Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 275



127 V 275

43. Auszug aus dem Urteil vom 18. Juli 2001 i. S. Novartis Pharma Schweiz
AG gegen Bundesamt für Sozialversicherung und Eidg. Rekurskommission für
die Spezialitätenliste

Regeste

    Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 65, Art. 67 Abs. 2 KVV; Art. 33 ff.
KLV; Art. 5 Abs. 1 Vo VIII, Art. 6 Vo 10: Preiserhöhung bei Arzneimitteln
der Spezialitätenliste.

    - Formelle und materielle Voraussetzungen für die Bewilligung der
Erhöhung der Preise von Arzneimitteln der Spezialitätenliste.

    - Die unter der Herrschaft des KUVG ergangene Rechtsprechung zur
Wirtschaftlichkeitsprüfung (statt vieler BGE 109 V 212 Erw. 4a) gilt
grundsätzlich auch unter dem neuen Recht.

Sachverhalt

    A.- Am 27. Juni 1991 ersuchte die Sandoz-Wander Pharma AG um
Aufnahme des Antimykotikums LAMISIL mit dem Wirkstoff Terbinafin in
die Spezialitätenliste zum Publikumspreis von Fr. 102.30/180 Fr. für
14Compr./28Compr.250mg. Nachdem sich die Firma mit einer Reduktion des
beantragten Preises um rund 10% auf 91 Fr./Fr. 160.15 einverstanden erklärt
hatte, entsprach das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) mit Verfügung
vom 16. Dezember 1992 dem Gesuch. Die Aufnahme erfolgte auf den 15. März
1993 (Publikationsdatum). Auf den selben Zeitpunkt wurde das Präparat
SPORANOX, welches ebenfalls gegen Pilzinfektionen der Haut eingesetzt
wird, in die Spezialitätenliste aufgenommen. Auf den 15. September 1995
erfolgte die Aufnahme von LAMISIL 14Compr.125mg (Kinderpackung) zum Preis
von Fr. 56.60.

    Am 26. August 1996 stellte die Sandoz-Wander Pharma AG das Gesuch
um Erhöhung der Preise (inkl. Mehrwertsteuer) für LAMISIL um 10%
auf Fr. 102.10/Fr. 179.65 und Fr. 62.25 für 14Compr./28Compr.250mg
resp. 14Compr.125 mg. Das Begehren wurde damit begründet, neuere
Studien hätten in Bezug auf Onychomykose und Tinea pedis plantaris
eine deutlich bessere Wirksamkeit bei geringerer Rückfallrate im
Vergleich zum Konkurrenzpräparat SPORANOX gezeigt. Ebenfalls schneide
LAMISIL im Preisvergleich auf der Basis der Tagestherapiekosten besser
ab als SPORANOX. In diesem Zusammenhang sei unerklärlich, dass das
Konkurrenzpräparat seinerzeit zu einem höheren Publikumspreis (Fr. 7.50
für eine Kapsel à 100 mg) in die Spezialitätenliste aufgenommen worden
sei. Nach Korrespondenz mit dem BSV reichte die Firma am 9. Januar 1997
ein erneutes, als ausserordentliches und wissenschaftlich-inhaltlich zu
überprüfendes Preiserhöhungsgesuch ein, welchem die selben Unterlagen
wie dem Gesuch vom 26. August 1996 beigelegt waren. Mit Verfügung vom
14. Juli 1997 lehnte das Bundesamt das Begehren unter Hinweis auf die
Meinungsäusserung durch die Eidg. Arzneimittelkommission (EAK) ab.

    B.- Am 9. September 1997 reichte die Novartis Pharma Schweiz AG
(nachfolgend: Novartis) als Rechtsnachfolgerin der Sandoz-Wander Pharma
AG bei der Eidg. Rekurskommission für die Spezialitätenliste vorsorglich
Beschwerde ein und beantragte, die abgelehnte Preiserhöhung für LAMISIL für
alle drei Packungsgrössen und Dosierungen sei zu bewilligen und auf den 15.
März 1998 in die Liste aufzunehmen. In der Begründung wies die Firma u.a.
darauf hin, sie habe das BSV mit Eingabe vom 2. September

1997 um Wiedererwägung der Verfügung vom 14. Juli 1997 im Sinne der
Beseitigung der ihr im Aufnahmezeitpunkt nicht bekannten Schlechterstellung
gegenüber SPORANOX ersucht. Nachdem das Bundesamt mit Schreiben vom
29. September 1997 ein Rückkommen auf seinen ablehnenden Entscheid
ausgeschlossen hatte, reichte die Novartis eine einlässlich begründete
Beschwerde ein. Nach Vernehmlassung des BSV und zweitem Schriftenwechsel
wies die Rekurskommission mit Entscheid vom 2. Dezember 1999 das
Rechtsmittel ab.

    C.- Die Novartis lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
hauptsächlichen Rechtsbegehren, es sei der Entscheid der Rekurskommission
aufzuheben und die beantragte Preiserhöhung für LAMISIL auf Fr. 102.10/Fr.
179.65 und Fr. 62.25 für 14Compr./28Compr.250 mg resp. 14Compr. 125mg
auf den nächstmöglichen Zeitpunkt in die Spezialitätenliste aufzunehmen.

    Das BSV beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG erstellt das BSV eine Liste der
pharmazeutischen Spezialitäten und konfektionierten Arzneimittel mit
Preisen (Spezialitätenliste). Diese hat auch die mit den Originalpräparaten
austauschbaren preisgünstigeren Generika zu enthalten. Das Bundesamt ist
laut Art. 67 Abs. 2 KVV auch zuständig für die Bewilligung einer Erhöhung
der in der Spezialitätenliste festgesetzten Preise. Die Erteilung der
Bewilligung setzt voraus, dass das Arzneimittel die Aufnahmebedingungen
(Art. 65 KVV) noch erfüllt (Art. 67 Abs. 2 lit. a KVV) und seit der
Aufnahme oder der letzten Preiserhöhung mindestens zwei Jahre verstrichen
sind (Art. 67 Abs. 2 lit. b KVV).

    Bedingung für die Aufnahme in die Spezialitätenliste ist u.a., dass
das Arzneimittel wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich ist (Art. 65
Abs. 2 KVV). Die Begriffe der Zweckmässigkeit und Zuverlässigkeit sowie der
Wirtschaftlichkeit werden in den Art. 33 ff. KLV, erlassen durch das Eidg.
Departement des Innern (EDI) gestützt auf Art. 75 KVV, näher umschrieben.

    a) Unter dem alten Recht galt folgende Regelung: Nach Art. 5
Abs. 1 Satz 1 der Verordnung VIII vom 30. Oktober 1968 über die
Krankenversicherung betreffend die Auswahl von Arzneimitteln und Analysen
(Vo VIII; SR 832.141.2; in Kraft gewesen bis 31. Dezember 1995) durften
die Preise der in die Spezialitätenliste

aufgenommenen Arzneimittel nur mit Zustimmung des BSV erhöht werden. Nach
der Praxis konnten Begehren um Preiserhöhung grundsätzlich erst nach
Ablauf von zwei Jahren seit der Aufnahme des Arzneimittels oder seit
der letzten Preiserhöhung eingereicht werden. Auf früher eingereichte
Gesuche trat die Verwaltung vorbehältlich der Glaubhaftmachung einer
ausserordentlichen Änderung der Sachlage nicht ein (vgl. BGE 109 V 203
Erw. 4a und 205 f. Erw. 5b). In materieller Hinsicht sodann waren nach
der Rechtsprechung Preiserhöhungen bereits in die Spezialitätenliste
aufgenommener Arzneimittel nur insoweit zuzulassen, als sie dem Erfordernis
der Wirtschaftlichkeit genügten, wobei grundsätzlich die gleichen Kriterien
anzuwenden waren, wie sie für die erstmalige Aufnahme galten (BGE 109 V
193 Erw. 2b).

    Im Weitern waren schon unter dem früheren Recht Zweckmässigkeit
und Zuverlässigkeit sowie Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels
Voraussetzungen für deren Aufnahme in die Spezialitätenliste. Diese
Begriffe haben inhaltlich zumindest im hier interessierenden Bereich keine
wesentliche Änderung erfahren. Das zeigt insbesondere die Umschreibung
der Wirtschaftlichkeit in Art. 34 Abs. 1 KLV, welche mit derjenigen in
Art. 6 Abs. 1 der Verordnung 10 des EDI vom 19. November 1968 über die
Krankenversicherung betreffend die Aufnahme von Arzneimitteln in die
Spezialitätenliste (Vo 10; SR 832.141.21) übereinstimmt. Danach gilt
ein Arzneimittel als wirtschaftlich, wenn es die indizierte Heilwirkung
mit möglichst geringem finanziellem Aufwand gewährleistet. Ebenfalls
nicht geändert haben sich die Beurteilungskriterien, namentlich die
Wirksamkeit sowie die Kosten pro Tag oder Kur im Verhältnis zu anderen
Arzneimitteln gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise (Art. 34
Abs. 2 lit. a und b KLV/Art. 6 Abs. 2 lit. a und b Vo 10). Dies entspricht
der gesetzgeberischen Absicht, an der im Bereich der Spezialitätenliste
geltenden Ordnung grundsätzlich nichts zu ändern (Botschaft des Bundesrates
vom 6. November 1991 über die Revision der Krankenversicherung [BBl 1992
I 93 ff., 187 f.]; vgl. zum Ganzen GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung,
in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit,
Rz 204 ff.). Dieser Grundsatz ist in den parlamentarischen Beratungen
unbestritten geblieben (Amtl.Bull. 1992 S 1317, 1993 N 1862 f. und S 1076
sowie 1994 S 93 f.).

    b) Gelten somit für Preiserhöhungsgesuche die gleichen Regeln wie schon
unter der Herrschaft des KUVG, bildet - vom hier nicht interessierenden
Tatbestand der ausserordentlichen Änderung der

Sachlage abgesehen - die Einhaltung der Zweijahresfrist gemäss Art. 67 Abs.
2 lit. b KVV einziges formelles Erfordernis für deren Behandlung durch die
Bewilligungsbehörde. Weitere Eintretensvoraussetzungen lassen sich dem
Gesetz nicht entnehmen (in diesem Sinne auch BGE 109 V 205 f. Erw. 5b
e contrario). Ist die Zweijahresfrist gewahrt, muss die beantragte
Preiserhöhung grundsätzlich umfassend, unter allen für die Aufnahme eines
Arzneimittels in die Spezialitätenliste relevanten Gesichtspunkten,
geprüft werden. In diesem Zusammenhang ist an die nach dem Gesagten
ebenfalls nach wie vor geltende Rechtsprechung zu erinnern, wonach sich
die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels teils unter dem Gesichtspunkt
der vergleichenden Wertung mehrerer zum gleichen Behandlungszweck zur
Verfügung stehender Heilmittel, teils nach der Höhe des Preises des in
Frage stehenden Präparates an sich beurteilt. Über die in Art. 6 Abs. 2
Vo 10 resp. neu Art. 34 Abs. 2 KLV genannten Kriterien hinaus muss der
Preis eines bestimmten Arzneimittels oder einer Gruppe von solchen auch
in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Nutzen stehen. Je
schwerer eine Krankheit (und gegebenenfalls deren Auswirkung auf die
Arbeitsfähigkeit) im Allgemeinen einzustufen ist, desto höhere Kosten
dürfen für das indizierte Arzneimittel verantwortet werden. Anderseits
setzt der Begriff der Wirtschaftlichkeit voraus, dass sich der Preis
eines Arzneimittels auch mit Bezug auf dessen Kosten (Herstellungskosten
einschliesslich der in Art. 6 Abs. 2 lit. c Vo 10 resp. Art. 34 Abs. 2
lit. c KLV genannten Kosten) in vertretbarem Rahmen hält (BGE 109 V 212
Erw. 4a, 108 V 141 Erw. 7a, 102 V 79 f. Erw. 2).

    Bei der vergleichenden Wertung im Besonderen kommt dem Kriterium der
Wirksamkeit massgebende Bedeutung zu (BGE 109 V 195 f. Erw. 5a). Ein
Preisvergleich darf nicht vorgenommen werden, ohne dass zur Frage der
allenfalls besseren Wirksamkeit des streitigen Präparates Stellung
genommen wird (BGE 102 V 81 Erw. 3 sowie EUGSTER, aaO, Rz 206). Lässt
ein Arzneimittel, durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen, den
Heilerfolg in kürzerer Zeit, mit weniger Nebenwirkungen und geringerer
Rückfallrate erwarten als ein anderes Arzneimittel gleicher Indikation
oder ähnlicher Wirkungsweise, ist dem beim Preisvergleich, allenfalls
unter dem Gesichtspunkt der Kosten der Anwendung, Rechnung zu tragen. Die
vergleichende Wertung hat im Übrigen zwischen Arzneimitteln zu erfolgen,
welche sich mit Bezug auf die Indikation oder die Wirkungsweise nicht
wesentlich voneinander unterscheiden. Nicht massgebend sind in diesem
Zusammenhang Art und Menge

des Wirkstoffes der zu vergleichenden Präparate (BGE 110 V 203
Erw. 3a). Auch kann sich unter Umständen der Preisvergleich auf ein
einziges (Konkurrenz-)Präparat beschränken (RKUV 1984 Nr. K 602 S. 302
f. Erw. 7a).

Erwägung 3

    3.- a) Die Rekurskommission hat zum nicht bewilligten
Preiserhöhungsgesuch für LAMISIL im Wesentlichen erwogen, nach
1993 publizierte wissenschaftliche Arbeiten belegten zwar eine
bessere Wirksamkeit dieses Arzneimittels im Vergleich zu SPORANOX bei
Nagelmykose. Es verhalte sich indessen nicht so, dass bei einem Präparat
ein umso höherer Preis angenommen werden könne, je höher der Grad der
Wirksamkeit sei. In diesem Sinne sei die Höhe der Wirksamkeit nicht
direkt bestimmendes Element der Preisgestaltung, was sich auch aus
der Zielsetzung der Wirtschaftlichkeit ergebe, nämlich die indizierte
Heilwirkung mit möglichst geringem finanziellem Aufwand zu gewährleisten
(Art. 34 Abs. 1 KLV). Ebenfalls könne die behauptete Tatsache, dass die
Kosten für das (Konkurrenz-)Präparat SPORANOX höher seien, nicht dazu
führen, eine Preiserhöhung für LAMISIL zu bewilligen.

    b) Der Vorinstanz ist insofern beizupflichten, als der alleinige
Nachweis der höheren Wirksamkeit eines Arzneimittels im Vergleich zu einem
andern gleicher Indikation oder ähnlicher Wirkungsweise nicht zu einer
Preiserhöhung führen muss. Damit ist indessen noch nichts gewonnen, zumal
umgekehrt nach den Darlegungen in Erw. 2b es sich bei diesem Kriterium
um einen massgebenden Gesichtspunkt bei der vergleichenden Wertung
mehrerer, dem gleichen Behandlungszweck zur Verfügung stehender Heilmittel
handelt. Wie es sich hier diesbezüglich verhält, kann nun aber auf Grund
der Akten nicht gesagt werden. Dazu wäre u.a. ein nachvollziehbarer
Preisvergleich mit dem auf den selben Zeitpunkt in die Spezialitätenliste
aufgenommenen SPORANOX, dies insbesondere unter Berücksichtigung der
Kosten pro Tag oder Kur (Art. 34 Abs. 2 lit. b KLV), erforderlich. In
diesem Zusammenhang kann es der Novartis im Übrigen nicht zum Nachteil
gereichen, dass ihre Rechtsvorgängerin seinerzeit, aus welchen Gründen auch
immer, darauf verzichtet hatte, die Preisfestsetzung für LAMISIL unter dem
Gesichtspunkt der damals vorgenommenen vergleichenden Wertung mit diesem
Konkurrenzpräparat nicht näher begründen zu lassen. Entgegen der vom BSV
u.a. in der Verfügung vom 14. Juli 1997 sowie in der vorinstanzlichen
Vernehmlassung vom 19. Februar 1998 vertretenen Auffassung, an welcher es
in diesem Verfahren festhält, ist für eine Preiserhöhung nicht notwendig,
dass eine neue

Indikation gegeben sein muss. Solches lässt sich weder dem Gesetz noch
dem in der Verfügung erwähnten Urteil F. AG vom 15. August 1988 (K
77/87) entnehmen. In jenem Entscheid hat das Eidg. Versicherungsgericht
lediglich festgestellt, dass die Änderung der Indikation für ein Präparat,
im konkreten Fall die Erweiterung des Anwendungsbereichs zufolge Aufhebung
einer Limitation, grundsätzlich eine neue Wirtschaftlichkeitsprüfung
erfordert.

    c) Im Sinne der vorstehenden Erwägungen wird das BSV über das
Preiserhöhungsgesuch neu zu befinden haben.