Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 V 249



125 V 249

38. Auszug aus dem Urteil vom 12. August 1999 i.S. Ausgleichskasse Schwyz
gegen Bezirksgericht Schwyz und Kantonsgericht des Kantons Schwyz Regeste

    Art. 93 AHVG: Kostenlosigkeit einer Rechtskraftbescheinigung. Eine
Rechtskraftbescheinigung ist für den Bezug der Beiträge erforderlich,
weshalb die Gerichte verpflichtet sind, den Ausgleichskassen die Auskunft
über den Eintritt der Rechtskraft des eine Beitragsforderung betreffenden
Rechtsöffnungsentscheides kostenlos zu erteilen und zu bescheinigen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 93 AHVG geben die Verwaltungs- und
Rechtspflegebehörden des Bundes, der Kantone, Bezirke, Kreise und
Gemeinden sowie die Träger der anderen Sozialversicherungszweige den
zuständigen Organen der Alters- und Hinterlassenenversicherung auf Anfrage
kostenlos die Auskünfte und Unterlagen, die zur Festsetzung, Änderung oder
Rückforderung von Leistungen der Alters- und Hinterlassenenversicherung,
zur Verhinderung ungerechtfertigter Bezüge, für die Festsetzung und
den Bezug der Beiträge oder für den Rückgriff auf haftpflichtige Dritte
notwendig sind. Auf die genannte Bestimmung verweisen Art. 81 IVG und
Art. 29 EOG, während Art. 13 ELG, Art. 82 Abs. 1 KVG, Art. 92 MVG und
Art. 101 UVG vergleichbare Bestimmungen zur Amts- und Verwaltungshilfe
enthalten.

    b) (Auslegung des Gesetzes, vgl. BGE 124 V 189 Erw. 3a mit Hinweisen).

    c) Nach dem klaren Wortlaut des Art. 93 AHVG sind die Auskünfte und
Unterlagen, die u.a. für den Bezug der Beiträge notwendig sind, kostenlos
zu geben.

    Die Vorinstanz leitet aus den in ZAK 1957 S. 137 ff. exemplarisch
aufgelisteten möglichen Auskünften einschränkend ab, es handle sich
dabei um solche, welche die Berechtigung eines Anspruchs klären sollen
und demzufolge auf die entsprechende Leistung einen direkten Einfluss
haben, ferner um solche, welche Auskunft geben über die finanziellen
Verhältnisse einer vom AHVG betroffenen Partei. Indessen kann den
Ausführungen des BSV in jenem Bericht keine derartige Einschränkung
entnommen werden. Vielmehr werden einerseits in nicht abschliessender
Weise mögliche Auskunfterteilende erwähnt, was nicht ausschliesst, dass
auch weitere Amtsstellen kostenlos Auskunft zu geben haben. Andererseits
beziehen sich die Ausführungen in ZAK 1957 S. 137 ff. auf die Fassung
des Art. 93 AHVG, die bis 30. Juni 1987 in Kraft war. Anlässlich
der zweiten Revision der Invalidenversicherung wurde auch Art. 93
AHVG geändert und die bereits bisher bestehende Auskunftspflicht der
Verwaltungs- und Rechtspflegebehörden an die Organe der Alters- und
Hinterlassenenversicherung auf andere Sozialversicherer ausgedehnt,
wobei inhaltlich Art. 101 UVG, der in einer Generalklausel eine
umfassende Auskunfts- und Akteneditionspflicht vorsieht, übernommen
wurde (Botschaft über die zweite Revision der Invalidenversicherung vom
21. November 1984, BBl 1985 I 75). In der Botschaft zum Bundesgesetz
über die Unfallversicherung vom 18. August 1976 führte der Bundesrat aus,
unter Umständen könne die Auskunftspflicht nicht ohne Bereitstellung von
Unterlagen erfüllt werden; auch hiefür dürften keine Gebühren erhoben
werden (BBl 1976 III 223). Art. 93 AHVG in der seit 1. Juli 1987 gültigen
Fassung begründet somit entgegen der Ansicht der Vorinstanz eine umfassende
und kostenlose Auskunfts- und Akteneditionspflicht.

    d) Unter den Auskünften und Unterlagen gemäss Art. 93 AHVG sind
Informationen oder Dokumente zu verstehen, die bei den genannten
Behörden und Sozialversicherungsträgern im Rahmen ihrer spezifischen
Tätigkeiten anfallen. Davon zu unterscheiden sind Aktivitäten, welche
die genannten Behörden und Sozialversicherungsträger, zwar ebenfalls im
Rahmen ihres Aufgabenbereichs, im Interesse der Ausgleichskassen entfalten
(in diesem Sinne BINSWANGER, Kommentar zum AHVG, S. 317). So beurteilt
sich nicht auf Grund von Art. 93 AHVG, ob und in welcher Höhe etwa die
Betreibungsämter für die Durchführung der Betreibung der Beitragsschuldner
den Ausgleichskassen Kosten belasten dürfen. Ebenso wenig ist Art. 93 AHVG
für die Frage der Kostenpflicht der Ausgleichskassen für Gerichtsverfahren
über Beitragsstreitigkeiten massgebend (vgl. Art. 156 Abs. 2 OG). Nach
Art. 27 Abs. 4 AHVV sind weiter ausdrücklich kostenpflichtig die Meldungen
der Steuerbehörden gemäss den Absätzen 2 und 3 (was seine Rechtfertigung
darin finden mag, dass die zu meldenden Zahlen aus den Steuerakten erst
noch nach AHV-rechtlichen Gesichtspunkten zu ermitteln sind).

    e) aa) Zum Beitragsbezug im Sinne von Art. 93 AHVG gehört auch,
dass Beiträge, die auf erfolgte Mahnung hin nicht bezahlt werden, ohne
Verzug auf dem Wege der Betreibung einzuziehen sind, soweit sie nicht mit
fälligen Renten verrechnet werden können (Art. 15 Abs. 1 AHVG). Eine
Rechtskraftbescheinigung wird für die Fortsetzung der Betreibung
benötigt, die nur auf Grund eines rechtskräftigen Entscheids erwirkt
werden kann (vgl. Art. 79 Abs. 1 SchKG). Da Betreibungsmassnahmen
nur einen Sinn haben, wenn sie Erfolg versprechen, nämlich zur
Bezahlung der Schuld führen, muss es den Ausgleichskassen zustehen,
sich über die Rechtskraft des Rechtsöffnungsentscheides zu informieren,
bevor sie weitere Betreibungsschritte unternehmen (vgl. im gleichen
Sinn für eine Betreibungsauskunft BGE 77 III 42, ZAK 1950 S. 75). Eine
Rechtskraftbescheinigung ist nach dem Gesagten für den Bezug der Beiträge
erforderlich. Die diesbezügliche Tätigkeit der Gerichte erschöpft sich
in der Auskunftserteilung selbst und erfordert nicht die Durchführung
eines Gerichtsverfahrens. Demgemäss sind die Gerichte verpflichtet, den
Ausgleichskassen die Auskunft über den Eintritt der Rechtskraft kostenlos
zu erteilen und zu bescheinigen.

    bb) Zum gleichen Ergebnis führt eine weitere Überlegung. Im
vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin eine Beitragsverfügung
erlassen und - da diese unangefochten blieb - die Beiträge in Betreibung
gesetzt und hernach beim ordentlichen Richter im Sinne von Art. 79 SchKG
einen Rechtsöffnungsentscheid nach Art. 80 SchKG erwirkt. Nebst diesem
Vorgehen steht nach der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BGE 121 V 109,
119 V 331 Erw. 2b je mit Hinweisen, 115 III 95, 107 III 64 Erw. 3),
die mit der Gesetzesänderung vom 16. Dezember 1994 in Art. 79 Abs. 1
SchKG verankert worden ist, einer Ausgleichskasse zum Beitragsbezug
auch die Möglichkeit offen, vorweg den Betreibungsweg zu beschreiten und
erst später eine Verfügung zu erlassen, mit welcher der Rechtsvorschlag
beseitigt wird. Dabei sind die Verwaltungsbehörden sowie gegebenenfalls
die kantonalen Rekursbehörden und das Eidg. Versicherungsgericht
ordentlicher Richter im Sinne von Art. 79 SchKG. Es versteht sich von
selbst, dass in diesem Fall Art. 93 AHVG zum Tragen kommt und eine
kantonale Rekursbehörde für eine Rechtskraftbescheinigung von einer
Ausgleichskasse keine Kosten erheben darf. Da beide beschriebenen Wege
zu qualitativ gleichen Bescheinigungen führen, darf es bezüglich deren
Kostenregelung nicht darauf ankommen, ob eine Rechtskraftbescheinigung im
Anschluss an ein definitives Rechtsöffnungsverfahren (beim SchKG-Richter)
oder an einen ordentlichen Prozess (bei einer kantonalen Rekursbehörde
oder dem Eidg. Versicherungsgericht) ausgestellt wird.