Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 II 258



125 II 258

25. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 20.
Mai 1999 i.S. P. und Q. gegen Bezirksanwaltschaft IV, Staatsanwaltschaft
und Obergericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Internationale Rechtshilfe in Strafsachen; Spezialitätsvorbehalt
(Art. 67 Abs. 2 Satz 1 IRSG).

    Die Verwendung der durch Rechtshilfe in Strafsachen erlangten Auskünfte
und Schriftstücke in einem Zivilprozess bedarf grundsätzlich der Zustimmung
des Bundesamts für Polizei nach Art. 67 Abs. 2 Satz 1 IRSG. Das gilt
jedoch nicht, soweit das Zivilverfahren die Rückführung der deliktisch
erlangten Vermögenswerte an den Berechtigten zum Gegenstand hat und
insofern das Strafverfahren ergänzt (E. 7a/bb). Zur Frage, ob auch die
zivilprozessuale Verwendung für Schadenersatzforderungen des Opfers wegen
der dem Rechtshilfeverfahren zugrundeliegenden Straftat der Zustimmung
des Bundesamtes bedarf (E. 7a/cc).

    Die Zustimmung gemäss Art. 67 Abs. 2 IRSG kann im vorliegenden
Verfahren nicht vom Bundesgericht erteilt werden (E. 7a/cc a.E.).

Sachverhalt

    Mit Schreiben vom 25. August 1997 ersuchte der «Director of Public
Prosecutions» (DPP) des Königreichs von Lesotho die schweizerischen
Behörden um Rechtshilfe für ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren
gegen M. wegen Diebstahls («theft»), Betrugs («fraud»), Bestechung
(«bribery») und Meineids («perjury»). Die Vorwürfe gegen M. stehen in
Zusammenhang mit dessen Tätigkeit als leitendes Organ («Chief Executive
Officer») der «Lesotho Highlands Development Authority» (LHDA), deren
Aufgabe es war, die Ausführung des «Lesotho Highlands Water Project»
zu überwachen. Dieses Projekt umfasst den Bau zahlreicher Staudämme in
Lesotho, um dadurch Wasser nach Südafrika leiten und Wasserkraft-Energie
für Lesotho gewinnen zu können. Vor dem High Court of Lesotho ist bereits
ein Zivilverfahren hängig, in welchem die LHDA Schadenersatzforderungen
gegen M. geltend macht.

    Mit Schlussverfügung vom 21. Oktober 1998 entsprach die
Bezirksanwaltschaft dem Rechtshilfeersuchen im Sinne der Erwägungen und
ordnete die Herausgabe der in Disp.-Ziff. 3 und 4 bezeichneten Unterlagen
an. Die Bezirksanwaltschaft brachte einen Spezialitätsvorbehalt an,
wonach die hierorts gewonnenen Erkenntnisse einzig zur Verfolgung
der im Rechtshilfeersuchen angegebenen gemeinrechtlichen Straftaten
(einschliesslich Leistungs- und Abgabebetrug) verwendet werden dürfen,
nicht aber zur Ahndung von Taten, die auf eine Verkürzung fiskalischer
Abgaben gerichtet erscheinen oder Vorschriften über währungs-, handels-
oder wirtschaftspolitische Massnahmen verletzen.

    Hiergegen rekurrierten die P. und die Q. S.A. an das Obergericht des
Kantons Zürich. Die III. Strafkammer des Obergerichts wies den Rekurs am 7.
Januar 1999 ab.

    Gegen den Beschluss des Obergerichts erhoben die P. und die Q. S.A. am
12. Februar 1999 Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht. Sie
beantragten, es sei der angefochtene Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich vollumfänglich aufzuheben und es sei die Rechtshilfe zu verweigern.
Eventualiter beantragen sie u.a., die Bezirksanwaltschaft sei anzuweisen,
den Spezialitätsvorbehalt in dem Sinne zu vervollständigen, dass den
Behörden von Lesotho jegliche Verwendung der überlieferten Beweismittel im
Rahmen von anderen Strafverfahren oder in Zivil- und Verwaltungsverfahren
verboten werde.

    Das Bundesamt für Polizeiwesen beantragt, die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen und die Verwendung der an
das Königreich Lesotho zu übermittelnden Beweismittel im Rahmen eines
konnexen Zivilverfahrens sei zu gestatten.

    Das Bundesgericht weist diese Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt

Auszug aus den Erwägungen:

                    aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 7

    7.- a) Schliesslich verlangen die Beschwerdeführerinnen, der von der
Bezirksanwaltschaft formulierte Spezialitätsvorbehalt müsse vervollständigt
und die Verwendung der zu übermittelnden Beweismittel in dem in Lesotho
hängigen Zivilverfahren müsse klar verboten werden.

    aa) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 122 II 134
E. 7c S. 137 ff.) soll der Spezialitätsvorbehalt gemäss Art. 67 Abs. 1
des Bundesgesetzes über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG;
SR 351.1) die strafrechtliche Verwendung von Auskünften zur Verfolgung
nicht rechtshilfefähiger Delikte i.S.v. Art. 3 IRSG verhindern, steht
dagegen einer zivilprozessualen Verwendung der im Rechtshilfeverfahren
erlangten Auskünfte grundsätzlich nicht entgegen. Dies gilt jedenfalls,
sofern es sich um die Forderungen des durch die Straftat Geschädigten
handelt. Es besteht daher kein Grund, die Verwendung der rechtshilfeweise
übermittelten Kontounterlagen in dem konnexen Zivilverfahren der LHDA
gegen M. von vornherein auszuschliessen.

    bb) Nach der zitierten Rechtsprechung ist die zivilprozessuale
Verwendung der Auskünfte allerdings grundsätzlich an die vorgängige
Zustimmung des Bundesamtes für Polizeiwesen gemäss Art. 67 Abs. 2
Satz 1 IRSG gebunden (BGE 122 II 134 E. 7c/ee S. 140); hiergegen kann
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben werden (Art. 25
Abs. 1 IRSG). Das BAP ist verpflichtet, diesen Zustimmungsvorbehalt vor
Übermittlung der Unterlagen an die ersuchende Behörde klar zum Ausdruck
zu bringen.

    Fraglich ist allerdings, ob dieser Zustimmungsvorbehalt auch insoweit
gilt, als das Zivilverfahren die Rückführung der deliktisch erlangten
Vermögenswerte an den Berechtigten zum Gegenstand hat und insoweit das
Strafverfahren ergänzt. Gemäss Art. 63 Abs. 1 IRSG umfasst die Rechtshilfe
nach dem dritten Teil dieses Gesetzes Auskünfte, Prozesshandlungen
und andere Amtshandlungen, die für ein Verfahren in strafrechtlichen
Angelegenheiten im Ausland erforderlich erscheinen oder dem Beibringen der
Beute dienen. Als Rechtshilfemassnahme kommt nach Art. 63 Abs. 2 IRSG in
der Fassung der IRSG-Revision vom 4. Oktober 1996 auch die Herausgabe von
Gegenständen zur Einziehung oder zur Rückerstattung an den Berechtigten in
Betracht. Diese ist in Art. 74a IRSG näher geregelt. Seit der IRSG-Revision
ist es nicht mehr erforderlich, dass die Einziehung bzw. Rückerstattung
durch ein Strafgericht erfolgt; Art. 74a IRSG verlangt lediglich,
dass sie deliktisch erlangte Gegenstände oder Vermögenswerte betrifft
(Abs. 2) und gerichtlich angeordnet wird. Dagegen ist es unerheblich,
ob dies im Rahmen des Strafverfahrens gegen den Angeschuldigten oder in
einem getrennten Verfahren geschieht und ob dieses Verfahren vor einem
Straf-, einem Zivil- oder einem Verwaltungsgericht erfolgt (BGE 123 II
595 E. 5e S. 611). Gelten derartige Zivil- oder Verwaltungsverfahren somit
als «Verfahren in strafrechtlichen Angelegenheiten» i.S.v. Art. 63 IRSG,
ist auch die Verwendung der rechtshilfeweise übermittelten Auskünfte in
solchen Verfahren zulässig, ohne dass es hierzu der vorgängigen Zustimmung
des BAP gemäss Art. 67 Abs. 2 Satz 1 IRSG bedarf. Diese Rechtsauffassung
liegt auch dem vom BAP verwendeten formularmässigen Spezialitätsvorbehalt
zugrunde, dessen Ziff. 3 und 4 lauten:
      3. Die Rückführung von Vermögenswerten an den Berechtigten oder die

    Ergreifung von Verwaltungsmassnahmen gegen einen Straftäter sind auch

    Bestandteil der Strafverfolgung; die Verwendung der übermittelten

    Unterlagen und Informationen ist in dieser Hinsicht auch im Rahmen
eines

    ergänzenden Verwaltungs- oder Zivilverfahrens erlaubt. In keinem Fall

    gestattet ist jedoch die direkte oder indirekte Verwendung der
erhaltenen

    Unterlagen und der darin enthaltenen Angaben für ein fiskalisches
Straf-

    oder Verwaltungsverfahren.
      4. Jegliche weitere Verwendung dieser Unterlagen oder Informationen

    bedarf

    der ausdrücklichen Zustimmung des Bundesamtes für Polizeiwesen, die

    vorgängig einzuholen ist.

    cc) Das Bundesamt für Polizeiwesen hat in seiner Vernehmlassung
beantragt, das Bundesgericht möge die Verwendung der an das Königreich
Lesotho zu übermittelnden Beweismittel im Rahmen des konnexen
Zivilverfahrens schon heute gestatten. Es macht geltend, angesichts der
Umstände des vorliegenden Falls müsse eine solche Verwendung bewilligt
werden; aus prozessökonomischen Gründen sei die Bewilligung unmittelbar
vom Bundesgericht zu erteilen.

    Soweit es im Zivilverfahren in Lesotho um die Rückerstattung deliktisch
erlangter Gegenstände oder Vermögenswerte an die LHDA als Berechtigte geht,
ist die Verwendung der übermittelten Unterlagen nach dem eben Gesagten
ohne besondere Zustimmungserklärung möglich.

    Fraglich ist dagegen, ob dies auch für zivilrechtliche
Schadenersatzforderungen der LHDA gilt, die auf den im Rechtshilfegesuch
geschilderten bzw. vermuteten Amtspflichtverletzungen M.s beruhen. Da
die Zahlungen an den Beschuldigten M. nicht aus dem Vermögen der LHDA
sondern von deren Vertragspartnern stammen, ist es zweifelhaft, ob die
LHDA «Berechtigte» dieser Gelder i.S.v. Art. 74a IRSG ist. Immerhin
aber handelt es sich um Forderungen wegen eines Schadens, der durch
die dem Rechtshilfegesuch zugrundeliegende Straftat verursacht
wurde. Dieser Schadenersatzanspruch kann Vorrang vor dem staatlichen
Einziehungsanspruch haben: So kann der Geschädigte nach Art. 60 StGB
die zur Einziehung bestimmten Gegenstände oder Vermögenswerte u.U. zur
Deckung seines Schadens beanspruchen; das schutzwürdige Interesse des
Geschädigten, auf die in der Schweiz beschlagnahmten Vermögenswerte
zuzugreifen, kann auch einer Herausgabe an den ersuchenden Staat
entgegenstehen (vgl. Art. 74a Abs. 4 lit. a IRSG und BGE 123 II 595
E. 7b S. 615/616). Art. 5 Abs. 3 lit. a des Staatsvertrags zwischen
der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von
Amerika über gegenseitige Rechtshilfe in Strafsachen vom 25. Mai 1973
[RVUS; SR 0.351.933.6] gestattet ganz allgemein die Verwendung des
übermittelten Materials in einem Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren über
die Leistung von Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Strafverfahren,
für das Rechtshilfe geleistet worden ist. Art. 5 RVUS liegt der Regelung
des Spezialitätsprinzips in Art. 67 IRSG zugrunde (vgl. Botschaft des
Bundesrates zu einem Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe
in Strafsachen vom 8. März 1976, BBl 1976 II S. 465) und kann daher zur
Auslegung dieser Bestimmung herangezogen werden (BGE 122 II 134 E. 7c/aa
S. 138). Für eine Art. 5 Abs. 3 lit. a RVUS entsprechende Lösung im
Rahmen des IRSG sprechen Praktikabilitätserwägungen: Die Abgrenzung
von «blossen» Schadenersatzforderungen des Opfers einerseits und von
Rückerstattungsansprüchen des Berechtigten andererseits ist schwierig und
hängt vom anwendbaren, i.d.R. ausländischen Zivilrecht ab. Dagegen würde
das in Art. 5 Abs. 3 lit. a RVUS verwendete Kriterium der Konnexität zum
Strafverfahren, für das Rechtshilfe geleistet wird, eine auch für die
Behörden des ersuchenden Staates einfache, vom Zivilrecht unabhängige
Abgrenzung erlauben. Schliesslich ist auch nicht einzusehen, weshalb ein
Geschädigter sich nicht auf die rechtshilfeweise übermittelten Beweise
berufen darf (bzw. hierzu der vorgängigen Zustimmung des BAP bedarf),
wenn über seine Ansprüche in einem separaten Zivilverfahren entschieden
wird, während er im Adhäsionsverfahren ohne weiteres in den Genuss der
durch Rechtshilfe für das Strafverfahren erlangten Beweismittel gelangt.

    Die aufgeworfene Frage braucht aber nicht abschliessend entschieden
zu werden. Soweit aus den Akten ersichtlich, beschränkt sich das
hängige Zivilverfahren nicht auf Schadenersatzforderungen der LHDA
im Zusammenhang mit den Betrugs- und Bestechungsvorwürfen gegen M.,
sondern umfasst sämtliche Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnis. Die
unbeschränkte Verwendung der rechtshilfeweise übermittelten Unterlagen
in diesem Verfahren setzt daher jedenfalls die vorgängige Zustimmung des
BAP nach Art. 67 Abs. 2 Satz 1 IRSG voraus.

    Diese Zustimmung kann nicht durch das Bundesgericht im vorliegenden
Verfahren erteilt werden. Zwar ist das Bundesgericht an die Anträge
der Parteien nicht gebunden (Art. 25 Abs. 6 IRSG); es darf aber den
Streitgegenstand des Verfahrens nicht überschreiten. Dieser wird durch
die angefochtene Verfügung der Bezirksanwaltschaft und den Entscheid des
Obergerichts umschrieben. Im kantonalen Verfahren war die Zustimmung zu
einer weitergehenden Verwendung gemäss Art. 67 Abs. 2 IRSG kein Thema
und konnte es auch nicht sein, da diese Zustimmung dem BAP vorbehalten
ist. Es wird daher Aufgabe des BAP sein, eine erstinstanzliche Verfügung
zu dieser Frage zu erlassen. Hiergegen können die Beschwerdeführerinnen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht führen; dies hindert
jedoch die Übermittlung der Unterlagen an Lesotho nicht.