Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 V 213



127 V 213

32. Urteil vom 27. Juli 2001 i. S. Caisse interprofessionnelle d'assurance
vieillesse et survivants de la Fédération romande des syndicats patronaux
gegen R. und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich

Regeste

    Art. 103 lit. c OG; Art. 57 Abs. 1 lit. e und Abs. 2
IVG; Art. 41 Abs. 1 lit. d und i IVV; Art. 201 lit. c
und Art. 202 AHVV in Verbindung mit Art. 89 IVV: Keine
Beschwerdeberechtigung der Ausgleichskassen. Die Ausgleichskassen sind
in invalidenversicherungsrechtlichen Leistungsstreitigkeiten nicht zur
Erhebung von Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen erstinstanzliche
Beschwerdeentscheide berechtigt, und zwar auch nicht, wenn in ihren
Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich fallende Fragen, wie namentlich
die Berechnungsgrundlagen, zur Diskussion stehen. Diese Befugnis steht
ausschliesslich der IV-Stelle zu, welche verfügt hat.

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 5. Februar 1998 sprach die IV-Stelle des
Kantons Zürich R. eine ab 1. August 1996 laufende halbe Rente der
Invalidenversicherung zu.

    B.- R. liess hiegegen beim Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich Beschwerde einreichen und beantragen, es sei ihr spätestens ab Juli
1997 "gestützt auf eine 66 2/3% übersteigende Invalidität" eine ganze Rente
zuzusprechen und es sei die IV-Stelle bzw. die zuständige Ausgleichskasse
zu verpflichten, die Rentenhöhe "gestützt auf bisher nicht berücksichtigte
Beitragsjahre, Prämienbeiträge und Erziehungsgutschriften" neu festzulegen.

    Die IV-Stelle schloss auf Abweisung der Beschwerde. In ablehnendem
Sinne äusserte sich auch die für die Berechnung und Auszahlung der
Rente zuständige Caisse interprofessionnelle d'assurance vieillesse et
survivants de la Fédération romande des syndicats patronaux (FRSP-CIAM),
welche auf Ersuchen der IV-Stelle direkt zuhanden des Gerichts zu den
angefochtenen Berechnungsgrundlagen Stellung genommen und die Kassenakten
eingereicht hatte.

    Mit Entscheid vom 18. Januar 2001 hiess das kantonale
Sozialversicherungsgericht die Beschwerde teilweise gut und hob die
angefochtene Verfügung auf. Es stellte fest, dass ab 1. August 1996
Anspruch auf eine halbe und ab 1. Juli 1997 auf eine ganze Invalidenrente
bestehe, und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit sie die
"notwendigen Abklärungen hinsichtlich des für die Rentenberechnung
massgebenden durchschnittlichen Jahreseinkommens sowie allenfalls die
notwendigen Nachbuchungen vornehme, die Rente neu berechne und über den
Leistungsanspruch (...) neu verfüge".

    C.- Am 8. März 2001 hat die Ausgleichskasse
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den der IV-Stelle am 1. Februar 2001
eröffneten Entscheid vom 18. Januar 2001 erhoben mit dem Rechtsbegehren,
es sei der Entscheid vom 18. Januar 2001 aufzuheben, soweit damit "un
complément d'instruction concernant les revenus pris en compte pour la
fixation de la rente AI" angeordnet werde.

    Während R. die Bestätigung des Rückweisungsentscheides beantragen
lässt, verzichtet die IV-Stelle auf eine Stellungnahme und einen Antrag
zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
(BSV) hat keine Vernehmlassung eingereicht.

    D.- Mit Eingabe vom 23. März 2001 hat die Ausgleichskasse sich zur
Frage der Rechtzeitigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geäussert
und dabei ihre Legitimation zur Ergreifung dieses Rechtsmittels bejaht,
da ihr Parteistellung zukomme.

Auszug aus den Erwägungen:

        Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es stellt sich vorab die Frage, ob die Ausgleichskasse
selbstständig Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid vom 18.
Januar 2001 erheben kann.

    a) Nach Art. 103 OG (in Verbindung mit Art. 132 OG) ist zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde u.a. berechtigt, wer durch die angefochtene
Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung
oder Änderung hat (lit. a), und jede andere Person, Organisation oder
Behörde, die das Bundesrecht, allenfalls in einer Verordnung zur Beschwerde
ermächtigt (lit. c; BGE 106 V 141 Erw. 1a mit Hinweisen sowie GYGI,
Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 163 f.).

    b) Art. 103 lit. a OG bietet keine genügende Grundlage für die Bejahung
der Beschwerdelegitimation in Streitigkeiten betreffend eine Rente der
Invalidenversicherung weder der IV-Stellen noch der Ausgleichskassen. Das
blosse öffentliche Interesse an der richtigen Durchführung des Bundesrechts
stellt kein schutzwürdiges Interesse im Sinne dieser Bestimmung dar
(vgl. BGE 123 V 116 Erw. 5a, 114 V 95 f. Erw. 2a und 100 Erw. 3e).

    c) Mit Bezug auf Art. 103 lit. c OG stellt sich die Frage, ob
die nach Art. 89 IVV im Bereich der Invalidenversicherung sinngemäss
anwendbaren Art. 201 lit. c und Art. 202 AHVV die Ausgleichskasse zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Rentenentscheid ermächtigen, soweit
es um Fragen der Berechnung geht. Nach dieser Regelung steht diese Befugnis
den beteiligten Ausgleichskassen beziehungsweise ("rispettivamente" in
der italienischsprachigen Fassung) IV-Stellen zu. Die am Recht stehende
Ausgleichskasse bejaht ihre Beschwerdelegitimation unter Hinweis auf den
französischen Verordnungstext, welcher von den "caisses de compensation"
ou "offices AI intéressés" spreche. Dieses "Oder" sei, wo es um den je
eigenen Zuständigkeitsbereich gehe, im Sinne einer "équivalence" und
nicht alternativ zu verstehen.

    aa) Diese Auffassung widerspricht Gesetz und Verordnung. Nach dem
gestützt auf die Delegationsnorm des Art. 57 Abs. 2 IVG erlassenen Art. 41
Abs. 1 lit. i IVV gehören die Stellungnahme in Beschwerdefällen und die
Erhebung von Verwaltungsgerichtsbeschwerden zu den Aufgaben der IV-Stelle.
Eine gleiche oder ähnliche Bestimmung fehlt in Bezug auf die nach Art. 60
Abs. 1 lit. b und c IVG sowie Art. 44 IVV u.a. für die Berechnung und
Auszahlung von Renten und Taggeldern zuständigen Ausgleichskassen.

Gemäss Rz 2028 und 2043 des vom BSV herausgegebenen Kreisschreibens über
die Rechtspflege in der AHV, der IV, der EO und bei den EL (in der ab
1. Mai 1993 geltenden Fassung) nehmen die Kassen auf Ersuchen der IV-Stelle
insbesondere zu Berechnungsfragen Stellung und liefern die hiezu nötigen
Akten (vgl. auch Ziff. 7.2 - 7.4 des Anhangs IV zum Kreisschreiben des
BSV über das Verfahren in der Invalidenversicherung [KSVI] in der ab
1. Januar 1998 gültigen Fassung). Soweit abweichend, geht diese Ordnung
laut Art. 89 IVV der Regelung gemäss Art. 201 lit. c und Art. 202 AHVV vor.

    bb) Im Weitern ist nach Art. 57 Abs. 1 lit. e IVG und Art. 41 Abs. 1
lit. d IVV der Erlass von Verfügungen Sache der IV-Stelle. Auf Grund
dieser Kompetenz kommt ihr im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren
Parteistellung zu, nicht hingegen der Ausgleichskasse, und zwar
auch nicht, wenn und soweit die Berechnungsgrundlagen streitig sind
(Urteil R. vom 1. März 2001 [I 571/99]; so auch Rz 2026 des erwähnten
Kreisschreibens über die Rechtspflege). Es verhält sich insofern
gerade umgekehrt zur Rechtslage vor der Neuordnung der Organisation
im Bereich der Invalidenversicherung durch Schaffung der IV-Stellen
im Rahmen der 3. IV-Revision (Art. 53 ff. IVG [Änderung vom 22. März
1991] und Art. 40 ff. IVV [Änderung vom 15. Juni 1992]). Damals lag die
Verfügungskompetenz bei den Ausgleichskassen (alt Art. 54 IVG). Sie
waren Partei im erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren und nach alt
Art. 201 lit. c und alt Art. 202 AHVV zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
berechtigt (vgl. ZAK 1992 S. 372 Erw. 2a). Demgegenüber konnten die
Invalidenversicherungs-Kommissionen mangels Rechtspersönlichkeit
nicht (Gegen-)Partei vor der Rekursbehörde sein und sie waren auch
nicht legitimiert, deren Entscheide an das Eidg. Versicherungsgericht
weiterzuziehen. Dies galt, obschon ihre Beschlüsse namentlich über
den Umfang des Rentenanspruchs und den Leistungsbeginn (vgl. alt
Art. 60 Abs. 1 lit. c und d IVG sowie alt Art. 47 IVV) für die Kassen
grundsätzlich verbindlich waren und es vielfach die Kommissionen waren,
welche bei spezifisch invalidenversicherungsrechtlichen Fragen über die
Beschwerdeerhebung entschieden und auch die Rechtsschriften verfassten
(nicht veröffentlichtes Urteil V. vom 1. März 1990 [I 489/88] mit Hinweis
auf EVGE 1961 S. 314, in BGE 110 V 48 nicht publizierte Erw. 2b).

    cc) Den auf Grund der vorstehenden Erwägungen nahe liegenden Schluss,
wonach es der gesetzlichen Konzeption entspricht, dass lediglich die
verfügende IV-Stelle, nicht hingegen auch die

Ausgleichskasse zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Entscheide
der Rekursbehörden berechtigt ist, zeigen schliesslich auch die
Materialien zur Neuordnung der Zuständigkeiten und Aufgaben im
Bereich der Invalidenversicherung im Rahmen der 3. IV-Revision. Die
betreffende Reorganisation verfolgte zwei Ziele (vgl. Botschaft des
Bundesrates vom 25. Mai 1988 über ein zweites Paket von Massnahmen zur
Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen [BBl 1988 II 1333
ff., 1383 ff.]). Zum einen sollten die damals von verschiedenen Organen
(IV-Kommission, IV-Sekretariat und Regionalstelle) wahrgenommenen
Funktionen in der neu zu schaffenden IV-Stelle vereinigt werden. Deren
Aufgabenbereich sollte alle Handlungen umfassen, die vom Empfang des
Leistungsgesuchs bis zur Verfügung nötig sind. Zum andern ging es
darum, die Organisation der Invalidenversicherung leichter zugänglich
und transparenter zu machen. Im Allgemeinen sollten die Versicherten oder
ihre Vertreter nur einen einzigen Partner auf der Seite der Versicherung
haben und die sie betreffenden Entscheide immer von der gleichen Stelle
ausgehen. In die Verfügungszuständigkeit der IV-Stelle fielen alle
Leistungen der Invalidenversicherung, insbesondere auch Geldleistungen.
Letzteres rechtfertige sich (auch) deshalb, weil in den meisten Fällen
die Bemessung der Invalidität oder der Hilflosigkeit Anlass zu Beschwerden
gebe und nicht die Berechnung der Leistungen durch die Ausgleichskasse. Im
Gegenzug seien die IV-Stellen für ihre Verfügungen den Versicherten,
den Beschwerdeinstanzen und der Aufsichtsbehörde gegenüber verantwortlich.

    Die im bundesrätlichen Entwurf genannten Zielsetzungen der
Vereinfachung und der Transparenz der Organisation im Bereich der
Invalidenversicherung wurden im Rahmen der parlamentarischen Debatte
von den Berichterstattern der vorberatenden Kommissionen beider Räte
ausdrücklich erwähnt und waren im Übrigen unbestritten (Amtl.Bull. 1989
S 283, 1990 N 1804 f.). Im Ständerat als Erstrat wurde überdies betont,
dass ebenfalls in der Kommission diskutiert worden sei, ob dort, wo es auch
um Geldleistungen gehe, die IV-Stelle eine Verfügung über die spezifisch
invalidenversicherungsrechtlichen Fragen und die Ausgleichskasse eine
zweite über die Geldleistung zu erlassen habe. Dieses Modell, welches zwei
Beschwerdewege zur Folge hätte, sei nach eingehendem Vergleich mit dem
Vorschlag gemäss Botschaft abgelehnt worden (Amtl.Bull. 1989 S 283), dies
"obwohl es auch hierfür Gründe gäbe", wie ein anderes Kommissionsmitglied
bemerkte (Amtl.Bull. 1989 S 287).

    d) Nach dem Gesagten sind die Ausgleichskassen in
invalidenversicherungsrechtlichen Leistungsstreitigkeiten nicht zur
Erhebung von Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen die Entscheide der
Rekursbehörden (Art. 84 f. AHVG in Verbindung mit Art. 69 IVG) berechtigt,
und zwar auch nicht, wenn in ihren Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich
fallende Fragen, wie namentlich die Berechnungsgrundlagen, zur Diskussion
stehen. Diese Befugnis steht ausschliesslich der IV-Stelle zu, welche
verfügt hat. Davon geht auch die Rechtsprechung aus. In dem in SVR 2000
IV Nr. 20 S. 59 publizierten Entscheid, in welchem es einzig noch um die
Frage der Drittauszahlung von Kinderrenten an den Berechtigten oder aber
an die geschiedene Mutter ging, hat das Eidg. Versicherungsgericht
festgestellt, dass die Rechtsstellung der Ausgleichskasse im
Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren grundsätzlich die gleiche ist,
wie vor Schaffung der IV-Stellen diejenige der IV-Kommissionen (SVR 2000
IV Nr. 20 S. 60 Erw. 1b).

    Bei dieser Rechtslage kann offen bleiben, ob Art. 201 lit. c und
Art. 202 AHVV überhaupt (auch) die Beschwerdelegitimation im Verhältnis
zwischen IV-Stelle und Ausgleichskasse regeln (vgl. ZAK 1992 S. 372
Erw. 2a).

Erwägung 2

    2.- Die Regelung der Berechtigung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
in invalidenversicherungsrechtlichen Leistungsstreitigkeiten auf Seiten
der Verwaltung bedeutet, dass die allein legitimierte IV-Stelle im
Hinblick auf eine allfällige Anfechtung des erstinstanzlichen Entscheids
dort, wo es um Fragen der Berechnung geht, rechtzeitig bei der hiefür
zuständigen Ausgleichskasse die notwendige Sachinformation besorgt. Zieht
die versicherte Person die Streitsache an das Eidg. Versicherungsgericht
weiter, hat die IV-Stelle als Beschwerdegegnerin von Amtes wegen die
entsprechenden Unterlagen, soweit sie sich nicht bei den Akten befinden,
bei der Ausgleichskasse einzuholen.

Erwägung 3

    3.- In Bezug auf die Beschwerdelegitimation nach Art. 103 lit. c OG
in Verbindung mit Art. 201 lit. c und Art. 202 AHVV gleich, aber mit
vertauschten Rollen im Verhältnis Ausgleichskasse/IV-Stelle, verhält
es sich zum Beispiel bei der Hilflosenentschädigung der Alters- und
Hinterlassenenversicherung. Während die Bemessung der Hilflosigkeit und
der Entscheid über den Anspruch Sache der IV-Stelle ist (Art. 43bis Abs. 5
Satz 2 AHVG sowie Art. 69quater AHVV), erlässt die Ausgleichskasse die
entsprechende Verfügung (Art. 63 Abs. 1 lit. b AHVG).

Erwägung 4

    4.- (Parteientschädigung)