Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 IV 1



125 IV 1

1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. Januar 1999 i.S. Z.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 19 BetmG, Art. 63 StGB und Art. 55 Abs. 1 StGB, Art. 10
Abs. 1 lit. a ANAG, Art. 4 Abs. 1 BV; Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz durch einen Ausländer, Strafzumessung.

    Die straferhöhende Berücksichtigung des «Missbrauchs des
Gastrechts» verletzt Bundesrecht. Strafrechtliche Landesverweisung
und fremdenpolizeiliche Ausweisung als besondere Folgen der Tat eines
Ausländers.

Sachverhalt

    Z. übergab in der Zeit von Herbst 1996 bis Anfang 1997 in Zürich
jemandem in verschiedenen Malen insgesamt ca. 600 Gramm Heroin unbekannten
Reinheitsgrades. Dafür erhielt er Fr. 30.-- pro Gramm.

    Am 9. Januar 1997 kontaktierte Z. in Interlaken einen Polen, welcher
in seinem Personenwagen 6,485 kg Heroin mit einem Reinheitsgrad von
70% mit sich führte. Z. fuhr mit dem Polen in der Folge nach Zürich,
wobei er mit dem Personenwagen seines Bruders vorausfuhr und der Pole
ihm mit seinem Wagen folgte. Z. lotste den Polen in einen Hinterhof im
Rosengartenquartier in Zürich mit der Absicht, das Heroin auszubauen, zu
übernehmen und weiterzugeben. Dazu kam es nicht mehr. Da Z. Angst hatte,
von der Polizei beobachtet zu werden, trennte er sich vom Polen. Kurze
Zeit später konnten beide verhaftet werden.

    Am 5. November 1997 verurteilte das Bezirksgericht Zürich Z. wegen
mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
zu 6 Jahren Zuchthaus. Überdies verwies es ihn für 10 Jahre des Landes
(unbedingt).

    Auf Berufung von Z. und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft
hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich am 28. April 1998 den
bezirksgerichtlichen Entscheid.

    Z. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an
dieses zurückzuweisen. Er macht geltend, die Strafzumessung verletze
Bundesrecht. Die ihm auferlegte Strafe sei unhaltbar hart.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde, soweit es darauf eintritt,
teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz
berücksichtige abweichend von der ersten Instanz den Missbrauch des seit
vielen Jahren genossenen Gastrechts in der Schweiz straferhöhend. Damit
schaffe die Vorinstanz einen neuen, nicht zulässigen Straferhöhungsgrund,
welcher aus mehreren Gründen nicht zu billigen sei: Würde der Missbrauch
des Gastrechts als Straferhöhungsgrund zugelassen, würde ein Ausländer
ohne gesetzliche Grundlage und in Missachtung des Gleichheitsgebots ohne
sachliche Gründe für ein Delikt in diskriminierender Weise härter bestraft
als ein Schweizer. Sodann gebe es für die Ahndung des Missbrauchs des
Gastrechts die Landesverweisung. Eine solche sei hier ausgesprochen
worden. Aus der Höhe der Landesverweisung (10 Jahre) ergebe sich im
vorliegenden Fall, dass der Missbrauch des Gastrechts bereits mehr als
genügend geahndet worden sei. Eine zusätzliche Straferhöhung bedeute auch
einen Verstoss gegen den Grundsatz «ne bis in idem». Falle der von der
Vorinstanz angeführte Straferhöhungsgrund weg, so müsse das zwangsläufig
zu einer Reduktion der ausgefällten Strafe führen.

    b) Nach Art. 4 Abs. 1 BV sind alle Schweizer vor dem Gesetze gleich.
Entgegen dem Wortlaut dieser Bestimmung steht die Rechtsgleichheit auch
den Ausländern zu. Zutreffend müsste es somit heissen: Vor dem Gesetz sind
alle gleich (GEORG MÜLLER, BV-Kommentar, Art. 4 N. 26). Das schliesst nicht
aus, dass Schweizer und Ausländer rechtlich verschieden behandelt werden,
sofern dies sachlich gerechtfertigt ist (HÄFELIN/HALLER, Schweizerisches
Bundesstaatsrecht, 4. Aufl., Zürich 1998, N. 1564).

    Das Betäubungsmittelgesetz unterscheidet nicht zwischen schweizerischen
und ausländischen Tätern. Seine Strafbestimmungen gelten für Schweizer
und Ausländer in gleichem Masse. Eine gesteigerte Pflicht, sich daran
zu halten, trifft den Ausländer nicht. Handelt ein Ausländer dem
Betäubungsmittelgesetz zuwider, kann ihm deshalb nicht ein grösserer
Schuldvorwurf gemacht werden, weil er Ausländer ist. Die straferhöhende
Berücksichtigung der Ausländereigenschaft verletzt Bundesrecht. Auf eine
Straferhöhung wegen der Ausländereigenschaft läuft es auch hinaus, wenn sie
mit dem «Missbrauch des Gastrechts» begründet wird. Denn jeder Ausländer
ist in der Schweiz «Gast» und verletzt, wenn er hier eine Straftat begeht,
das «Gastrecht».

    Das heisst nicht, dass eine Straftat für Ausländer nicht besondere
Folgen haben kann. Das Gesetz sieht solche ausdrücklich vor. So kann
nach Art. 55 Abs. 1 StGB der Richter den Ausländer, der zu Zuchthaus
oder Gefängnis verurteilt wird, für 3 bis 15 Jahre aus dem Gebiete
der Schweiz verweisen. Bei Rückfall kann Verweisung auf Lebenszeit
ausgesprochen worden. Eine Landesverweisung hat die Vorinstanz hier - vom
Beschwerdeführer unangefochten - angeordnet. Überdies kann ein Ausländer
gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes über Aufenthalt und
Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) aus der Schweiz ausgewiesen
werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft
wurde. Diese fremdenpolizeiliche Ausweisung ist auch dann möglich, wenn
der Strafrichter auf eine Landesverweisung nach Art. 55 StGB verzichtet
oder eine Landesverweisung mit bedingtem Vollzug ausgesprochen hat (BGE
124 II 289 E. 3a mit Hinweisen).

    c) Die Rechtsprechung und das Schrifttum in Deutschland lehnen die
straferhöhende Berücksichtigung der Ausländereigenschaft als solche,
namentlich unter dem Gesichtspunkt des «Missbrauchs des Gastrechts»,
ebenfalls ab (Entscheide des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, in:
Monatsschrift für deutsches Recht 26/1972, S. 922; 27/1973, S. 369; Neue
Zeitschrift für Strafrecht 13/1993, S. 337 f.; SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE,
Strafgesetzbuch, Kommentar, 25. Aufl., 1997, § 46 N. 36; GÜNTER GRIBBOHM,
Leipziger Kommentar, 11. Aufl., 1995, § 46 N. 178 ff.; HANS-JÜRGEN BRUNS,
Strafzumessungsrecht, 2. Aufl., 1974, S. 510).

    d) Soweit die Vorinstanz die Zuchthausstrafe wegen des Missbrauchs
des Gastrechts erhöht hat, hat sie demnach Bundesrecht verletzt. Die
Beschwerde ist in diesem Punkt begründet.