Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 68



127 III 68

11. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 16. Januar 2001
i.S. X. gegen Z. (Berufung) Regeste

    Art. 159 und 285 ZGB; Kinderunterhaltspflicht und Beistandspflicht
bei einem ausserehelichen Kind.

    Für die Bestimmung der Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen
Elternteils massgebende Kriterien (E. 2).

    Zur Pflicht des Ehegatten, den anderen beim Unterhalt gegenüber einem
ausserehelichen Kind zu unterstützen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- X. und Y., beide türkische Staatsangehörige, sind verheiratet
und Eltern zweier Kinder, geboren am 14. Januar 1991 und am 2. Dezember
1995. Die Familie bezieht Leistungen der Fürsorgebehörde B.

    B.- Am 18. Februar 1998 wurde Z. geboren. Auf ihre Klage stellte
das Bezirksgericht Liestal die Vaterschaft von X. fest (Ziffer 1) und
verpflichtete diesen zu monatlichen, nach dem Alter des Kindes abgestuften
Unterhaltsbeiträgen von Fr. 400.-, von Fr. 450.- und von Fr. 500.-,
jeweils zuzüglich Kinderzulagen (Ziffer 2). Es wies die Arbeitgeberin
von X. an, von dessen Einkommen Fr. 400.- pro Monat zuzüglich künftige
und nachbezahlte Kinderzulagen abzuziehen und der für die Klägerin
zuständigen Fürsorgebehörde F. zu überweisen, und verpflichtete X.,
Kinderzulagen für sein aussereheliches Kind geltend zu machen (Ziffer
3). Die Unterhaltsbeiträge wurden indexiert (Ziffer 4 des Urteils vom
19. August 1999). Gegen das bezirksgerichtliche Urteil erhoben beide
Parteien beim Obergericht des Kantons Basel-Landschaft Appellation,
die Z. an der Hauptverhandlung wieder zurückzog. Das Obergericht hiess
die Appellation von X. teilweise gut und setzte die Unterhaltsbeiträge
fest auf Fr. 195.- von der Geburt bis zum vollendeten 6. Altersjahr, auf
Fr. 275.- vom 7. bis zum vollendeten 12. Altersjahr, auf Fr. 375.- vom
13. bis zum vollendeten 16. Altersjahr und auf Fr. 470.- vom 16. bis zum
vollendeten 18. Altersjahr, jeweils zuzüglich Kinderzulagen, verbunden mit
den daran angepassten bezirksgerichtlichen Weisungen und Verpflichtungen
(Ziffern 2 und 3 des Urteils vom 15. August 2000).

    C.- Mit eidgenössischer Berufung beantragt X. dem Bundesgericht, die
Klage betreffend Kindesunterhalt abzuweisen. Für das bundesgerichtliche
Verfahren ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Das
Obergericht hat keinen Antrag gestellt. Z. schliesst auf Abweisung
der Berufung; eventualiter seien die Unterhaltsbeiträge gemäss
bezirksgerichtlichem Urteil oder gemäss Bundesgerichtspraxis festzulegen.
Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, soweit darauf einzutreten ist,
hebt das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zur Ergänzung der
Akten und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 285 Abs. 1 ZGB soll der Unterhaltsbeitrag den
Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der
Eltern entsprechen und ausserdem Vermögen und Einkünfte des Kindes sowie
den Beitrag des nicht obhutsberechtigten Elternteils an der Betreuung des
Kindes berücksichtigen. Nachgewiesenermassen ist der Bedarf der Klägerin in
keiner Weise gedeckt und verfügt die Kindsmutter weder über Einkommen noch
über Vermögen. Nach den Feststellungen des Obergerichts steht dem Notbedarf
der Familie des Beklagten von Fr. 4'330.- das Nettoeinkommen des Beklagten
von Fr. 3'750.- gegenüber. Trotz dieser offensichtlichen Unterdeckung hat
das Obergericht der Klägerin Unterhaltsbeiträge zugesprochen und den damit
verbundenen Eingriff in das Existenzminimum des Beklagten für zulässig
gehalten, weil nur auf diese Weise eine Gleichbehandlung der Klägerin mit
den beiden ehelichen Kindern des Beklagten zu verwirklichen sei. Dass von
der Kindsmutter an Unterhalt der Klägerin nichts zu erwarten ist, stellen
die Parteien nicht in Frage. Beide wenden sich gegen die obergerichtliche
Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Beklagten.

    a) Das Obergericht hat festgestellt, der Beklagte weise ein monatliches
Nettoeinkommen von Fr. 3'750.- exkl. Kinderzulagen aus (...).

    b) Das Existenzminimum des Beklagten beläuft sich nach den
Feststellungen des Obergerichts auf Fr. 4'330.-. Es ist unzulässig, dass
der Beklagte in seiner Berufungsschrift stillschweigend das um Fr. 60.-
höhere Existenzminimum der Fürsorgebehörde seinen Überlegungen zugrunde
legt, ohne ausnahmsweise zulässige Sachverhaltsrügen zu erheben (Art. 63
Abs. 2 und Art. 64 OG; zuletzt: BGE 126 III 59 E. 2a S. 65).

    Vom Existenzminimum des Beklagten ist hingegen der auf Fr.  350.-
geschätzte Steueranteil pro Monat abzuziehen; die Steuerlast hat bei
engen finanziellen Möglichkeiten unberücksichtigt zu bleiben (BGE 126
III 353 E. 1a/aa S. 356). Sodann sind die eingesetzten Grundbeträge für
die beiden ehelichen Kinder von Fr. 470.- auszuklammern, wie der Beklagte
selber einräumt. Beträge in dieser Höhe dürfen für die ehelichen Kinder nur
eingesetzt werden, wenn feststeht, dass dem beklagtischen Haushalt nicht
mehr als das Existenzminimum zusteht, und wenn sie der Höhe nach nicht
unbegründet vom Betrag für die Klägerin als ausserehelichem Kind abweichen
(BGE 126 III 353 E. 2b/bb S. 360). Denn bei angespannten finanziellen
Verhältnissen vereitelte eine derartige Festsetzung des Existenzminimums
von vornherein den Grundsatz, dass alle unterhaltsberechtigten Kinder
vom Pflichtigen im Verhältnis zu ihren objektiven Bedürfnissen finanziell
gleich zu behandeln sind (BGE 126 III 353 E. 2b S. 358).

    Das Existenzminimum des Beklagten von Fr. 4'330.- reduziert sich
damit - ohne Steuerlast und ohne den für die ehelichen Kinder eingesetzten
Grundbetrag - auf Fr. 3'510.- pro Monat.

    c) Das Obergericht hat angenommen, der Grundsatz der Gleichbehandlung
aller Kinder lasse sich nur verwirklichen, wenn in das Existenzminimum
des Beklagten eingegriffen werde, und hat der Klägerin unbesehen der
tatsächlichen Möglichkeiten des Beklagten gleich hohe Grundbeträge
wie den beiden ehelichen Kindern zuerkannt. Der Beklagte bestreitet
die Zulässigkeit der Vorgehensweise. Ein solcher Eingriff in das
Existenzminimum des Beklagten findet selbst dann noch statt, wenn bei einem
monatlichen Einkommen von Fr. 3'750.- von einem betreibungsrechtlichen
Notbedarf von Fr. 3'510.- ausgegangen wird.

    Zu schützen ist in Fällen knapper finanzieller Mittel zumindest
das betreibungsrechtliche Existenzminimum des Rentenschuldners (BGE
126 III 353 E. 1a/aa und bb S. 356). Das Bundesgericht lässt in seinem
Grundsatzentscheid zur finanziellen Leistungskraft des Unterhaltsschuldners
im Familienrecht Ausnahmen von der Regel zu, dass das betreibungsrechtliche
Existenzminimum unangetastet bleiben muss (BGE 123 III 1 E. 3e S. 7);
auch bei der Bemessung des Betrags für die Kinder nach Art. 285
Abs. 1 ZGB kann sich der Richter aber in der Regel nicht über die
Schranke der Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Elternteils
hinwegsetzen (E. 5 S. 9). Die unterhaltsrechtliche Gleichbehandlung
aller Kinder - nach Massgabe der Gleichheit ihrer objektiven Bedürfnisse
- kann nicht als selbstständige Ausnahme von der Unantastbarkeit des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums anerkannt werden, höhlte sie die
Regel doch aus. Wäre der Auffassung des Obergerichts zu folgen, würde in
angespannten finanziellen Verhältnissen lebenden Unterhaltspflichtigen
mit mehr als einem unterhaltsberechtigten Kind das betreibungsrechtliche
Existenzminimum gar nie verbleiben. Dem Gleichbehandlungsgrundsatz wird
vielmehr dadurch Rechnung getragen, dass die Grundbeträge für die in der
Familie lebenden Kinder bei angespannten finanziellen Verhältnissen vom
Existenzminimum des Unterhaltsschuldners vorerst ausgeklammert werden, um
den Umfang seiner wirklichen Leistungsfähigkeit festzustellen. Im Übrigen
hat das Bundesgericht die Unantastbarkeit des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums in einem mit dem vorliegenden übereinstimmenden Fall erst
kürzlich bestätigt (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom
5. September 2000 i.S. A. gegen L., E. 3a, 5C.127/2000). Die gegenteilige
- und offenbar ständige (vgl. bereits Urteil vom 22. September 1992, in:
ZVW 1993 S. 120 E. 9 und 10 S. 127 ff.) - Praxis des Obergerichts ist im
gezeigten Sinne bundesrechtswidrig.

    Unter die drei Kinder zu verteilen bleibt somit der Betrag von
Fr. 240.- (Einkommen von Fr. 3'750.-, abzüglich Existenzminimum von
Fr. 3'510.-).

Erwägung 3

    3.- Selbst wenn angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse
davon ausgegangen werden muss, dass nicht viel mehr als die
betreibungsrechtlichen Grundbeträge als den Bedürfnissen der drei Kinder
des Beklagten entsprechend anzusehen sind, reicht dessen Leistungsfähigkeit
nicht aus, um diese mit dem Alter der Kinder steigenden Beträge zu
decken. Es bleibt deshalb zu prüfen, ob und in welchem Umfang auf die
Beistandspflicht der Ehefrau des Beklagten zurückgegriffen und ihr eine
Erhöhung ihres Beitrags an die eigene Familie zugemutet werden kann,
um ihrem Ehemann die Bezahlung der Unterhaltsbeiträge an die Klägerin
als seinem ausserehelichen Kind zu ermöglichen.

    Aus der allgemeinen Beistandspflicht unter den Ehegatten gemäss
Art. 159 Abs. 3 ZGB - und nicht aus ihrer Konkretisierung in Art. 278
Abs. 2 ZGB für voreheliche Kinder - folgt, dass die Ehegatten einander bei
der Erziehung selbst von ausserehelichen Kindern im Grundsatz finanziell
aushelfen müssen, wenn auch in erster Linie die Eltern des ausserehelichen
Kindes und nicht deren Ehegatten für den Unterhalt verantwortlich sind. Wo
die Mittel des einen Ehegatten nicht ausreichen, um neben dem bisherigen
Beitrag an den ehelichen Unterhalt seinen Anteil an den Unterhalt des
ausserehelichen Kindes zu leisten, ist eine verhältnismässige Veränderung
der Anteile an den ehelichen Unterhalt zu Lasten des andern Ehegatten
unausweichlich; insoweit besteht für den Stiefelternteil eine indirekte
Beistandspflicht, die in Ausnahmefällen auch zur Folge haben kann, dass
der Ehegatte des Unterhaltspflichtigen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder
eine bestehende Erwerbstätigkeit ausdehnen muss (HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
Berner Kommentar, N. 42 und BRÄM/HASENBÖHLER, Zürcher Kommentar, N. 143
f., je zu Art. 159 ZGB; vgl. auch BREITSCHMID, Basler Kommentar, N. 5
zu Art. 278 ZGB; kritisch, zumindest im Ergebnis aber übereinstimmend:
HEGNAUER, Berner Kommentar, N. 59 f. und N. 66 zu Art. 278 ZGB). Das
Bundesgericht hat sich dieser Rechtsauffassung im Grundsatz angeschlossen,
und zwar unabhängig davon, ob das aussereheliche Kind in der Familie
des Erzeugers lebt oder nicht (BGE 126 III 353, nicht veröffentlichte
E. 4b; Urteil des Bundesgerichts vom 12. November 1998, E. 3c, in:
Rep 1999 S. 60; nicht veröffentlichtes Urteil vom 9. August 1995 i.S.
W. gegen J., E. 4b, 5C.127/1995).

    Wenn das Obergericht schon heute bis zum Erreichen der Volljährigkeit
der Klägerin nach dem Alter gestaffelte Unterhaltsbeiträge festsetzen
will (Art. 286 Abs. 1 ZGB), darf es nicht einfach in das Existenzminimum
des Beklagten eingreifen, sondern hat von Amtes wegen zu klären, ob im
dargelegten Rahmen auf die Beistandspflicht der Ehefrau des Beklagten
zurückgegriffen werden kann. Das Obergericht hat diese Frage deshalb
offen gelassen, weil die Ehefrau des Beklagten nachgewiesenermassen kein
Erwerbseinkommen erziele und nach wie vor arbeitsunfähig sei. Demgegenüber
konnte vor Bezirksgericht noch ein monatliches Einkommen von Fr.
1'920.- berücksichtigt werden. Das Obergericht verletzt unter diesen
Umständen seine Sachverhaltsabklärungspflicht, wenn es einzig auf Grund
eines Arztzeugnisses, mit welchem die Ehefrau des Beklagten ohne nähere
Erläuterung bis auf weiteres krank geschrieben ist, die Frage nach deren
Beistandspflicht umgeht. Der Beklagte schuldet der Klägerin jedenfalls
noch bis 2016 Unterhalt (Art. 277 Abs. 1 ZGB), was eingehende Abklärungen
über die Zumutbarkeit von Anstrengungen der Ehefrau des Beklagten
zu Gunsten ihrer Familie notwendig macht. Dazu fehlen entsprechende
Tatsachenfeststellungen, namentlich betreffend den Gesundheitszustand der
Ehefrau des Beklagten auf längere Sicht, ihre Erwerbsmöglichkeiten oder ihr
Ersatzeinkommen aus einem offenbar hängigen IV-Abklärungsverfahren, ihren
Ausbildungsstand, usw. Die Sache ist deshalb zur Sachverhaltsergänzung
und zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen (Art. 64
Abs. 1 OG; BGE 122 III 404 E. 3d S. 408).