Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 332



127 III 332

55. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Mai 2001
i.S. Erbengemeinschaft J.M. gegen K. AG (Berufung) Regeste

    Befugnis des Verwaltungsrates zur Genehmigung eines Insichgeschäfts
(Art. 718 Abs. 1 OR).

    Jeder einzelne Verwaltungsrat ist nach Massgabe seiner
Zeichnungsberechtigung befugt, ein Rechtsgeschäft zu genehmigen, das
ein anderer Verwaltungsrat mit sich selbst (Selbstkontrahieren) oder als
Vertreter der AG und der Gegenpartei (Doppelvertretung) abgeschlossen hat
(E. 2).

Sachverhalt

    Die K. AG hatte von J.M. und der J.M. & Co. - bzw. deren
Rechtsnachfolgerin, der A. AG - zwei Grundstücke gemietet, nämlich das
Grundstück X. in Weiningen und das Grundstück Y. in Unterengstringen. Die
Mieterin lagerte auf dem Areal verzinkte Nutzeisen. Das Mietverhältnis
zwischen den Parteien endete am 31. März 1995.

    In der Folge sollen Bodenproben auf dem Mietareal zu hohe
Zinkkonzentrationen ergeben haben. Die Erbengemeinschaft J.M. - als
Rechtsnachfolgerin des zwischenzeitlich verstorbenen J.M. - gelangte
daher ans Handelsgericht des Kantons Zürich und verlangte, dass die K. AG
zu verpflichten sei, ihr Schadenersatz von Fr. 500'000.- zu bezahlen
sowie die Kosten für zwei Gutachten und das Beweissicherungsverfahren zu
ersetzen. Mit Urteil vom 10. November 1998 wies das Handelsgericht die
Klage mangels Aktivlegitimation der Erbengemeinschaft J.M. ab.

    Das Bundesgericht heisst die dagegen erhobene Berufung gut, hebt das
angefochten Urteil auf und weist die Sache zur materiellen Beurteilung
an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Handelsgericht hat festgehalten, dass die A.  AG am 11. Februar
1997 ihre Forderung gegen die Beklagte an die klägerische Erbengemeinschaft
abgetreten habe. Seitens der A. AG sei die Abtretungserklärung von
A.M. in seiner Eigenschaft als einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat
unterschrieben worden. Da A.M. auch zur klägerischen Erbengemeinschaft
gehöre und diese auch vertrete, sei von einer Doppelvertretung
bzw. einem Selbstkontrahieren auszugehen. Im vorliegenden Fall sei dieses
Insichgeschäft unzulässig, weil es der klägerischen Erbengemeinschaft
nicht gelungen sei, eine besondere Ermächtigung zur Doppelvertretung
bzw. eine nachträgliche Genehmigung durch die A. AG beizubringen.
Mangels Aktivlegitimation sei die Klage daher abzuweisen. Dies gelte
nicht nur insoweit, als die klägerische Erbengemeinschaft die Ansprüche
der A. AG einfordere; vielmehr sei die Klage auch in Bezug auf ihre
eigenen Ansprüche abzuweisen, da die seinerzeitigen Vermieter der beiden
Grundstücke X. in Weiningen und Y. in Unterengstringen - J.M. und die A.
AG bzw. deren Rechtsvorgängerin - eine einfache Gesellschaft gebildet
hätten, weshalb die beiden Vermieter ihre Ansprüche nur als notwendige
Streitgenossen geltend machen könnten.

Erwägung 2

    2.- In der Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass
die umstrittene Abtretung der A. AG an die klägerische Erbengemeinschaft
gültig sei. Einerseits sei A.M. als geschäftsführendes Mitglied des
Verwaltungsrates berechtigt gewesen, die Ansprüche der A. AG an die
klägerische Erbengemeinschaft abzutreten; andrerseits liege keine verpönte
Doppelvertretung vor, da eine Übervorteilung der A. AG ausgeschlossen
werden könne.

    a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist das
Selbstkontrahieren grundsätzlich unzulässig, weil das Kontrahieren
eines Vertreters mit sich selbst regelmässig zu Interessenkollisionen
führt. Selbstkontrahieren hat deshalb die Ungültigkeit des betreffenden
Rechtsgeschäftes zur Folge, es sei denn, die Gefahr einer Benachteiligung
des Vertretenen sei nach der Natur des Geschäftes ausgeschlossen oder
der Vertretene habe den Vertreter zum Vertragsschluss mit sich selbst
besonders ermächtigt oder das Geschäft nachträglich genehmigt. Dieselben
Regeln gelten auch für die Doppelvertretung zweier Vertragsparteien durch
ein und denselben Vertreter sowie die gesetzliche Vertretung juristischer
Personen durch deren Organe. Auch in diesen Fällen bedarf es einer
besonderen Ermächtigung oder einer nachträglichen Genehmigung durch ein
über- oder nebengeordnetes Organ, wenn die Gefahr einer Benachteiligung
besteht (BGE 126 III 361 E. 3a S. 363 mit weiteren Hinweisen).

    b) Im vorliegenden Fall hat der Verwaltungsratspräsident der A. AG mit
Schreiben vom 2. Februar 1998 erklärt, dass der einzelzeichnungsberechtigte
Verwaltungsrat A.M. zur Abtretung der Forderung der A. AG gegen die K. AG
an die Erbengemeinschaft J.M. ermächtigt gewesen sei (Abtretungsvertrag
vom 11. Februar 1997). Das Handelsgericht hält diese nachträgliche
Genehmigung für ungenügend, weil sie nicht vom (Gesamt-)Verwaltungsrat,
sondern nur vom Verwaltungsratspräsidenten ausgesprochen worden sei. Im
Folgenden ist daher zu prüfen, welches Organ für eine nachträgliche
Genehmigung zuständig ist. Nach der Rechtsprechung ist wie erwähnt eine
Genehmigung durch ein "über- oder nebengeordnetes Organ" erforderlich.
Welches Gesellschaftsorgan im konkreten Fall als "über- oder nebengeordnet"
zu gelten hat, wurde in der Rechtsprechung bislang allerdings noch nicht
konkretisiert.

    aa) Nach dem neuen Aktienrecht ist vermutungsweise von
der Einzelzeichnungsberechtigung der Verwaltungsräte auszugehen
(Art. 718 Abs. 1 Satz 2 OR [in Kraft seit 1.7.92]). Dies bedeutet,
dass jedes einzelne Mitglied des Verwaltungsrates nach Massgabe
seiner Zeichnungsberechtigung auch ein Insichgeschäft eines anderen
Verwaltungsrates nachträglich genehmigen kann (DIETER ZOBL, Probleme der
organschaftlichen Vertretungsmacht, in: ZBJV 125/1989 S. 309 f.). Dies hat
schon deshalb zu gelten, weil es einem Verwaltungsrat selbstredend möglich
sein muss, ein von einem anderen Verwaltungsratsmitglied abgeschlossenes
Geschäft, das er selbst ohne weiteres abschliessen könnte, nachträglich
auch zu genehmigen (ROLF WATTER, Basler Kommentar, N. 21 zu Art. 718
OR). Die in der älteren Literatur vertretene Meinung, dass nur der
Gesamtverwaltungsrat bzw. die Verwaltung als solche zuständig sei (FRITZ
VON STEIGER, Das Recht der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., Zürich 1970, S.
243; ROLF WATTER, Die Verpflichtung der AG durch rechtsgeschäftliches
Handeln ihrer Stellvertreter, Prokuristen und Organe etc., Diss. Zürich
1985, S. 170/171, Rz. 214/215), ist darauf zurückzuführen, dass gemäss
altem Aktienrecht im Sinn einer dispositiven Regelung vorgesehen war,
dass die Vertretung einer Aktiengesellschaft allen Mitgliedern des
Verwaltungsrates gemeinsam zustand (Art. 717 Abs. 3 aOR [in Kraft bis
30.6.92]). Da im Unterschied dazu im neuen Aktienrecht wie gesagt das
Prinzip der Einzelzeichnungsberechtigung vorgesehen ist, kann grundsätzlich
jeder einzelne Verwaltungsrat in seiner Eigenschaft als nebengeordnetes
Organ ein Insichgeschäft eines anderen Mitglieds des Verwaltungsrates
genehmigen. Wenn hingegen der Verwaltungsrat, der das Insichgeschäft
abgeschlossen hat, das einzige Verwaltungsratsmitglied ist, steht kein
nebengeordnetes Organ zur Genehmigung zur Verfügung. In diesem Fall ist
davon auszugehen, dass als übergeordnetes Organ die Generalversammlung
für die Genehmigung des Insichgeschäfts zuständig ist (ZOBL, aaO, S.
310/311; ähnlich F. VON STEIGER, aaO, S. 243; WATTER, Basler Kommentar,
N. 21 zu Art. 718 OR).

    bb) Unter diesen Umständen ist die nachträgliche Genehmigung der
umstrittenen Abtretung durch den Verwaltungsratspräsidenten entgegen
der Auffassung des Handelsgerichtes nicht zu beanstanden. Da
jedes einzelne Mitglied des Verwaltungsrates vermutungsweise
vertretungsbefugt ist (Art. 718 Abs. 1 OR) und im vorliegenden Fall die
Einzelzeichnungsberechtigung des Verwaltungsratspräsidenten der A. AG
nie bestritten worden ist, konnte dieser die Abtretung der Ansprüche der
A. AG an die klägerische Erbengemeinschaft ohne weiteres alleine - ohne die
Mitwirkung der übrigen Verwaltungsratsmitglieder - genehmigen. Daran ändert
auch der Hinweis des Handelsgerichts nichts, dass die Geschäftsführung
vorbehältlich einer anderen Regel vom gesamten Verwaltungsrat wahrgenommen
werde (Art. 716 Abs. 2 OR). Das Handelsgericht scheint zu übersehen, dass
die hier zu beurteilende Genehmigung eines Rechtsgeschäftes mit Dritten,
das von einem nicht vertretungsbefugten Gesellschaftsorgan abgeschlossen
worden ist, ein Akt der Vertretung und nicht eine Geschäftsführungshandlung
darstellt. Die Geschäftsführung betrifft nur die interne Leitung der
Gesellschaft, während die Vertretung das rechtsgeschäftliche Handeln der
Gesellschaft gegen aussen zum Gegenstand hat (FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL,
Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 30, Rz. 78).

    cc) Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass mit dem Schreiben
des Verwaltungsratspräsidenten der A. AG vom 2. Februar 1998 das
umstrittene Insichgeschäft, mit welchem die Ansprüche an die klägerische
Erbengemeinschaft abgetreten wurden, nachträglich von einem zuständigen
Organ genehmigt worden ist. Die betreffende Abtretung ist daher nicht
zu beanstanden.

    c) Wenn aber davon auszugehen ist, dass mit dem Schreiben vom
2. Februar 1998 eine nachträgliche Genehmigung vorliegt, kann dahingestellt
bleiben, ob A.M. vorweg besonders ermächtigt war, den hier zu beurteilenden
Abtretungsvertrag abzuschliessen. Immerhin kann dazu festgehalten werden,
dass nach der Rechtsprechung eine solche besondere Ermächtigung zur
Vornahme von Insichgeschäften anzunehmen ist, wenn bei wirtschaftlich eng
verbundenen Gesellschaften Verträge vom gleichen Vertreter abgeschlossen
werden, da solche Geschäfte in der Regel vom Zweck gemäss Art. 718a
Abs. 1 OR gedeckt sind (Urteil des Bundesgerichtes vom 7. Februar 1978,
publ. in: ZR 77/1978, Nr. 44, insbes. S. 128). Diese Rechtsprechung
kann ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Da die
A. AG aus der J.M. & Co. hervorgegangen ist, deutet Vieles darauf hin,
dass die A. AG seinerzeit ausschliesslich oder grossmehrheitlich von
J.M. und allenfalls weiteren Familienangehörigen beherrscht wurde, die
nunmehr die klägerische Erbengemeinschaft bilden. Angesichts der hohen
Wahrscheinlichkeit, dass eine enge Verbundenheit zwischen der A. AG und
der klägerischen Erbengemeinschaft gegeben ist, hätte das Handelsgericht
die umstrittene Abtretung daher nicht ohne weiteres als ein unzulässiges
Insichgeschäft qualifizieren dürfen.