Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 264



127 V 264

41. Auszug aus dem Urteil vom 2. August 2001 i. S. I. gegen
Personalvorsorgestiftung X und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn

Regeste

    Art. 6, 36 und 49 BVG: Anpassung von Hinterlassenen- und
Invalidenrenten an die Preisentwicklung. Die Praxis, wonach
für Hinterlassenen- und Invalidenrenten, die über das vom Gesetz
vorgeschriebene Minimum hinausgehen, der Teuerungsausgleich insoweit
nicht obligatorisch ist, als die Gesamtrente höher ist als die der
Preisentwicklung angepasste BVG-Rente (sog. Anrechnungsprinzip), ist
gesetzmässig.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 36 BVG werden Hinterlassenen- und Invalidenrenten,
nicht aber Altersrenten, deren Laufzeit drei Jahre überschritten hat,
für Männer bis zum vollendeten 65., für Frauen bis zum vollendeten
62. Altersjahr nach Anordnung des Bundesrates der Preisentwicklung
angepasst (Abs. 1). Die Vorsorgeeinrichtung hat im Rahmen ihrer
finanziellen Möglichkeiten Bestimmungen über die Anpassung der laufenden
Renten in den übrigen Fällen zu erlassen (Abs. 2). Gestützt auf Art. 36
Abs. 1 BVG hat der Bundesrat am 16. September 1987 die Verordnung über
die Anpassung der laufenden Hinterlassenen- und Invalidenrenten an die
Preisentwicklung, in Kraft seit 1. Januar 1988, erlassen (SR 831.426.3).

    Nach Rechtsprechung (BGE 117 V 166; SVR 2000 BVG Nr. 12 S. 58 Erw. 3a)
und Lehre (HANS MICHAEL RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in
der Schweiz, Bern 1985, S. 29 N 14 in fine zu § 1) gilt Art. 36 BVG nur
für die obligatorische Vorsorge, wogegen im weitergehenden Bereich der
beruflichen Vorsorge

von Gesetzes wegen keine Verpflichtung zur Anpassung der Hinterlassenen-
oder Invalidenrenten an die Preisentwicklung besteht (vgl. auch AHI 1999
S. 195 f.). Im weitergehenden Bereich der beruflichen Vorsorge richtet sich
die Teuerungsanpassung nach dem Reglement der Vorsorgeeinrichtung (oder
nach den auf die Vorsorgeeinrichtung anwendbaren öffentlichrechtlichen
Normen).

    b) Das Reglement der Personalvorsorgestiftung der Firma X (in
der vorliegend massgebenden, ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung;
vgl. BGE 121 V 99 Erw. 1) sieht in Art. 20 vor, dass Invaliden- und
Hinterlassenenrenten, auf die auch nach den Bestimmungen des BVG ein
Anspruch besteht, nach Anordnung des Bundesrates der Preisentwicklung
angepasst werden (Satz 1). Die Anpassung der gesetzlichen Minimalrenten
erfolgt erstmals nach einer Laufzeit von drei Jahren auf den Beginn des
folgenden Kalenderjahres (Satz 2). Sie wird danach periodisch, bis zur
Vollendung des 62. Altersjahres bei anspruchsberechtigten Frauen und des
65. Altersjahres bei anspruchsberechtigten Männern, vorgenommen (Satz 3).

    Diese reglementarische Norm geht nicht über die Regelung gemäss
Art. 36 Abs. 1 BVG hinaus.

Erwägung 3

    3.- a) Es steht fest und wird im letztinstanzlichen Verfahren zu Recht
auch nicht mehr bestritten, dass der Beschwerdeführer ab 1. September 1994
Anspruch auf eine Invalidenrente der beruflichen Vorsorge hat. Streitig
ist, ob der Anspruch auf die Anpassung dieser Rente an die Teuerung
gemäss Art. 36 BVG bzw. Art. 20 Reglement dadurch abgegolten ist,
dass dem Beschwerdeführer eine Rente von monatlich insgesamt 1367
Franken ausgerichtet wird, welche höher als die Invalidenrente gemäss
BVG ist. Nicht zu prüfen ist demgegenüber die Teuerungsanpassung der
Kinderinvalidenrente, weil eine solche mangels Erfüllung der in Gesetz
(Art. 36 BVG) und Reglement (Art. 20) vorgeschriebenen Mindestlaufzeit
ausser Betracht fällt.

    b) Die Vorinstanz gelangte zum Ergebnis, dass die Rente von
1367 Franken pro Monat nicht der Teuerung anzupassen sei, weil die
reglementarischen Ansprüche (16'404 Franken) die vom Gesetz garantierten
(maximal 12'240 Franken) übersteigen, selbst wenn die inzwischen erfolgte
Teuerungsanpassung von 3% per 1. Januar 1998 und 0,1% per 1. Januar 1999
mitberücksichtigt wird.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung schliesst sich dieser
Betrachtungsweise an, in Übereinstimmung mit der von ihm jährlich in der
AHI-Praxis (vormals ZAK; letztmals AHI 2000 S. 272)

veröffentlichten Mitteilung, wonach für Hinterlassenen- und
Invalidenrenten, die über das vom Gesetz vorgeschriebene Minimum
hinausgehen, der Teuerungsausgleich insoweit nicht obligatorisch ist,
als die Rente insgesamt höher als die der Preisentwicklung angepasste
BVG-Rente ist.

    c) Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber die Auffassung, die
Vorinstanz vermische die Frage der in Art. 24 BVG (Art. 15 Reglement)
normierten Höhe der Invalidenrente in unzulässiger Weise mit der in
Art. 36 BVG (Art. 20 Reglement) als selbstständiges Forderungsrecht
vorgesehenen Teuerungsanpassung. Es habe ein so genanntes "Splitting"
zu erfolgen zwischen dem obligatorischen Teil der Rente, welcher nach dem
Gesetz zwingend der Teuerung anzupassen sei, und dem überobligatorischen,
für welchen dies nicht vorgesehen sei. Eine Verrechnung des zwingenden
Anspruchs auf Teuerungsanpassung gemäss BVG für den Fall, dass der
reglementarische Anspruch über den BVG-Minima liege, sei daher unzulässig.

Erwägung 4

    4.- Die vorliegend streitige Frage, ob die reglementarischen
Leistungen an die vom Gesetz für den obligatorischen Bereich vorgesehene
Teuerungszulage angerechnet werden dürfen, in dem Sinne, dass die
Vorsorgeeinrichtung nicht verpflichtet ist, ihre reglementarischen
Leistungen entsprechend anzupassen, solange die gesetzliche Minimalrente
einschliesslich Teuerungsausgleich das Niveau der Rente gemäss Reglement
nicht erreicht (sog. Anrechnungsprinzip), wird zwar in einem im Jahre
1992 erschienenen Bericht der von der Kammer der Pensionskassen-Experten
eingesetzten Arbeitsgruppe zum Thema "Indexierung der laufenden Renten in
der beruflichen Vorsorge" (vgl. dessen Zusammenfassung durch JÜRG WALTER,
Indexierung der laufenden Renten, in: Schweizer Personalvorsorge [SPV]
1992 S. 463 ff., insbes. S. 465) ohne weitere Begründung verneint, von
der herrschenden Lehre und Praxis aber bejaht (vgl. STEFANO BEROS, Die
Stellung des Arbeitnehmers im BVG: Obligatorium und freiwillige berufliche
Vorsorge, Diss. Zürich 1992, S. 159; CARL HELBLING, Personalvorsorge
und BVG, 6. Aufl., Bern 1995, S. 183; BERND HERZOG, Die Anpassung der
Renten der Zweiten Säule an die wirtschaftliche Entwicklung, in: Soziale
Sicherheit [CHSS] 1996 S. 63; DANIEL STUFETTI, Berufliche Vorsorge,
Leistungen, in: SJK Nr. 1395 S. 19; HERMANN WALSER, Aktuelle rechtliche
Probleme im Hinblick auf den Vollzug des BVG, in: SZS 1988 S. 304 f.;
WALTER, Anpassung der laufenden BVG-Renten an die Teuerung, in: SPV 1999
S. 932).

Dieser letzteren Auffassung ist - ebenso wie der von einzelnen Autoren
(STUFETTI, aaO, S. 19; WALSER, aaO, S. 305) angegebenen Begründung -
beizupflichten: Die Bestimmung über den Teuerungsausgleich (Art. 36
BVG) stellt eine Mindestvorschrift dar (vgl. Art. 6 BVG; BGE 117 V 166),
welche jede umhüllende Vorsorgeeinrichtung erfüllt, wenn sie den Nachweis
erbringen kann, dass sie an Invalide und Hinterlassene Leistungen
ausrichtet, die mindestens gleich hoch sind wie die gesetzlichen
Mindestleistungen zuzüglich Teuerungszulage.