Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 II 177



125 II 177

16. Auszug aus dem Urteil der II. OerA vom 19. Januar 1999 i.S.
Eidgenössische Steuerverwaltung gegen Burgergemeinde Zermatt und
Steuerrekurskommission des Kantons Wallis (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 56 lit. c DBG; Gesetzesauslegung; Steuerbefreiung von
Burgergemeinden.

    Die Burgergemeinden des Kantons Wallis sind «andere
Gebietskörperschaften» im Sinne von Art. 56 lit. c DBG; sie sind
grundsätzlich (vgl. Vorbehalte in E. 3c) von der direkten Bundessteuer
befreit (E. 2 u. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Burgergemeinde Zermatt betrieb zusammen mit der
Munizipalgemeinde Zermatt im Rahmen einer einfachen Gesellschaft das
Elektrizitätswerk Zermatt, wobei beide Gemeinwesen mit je 50 Prozent an
diesem beteiligt waren. Auf den 31. Dezember 1994 wandelten sie das Werk in
eine privatrechtliche Aktiengesellschaft um; die «EWZ Elektrizitätswerk
Zermatt AG» wurde am 22. Dezember 1994 in das Handelsregister
eingetragen. Bevor die Gemeinden das Werk als Sacheinlage in die neu
gegründete Aktiengesellschaft einbrachten, werteten sie die weitgehend
abgeschriebenen Aktiven bis auf die offiziellen Katasterwerte auf. Der
Buchwert der bilanzierten Aktiven erhöhte sich so um Fr. 30'453'024.40
auf einen Betrag von Fr. 48'554'369.02.

    Die Einwohnergemeinde Zermatt wurde von der Steuerverwaltung des
Kantons Wallis für die direkte Bundessteuer als gänzlich steuerbefreit
betrachtet. Steuerlich erfasst hat die kantonale Verwaltung demgegenüber
jene Hälfte des Aufwertungsgewinns, welche der Burgergemeinde zuzurechnen
ist. Am 13. März 1996 stellte sie dieser für 1995 eine Jahressteuer
in der Höhe von Fr. 609'060.- in Rechnung. Die von der Burgergemeinde
Zermatt hiergegen erhobene Einsprache wies die Steuerverwaltung des
Kantons Wallis am 9. April 1996 ab.

    Auf Beschwerde der Burgergemeinde Zermatt hin hob die
kantonale Steuerrekurskommission am 20. Juni 1997 den angefochtenen
Einspracheentscheid auf.

    B.- Hiergegen hat die Eidgenössische Steuerverwaltung am 28. August
1998 Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht eingereicht mit
dem Antrag, den Entscheid der Steuerrekurskommission aufzuheben und den
Einspracheentscheid zu bestätigen.

    Die Burgergemeinde Zermatt und die Steuerrekurskommission des Kantons
Wallis beantragen Abweisung der Beschwerde, während die Steuerverwaltung
des Kantons Wallis auf Gutheissung schliesst.

    Das Bundesgericht hat die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss dem Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (DBG;
SR 642.11), welches seit dem 1. Januar 1995 in Kraft steht, werden
grundsätzlich alle juristischen Personen besteuert (vgl. Art. 49
DBG); gewisse Ausnahmen von der Steuerpflicht sind in Art. 56
DBG vorgesehen. Zwischen den Parteien ist vorab streitig, ob die
Beschwerdegegnerin überhaupt der Steuerpflicht unterliegt: Die
Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht auf
eine Steuerbefreiung geschlossen, erfasse doch Art. 56 lit. c DBG die
Bürgergemeinden nicht. Gemäss dieser Bestimmung sind «die Gemeinden,
die Kirchgemeinden und die anderen Gebietskörperschaften der Kantone
sowie ihre Anstalten» von der Steuerpflicht befreit.

Erwägung 3

    3.- Welche juristischen Personen aufgrund von Art. 56 lit. c DBG
steuerbefreit sind, ist auf dem Weg der Gesetzesauslegung zu ermitteln.
Deren Ziel ist es, den Sinngehalt einer Norm zu ergründen. Auszugehen
ist dabei vom Wortlaut der auszulegenden Bestimmung, doch kann dieser
nicht allein massgebend sein, namentlich wenn der Text unklar ist oder
verschiedene Deutungen zulässt. Vielmehr muss nach der wahren Tragweite
des Wortlauts gesucht werden unter Berücksichtigung der weiteren
Auslegungselemente, wie namentlich Entstehungsgeschichte und Zweck
der Norm. Wichtig ist auch die Bedeutung, welche der Norm im Kontext
mit anderen Bestimmungen zukommt. Das Bundesgericht hat sich bei der
Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen
und nur dann allein auf das grammatikalische Element abgestellt, wenn
sich daraus zweifellos eine sachlich richtige Lösung ergab (vgl. BGE 124
II 372 E. 5 S. 376).

    a) Aus der Formulierung von Art. 56 lit. c DBG ist zu schliessen,
dass die Steuerbefreiung nur «Gebietskörperschaften» zukommen soll. Dieser
Begriff steht vorab im Gegensatz zu jenem der Personalkörperschaft, wobei
für die Unterscheidung massgebend ist, ob die Mitgliedschaft vom Wohnsitz
innerhalb eines gewissen Gebiets oder aber von bestimmten persönlichen
Eigenschaften abhängt (ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER, Grundriss des
Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Auflage, Zürich 1998, N. 1026 ff. S. 269
f.). Weiter zeigt der Wortlaut, dass die Kirchgemeinden nach Auffassung des
Gesetzgebers zu den Gebietskörperschaften gehören. Sie weisen jedoch neben
territorialen auch personale Elemente auf und gelten daher als Mischform
zwischen Gebiets- und Personalkörperschaften (HÄFELIN/MÜLLER, aaO, N.
1030 S. 270 und N. 1093 S. 282; ZACCARIA GIACOMETTI, Das Staatsrecht der
Schweizerischen Kantone, Nachdruck, Zürich 1979, S. 83). Daraus folgt,
dass der Begriff der Gebietskörperschaft hier weiter gefasst ist und
nicht nur reine Gebietskörperschaften unter Art. 56 lit. c DBG subsumiert
werden können. Der Wortlaut vermag demnach alle öffentlichrechtlichen
Körperschaften mit territorialen Elementen zu erfassen. Er schliesst einzig
jene Körperschaften von einer Steuerbefreiung aus, denen aufgrund des
kantonalen Rechts die Verbindung zu einem bestimmten, auf der politischen
Einteilung des Kantonsgebiets beruhenden Territorium gänzlich fehlt (vgl.
PETER AGNER/BEAT JUNG/GOTTHARD STEINMANN, Kommentar zum Gesetz über die
direkte Bundessteuer, Zürich 1995, N. 4 zu Art. 56, S. 216).

    An einem derartigen territorialen Bezug mangelt es zum einen
den Realkörperschaften, deren Mitglieder sich, wie beispielsweise
bei Meliorationsgenossenschaften oder Wasserkorporationen, über das
Eigentum an bestimmten Sachen - namentlich Grundstücken - bestimmen
(vgl. HÄFELIN/MÜLLER, aaO, N. 1029 S. 270). Zum anderen fehlt er den
reinen Personalkörperschaften, so zum Beispiel Berufsgenossenschaften oder
öffentlichrechtlich organisierten Studentenschaften. Die Beschwerdegegnerin
weist jedoch, gleich wie die Kirchgemeinden, Merkmale von Personal-
und Gebietskörperschaften auf: Neben dem Ortsbürgerrecht, das als
personales Element im Vordergrund steht, verfügt die Burgergemeinde
nach Walliser Recht auch über gewisse territoriale Grundlagen. So müssen
ihre Mitglieder, um stimmberechtigt zu sein, in der Regel im Gebiet der
betreffenden Burgergemeinde wohnen (vgl. Art. 81 Abs. 1 der Walliser
Kantonsverfassung vom 8. März 1907). Dieses entspricht in der Regel jenem
der Einwohnergemeinde, muss aber nicht notwendigerweise damit kongruent
sein (vgl. Art. 52 des Walliser Gesetzes vom 13. November 1980 über
die Gemeindeordnung; Art. 2 des Walliser Gesetzes vom 28. Juni 1989
über die Burgerschaften [Burgerschaftsgesetz]); die Burgergemeinden
verfügen insoweit über einen Bezug zu einem eigenen Territorium (vgl.
AGNER/JUNG/STEINMANN, aaO, N. 4 zu Art. 56, S. 216, mit Hinweisen; anders:
GIACOMETTI, aaO, S. 84 f.).

    Die grammatikalisch-begriffliche Auslegung spricht demnach für eine
Steuerbefreiung der Beschwerdegegnerin.

    b) Nach Art. 16 Ziff. 2 des Bundesratsbeschlusses vom 9. Dezember 1940
über die Erhebung einer direkten Bundessteuer (BdBSt) waren «die Gemeinden
sowie die anderen öffentlichrechtlichen und kirchlichen Körperschaften und
Anstalten für das Vermögen und Einkommen, das öffentlichen Zwecken dient»
von der Steuerpflicht befreit. Unter diese Regelung fielen neben den reinen
Territorialgemeinden und den Kirchgemeinden auch die Bürgergemeinden
(Urteil vom 24. Dezember 1991 in: ASA 62 S. 560 E. 3; vgl. auch: HEINZ
MASSHARDT, Kommentar zur direkten Bundessteuer, 2. Auflage, Zürich
1985, N. 5 zu Art. 16, S. 76 f.; ERNST KÄNZIG, Wehrsteuer, I. Teil,
2. Auflage, Basel 1982, N. 5 zu Art. 16 Ziff. 2 BdBSt, S. 164). Aus der
Entstehungsgeschichte von Art. 56 lit. c DBG ergeben sich keine Hinweise
darauf, dass der Gesetzgeber bezüglich der Erfassung der Bürgergemeinden
eine Änderung beabsichtigt hätte - im Gegenteil: Im Kommentar zu Art. 62
des bundesrätlichen Entwurfs für das Bundesgesetz über die direkte
Bundessteuer, welcher (bis auf lit. g) wörtlich dem heutigen Art. 56 DBG
entspricht, hat der Bundesrat erklärt, die Formulierung der Ausnahmen
entspreche materiell dem (damals) geltenden Recht (Art. 16 und 17 BdBSt;
BBl 1983 III 188). Ausser der Regelung betreffend gemeinnützige juristische
Personen (lit. g) hat die Bundesversammlung diesen Ausnahmekatalog
unverändert und ohne Diskussion zum Gesetzestext erhoben (vgl. AB 1986
S 197; 1988 N 37). Dies lässt darauf schliessen, dass weder Bundesrat
noch Parlament an der bisherigen Gleichbehandlung von Einwohner- und
Bürgergemeinden im Bereich der Steuerbefreiung etwas ändern wollten.

    Auch eine historische Auslegung von Art. 56 lit. c DBG spricht demnach
dafür, die Bürgergemeinden unter den Begriff der Gebietskörperschaften zu
subsumieren. Die zitierte Äusserung des Bundesrats ist zwar insofern nicht
genau, als Art. 56 lit. c DBG (bzw. Art. 62 lit. c des Entwurfs) dennoch
eine gewisse Abweichung vom alten Recht enthält. Nach Art. 16 Ziff. 2 BdBSt
galt die Steuerbefreiung nur für Vermögen und Einkommen der Gemeinden,
das (zumindest mittelbar) öffentlichen Zwecken diente; diese Beschränkung
wurde im neuen Recht aufgegeben (vgl. AGNER/JUNG/STEINMANN, aaO, N. 4
zu Art. 56, S. 216). Es handelt sich dabei jedoch um eine Erweiterung
der Ausnahmeregelung, die nicht einen Ausschluss der Burgergemeinden von
der für Gemeinden vorgesehenen Steuerbefreiung impliziert.

    c) Unter teleologischen und systematischen Gesichtspunkten ergibt
sich nichts anderes:

    Die Bürgergemeinden haben zwar - im Unterschied zu den politischen
Gemeinden - keine eigentliche Gebietshoheit (vgl. KURT EICHENBERGER,
Verfassung des Kantons Aargau, Aarau 1986, N. 6 zu § 104, S. 351). Ihre
Aufgabe besteht regelmässig vorab in der Verwaltung und Nutzung ihres Gutes
sowie in der Verwendung ihrer Mittel für kulturelle, soziale oder sonstige
gemeinnützige Zwecke, häufig in Zusammenarbeit mit der Einwohnergemeinde
(vgl. Art. 3 des Burgerschaftsgesetzes). Abgesehen von der Verleihung des
Bürgerrechts, dem Erlass von eigenen Reglementen und allenfalls gewissen
Aufgaben im Bereich des Vormundschaftswesen sowie der Armenfürsorge stehen
ihnen in der Regel keine hoheitlichen Befugnisse zu. Ähnliches gilt jedoch
auch für die Kirchgemeinden, die in Art. 56 lit. c DBG ausdrücklich von
der Steuerpflicht befreit werden. Diese verfügen - ausser im Bereich
der Kirchensteuern - grundsätzlich ebenfalls nicht über Hoheitsgewalt
oder Gebietshoheit und haben sich zur Hauptsache auf ideelle und soziale
Aktivitäten zu beschränken. Eine weitere Parallele zwischen Kirch- und
Bürgergemeinden besteht hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Schutzes
ihrer Autonomie, der auch diesen Gemeindearten zukommen kann. Anderen
öffentlichrechtlichen Körperschaften, die nicht politische Funktionen
der kommunalen Selbstverwaltung erfüllen und nicht die Bedeutung einer
Gemeinde haben, ist es verwehrt, sich auf den Schutz der Gemeindeautonomie
zu berufen (vgl. BGE 109 Ia 173 E. 3 S. 176, mit Hinweisen).

    Eine Besonderheit, welche die Bürgergemeinden von den Einwohner-
und Kirchgemeinden unterscheidet, liegt allenfalls darin, dass ihnen
keine Steuerhoheit zukommt. Dies lässt sich ohne weiteres aus der
Tatsache erklären, dass die Bürgergemeinden gewöhnlich über beträchtliche
eigene Nutzungsgüter und sonstiges Vermögen mit entsprechenden Erträgen
verfügen und deshalb nicht auf Steuereinnahmen angewiesen sind. Die
Verwaltung und Bewirtschaftung ihrer Besitztümer macht denn auch einen
wesentlichen Teil ihrer Aufgabe aus. Dabei können sie teilweise - je
nach den geltenden gesetzlichen Schranken - Vermögenserträge auch den
einzelnen Bürgern zufliessen lassen. Diese Spezialität der Bürgergemeinden
schliesst jedoch eine Befreiung von der direkten Bundessteuer nicht
zum Vornherein aus; soweit eine Bürgergemeinde gesetzlich gehalten ist,
mit ihrem Vermögen in erster Linie öffentlichen Zwecken zu dienen, und
keine übermässigen Ausschüttungen an ihre Bürger vornimmt, drängt sich
im Rahmen von Art. 56 lit. c DBG eine von den anderen Gemeindearten
abweichende Behandlung nicht auf. Im Fall der Beschwerdegegnerin sind
diese Voraussetzungen erfüllt: Walliser Burgergemeinden können nur dann
reglementarische Leistungen zugunsten ihrer Bürger vorsehen, wenn dadurch
«gemeinnützige» Zwecke verfolgt werden (Art. 11 des Burgerschaftsgesetzes);
Vermögenserträge werden gegebenenfalls als unentgeltliche oder vergünstigte
Naturalleistungen - in der Form von Brennholz oder Nutzungsrechten am
Burgerboden - oder (aus sozialen oder gemeinnützigen Erwägungen) als
Bargeld ausgeschüttet (vgl. Art. 12 f. des Burgerschaftsgesetzes).

    d) Die Auslegung von Art. 56 lit. c DBG ergibt somit, dass die
Beschwerdegegnerin als Bürgergemeinde unter den Begriff der «anderen
Gebietskörperschaften» fällt. Damit hat die Vorinstanz zu Recht auf eine
Steuerbefreiung der Beschwerdegegnerin erkannt. Die Beschwerde ist deshalb
abzuweisen; es erübrigt sich, auf die Ausführungen der Beschwerdeführerin
zu Art. 56 lit. g und Art. 206 DBG einzugehen.