Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 IV 46



127 IV 46

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Februar 2001
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden gegen X.
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 249, 269 und 270 Abs. 1 BStP (a.F.) resp. 270 lit. c (n.F.).

    Der öffentliche Ankläger kann im Verfahren der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde die Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung
nicht vorbringen, auch nicht gestützt auf den Grundsatz der freien
Beweiswürdigung gemäss Art. 249 BStP (E. 1).

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die Vorinstanz hat den Beschwerdegegner zur Hauptsache mangels
Beweisen freigesprochen.

    Die Beschwerdeführerin geht zu Recht davon aus, dass die
Beweiswürdigung gestützt auf Art. 273 und 277bis BStP (SR 312.0) nicht
mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden kann. Sie wirft jedoch die
Frage auf, ob die Vorinstanz mit ihrem Vorgehen Art. 249 und allenfalls
Art. 251 BStP missachtet habe.

    b) Inwieweit die Vorinstanz Art. 251 BStP verletzt haben könnte, ist
nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, die Vorinstanz
habe ihren Entscheid nicht richtig eröffnet, die Eröffnung gegebenenfalls
nicht im Protokoll eingetragen, die möglichen Rechtsmittel nicht angegeben
oder der Beschwerdeführerin keine schriftliche Ausfertigung unentgeltlich
zugestellt. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf Art. 251 BStP bezieht,
ist darauf nicht einzutreten.

    c) Unter dem Titel "Das Verfahren in Bundesstrafsachen, die von
kantonalen Gerichten zu beurteilen sind", bestimmt Art. 249 BStP, dass
die entscheidende Behörde die Beweise frei würdigen soll und nicht an
gesetzliche Beweisregeln gebunden ist. Die Bestimmung will sicherstellen,
dass die Organe der Strafrechtspflege frei von Beweisregeln und nur
nach ihrer persönlichen Ansicht aufgrund gewissenhafter Prüfung darüber
entscheiden, ob sie eine Tatsache für bewiesen halten. Daraus folgt,
dass die Bestimmung dem Richter bloss verbietet, bei der Erhebung von
Beweisen und der Würdigung erhobener Beweise gesetzlichen Regeln - z.B.
Verwertungsverboten - zu folgen, die die eigene Prüfung und Bewertung
der Überzeugungskraft von Beweismitteln ausschliessen. Eine Verletzung
von Art. 249 BStP liegt mithin nur vor, wenn bestimmten Beweismitteln
von vornherein in allgemeiner Weise die Beweiseignung abgesprochen wird
oder wenn der Richter im konkreten Fall bei der Würdigung der Beweise im
Ergebnis nicht seiner eigenen Überzeugung folgt (BGE 115 IV 267 E. 1).

    d) Im Rahmen des vorinstanzlichen Verfahrens wurde eine Fachexpertise
über die Persönlichkeit einer Geschädigten eingeholt. Die Vorinstanz
stellt dazu fest, der Gutachter sei zum Schluss gelangt, dass bei einer
differenzierten Beurteilung Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung
vorlägen und dass aufgrund der Persönlichkeit und der Diagnose einer
Persönlichkeitsstörung geringe Zweifel an der allgemeinen Glaubwürdigkeit
(verstanden als Aspekt der Zeugentüchtigkeit) der Geschädigten am
Platz seien. Die Vorinstanz sehe sich deshalb veranlasst, den Aussagen
der Geschädigten als einziger Belastungszeugin mit noch grösserer
Zurückhaltung zu begegnen, als dies bereits die erste Instanz getan
habe. Die Glaubwürdigkeit im Hinblick auf die konkreten Aussagen sei
gemäss dem Gutachten durch das Gericht oder durch eine ausgewiesene
Fachperson zu beurteilen. Grundsätzlich gehöre die Beurteilung der
Aussagen zu den Aufgaben des Richters. Im vorliegenden Fall, in dem
es nicht um die Aussagen eines Kindes oder einer psychisch abnormen,
altersdementen oder vorübergehend gestörten Person gehe, könne auf den
Beizug einer Fachperson verzichtet werden.

    Die Beschwerdeführerin macht geltend, mit dieser kurzen Stellungnahme
habe die Vorinstanz "das Erfordernis einer freien Beweiswürdigung nicht
erfüllt".

    Darauf ist nicht einzutreten. Eine Verletzung von Art. 249 BStP hätte
vorgelegen, wenn die Vorinstanz gewissen Gutachten in allgemeiner Weise
und damit von vornherein die Beweiseignung abgesprochen hätte. Dies hat
sie jedoch nicht getan. Indem sie gestützt auf die Fachexpertise über
die Persönlichkeit der Geschädigten darauf schloss, dass deren Aussagen
"mit Zurückhaltung zu begegnen" sei, und dann auf die Einholung eines
eigentlichen Glaubwürdigkeitsgutachtens verzichtete, weil im konkreten Fall
keine Anzeichen dafür sprächen, dass dies notwendig sei, würdigte sie die
Umstände dieses Einzelfalles frei und gemäss ihrer Überzeugung. Selbst
wenn die Schlussfolgerungen der Vorinstanz - wie die Beschwerdeführerin
annimmt - willkürlich gewesen sein sollten, verletzten sie den Grundsatz
der freien Beweiswürdigung nicht. Die Anklagebehörde kann im Verfahren vor
Bundesgericht die Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung nicht vorbringen,
auch nicht gestützt auf Art. 249 BStP.