Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 248



127 V 248

38. Auszug aus dem Urteil vom 5. Juni 2001 i. S. T. gegen Amt für AHV
und IV des Kantons Thurgau und AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau

Regeste

    Art. 3c Abs. 1 lit. c ELG; Art. 197 Abs. 2 Ziff. 2, Art. 207 und
215 ZGB: Anrechnung von Pensionskassenleistungen des Ehegatten. Zur
Errungenschaft eines Ehegatten gehörende Vermögenswerte können während
der Dauer des Güterstandes bei der Ergänzungsleistungsberechnung nicht
als Vermögensanteil des andern Ehegatten berücksichtigt werden.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Es stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführerin im Rahmen
der Ergänzungsleistungsberechnung ein Vermögenswert in Höhe von 67'002
Franken anzurechnen ist. Bei diesem Betrag handelt es sich um die Hälfte
der Austrittsleistung von Fr. 134'004.95, welche die Pensionskasse dem
in die Türkei ausgereisten Ehemann beim Erreichen des Rentenalters per
30. Juni 1997 ausbezahlt hat.

    a) Die Vorinstanz vertritt die Auffassung, die vom Ehemann bezogene
Kapitalleistung gehöre zu seiner eherechtlichen Errungenschaft, weshalb der
Beschwerdeführerin nicht zum Vornherein die Hälfte davon zustehe. Innerhalb
der gesetzlichen Schranken könne jeder Ehegatte seine Errungenschaft und
sein Eigengut verwalten,

nutzen und darüber verfügen. Während der Dauer des Güterstandes habe die
Beschwerdeführerin einen anwartschaftlichen Anspruch und im Zeitpunkt
der Auflösung stehe ihr eine entsprechende Vorschlagsbeteiligung an
den Vermögenswerten ihres Ehegatten zu. Da sich der anwartschaftliche
Anspruch in einem entsprechenden Verfahren durchsetzen oder in eine
Vorschlagsbeteiligung umwandeln lasse, müsse sich die Versicherte diesen
Vermögenswert anrechnen lassen. In masslicher Hinsicht sei im Sinne
von Art. 207 ZGB von der Kapitalleistung der beruflichen Vorsorge
der Kapitalwert der Rente dem Eigengut des Ehemannes zuzurechnen,
während der Beschwerdeführerin eine Vorschlagsteilung am Restbetrag
zustehe. Die Rekurskommission wies die Verwaltung an, die anwartschaftliche
Vorschlagsberechnung in diesem Sinne vorzunehmen, und hernach über den
Anspruch auf Ergänzungsleistungen neu zu befinden.

    b) Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, ihr Ehemann habe mit
dem Pensionskassengeld in der Türkei eine Eigentumswohnung gekauft und
eingerichtet. Seither verfüge er über keine liquiden Mittel mehr, und er
sei auf Grund seiner Einkommens- und Vermögenslage weder in der Lage noch
gewillt, sie finanziell zu unterstützen. Hinzu komme, dass gestützt auf
Art. 10 ELV und die vom Bundesamt für Sozialversicherung herausgegebene
Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL) Einkommen
und Vermögen von im Ausland lebenden Ehepartnern bei der Bemessung der
Ergänzungsleistung unberücksichtigt zu bleiben hätten. Anzurechnen seien
lediglich die familienrechtlichen Unterhaltsleistungen, zu denen der im
Ausland lebende Ehegatte verpflichtet sei.

Erwägung 4

    4.- a) Zu den nach Art. 3c Abs. 1 ELG anrechenbaren Einnahmen
zählt unter anderem ein Fünfzehntel des Reinvermögens, soweit
es bei Alleinstehenden 25'000 Franken übersteigt (lit. c). Da die
Ergänzungsleistungen die Deckung der laufenden Lebensbedürfnisse bezwecken,
gilt der Grundsatz, dass bei der Anspruchsberechnung nur tatsächlich
vereinnahmte Einkünfte und vorhandene Vermögenswerte zu berücksichtigen
sind, über die der Leistungsansprecher ungeschmälert verfügen kann;
vorbehalten bleibt der Tatbestand des Vermögensverzichts (BGE 122 V 24
Erw. 5a mit Hinweisen; ZAK 1989 S. 329 Erw. 3b).

    b) Leistungen zu Gunsten von Arbeitnehmern im Zusammenhang mit der
beruflichen Vorsorge gehören gemäss Art. 197 Abs. 2 Ziff. 2 ZGB zur
Errungenschaft. Ebenso gehören Ersatzanschaffungen für

diese Leistungen dazu (Art. 197 Abs. 2 Ziff. 5 ZGB). Jeder Ehegatte bleibt
grundsätzlich frei, sein Eigentum selber zu verwalten und zu nutzen
sowie darüber zu verfügen (Art. 201 Abs. 1 ZGB). Vorbehalten bleibt
allerdings die Pflicht, an den Unterhalt beizutragen (Art. 163 f. ZGB;
HEINZ HAUSHEER, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, ZGB I,
N 14 f. zu Art. 201). Der Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung
wird mit dem Tod eines Ehegatten oder mit der Vereinbarung eines anderen
Güterstandes aufgelöst (Art. 204 Abs. 1 ZGB). Bei Scheidung, Trennung,
Ungültigerklärung der Ehe oder gerichtlicher Anordnung der Gütertrennung
wird die Auflösung des Güterstandes auf den Tag zurückbezogen, an dem
das Begehren eingereicht worden ist (Art. 204 Abs. 2 ZGB). Errungenschaft
und Eigengut jedes Ehegatten werden nach ihrem Bestand im Zeitpunkt der
Auflösung des Güterstandes ausgeschieden (Art. 207 Abs. 1 ZGB). Wird die
Leistung in Form einer (einmaligen) Kapitalabfindung erbracht und enthält
diese kapitalisierte Renten, die sich auf die Zeit nach der Auflösung des
Güterstandes beziehen, ist dieser Kapitalanteil gemäss Art. 207 Abs. 2
ZGB dem Eigengut anzurechnen (MARLIES NÄF-HOFMANN, Schweizerisches Ehe-
und Erbrecht, Zürich 1998, S. 432 f.; HEINZ HAUSHEER, aaO, N 12 zu
Art. 207). Was vom Gesamtwert der Errungenschaft, einschliesslich der
hinzugerechneten Vermögenswerte und der Ersatzforderungen, nach Abzug
der auf ihr lastenden Schulden verbleibt, bildet den Vorschlag (Art. 210
Abs. 1 ZGB).

    c) Der Nettowert aller in der Errungenschaft zusammengefassten
Vermögenswerte bildet demnach den Vorschlag eines Ehegatten. Im
Hinblick auf deren ergänzungsleistungsrechtliche Behandlung stellt
sich die Frage der Rechtsnatur dieser Beteiligungsforderung vor
Auflösung des Güterstandes. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die
Vorschlagsberechnung erst bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung
stattfindet, nachdem ein Auflösungsgrund (z.B. Tod, Scheidung oder
Vereinbarung eines andern Güterstandes) eingetreten ist. Vor diesem
Zeitpunkt hat kein Gatte Anspruch auf eine Beteiligung am Vorschlag
des andern. Von einer Vorschlagsbeteiligung kann nur im Sinne einer
Anwartschaft in Form einer ungewissen Aussicht auf einen künftigen
Rechtserwerb gesprochen werden. Auf Grund der gegenseitigen Beteiligung
am Vorschlag mit gesetzlicher Verrechnung (Art. 215 Abs. 2 ZGB) steht
nicht einmal fest, welchem Ehegatten letztlich eine Beteiligungsforderung
zustehen wird. Über die künftige Beteiligungsforderung kann zwar von
Todes wegen verfügt werden, hingegen ist sie während der Dauer

des Güterstandes weder abtretbar noch verpfändbar; ebensowenig entspricht
sie einem Aktivum, das zur Konkursmasse gezogen werden könnte. Ein Anspruch
auf vorzeitige Erfüllung der Beteiligungsforderung besteht vor Auflösung
des Güterstandes auch dann nicht, wenn ein Ehegatte dringend auf Geld
angewiesen ist. Während der Dauer der Errungenschaftsbeteiligung kann
ein Ehegatte als eherechtliche Rechtsgrundlage für vermögensrechtliche
Forderungen gegenüber dem andern lediglich Art. 163 ff. und Art. 176 ZGB
anrufen (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar, N 17 zu Art. 215 ZGB;
NÄF-HOFMANN, aaO, S. 245).

    d) Im Lichte dieser Darlegungen erweist sich das Vorgehen von
EL-Stelle und Vorinstanz als rechtlich nicht zulässig. Kann der Anspruch
eines Ehegatten auf die ihm bei der Auflösung des Güterstandes zustehende
Vorschlagsbeteiligung vor diesem Zeitpunkt nicht veräussert oder verwertet
werden, stellt dieser Anteil keinen Vermögenswert dar, der im Rahmen
der Ergänzungsleistungsberechnung zu berücksichtigen wäre. In den Akten
weist nichts darauf hin, dass infolge Trennung eine güterrechtliche
Auseinandersetzung stattgefunden hätte. In der Anmeldung zum Bezug von
Ergänzungsleistungen vom 30. Juli 1998 gab die Beschwerdeführerin ihren
Zivilstand mit "verheiratet" an und in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führt sie aus, ihr Ehemann lebe aus finanziellen Gründen seit Juli
1997 getrennt von der Familie in der Türkei. Da für die Beurteilung die
Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung massgebend sind (BGE
121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen), braucht nicht geprüft zu werden, wie im
Falle einer gerichtlichen Trennung zu urteilen wäre. Auch eine Prüfung
der von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Frage, wonach es Art. 10
ELV im vorliegenden Fall verbiete, Anteile am Vermögen des im Ausland
lebenden Ehegatten anzurechnen, erübrigt sich unter diesen Umständen.