Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 V 1



125 V 1

1. Auszug aus dem Urteil vom 24. Februar 1999 i.S. V. gegen Ausgleichskasse
des Kantons Zürich und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
Regeste

    Art. 22 Abs. 3 AHVV: Beitragsbemessung bei
Selbstständigerwerbenden. Keine Anwendung dieser Bestimmung (jährliche
Gegenwartsbemessung) auf einen (hauptberuflich) Selbstständigerwerbenden
(in casu: Rechtsanwalt), welcher aus einer von der hauptberuflichen
Tätigkeit unterscheidbaren Beschäftigung (in casu: Liegenschaftenhandel)
ein Erwerbseinkommen erzielt. Kein Raum für eine gleichzeitige Anwendung
des ordentlichen Verfahrens nach Art. 23 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1
und 2 AHVV sowie des Verfahrens nach Art. 22 Abs. 3 AHVV.

Sachverhalt

    A.- V., als praktizierender Rechtsanwalt gegenüber der AHV aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit beitragspflichtig, erzielte aus einem
am 3. Juli 1987 erfolgten Liegenschaftenverkauf einen Gewinn, welcher
in der Bundessteuerveranlagung 1989/90 im Betrag von Fr. 291'600.--
der Steuerpflicht unterworfen wurde. Am 30. November 1995 meldete das
Kantonale Steueramt der Ausgleichskasse des Kantons Zürich, V. habe
1987/88 Erwerbseinkommen von Fr. 445'563.-- und Fr. 80'194.--
("inkl. Liegenschaftsgewinn") erzielt (Eigenkapital: 0). Gestützt
darauf erliess die Kasse am 7. Dezember 1995 Nachtragsverfügungen für die
Beitragsperiode 1990/91, indem sie in Anwendung des ordentlichen Verfahrens
die Beiträge auf einem durchschnittlichen Einkommen von Fr. 271'601.--
(nach Aufrechnung der schon bezahlten AHV-Beiträge) festlegte.

    B.- V. wandte sich hiegegen mit Beschwerde an das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Er machte geltend, bei
dem bundessteuerrechtlich mit Fr. 291'600.-- veranlagten und mit je Fr.
145'800.-- Gegenstand der Nachtragsverfügungen für die Jahre 1990/91
bildenden Gewinn aus dem Liegenschaftenverkauf vom 3. Juli 1987 handle es
sich um Einkommen aus gelegentlicher selbstständiger Erwerbstätigkeit. Aus
diesem Grunde sei dieser Ertrag in Anwendung der Gegenwartsbemessung "dem
Kalenderjahr 1987, in welchem er erzielt wurde, zuzuordnen und demzufolge
als verjährt zu erklären"; daher seien die Nachtragsverfügungen 1990/91
aufzuheben. Die Ausgleichskasse liess sich mit dem Antrag auf Abweisung der
Beschwerde vernehmen. In der Replik bestritt V. nebst der Anwendbarkeit des
ordentlichen Beitragsfestsetzungsverfahrens überhaupt eine AHV-rechtliche
Beitragspflicht, weil er nicht als gewerbsmässiger Liegenschaftenhändler
tätig geworden sei.

    Das Sozialversicherungsgericht bejahte den erwerblichen Charakter
des Gewinnes aus dem Liegenschaftenverkauf und verneinte anderseits die
Anwendbarkeit des Gegenwartsbemessungsverfahrens. Infolgedessen wies es
die Beschwerde mit Entscheid vom 13. Januar 1998 ab.

    C.- V. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde, worin er die im
kantonalen Verfahren gestellten Anträge erneuert. Den erwerblichen und
damit zur grundsätzlichen Beitragspflicht führenden Charakter des aus
dem Liegenschaftenverkauf erzielten Gewinnes bestreitet er nicht mehr;
hingegen macht er nach wie vor geltend, der aus dem Liegenschaftenverkauf
vom 3. Juli 1987 erzielte Gewinn sei als Einkommen aus einer gelegentlich
ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit zu betrachten mit der Folge,
dass wegen Anwendung des Gegenwartsbemessungsverfahrens die Beitragspflicht
hiefür auf das Jahr 1987 entfalle, woraus wiederum sich ergebe, dass die
am 7. Dezember 1995 erlassenen Beitragsverfügungen verspätet (nach Ablauf
der fünfjährigen Verjährungs-[recte: Verwirkungs-] frist) erlassen worden
seien. Während die Ausgleichskasse unter Hinweis auf ihre Vernehmlassung
im vorinstanzlichen Verfahren auf eine Stellungnahme verzichtet, beantragt
das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Der Beschwerdeführer ist unbestrittenerweise seit Jahren
als selbstständig erwerbstätiger Rechtsanwalt der Ausgleichskasse des
Kantons Zürich angeschlossen und in diesem Rahmen beitragspflichtig. Die
von ihm auf seinem Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit zu
entrichtenden Beiträge werden jeweils für eine zweijährige Beitragsperiode,
beginnend mit dem geraden Kalenderjahr, festgesetzt (in casu: 1990/91);
massgebliche Bemessungsperiode dazu bilden das zweit- und das drittletzte
Jahr vor der Beitragsperiode, somit vorliegend die Jahre 1987/88. Es ist
unbestritten, dass der Beschwerdeführer in einem dieser Bemessungsjahre,
1987, durch den am 3. Juli desselben Jahres erzielten Liegenschaftengewinn
ein zusätzliches Einkommen erzielt hat. Begrifflich kann dieses von seinen
Einkünften aus der Advokatur ohne weiteres unterschieden werden. Zu prüfen
bleibt, ob der Liegenschaftengewinn vom Gesamteinkommen aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit auszunehmen und, bei Bejahung der Gelegentlichkeit, der
Gegenwartsbemessung nach Art. 22 Abs. 3 AHVV zu unterwerfen wäre. Dies
hätte im vorliegenden Fall die Verwirkung des Beitragsanspruches nach
Art. 16 Abs. 1 AHVG zur Folge (vgl. BGE 103 V 63, bestätigt in AHI 1996
S. 128, wonach die Verfügung zur Wahrung der Beitragsfrist vor Ablauf
von fünf Jahren zu erlassen und zuzustellen ist, wobei die fünfjährige
Verwirkungsfrist mit Ablauf desjenigen Jahres [in casu: 1987] zu laufen
beginnt, für welches die Beiträge geschuldet sind).

    b) Es fragt sich also, ob bei einem hauptberuflich
Selbstständigerwerbenden parallel (gleichzeitig) zum ordentlichen Verfahren
der Vergangenheitsbemessung das Verfahren nach Art. 22 Abs. 3 AHVV für
Einkünfte aus einer Nebentätigkeit durchgeführt werden kann. Das Eidg.
Versicherungsgericht hat dies, soweit ersichtlich, in 50 Jahren
AHV-Rechtsprechung bisher nicht ausdrücklich entschieden.

    Die Frage ist in Auslegung der massgeblichen Verordnungsbestimmungen
der Art. 22 ff. AHVV, welche gestützt auf Art. 9 Abs. 4 AHVG (in der
bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung) die verschiedenen
Beitragsfestsetzungsverfahren ordnen, zu beantworten. Dabei gilt es,
im Rahmen gesetzeskonformer Verordnungsauslegung die formellgesetzliche
Ausgangslage zu berücksichtigen. Ferner müssen systematische Überlegungen
des Beitragsbezuges beachtet werden. Dabei ist der Frage der Verwirkung
des Beitragsanspruchs nur insoweit Rechnung zu tragen, als diese in die
Konzeption der Beitragsfestsetzungsverfahren hineinwirkt.

Erwägung 4

    4.- a) Die Ausgleichskasse und ihr folgend die Vorinstanz
machen geltend, die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung einer
parallelen Anwendung beider Beitragsfestsetzungsverfahren auch im
Falle eines ausschliesslich Selbstständigerwerbenden verkenne, dass
es die AHV-Gesetzgebung nicht zulasse, Einkünfte aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit "zusätzlich danach zu unterscheiden, ob sie aus
hauptberuflicher, regelmässig ausgeübter oder aus nebenberuflicher,
gelegentlich ausgeübter Tätigkeit stammen". Dies ergebe sich aus
Art. 9 Abs. 1 AHVG, welcher, im Sinne einer Negativabgrenzung zum
massgebenden Lohn, "jedes Einkommen" der selbstständigen Beitragspflicht
unterstelle. Sei damit eine beitragspflichtige Person "mehr als
gelegentlich und nebenberuflich, in welchem Fall (...) Art. 22 Abs. 3 AHVV
zum Zuge kommt", als selbstständigerwerbend zu betrachten, so stellten
"alle ihre Erwerbseinkommen" Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit dar,
"mit Ausnahme allfälliger Arbeitnehmereinkommen". Dies werde in Art. 17
AHVV entsprechend verdeutlicht. Vor diesem Hintergrund sei Art. 22
Abs. 1-3 AHVV zu verstehen. Nichts lasse den Schluss zu, Abs. 3 wolle
es ermöglichen, "dass bei Selbstständigerwerbenden hauptberufliches
Einkommen nach den Regeln der Absätze 1 und 2, nebenberufliches dagegen
nach anderen Grundsätzen - der Gegenwartsbemessung - zu behandeln
sei". Ziel der Gegenwartsbemessung sei, wie in ZAK 1962 S. 308 Erw. 3
festgehalten, die Vermeidung unbilliger Ergebnisse dort, wo sich
Einkommensschwankungen nicht im Zeitverlauf ausgleichen. "Dafür" gebe
es "zwei mögliche Tatbestände", den einen eben in Art. 22 Abs. 3 AHVV,
"nämlich derjenige der hauptberuflich unselbstständigerwerbenden Person,
bei der das Einkommen aus nebenberuflicher, gelegentlicher, selbstständiger
Erwerbstätigkeit fast definitionsgemäss schwankungsanfällig" sei; der
andere Tatbestand betreffe "Schwankungen des selbstständigen Einkommens
insgesamt" und sei Gegenstand von Art. 25 AHVV. Von einem Dualismus in
dem vom Beschwerdeführer vertretenen Sinne könne daher nicht ausgegangen
werden.

    b) Dem opponiert der Beschwerdeführer mit dem Einwand,
nichts deute darauf hin, dass Art. 22 AHVV auf die nebenberuflich
gelegentlich ausgeübte selbstständige Erwerbstätigkeit des hauptberuflich
Unselbstständigerwerbenden beschränkt sei. Ein solcher Schluss lasse sich
auch nicht aus Art. 25 AHVV ableiten: Diese Bestimmung regle den Tatbestand
der insbesondere "dauernden Veränderung" der Einkommensgrundlagen, welche
vorliegend, im Hinblick auf den gelegentlichen Charakter der Tätigkeit,
gerade nicht existiere. Die gesetzliche Regelung schliesse daher die
Dualität der Beitragsfestsetzungsverfahren im Falle eines ausschliesslich
Selbstständigerwerbenden nicht aus.

    c) Das BSV räumt ebenfalls ein, dass zur hier streitigen
Frage ein Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts noch ausstehe,
nachdem die Anwendbarkeit von Art. 22 Abs. 3 AHVV auf Einkommen aus
gelegentlicher selbstständiger Nebenerwerbstätigkeit von hauptberuflich
ebenfalls Selbstständigerwerbenden in BGE "102 V 27 Erw. 2a" (gemeint
wohl: ZAK 1976 S. 269) offen gelassen worden sei. Hingegen habe das
Eidg. Versicherungsgericht eine getrennte Beitragsfestsetzung für einzelne
Einkommensteile in anderen Zusammenhängen verschiedentlich ausgeschlossen,
so etwa gemäss ZAK 1988 S. 32 im Rahmen von Art. 25 Abs. 3 AHVV, wonach bei
einer Neutaxation zufolge wesentlicher Einkommensveränderung das gesamte
Einkommen und nicht etwa nur der veränderte Einkommensbestandteil der
Neueinschätzung zu unterwerfen sei. Im gleichen Sinne habe es im nicht
veröffentlichten Urteil Z. vom 9. August 1994 bezüglich der Ausnahme
von der Beitragserhebung für geringfügiges Einkommen aus selbstständigem
Nebenerwerb festgehalten, dass Art. 19 AHVV keine Anwendung finde, wenn
der Versicherte auch hauptberuflich selbstständigerwerbend sei. Ziel von
Art. 19 AHVV sei es, "im Interesse der Vereinfachung der Verwaltung eine
zu weit gehende Erfassung kleiner und kleinster Nebenerwerbe und den damit
verbundenen Verwaltungsaufwand zu vermeiden". Die gleichen Überlegungen
gälten auch für Art. 22 Abs. 3 AHVV. Eine Anwendung dieser Bestimmung bei
selbstständiger Haupterwerbstätigkeit, wie vom Beschwerdeführer verlangt,
hätte zur Folge, dass das Einkommen eines gegebenen Jahres zugleich
zwei verschiedenen Beitragsfestsetzungsverfahren unterstellt würde; ein
Teil dieses Einkommens würde sich auf die Beiträge des laufenden Jahres
auswirken (Art. 22 Abs. 3 AHVV), während die Beiträge für die ordentliche
Beitragsperiode auf Grund des anderen Jahres festgesetzt würden (Art. 22
Abs. 1 und 2 AHVV). Die sich daraus ergebende Vermischung der Einkommen
verschiedener Bemessungsperioden könnte den Versicherten unter Umständen
ungerechtfertigterweise in den Genuss der sinkenden Beitragsskala nach
Art. 21 AHVV bringen. Da die Steuerbehörden ausserdem nicht zwischen Haupt-
und Nebenerwerb unterschieden, müsste die Ausgleichskasse in Abweichung
von Art. 23 AHVV in jedem Einzelfall die verschiedenen Einkommensteile
selber ermitteln und anschliessend die darauf zu entrichtenden Beiträge
nach zwei verschiedenen Verfahren festsetzen.

    d) Die Standpunkte von Verwaltung und Vorinstanz überzeugen im
Ergebnis und jener des BSV in weiten Teilen auch in der Begründung. Die
Betrachtungsweise des Beschwerdeführers ist zu sehr dem Wortlaut von
Art. 22 Abs. 3 AHVV verhaftet. Demgegenüber gilt es, die Tragweite dieser
Bestimmung im systematischen Zusammenhang mit dem materiellrechtlichen
Einkommensbegriff einerseits, den Verfahrensbestimmungen zur Festsetzung
des Einkommens aus selbstständiger Erwerbstätigkeit anderseits zu
betrachten: Das Gesetz (Art. 9 AHVG) unterwirft die Gesamtheit der
Bezüge aus selbstständiger Erwerbstätigkeit der Beitragspflicht. Anders
als für die Geringfügigkeit (Art. 8 Abs. 2 zweiter Satz AHVG) enthält
der materiellrechtliche Einkommensbegriff für die Gelegentlichkeit
keine Grundlage zu einer Aufgliederung in Einkünfte aus haupt- oder
nebenberuflicher selbstständiger Erwerbstätigkeit. In diesem Lichte sind
die formellen Bestimmungen über das Verfahren zur Beitragsfestsetzung
Selbstständigerwerbender zu würdigen: Sofern und soweit eine
selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, die einer Erfassung
durch das ordentliche (oder gegebenenfalls das ausserordentliche)
Bemessungsverfahren nach Art. 22 Abs. 1 und 2, Art. 23 (und allenfalls
Art. 24 f.) AHVV zugänglich ist, besteht keine rechtliche Grundlage, das
in der je einschlägigen Bemessungsperiode erzielte Einkommen in haupt- und
nebenberufliche Einkünfte aufzugliedern. Die gelegentliche selbstständige
Erwerbstätigkeit nach Art. 22 Abs. 3 AHVV kommt infolgedessen dort zum
Zuge, wo entweder eine hauptberufliche unselbstständige oder aber eine
Nichterwerbstätigkeit vorliegt. Nur in Bezug auf diese unterschiedlichen
Kategorien von Beitragspflichtigen macht die Annahme einer gelegentlich
ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit Sinn, nicht jedoch dann,
wenn sie Teil einer gesamthaften selbstständigen Erwerbstätigkeit
darstellt. Dies zeigt gerade der vorliegende Fall, wo der Beschwerdeführer
1987 bei einem steuerbaren Einkommen von insgesamt Fr. 445'563.-- aus
dem Liegenschaftenhandel ein Einkommen von Fr. 291'600.-- erzielte. Eine
sichere Grenzziehung zwischen haupt- und nebenberuflicher selbstständiger
Erwerbstätigkeit ist nicht möglich, weil man bei solchen Verhältnissen
wohl kaum von einer Nebenerwerbstätigkeit sprechen kann.