Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 IV 27



127 IV 27

4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Januar 2001 i.S. X.
gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Erleichtern des rechtswidrigen Verweilens eines Ausländers in der
Schweiz (Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG); Meldepflicht des Beherbergers (Art. 2
Abs. 2 ANAG). Zusammenleben der Ehegatten in einem gemeinsamen Haushalt.

    Die Ehefrau, die in der von ihr gemieteten bzw. in ihrem Alleineigentum
stehenden Wohnung mit ihrem rechtswidrig in der Schweiz weilenden
ausländischen Gatten in ehelicher Gemeinschaft zusammenlebt, beherbergt
diesen nicht. Sie ist daher nicht verpflichtet, ihn bei der Ortspolizei zu
melden (E. 2a/bb). Die Meldepflicht des Beherbergers begründet im Übrigen
keine Garantenpflicht in Bezug auf den Tatbestand von Art. 23 Abs. 1
al. 5 ANAG (E. 2b). Die sich aus dem gemeinsamen Haushalt zwangsläufig
ergebende Erleichterung des Verweilens ist in Anbetracht der gesetzlichen
Rechte und Pflichten der Ehegatten jedenfalls nicht rechtswidrig (E. 3).

Sachverhalt

    A.- X. heiratete im Jahre 1988 Y., der damals jugoslawischer
Staatsbürger war und heute kroatischer Staatsangehöriger ist. Im
Jahre 1993 verliess Y. die Schweiz, da er hier wegen des Vorwurfs des
Betrugs im Fahndungsregister zur Verhaftung ausgeschrieben war. Mit
dieser tatsächlichen Aufgabe des Aufenthalts in der Schweiz erlosch
seine Aufenthaltsbewilligung. Y. kehrte im Frühjahr 1994 in die Schweiz
zurück. Seither lebte er - mit einigen Unterbrüchen - zusammen mit seiner
Gattin X. in einer Wohnung in Bern. Er unterliess es, sich nach seiner
Rückkehr in die Schweiz zur Regelung der Bedingungen seiner Anwesenheit
bei der Fremdenpolizeibehörde zu melden. Er wurde am 9. September 1999
von der Stadtpolizei Bern angehalten.

    X. wird zur Last gelegt, sie habe in der Schweiz von Frühjahr 1994 bis
zum 9. September 1999 ihrem wegen des Vorwurfs des Betrugs zur Verhaftung
ausgeschriebenen Ehemann in Kenntnis dieses Umstandes Unterkunft gewährt
und es unterlassen, ihren Gatten, der, wie sie gewusst habe, über keine
gültige Aufenthaltsbewilligung (mehr) verfügt habe, bei der Ortspolizei
zu melden.

    B.- Der Gerichtspräsident 14 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen
sprach X. am 3. Februar 2000 der Begünstigung sowie der Widerhandlung
gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer
durch Beihilfe zu illegalem Aufenthalt schuldig und verurteilte sie
zu einer Gefängnisstrafe von 45 Tagen, bedingt vollziehbar bei einer
Probezeit von drei Jahren.

    Das Obergericht des Kantons Bern sprach X. am 26. Mai 2000 von der
Anschuldigung der Begünstigung (in Anwendung von Art. 305 Abs. 2 StGB)
frei.

    Es verurteilte sie wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz vom
26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR
142.20) durch Erleichtern des rechtswidrigen Verweilens im Lande (unter
Zubilligung achtenswerter Beweggründe) zu einer Haftstrafe von zehn Tagen,
bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren.

    C.- X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu ihrer Freisprechung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der Ausländer ist zur Anwesenheit auf Schweizer Boden
berechtigt, wenn er eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung
besitzt oder wenn er nach dem Gesetz keiner solchen bedarf (Art. 1
ANAG). Der Ausländer hat sich vor Ablauf des dritten Monats seiner
Anwesenheit in der Schweiz bei der Fremdenpolizeibehörde des
Aufenthaltsortes zur Regelung der Bedingungen seiner Anwesenheit
anzumelden. Ausländer, die zur Übersiedlung oder zur Ausübung einer
Erwerbstätigkeit eingereist sind, haben diese Anmeldung binnen acht
Tagen, auf jeden Fall jedoch vor Antritt einer Stelle, vorzunehmen
(Art. 2 Abs. 1 ANAG). Wer einen Ausländer gegen Entgelt beherbergt, hat
diesen sofort bei der Ortspolizei zu melden. Wer einen Ausländer ohne
Entgelt beherbergt, untersteht dieser Meldepflicht erst, wenn er dem
Ausländer länger als einen Monat Unterkunft gewährt; vorbehalten bleiben
strengere kantonale Vorschriften (Art. 2 Abs. 2 ANAG). Diese gesetzliche
Anmelde- beziehungsweise Meldepflicht wird in der Vollziehungsverordnung
zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer
konkretisiert. Danach unterliegt der Ausländer der Anmeldepflicht,
der Gastgeber der Meldepflicht; die Erfüllung der einen befreit nicht
von der andern. Gastgeber ist, wer einer Person, die nicht in seinem
Dienst steht, Unterkunft gewährt. Wer dies gegen Entgelt tut, ist zur
Meldung aller Ausländer verpflichtet, wer es ohne Entgelt tut, braucht
die in der Schweiz niedergelassenen Ausländer nicht zu melden, sofern
nicht strengere kantonale Vorschriften bestehen. Der Ausländer ist
verpflichtet, dem Gastgeber zuhanden der Behörde die für die Meldung
erforderlichen Angaben wahrheitsgetreu zu machen (Art. 2 Abs. 1 der
Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt
und Niederlassung der Ausländer [ANAV; SR 142.201]). Die Anmelde- und
die Meldepflicht sind, nach der Einreise, auch dann zu erfüllen, wenn der
Ausländer vom Ausland her eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung
nachgesucht hat und ihm eine solche zugesichert worden ist (Art. 2 Abs. 2
ANAV). Der ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers hat Anspruch
auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Nach einem
ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat
er Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung. Der Anspruch erlischt,
wenn ein Ausweisungsgrund vorliegt (Art. 7 Abs. 1 ANAG). Der Ausländer
kann aus der Schweiz oder aus einem Kanton unter anderem dann ausgewiesen
werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft
wurde (Art. 10 Abs. 1 lit. a ANAG). Gemäss Art. 23 Abs. 1 ANAG wird mit
Gefängnis bis zu sechs Monaten unter anderem bestraft, wer rechtswidrig
das Land betritt oder darin verweilt (al. 4) und wer im In- oder Ausland
die rechtswidrige Ein- oder Ausreise oder das rechtswidrige Verweilen im
Lande erleichtert oder vorbereiten hilft (al. 5). In leichten Fällen kann
auch nur auf Busse erkannt werden (Art. 23 Abs. 1 am Ende ANAG).

    b) Nach der Auffassung der Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin ihren
Ehemann im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 ANAG ohne Entgelt beherbergt
beziehungsweise ihm ohne Entgelt Unterkunft gewährt, indem sie ihn nach
dessen Rückkehr in die Schweiz im Frühjahr 1994 bei sich aufnahm und
fortan, mit gewissen Unterbrüchen, mit ihm zusammenlebte. Daher sei die
Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 2 Abs. 2 ANAG nach Ablauf eines Monats
verpflichtet gewesen, ihren Ehemann bei der Ortspolizei zu melden. Diese
Verpflichtung habe so lange angedauert, als die Beschwerdeführerin ihrem
Ehemann Unterkunft gewährt habe.

    Die Beschwerdeführerin habe sich des Erleichterns des rechtswidrigen
Verweilens eines Ausländers im Sinne von Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG (und
nicht etwa bloss einer andern Zuwiderhandlung gegen fremdenpolizeiliche
Vorschriften gemäss Art. 23 Abs. 6 ANAG) schuldig gemacht, indem sie
ihrem nach längerem fluchtbedingten Auslandaufenthalt in die Schweiz
zurückgekehrten und sich in der Folge mangels der erforderlichen
Aufenthaltsbewilligung rechtswidrig hier aufhaltenden Ehemann von
Frühjahr 1994 bis zum 9. September 1999 (unentgeltlich) Unterkunft gewährt
habe, ohne diesen Umstand (spätestens nach Ablauf eines Monats) bei der
Ortspolizei zu melden. Auch wenn es letztlich verschiedene Umstände gewesen
seien, welche den über fünf Jahre andauernden rechtswidrigen Aufenthalt
von Y. in der Schweiz ermöglicht hätten, sei jedenfalls die Verletzung
der Meldepflicht durch die Beschwerdeführerin einer der Hauptgründe
dafür gewesen, dass die Fremdenpolizei erst so spät vom Aufenthalt von
Y. in der Schweiz Kenntnis erhalten habe. Ein Freispruch wegen der nahen
Beziehung zwischen den Eheleuten falle insoweit ausser Betracht, da das
ANAG keine Art. 305 Abs. 2 StGB entsprechende Bestimmung enthalte. Die
Beschwerdeführerin könne sich nicht auf irgendwelche Rechtfertigungs-
oder Schuldausschliessungsgründe berufen. Insbesondere seien auch
die Voraussetzungen des aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrundes der
Wahrung berechtigter Interessen nicht erfüllt; der vorliegende Fall
unterscheide sich in mehrfacher Hinsicht von dem in BGE 117 IV 170
ff. beurteilten Sachverhalt. In Anbetracht des Dilemmas, in dem sich
die Beschwerdeführerin offensichtlich befunden habe, seien ihr jedoch
achtenswerte Beweggründe (Art. 64 Abs. 1 StGB) zuzubilligen. Trotzdem sei
insbesondere angesichts der langen Dauer des deliktischen Verhaltens von
einem nicht (mehr) unerheblichen Tatverschulden auszugehen, ein leichter
Fall im Sinne von Art. 23 Abs. 1 am Ende ANAG zu verneinen und daher eine
Freiheitsstrafe auszufällen.

Erwägung 2

    2.- a) Dem angefochtenen Urteil kann nicht entnommen werden, wer
Eigentümer beziehungsweise Mieter der ehelichen Wohnung war.

    aa) Sollte (auch) der Ehemann Eigentümer beziehungsweise Mieter
gewesen sein, fiele die Annahme seiner "Beherbergung" schon aus diesem
Grunde ausser Betracht.

    bb) Auch wenn die Beschwerdeführerin alleinige Eigentümerin
beziehungsweise Mieterin der Wohnung gewesen sein sollte, hätte sie
ihren illegal in der Schweiz weilenden Ehemann nicht im Sinne von Art. 2
Abs. 2 ANAG "beherbergt". Gemäss Art. 162 ZGB bestimmen die Ehegatten
gemeinsamen die eheliche Wohnung. Diese gehört zu den Grundlagen einer Ehe
(BGE 117 II 6 ff., S. 10, mit Hinweisen). Sie ist der Ort, an dem sich
nach dem Willen beider Ehegatten ein wesentlicher Teil des gemeinsamen
Lebens abspielt. Dabei ist es unerheblich, ob beide Ehegatten oder nur
einer von ihnen gegenüber Dritten an der ehelichen Wohnung zum Beispiel
als Eigentümer oder Mieter berechtigt sind (siehe zum Ganzen HAUSHEER,
Berner Kommentar, 1999, Art. 162 ZGB N. 8, 9, 11; BRÄM, Zürcher Kommentar,
1998, Art. 162 ZGB N. 8). Weder hatte die Beschwerdeführerin ihrem Gatten
das Verweilen in der ehelichen Wohnung zu erlauben, noch konnte sie es
ihm verbieten. Vorbehalten bleiben eine gegenteilige Übereinkunft sowie
das Recht eines jeden Ehegatten zur Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes
unter den in Art. 175 ZGB genannten Voraussetzungen, in welchem Falle
auf Begehren eines Ehegatten das Gericht unter anderem die Benützung der
Wohnung zu regeln hat (Art. 176 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB).

    Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, dass der eine
Ehegatte, der alleiniger Mieter beziehungsweise Eigentümer der ehelichen
Wohnung ist, den mit ihm in dieser Wohnung in ehelicher Gemeinschaft
zusammenlebenden Ehepartner im Sinne von Art. 2 Abs. 2 ANAG beherberge.

    cc) Da die Beschwerdeführerin somit ihren rechtswidrig in der Schweiz
weilenden Ehemann nicht gemäss Art. 2 Abs. 2 ANAG beherbergte, war sie
nicht verpflichtet, ihn bei der Ortspolizei zu melden.

    b) Im Übrigen erfüllt der Beherberger, der die Meldepflicht im Sinne
von Art. 2 Abs. 2 ANAG verletzt, dadurch nicht den Tatbestand von Art. 23
Abs. 1 al. 5 ANAG; denn die Meldepflicht begründet auch insoweit - genauso
wie nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz in Bezug auf den
Tatbestand der Begünstigung gemäss Art. 305 StGB - keine Garantenstellung.

    Der Tatbestand des Erleichterns des rechtswidrigen Verweilens
(Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG) kann auch durch Unterlassen erfüllt
werden. Voraussetzung ist in diesem Fall, entsprechend den allgemeinen
Regeln, eine Garantenpflicht des Unterlassenden. Diese kann sich aus
Gesetz, Vertrag oder aus Ingerenz ergeben. Nicht jede gesetzliche
Handlungspflicht begründet aber eine Garantenpflicht. Massgebend ist
vielmehr, "welcher Art die Beziehung zwischen dem Verpflichteten und dem
bedrohten Rechtsgut oder der Gefahrenquelle ist, die dem Gesetz zu Grunde
liegt" (STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht, Allg. Teil I, 2. Aufl., 1996,
§ 14 N. 12; BGE 120 IV 98 E. 2c S. 106; 123 IV 70 E. 2 S. 72).

    Der Beherberger muss den Ausländer, dem er (entgeltlich oder
unentgeltlich) Unterkunft gewährt, nicht bei der Fremdenpolizeibehörde,
sondern bei der Ortspolizei melden (Art. 2 Abs. 2 ANAG). Er muss -
unter Vorbehalt gewisser Ausnahmen (siehe dazu Art. 2 Abs. 1 ANAV) -
jeden Ausländer melden, mithin auch denjenigen, welcher zweifellos
zur Anwesenheit in der Schweiz berechtigt ist, etwa weil er eine
Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung besitzt oder nach dem
Gesetz keiner solchen bedarf. Während im Falle der entgeltlichen
Beherbergung der Ausländer sofort der Ortspolizei zu melden ist,
muss bei der unentgeltlichen Beherbergung die Meldung erst nach einer
Beherbergungsdauer von einem Monat erfolgen. Unter diesen Umständen kann
nicht gesagt werden, die Meldepflicht des Beherbergers gemäss Art. 2 Abs. 2
ANAG habe gerade den Zweck, rechtswidriges Verweilen von Ausländern in der
Schweiz zu verhindern. Der Beherberger hat nicht die besondere Aufgabe,
darüber zu wachen, ob die von ihm beherbergten Ausländer rechtmässig oder
rechtswidrig in der Schweiz weilen.

    In diesem Zusammenhang ist auch auf Art. 18 des Entwurfs eines neuen
Bundesgesetzes für Ausländerinnen und Ausländer hinzuweisen, dessen Abs. 1
bestimmt: "Wer Ausländerinnen oder Ausländer gewerbsmässig beherbergt,
muss sie der zuständigen Behörde melden". Im Begleitbericht vom Juni
2000 wird dazu ausgeführt, im Gegensatz zum heutigen Recht sollen nur
noch gewerbsmässige Beherberger zur Meldung verpflichtet sein. Andere
Gastgeber seien von dieser Pflicht befreit, die in der Praxis bereits
heute kaum durchgesetzt werde.

Erwägung 3

    3.- Der Tatbestand des Erleichterns des rechtswidrigen Verweilens
im Sinne von Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG kann allerdings nicht nur
durch Beherbergen, sondern auch auf andere Weise erfüllt werden. Es
ist anzunehmen, dass Y. durch das eheliche Zusammenleben mit der
Beschwerdeführerin in einem gemeinsamen Haushalt die Anwesenheit in der
Schweiz einfacher gemacht worden ist. In Anbetracht der gesetzlichen
Pflichten und Rechte der Ehegatten (siehe insbesondere Art. 159 ZGB)
ist eine Erleichterung des rechtswidrigen Verweilens, die sich aus dem
Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt für den illegal in der Schweiz
weilenden Ehepartner zwangsläufig ergibt, jedenfalls gemäss Art. 32 StGB
nicht rechtswidrig.