Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 IV 124



125 IV 124

19. Urteil des Kassationshofes vom 22. Januar 1999 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Graubünden gegen C. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 146 StGB und Art. 149 StGB; Verhältnis zwischen Zechprellerei
und Betrug, Arglist.

    Die Zechprellerei ist kein Spezialtatbestand, der im Bereich des
Gastgewerbes dem Betrug vorgeht, sondern gelangt nur zur Anwendung,
wenn die Voraussetzungen des Betrugs nicht erfüllt sind (E. 2c).

    Arglist verneint, weil sich der Hotelgast keiner besonderen
Machenschaften bediente, um seine Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit
vorzutäuschen, und es den Hoteliers möglich gewesen wäre, die
Zahlungsfähigkeit zu überprüfen (E. 3b).

Sachverhalt

    C. liess sich von Ende Januar 1997 bis Anfang August 1997 in der Region
Chur sowie in Vororten von Zürich in verschiedenen Hotels über mehrere Tage
bis Wochen beherbergen, wobei er die Beherbergungs- und Bewirtungskosten
von insgesamt ca. Fr. 8'000.-- nicht oder nur zum Teil bezahlte.

    Das Kreisgericht Chur verurteilte C. am 4. Dezember 1997 zu vier
Monaten Gefängnis unbedingt wegen mehrfacher Zechprellerei. Von der
Anklage des Betrugs sprach es ihn frei.

    Auf Berufung der Staatsanwaltschaft hin bestätigte das Kantonsgericht
von Graubünden am 1. April 1998 das erstinstanzliche Urteil.

    Die Staatsanwaltschaft Graubünden führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der angefochtene Entscheid sei
aufzuheben und die Sache sei zu neuer Entscheidung und Schuldigsprechung
von C. wegen Betrugs an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht hat die Nichtigkeitsbeschwerde abgewiesen

Auszug aus den Erwägungen:

                    aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die Vorinstanz hält fest, dass der Beschwerdegegner die
Beherbergung und Verköstigung in den Hotels über das Verschweigen
seiner Zahlungsunfähigkeit hinaus nicht durch irgendwelche Vorkehren
erschwindelt habe. Das blosse Nichtbezahlen der Rechnung ohne zusätzliche
Täuschungsmanöver stelle keine arglistige Täuschung dar, weshalb Betrug
zu verneinen und nur der Tatbestand der Zechprellerei erfüllt sei. Dass
der Beschwerdegegner in zwei Fällen während des Hotelaufenthalts eine
Teilzahlung geleistet und anschliessend den Aufenthalt verlängert habe,
ohne die Restschuld zu begleichen, sei nicht als täuschende Vorkehr zu
bewerten, sondern weise vielmehr auf den Willen des Beschwerdegegners
hin, im Rahmen seiner eingeschränkten Möglichkeiten für die beanspruchten
Leistungen aufzukommen.

    b) Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Beschwerdegegner
sei dauernd weder zahlungswillig noch zahlungsfähig gewesen, habe
aber mit seinem Auftreten offensichtlich keine Zweifel an seiner
Solvenz entstehen lassen und somit seinen Zahlungswillen und seine
Zahlungsfähigkeit vorgetäuscht. Für die geschädigten Hoteliers sei
es nicht zumutbar gewesen, die vorgetäuschte Zahlungsfähigkeit des
Beschwerdegegners zu überprüfen, und es widerspreche den Usanzen im
Gastgewerbe, Erkundigungen über die wirtschaftliche Situation eines
Gasts einzuholen. Das Tatbestandsmerkmal der Arglist sei daher gegeben,
weshalb der Beschwerdegegner wegen Betrugs und nicht wegen Zechprellerei
zu verurteilen sei. Zudem habe er zweimal seinen Aufenthalt verlängert
oder eine Anzahlung geleistet im Wissen darum, dass er die Restzahlung
nicht werde leisten können, was ebenfalls für Arglist spreche.

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB erfüllt den Tatbestand des Betrugs,
wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern,
jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig
irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden
zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern
am Vermögen schädigt.

    b) Wegen Zechprellerei wird, auf Antrag, mit Gefängnis oder mit Busse
bestraft, wer sich in einem Gastgewerbebetrieb beherbergen, Speisen oder
Getränke vorsetzen lässt oder andere Dienstleistungen beansprucht und
den Betriebsinhaber um die Bezahlung prellt (Art. 149 StGB).

    Die Revision des Vermögensstrafrechts von 1994 führte dazu, dass durch
den neuen Begriff «andere Dienstleistungen» auch solche erfasst werden,
die über die Beherbergung und Verpflegung des alten Rechts hinausgehen. Da
der Beschwerdegegner während seiner Hotelaufenthalte jedoch keine solchen
Dienstleistungen in Anspruch genommen hat, kann vorliegend offen bleiben,
welche Tragweite dieser Änderung zukommt.

    c) In objektiver Hinsicht unterscheidet sich die Zechprellerei
insofern vom Betrug, als keine Täuschung des Gastwirts und deshalb auch
keine Arglist erforderlich sind. Es genügt, dass ein Täter verschwindet,
ohne zu bezahlen (STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer
Teil I, 5. Auflage, S. 358 f. N. 46). Erfüllt er jedoch zugleich alle
Voraussetzungen des Betrugs, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis
die Zechprellerei zum Betrug steht.

    Der Tatbestand der Zechprellerei wurde geschaffen, um dem
Wirt zusätzlichen Schutz zu gewähren für Fälle, die vom Betrug
nicht erfasst werden, weil dessen besondere Tatbestandsmerkmale
fehlen. Als Auffangtatbestand bildete sich die Zechprellerei im
Laufe des 19. Jahrhunderts im französischen Strafrecht heraus,
da der Betrugs-tatbestand des art. 313-1 Code pénal - ähnlich wie
das schweizerische StGB - besondere Vorkehren des Täters voraussetzt
(«manoeuvres frauduleuses»), die bei den typischen Konstellationen der
Zechprellerei gerade nicht gegeben sind (PATRICE GATTEGNO, Droit pénal
spécial, Paris 1995, S. 229 f.). Entsprechend dieser Tradition gelangt nach
schweizerischer Rechtsprechung und herrschender Lehre der Tatbestand der
Zechprellerei ebenfalls nur subsidiär zur Anwendung (BGE 75 IV 15 E. 1;
72 IV 118 E. 3; REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 7. Auflage, S. 199;
STRATENWERTH, aaO, S. 360 N. 49). Die Zechprellerei ist somit nicht
etwa ein Spezialtatbestand, der im Bereich des Gastgewerbes dem Betrug
vorgeht. Wer nämlich ausserhalb eines Gastgewerbebetriebs Leistungen in
Anspruch nimmt, obwohl er weiss, dass er nicht bezahlen kann, macht sich
wegen Betrugs strafbar, sofern Arglist vorliegt. Es gibt keinen Grund,
einen Betrüger von Gastgewerbebetrieben zu bevorzugen, indem er statt
des Betrugs lediglich der Zechprellerei schuldig gesprochen würde, was
eine mildere Strafandrohung und das Strafantragserfordernis mit sich
brächte. Wer daher die Voraussetzungen des Betrugs erfüllt, ist deswegen
zu verurteilen, während der Tatbestand der Zechprellerei nur subsidiär
als Auffangtatbestand zum Zuge kommt.

    d) Indem der Beschwerdeführer die Übernachtungen buchte, erklärte
er konkludent, zahlungswillig und zahlungsfähig zu sein. Er täuschte
die Angestellten der Hotelbetriebe somit durch aktives Tun über seine
Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit. Zu prüfen bleibt deshalb einzig,
ob auch die Voraussetzungen der Arglist vorliegen, was dazu führen würde,
dass der Beschwerdeführer wegen Betrugs und nicht wegen Zechprellerei zu
verurteilen wäre.

Erwägung 3

    3.- a) Das Tatbestandsmerkmal der Arglist ist gegeben, wenn der
Täter zur Täuschung eines anderen ein ganzes Lügengebäude errichtet
oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe bedient, aber auch,
wenn er bloss falsche Angaben macht, deren Überprüfung nicht oder
nur mit besonderer Mühe möglich oder nicht zumutbar ist, sowie wenn
er den Getäuschten von der möglichen Überprüfung abhält oder nach den
Umständen voraussieht, dass jener die Überprüfung der Angaben aufgrund
eines besonderen Vertrauensverhältnisses unterlassen werde (BGE 122 IV
246 E. 3a). Ebenso ist die alleinige Vortäuschung des Erfüllungswillens
nicht in jedem Fall arglistig, sondern nur, wenn die Überprüfung der
Erfüllungsfähigkeit unzumutbar oder unmöglich ist und daher auch keine
Schlüsse auf den Erfüllungswillen des Täters gezogen werden können (BGE
118 IV 359 E. 2 mit Hinweisen). Bei der Beantwortung der Frage, ob Arglist
gegeben sei, ist zudem der Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung zu
berücksichtigen. Dabei ist auf die jeweilige Lage und Schutzbedürftigkeit
des Betroffenen im Einzelfall abzustellen und zu prüfen, ob er sich
allenfalls in einer untergeordneten Stellung befand, die der Täter
ausgenützt hat (BGE 120 IV 186 E. 1a und c mit Hinweisen).

    b) In rechtlicher Hinsicht hat die Vorinstanz ausgeführt, dass
nicht mehr nur Zechprellerei, sondern Betrug gegeben sei, sobald über
das Verschweigen der Zahlungsfähigkeit und des Zahlungswillens hinaus
die Beherbergung oder Bewirtung durch zusätzliche Täuschungsmanöver
erschwindelt worden sei. In tatsächlicher Hinsicht hält sie fest, dass es
vorliegend nicht zu solchen Handlungen gekommen sei. Der Beschwerdegegner
habe mit der Anzahlung und der Verlängerung des Hotelaufenthalts lediglich
seinem Willen Ausdruck verliehen, die beanspruchten Leistungen entsprechend
seinen Möglichkeiten mindestens teilweise zu bezahlen. Diese Feststellungen
sind für das Bundesgericht verbindlich (Art. 277bis BStP). Die Leistung
der Anzahlung und die Verlängerung des Hotelaufenthalts stellen somit
keine betrügerischen Täuschungen dar, weshalb daraus die Arglist des
Beschwerdegegners entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht
abgeleitet werden kann. Der Beschwerdegegner hat daher nur konkludent
erklärt, zahlungswillig und zahlungsfähig zu sein, ansonsten jedoch nichts
unternommen, was auf Arglist schliessen liesse.

    Die geschädigten Hoteliers haben sich gegenüber dem Beschwerdegegner
nicht in einer untergeordneten Stellung befunden. Es wäre möglich gewesen,
vom Beschwerdegegner eine Kreditkarte zu verlangen oder ihn aufzufordern,
wenigstens einen Teil der Beherbergungskosten im Voraus zu bezahlen,
um Rückschlüsse auf dessen Zahlungsfähigkeit zu ziehen.

    Da sich der Beschwerdegegner keiner besonderen Machenschaften bediente
und die Hoteliers die zumutbaren Vorsichtsmassnahmen nicht getroffen
haben, verletzt die Vorinstanz kein Bundesrecht, wenn sie das Vorliegen
von Arglist verneint und den Tatbestand des Betrugs deshalb als nicht
erfüllt betrachtet hat.