken besteht, gibt keinen zwingenden Beendigungstermin
des alten Versicherungsverhältnisses vor.

    cc) Eine Lücke des Gesetzes liegt vor, wenn sich eine gesetzliche
Regelung als unvollständig erweist, weil sie auf eine bestimmte Frage
keine (befriedigende) Antwort gibt. Bevor eine ausfüllungsbedürftige Lücke
angenommen werden darf, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob das Fehlen
einer Anordnung nicht eine bewusst negative Antwort des Gesetzgebers, ein
sog. qualifiziertes Schweigen darstellt. Erst nach Verneinung dieser Frage
kann von einer Lücke gesprochen werden (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, Grundriss des
Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl., Zürich 1998, S. 46 Rz 192 ff.).
Herrschende Lehre und bundesgerichtliche Rechtsprechung unterscheiden
echte und unechte Lücken (vgl. HÄFELIN/MÜLLER, aaO, S. 46 Rz 195 ff.;
BLAISE KNAPP, Précis de droit administratif, 4. Aufl., Basel/Frankfurt
a.M. S. 93 Nr. 441; ULRICH HÄFELIN, Zur Lückenfüllung im öffentlichen
Recht, in: Festschrift zum 70. Geburtstag von Hans Nef, Zürich 1981,
S. 91 ff., alle mit Hinweisen). Während bei einer echten Lücke eine
sich unvermeidlich stellende Rechtsfrage nicht beantwortet wird und
das Gericht diese unter Rückgriff auf die ratio legis zu schliessen hat
(BGE 125 V 11 f. Erw. 3, 124 V 307 Erw. 4c, 119 V 255 Erw. 3b, 118 V 298
Erw. 2e, je mit Hinweisen), liegt bei einer unechten Lücke eine sachlich
unbefriedigende Antwort vor, deren Korrektur den rechtsanwendenden Organen
grundsätzlich nicht bzw. nur unter strengen Voraussetzungen erlaubt ist
(BGE 125 V 12 Erw. 3, 124 V 164 f. Erw. 4c und 275 Erw. 2a, 122 V 98
Erw. 5c und 329 Erw. 4 in fine, 121 V 176 Erw. 4d, je mit Hinweisen).

    dd) Das Fehlen einer Regelung über den Zeitpunkt der Beendigung des
bisherigen Versicherungsverhältnisses bei verspäteter Mitteilung des neuen
Versicherers gemäss Art. 7 Abs. 5 KVG ist kein qualifiziertes Schweigen,
sondern eine planwidrige Unvollständigkeit. Mangels Beantwortung der sich
in Fällen verspäteter Mitteilung unvermeidlich stellenden Frage nach
dem Endzeitpunkt des bisherigen Versicherungsverhältnisses liegt eine
echte Lücke vor. Diese hat das Gericht nach jener Regel zu schliessen,
die es als Gesetzgeber aufstellen würde (BGE 125 V 14 Erw. 4c, 124 V 307
Erw. 4c in fine, 119 V 255 Erw. 3b).

    ee) Eine Lückenfüllung im Sinne einer rückwirkenden Aufhebung
des bisherigen Versicherungsverhältnisses auf den Zeitpunkt des
Kündigungstermins, wie sie das BSV vorschlägt, ist abzulehnen. Die Kasse
wendet zu Recht ein, damit würde Art. 7 Abs. 5 Satz 2 KVG, wonach der
neue Versicherer bei unterlassener Mitteilung der versicherten Person
den daraus entstandenen Schaden - insbesondere die Prämiendifferenz - zu
ersetzen hat, untergraben, weil eine Prämiendifferenz gar nicht entstehen
könne, wenn die verspätete Meldung des neuen Versicherers bewirke, dass
der Versicherungsschutz beim alten Versicherer rückwirkend aufgelöst werde.

    Ebenso wenig soll eine im Sinne von Art. 7 Abs. 1 oder 2 KVG
fristgerecht erfolgte Kündigung bei verspäteter Mitteilung des
neuen Versicherers gemäss Art. 7 Abs. 5 KVG ihre Wirkung erst auf den
nächstmöglichen Kündigungstermin (vgl. RKUV 1991 Nr. K 873 S. 195 Erw. 4a
mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung) entfalten. Denn bei der
verspäteten Mitteilung des neuen Versicherers über den ununterbrochenen
Versicherungsschutz ist nicht die Gültigkeit der Kündigung an
sich betroffen. Art. 7 Abs. 5 KVG sieht zwecks Sicherstellung des
ununterbrochenen Versicherungsschutzes lediglich einen Aufschub der
Beendigung des Versicherungsverhältnisses vor.

    Aus verwaltungsökonomischen Gründen ist die Beendigung des bisherigen
Versicherungsverhältnisses auf das Ende des Monats vorzusehen, in dem
die verspätete Mitteilung des neuen Versicherers bei der bisherigen
Versicherungsgesellschaft eingegangen ist. Diese Lösung steht im
Einklang mit der ratio legis und deckt sich mit dem Umstand, dass die
Prämieneinheiten in monatlichen Zeitabschnitten berechnet und in der
Regel monatlich zu bezahlen sind (gleicher Meinung: GEBHARD EUGSTER,
Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR],
Soziale Sicherheit, Rz 36 und Fn 73 sowie Rz 338; vgl. auch MAURER, Das
neue Krankenversicherungsrecht, Basel/Frankfurt a.M. 1996, S. 38, welcher
von einem Weiterdauern des bisherigen Versicherungsverhältnisses spricht,
sich zum Endzeitpunkt aber nicht äussert).

    c) In Anbetracht der Tatsache, dass vorliegend die Mitteilung der CSS
Versicherung am 10. Januar 1997 bei der Kasse eingegangen war, endeten
die dem Obligatorium unterstehenden Versicherungsverhältnisse bei der
Beschwerdegegnerin nach dem Gesagten am 31. Januar 1997.