Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 II 411



125 II 411

41. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 9.
Juli 1999 i.S. X. und weitere Beteiligte gegen Republik der Philippinen,
Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich, Staatsanwaltschaft und
Obergericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Parteistellung des
ersuchenden Staates.

    Dem ersuchenden Staat kann im Rechtshilfeverfahren (hier:
Rekursverfahren vor dem Obergericht) keine Parteistellung eingeräumt
werden, wenn um die Herausgabe von Bankdokumenten gestritten wird, d.h. um
Informationen aus dem Geheimbereich, die dem ersuchenden Staat erst nach
Abschluss des Rechtshilfeverfahrens bekannt gegeben werden dürfen. Das
gilt selbst dann, wenn der ausländische Staat Geschädigter i.S.v. Art. 21
Abs. 2 IRSG ist und im Rechtshilfeverfahren auch über die Herausgabe von
Vermögenswerten entschieden wird, die ihm angeblich deliktisch entzogen
worden sind.

Sachverhalt

    A.- Die Republik der Philippinen ersuchte im April 1986 das Bundesamt
für Polizeiwesen (BAP) um Rechtshilfe in Zusammenhang mit der Rückführung
von Vermögenswerten, die sich Ferdinand Marcos, seine Angehörigen und
ihm nahestehende Personen in Ausübung ihrer öffentlichen Funktionen
unrechtmässig angeeignet haben sollen. Das Gesuch betraf u.a. auch X.,
der vom Dezember 1973 bis zum 25. Februar 1986 Energieminister der
Philippinen und gleichzeitig Präsident der Philippine National Oil
Company (PNOC) gewesen war. Gestützt auf dieses Rechtshilfeersuchen
sperrte die Bezirksanwaltschaft Zürich diverse Konten in Zürich, auf
denen Vermögenswerte von X. vermutet wurden.

    B.- Mit Eingabe vom 10. August 1994 ersuchte der damalige
philippinische Generalstaatsanwalt (Solicitor General) unter Bezugnahme
auf die verschiedenen Rechtshilfeersuchen in Sachen Marcos die
Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich um Übergabe aller Dokumente,
die sich auf die Bankkonten von X. in der Schweiz beziehen, und um die
Überweisung der entsprechenden Gelder an die Philippinen.

    C.- Mit Schlussverfügung vom 4. Dezember 1998 entsprach die
Bezirksanwaltschaft diesem ergänzenden Ersuchen im Sinne der Erwägungen.
Sie ordnete die Herausgabe der sichergestellten Bankdokumente sowie --
unter bestimmten Auflagen -- die Überweisung der Vermögenswerte an die
Philippine National Bank an. Hiergegen erhoben X. und weitere Beteiligte
am 6. Januar 1999 Rekurs an das Obergericht des Kantons Zürich.

    D.- Am 25. Februar 1999 beantragte die Republik der Philippinen,
vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Martin Kurer und Hanspeter Zgraggen,
sie sei im Rekursverfahren als Beteiligte zuzulassen und es sei ihr
eine Frist anzusetzen, um zum Rekurs Stellung zu nehmen. Die Rekurrenten
widersetzten sich diesem Antrag. Mit Beschluss vom 12. April 1999 liess
das Obergericht die Republik der Philippinen für das Rekursverfahren als
Beteiligte zu und ordnete an, dieser sei nach Eintritt der Rechtskraft
des Beschlusses Ge- legenheit zu geben, sich zur Rekursschrift der
Rekurrenten äussern zu können. Der Republik der Philippinen sei allerdings
nur teilweise Einsicht in die Rekursakten zu gewähren und es seien
alle Stellen abzudecken, die sich auf bereits eingeholte Bankauskünfte
bzw. Unterlagen beziehen.

    E.- Gegen diesen Beschluss erhoben X. und weitere Beteiligte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Sie beantragen,
das Akteneinsichtsrecht der Republik der Philippinen sei weiter
einzuschränken, so dass dieser keine Tatsachen bekannt gegeben werden,
die nicht ausschliesslich das Verfahren betreffen.

    Das Bundesgericht hat die Beschwerde gutgeheissen, den angefochtenen
Beschluss des Obergerichts aufgehoben und den Antrag der Republik der
Philippinen auf Zulassung zum Rekursverfahren abgewiesen,

Auszug aus den Erwägungen:

                    aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Im Rechtshilfeverfahren kommt dem ersuchenden Staat als solchem
keine Parteistellung zu (vgl. BGE 119 Ib 64 E. 3b S. 70; 115 Ib 193 E. 6
S. 196; vgl. auch Botschaft vom 29. März 1995 betreffend die Änderung
des Rechtshilfegesetzes, BBl 1995 III S. 30). Von diesem Grundsatz hat
die Rechtsprechung eine Ausnahme zugelassen und die Parteistellung des
ersuchenden Staates anerkannt, wenn dieser zugleich Geschädigter i.S.v.
Art. 21 Abs. 2 des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe
in Strafsachen (IRSG; SR 351.1) ist: So räumte das Bundesgericht der
Republik der Philippinen mit Präsidialverfügung vom 29. Juni 1990 die
Möglichkeit ein, sich am Beschwerdeverfahren i.S. Erben des Ferdinand
Marcos zu beteiligen, weil sie glaubhaft dargetan hatte, durch strafbare
Handlungen von Ferdinand Marcos und den Mitangeschuldigten an ihrem
Vermögen geschädigt worden zu sein und sich in der Strafsache gegen Marcos
und Konsorten auf den Philippinen nicht nur als Anklägerin sondern auch
als geschädigte Partei beteiligte. Aus den gleichen Gründen hielt das
Bundesgericht die Republik der Philippinen für befugt, gegen den die
Herausgabe der Marcos-Vermögenswerte ablehnenden Entscheid des Zürcher
Obergerichts Beschwerde zu erheben (unveröffentlichter Entscheid vom 7.
Januar 1998, E. 1b): Zumindest in Fällen, in denen es dem ersuchenden
Staat um die Wiedererlangung von Vermögenswerten gehe, die ihm deliktisch
entzogen worden seien, werde der Staat persönlich und direkt von der
Rechtshilfemassnahme betroffen und habe ein schutzwürdiges Interesse an der
Aufhebung von Rechtshilfeentscheiden, die sein Herausgabeersuchen ablehnen.
Hervorzuheben ist, dass dem philippinischen Staat in jenem Verfahren
bereits alle Bankdokumente bekannt waren und er insbesondere auch die Namen
der kontoführenden Gesellschaften und Stiftungen und deren Verbindung zu
Ferdinand Marcos bzw. seinen Erben kannte. Zudem war die Herausgabe der in
der Schweiz blockierten Vermögenswerte bereits im Entscheid BGE 116 Ib 452
grundsätzlich bewilligt worden und nur der Zeitpunkt ihrer Übergabe bis zum
Vorliegen eines vollstreckbaren Einziehungs- oder Rückerstattungsentscheids
des zuständigen philippinischen Gerichts hinausgeschoben worden. Gegenstand
des Beschwerdeverfahrens vor Bundesgericht war somit nur noch die Frage,
ob die Vermögenswerte vorzeitig, vor Vorliegen eines solchen Urteils,
herausgegeben werden durften.

    b) Im vorliegenden Verfahren geht es nicht nur um die Herausgabe von
Vermögenswerten, die X. deliktisch zu Lasten des philippinischen Staates
erworben haben soll, sondern auch um die Herausgabe von Bankdokumenten,
aus denen sich u.a. die Identität des Inhabers der gesperrten Konten
und die Herkunft dieser Gelder ergibt. Es handelt sich hierbei um
Informationen aus dem Geheimbereich, die dem ersuchenden Staat erst
nach rechtskräftigem Abschluss des Rechtshilfeverfahrens bekannt
gegeben werden dürfen. Wird der ersuchende Staat zum Rekursverfahren
zugelassen, besteht die Gefahr, dass er bereits in diesem Verfahren
und somit vorzeitig Kenntnis von sensiblen Informationen erhält. Diese
Gefahr kann durch eine Beschränkung des Akteneinsichtsrechts gemindert,
nicht aber vollständig ausgeschaltet werden: Es besteht - gerade bei
umfangreichen Rechtshilfeakten - die Gefahr, dass Informationen nicht
vollständig abgedeckt werden oder dem ersuchenden Staat versehentlich
im Rahmen des Schriftenwechsels bekannt gegeben werden. Überdies ist die
Abdeckung sämtlicher sensibler Informationen ausserordentlich zeitaufwendig
und erschwert die Prozessführung in einem Mass, welche dem Gebot der
raschen Erledigung gemäss Art. 17a IRSG widersprechen kann. Schliesslich
ist zu berücksichtigen, dass die Einschränkung der Akteneinsicht auch die
Parteistellung des ersuchenden Staates entwertet: So ist es im vorliegenden
Fall schwer vorstellbar, wie die Republik der Philippinen glaubhaft machen
soll, dass die bei den weiteren Beteiligten beschlagnahmten Vermögenswerte
offensichtlich deliktischen Ursprungs sind, wenn sie weder deren Identität
noch die Herkunft ihrer Vermögenswerte kennt.

    c) Aus den genannten Gründen hat es das Bundesgericht in einem
unveröffentlichten Entscheid vom 5. Juni 1998 (E. 1d) abgelehnt,
die Republik Äthiopien zu einem Beschwerdeverfahren zuzulassen, das
die Herausgabe sowohl von Bankdokumenten als auch von beschlagnahmten
Vermögenswerten betraf. Die Republik Äthiopien hatte geltend gemacht, sie
sei geschädigte Partei und das Verfahren betreffe die Wiedererlangung
von Vermögenswerten, die ihr deliktisch entzogen worden seien. Das
Bundesgericht war der Auffassung, die Zulassung des ersuchenden Staates in
einem solchen Fall gefährde das öffentliche Interesse am ordnungsgemässen
Verfahrensablauf und berge die Gefahr einer vorzeitigen Bekanntgabe
geheimer Informationen. Eine Zulassung des ersuchenden Staates könne daher
erst nach Abschluss des Rechtshilfeverfahrens in Betracht gezogen werden,
d.h. im Regelfall erst nach Vorliegen der Schlussverfügung und eines
rechtskräftigen und vollstreckbaren gerichtlichen Herausgabeentscheids
des ersuchenden Staates i.S.v. Art. 74a Abs. 3 IRSG. Das Bundesgericht
gab zu Bedenken, dass dem ersuchenden Staat durch die Versagung der
Parteistellung kein Schaden entstehe, weil die Rechtshilfebehörde (in
jenem Verfahren das BAP) im Beschwerdeverfahren Gelegenheit habe, die
für das äthiopische Ersuchen sprechenden Argumente vorzutragen (aaO E. 1e).

    d) Im vorliegenden Fall liegen die Umstände gleich: Auch hier kommt
eine Zulassung des philippinischen Staates zum Rechtshilfeverfahren
frühestens in Betracht, wenn rechtskräftig über die Herausgabe der
Bankdokumente entschieden worden ist. Bis zu diesem Zeitpunkt vertreten
die Bezirksanwaltschaft, welche das Rechtshilfegesuch bewilligt hat,
und das BAP die Interessen des ersuchenden Staates.