Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 V 437



125 V 437

72. Auszug aus dem Urteil vom 20. Dezember 1999 i.S. F. gegen Öffentliche
Krankenkasse Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Regeste

    Art. 25 Abs. 2 lit. a, Art. 35 Abs. 2, Art. 41 Abs. 4 KVG: Mit dem
Abschluss einer HMO-Versicherung schränkt die versicherte Person auch
ihre Wahlfreiheit in Bezug auf Chiropraktorinnen und Chiropraktoren ein.

Sachverhalt

    A.- F. ist Mitglied bei der Öffentlichen Krankenkasse Luzern
(ÖKK; nachfolgend Krankenkasse), bei welcher sie eine HMO-Versicherung
abgeschlossen hat. Vom 2. April bis 14. Mai 1996 war sie bei Dr. med. S.,
Chiropraktor, in Behandlung. Mit Verfügung vom 9. August 1996 lehnte die
Krankenkasse die Bezahlung der Behandlungskosten in Höhe von Fr. 314.60
ab, da die Behandlung nicht von den HMO-Ärzten veranlasst wurde, noch eine
entsprechende Überweisung vorliege. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid
vom 25. September 1996 fest.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern mit Entscheid vom 18. November 1997 ab.

    C.- F. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in
Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Beschwerdegegnerin zu
verpflichten, die vollen Chiropraktor-Behandlungskosten in Höhe von Fr.
314.60 zu ersetzen.

    Krankenkasse und Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. (...).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Art. 41 Abs. 1 KVG enthält das Recht der Versicherten
auf freie Wahl des Leistungserbringers. Dieses Wahlrecht können die
Versicherten laut Art. 41 Abs. 4 KVG im Einvernehmen mit dem Versicherer
auf Leistungserbringer beschränken, die der Versicherer im Hinblick auf
eine kostengünstigere Versorgung auswählt (Art. 62 Abs. 1 und 3 KVG). In
einem solchen Fall muss der Versicherer lediglich die Kosten für Leistungen
übernehmen, die von diesen Leistungserbringern ausgeführt oder veranlasst
werden (Art. 41 Abs. 4 Satz 2 KVG). Mit Art. 41 Abs. 4 KVG besteht damit
eine gesetzliche Grundlage, auf freiwilliger Basis Gesundheitskassen
(Health Maintenance Organisations; HMO) einzuführen.

    Umstritten ist zwischen den Parteien, ob eine Einschränkung des
Wahlrechts lediglich innerhalb der Gruppe des gleichen Leistungserbringers
gilt oder sich auf alle Leistungserbringer erstreckt. In der
bundesrätlichen Botschaft wird zur Möglichkeit der freiwilligen
Einschränkung des Wahlrechtes ausgeführt, der Gesetzgeber verzichte darauf,
dass sich im Normalfall jeder Versicherte, der Versicherungsleistungen
beanspruchen wolle, zunächst an den für ihn zuständigen Allgemeinpraktiker
zu wenden habe. Dieser würde ihn, soweit möglich, selber betreuen und
bei Bedarf einem Spezialisten, einer geeigneten Institution oder einem
paramedizinischen Berufsspezialisten zuweisen. Dies sei im Grunde nichts
anderes als das System des früheren Haus- oder Familienarztes. Ein solches
System des zuweisenden Allgemeinpraktikers, wie es andere Länder kennen,
müsse nicht unbedingt zwingend im Gesetz vorgeschrieben werden. Die
Praxis könne es vielmehr dort, wo es gewünscht und frei gewählt werde,
von sich aus schaffen, insbesondere auch im System der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung. Es sei hier insbesondere an die möglichen
alternativen Versicherungsformen, wie z.B. die Gesundheitskassen, die
sog. Health Maintenance Organisations (HMO) zu erinnern, die gerade auch
unter diesem Gesichtspunkt von den Versicherten, den Versicherern und den
Leistungserbringern als echte Alternative gewählt und zu nutzbringender
Wirkung gebracht werden könnten (Botschaft des Bundesrates über die
Revision der Krankenversicherung vom 6. November 1991, BBl 1992 I 164). Des
Weitern wird in der Botschaft (aaO, S. 128) Folgendes ausgeführt:
      "Die Gesundheitskasse übernimmt eine längerfristige Verantwortung
      für die

    Versicherten. Das Angebot umfasst deshalb in der Regel nicht nur die

    Behandlung im Krankheitsfall, sondern auch Präventions- und

    Gesundheitsförderungsmassnahmen, z.B. die Beratung durch eine

    Gesundheitsschwester. Der Versicherte muss Gesundheitsleistungen
- soweit

    vorhanden - bei den für die Gesundheitskasse tätigen
Leistungserbringern

    nachfragen. Für Behandlungen, die die Gesundheitskasse nicht selbst

    durchführen kann, wird der Versicherte an externe Leistungserbringer

    verwiesen. Der Einschränkung der freien Wahl des Leistungserbringers
steht

    eine reduzierte Prämie und die Möglichkeit des Wegfalls der
obligatorischen

    Kostenbeteiligung gegenüber (...). Die Gesundheitskasse kann

    kostengünstiger arbeiten, weil sie einerseits Wert auf die Erhaltung
der

    Gesundheit legt und anderseits Einfluss auf den gesamten
Behandlungsprozess

    - besonders auch die Überweisung an Spezialisten oder ein Spital
- nehmen

    kann. Schliesslich können auch im Rahmen der ansonst grundsätzlich

    unveränderten Pflegeversicherung denjenigen Versicherten

    Prämienermässigungen gewährt werden, die eine höhere Kostenbeteiligung

    wählen (z.B. die wählbare Jahresfranchise) oder während einer
bestimmten

    Zeit keine Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen (System mit

    Prämienbonus ...)."

    Sinn und Zweck solcher Gesundheitskassen liegt somit darin,
dass die einer HMO angeschlossenen Versicherten sich bereit
erklären, alle Behandlungen und Untersuchungen durch das bezeichnete
HMO-Gesundheitszentrum durchführen oder sich von einem solchen an
Dritte überweisen zu lassen. Ausgenommen sind Notfälle, bei welchen
die Inanspruchnahme der HMO nicht möglich oder angemessen ist (EUGSTER,
Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR],
Rz. 355; SCHNEIDER/RAETZO, Primes et qualité des soins: les organisations
de maintien de la santé [ODMS] et la LAMal, in: SZS 1999 S. 284). Diesem
Konzept würde es widersprechen, wenn sich die Überweisung an andere
Leistungserbringer durch einen HMO-Arzt auf die gleiche Kategorie
von Leistungserbringern beschränken würde. Vielmehr ist mit dem
HMO-System verbunden, dass der Versicherte, bevor er sich durch andere
Leistungserbringer behandeln lässt, das HMO-Gesundheitszentrum aufsucht.
Entgegen der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung
gilt diese Pflicht zur Inanspruchnahme der HMO integral und erstreckt
sich auf alle Leistungserbringer. Die gegenteilige Ansicht hätte zur
Folge, dass das HMO-Modell lediglich bei den Ärzten, nicht hingegen bei
den andern Leistungserbringern, wie beispielsweise bei den Spitälern
(Art. 35 Abs. 2 lit. h KVG) zur Anwendung gelangen würde. Dies ist gerade
nicht der Sinn der mit Art. 41 Abs. 4 KVG verfolgten gesetzgeberischen
Absicht. Danach muss der Versicherte Gesundheitsleistungen bei den
für die Gesundheitskasse tätigen Leistungserbringern nachfragen. Für
Behandlungen, welche die Gesundheitskasse nicht selbst durchführen
kann, wird der Versicherte an externe Leistungserbringer verwiesen. Die
Gesundheitskasse soll Einfluss auf den gesamten Behandlungsprozess nehmen
können, insbesondere auch auf die Überweisung an Spezialisten oder in ein
Spital (Bundesrätliche Botschaft, aaO, S. 128). Es macht durchaus Sinn,
dass die HMO-Ärzte auch im Falle einer Behandlung bei einem Chiropraktor
oder einer Chiropraktorin vorgängig zu konsultieren sind.

    b) An diesem Ergebnis vermögen die Vorbringen der Beschwerdeführerin
nichts zu ändern. Insbesondere zeitigt der ins KVG überführte
Dualismus "Arzt" und "Chiropraktor" nicht ein anderes Ergebnis. Dass
Chiropraktorinnen und Chiropraktoren mit den Ärztinnen und Ärzten
sowohl bei den Leistungen (Art. 25 Abs. 2 lit. a KVG) als auch als
Leistungserbringer (Art. 35 Abs. 2 KVG) grundsätzlich gleichgestellt
sind, ändert nichts daran, dass die Versicherten mit dem Beitritt
zur HMO-Versicherung aus freien Stücken die in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung bestehende Wahlfreiheit unter den zugelassenen
Leistungserbringern eingeschränkt und sich verpflichtet haben, sich
zuerst an die HMO-Ärztin oder den HMO-Arzt zu wenden. Damit wird weder der
Katalog der Pflichtleistungen nach Art. 25 Abs. 2 KVG verkleinert (vgl.
auch Art. 41 Abs. 4 letzter Satz KVG) noch eine Behandlung durch eine
Chiropraktorin oder einen Chiropraktor ausgeschlossen. Die HMO-Versicherung
führt ihrem Sinn und Zweck entsprechend dazu, dass sich die Versicherten
für die chiropraktorische Behandlung an die vom Versicherer ausgewählten
Chiropraktorinnen oder Chiropraktoren zu wenden haben und, falls keine
bezeichnet worden sind, dass die Überweisung durch eine HMO-Ärztin
oder einen HMO-Arzt zu erfolgen hat, auch wenn im letzteren Fall ein
unter Umständen Kosten verursachender Umweg erforderlich ist. Weder die
Entstehungsgeschichte, der Wortlaut oder der Zweck von Art. 41 Abs. 4 KVG
noch die Gesetzessystematik lassen die Auffassung der Beschwerdeführerin
als nahe liegend erscheinen. Sodann kann die Beschwerdeführerin
daraus nichts zu ihren Gunsten ableiten, dass andere Versicherer eine
unterschiedliche Lösung getroffen haben oder dass die Beschwerdegegnerin
in ihrem Reglement nicht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass eine
Chiropraktorin oder ein Chiropraktor nicht direkt aufgesucht werden darf.