Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 339



125 III 339

59. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. August 1999 i.S. V.
gegen Versicherung X. (Berufung) Regeste

    Art. 83 Abs. 3 SVG; Verjährung der Rückgriffsrechte.

    Gemäss Art. 83 Abs. 1 SVG tritt die Verjährung von Schadenersatz-
und Genugtuungsansprüchen aus Motorfahrzeug- oder Fahrradunfällen,
die aus einer strafbaren Handlung hergeleitet werden, nicht vor der
strafrechtlichen Verfolgungsverjährung ein. Dasselbe gilt auch für
Rückgriffsansprüche gemäss Art. 83 Abs. 3 SVG (E. 3-5).

Sachverhalt

    V. fuhr am 10. Oktober 1994 mit dem Lastwagen seiner Arbeitgeberin
von Liestal Richtung Sissach, als er mit der Leiteinrichtung einer
Baustellenabschrankung am rechten Strassenrand kollidierte. Durch den
Aufprall geriet das Fahrzeug auf die gegenüberliegende Strassenseite,
wo es schliesslich an einer Lärmschutzwand am Fahrbahnrand zum Stehen
kam. An dem Lastwagen, der Baustellenabschrankung und der Lärmschutzwand
sowie am Personenwagen eines Dritten entstand Sachschaden in der Höhe von
insgesamt Fr. 144'312.55. Aufgrund dieses Unfalls wurde V. mit Strafbefehl
vom 7. Juni 1995 wegen grober Verkehrsregelverletzung gebüsst, wobei
der Strafbefehl auch einen zweiten, im vorliegenden Zusammenhang nicht
interessierenden Unfall mit einfacher Verkehrsregelverletzung umfasste.

    Die Haftpflichtversicherung der Halterin des Lastwagens, die
Versicherung X., beglich den Schaden bis auf Fr. 1'000.- Selbstbehalt
und nahm auf V. Rückgriff wegen grobfahrlässiger Verursachung des
Unfalls. Dieser widersetzte sich einer Zahlung mit der Begründung, der
Anspruch sei verjährt.

    Das Bezirksgericht Liestal hiess die Klage der Versicherung mit Urteil
vom 14. Mai 1998 im Betrage von Fr. 20'000.- nebst Zins gut. Gleich
entschied das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft mit Urteil vom
23. März 1999.

    Das Bundesgericht weist die Berufung des Beklagten ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Art. 83 des Bundesgesetzes über den Strassenverkehr (SVG;
SR 741.01) regelt die Verjährung sowohl der direkten Schadenersatz- und
Genugtuungsansprüche aus Motorfahrzeug- und Fahrradunfällen als auch der
im Strassenverkehrsgesetz vorgesehenen Rückgriffsrechte. In beiden Fällen
beträgt die Verjährungsfrist grundsätzlich zwei Jahre. Wird der Anspruch
jedoch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für die das Strafrecht
eine längere Verjährung vorsieht, so gilt diese gemäss Art. 83 Abs. 1 SVG
auch für den zivilrechtlichen Direktanspruch. Demgegenüber enthält Absatz
3, welcher die Verjährung der Rückgriffsrechte zum Gegenstand hat, dem
Wortlaut nach keine entsprechende Präzisierung. Weder aus der Botschaft
des Bundesrates zum Strassenverkehrsgesetz noch aus den Beratungen in
National- und Ständerat geht hervor, aus welchen Gründen in Absatz 3 ein
Verweis auf die strafrechtlichen Verjährungsfristen unterblieb bzw. ob
die Differenz zwischen den beiden Absätzen auf eine bewusste Entscheidung
des Gesetzgebers zurückgeht. Der Botschaft lässt sich immerhin entnehmen,
dass eine einheitliche Verjährung des Anspruchs gegen den Fahrzeugführer,
den Halter und den Haftpflichtversicherer sowie gegen weitere, neben
dem Halter haftende Personen angestrebt wurde. Entsprechend der Regel
von Art. 60 OR sollte ferner vermieden werden, dass der Zivilanspruch
verjährt, bevor die Verfolgungsverjährung des Strafrechts eintritt. Was
die Verjährung der Rückgriffsrechte anbelangt, erwähnte die Botschaft
wiederum das Ziel einer einheitlichen Regelung, ohne aber zur Frage der
Anwendbarkeit der strafrechtlichen Verjährungsfristen Stellung zu nehmen
(BBl 1955 II 58 f.).

    b) Die Verjährungsfristen des Strafrechtes gelten subsidiär in
weiten Bereichen des ausservertraglichen Haftpflichtrechts. Neben
Art. 60 Abs. 2 OR und Art. 83 Abs. 1 SVG sieht auch Art. 39 Abs. 1 RLG
(Rohrleitungsgesetz; SR 746.1) sie ausdrücklich vor. Ausserdem gelten sie
mittels Verweis auf Art. 60 OR auch im Umweltschutzgesetz (SR 814.01),
Sprengstoffgesetz (SR 941.41) und Jagdgesetz (SR 922.0). Sinn und Zweck
dieser Ausnahmeregelungen ist die Harmonisierung der Vorschriften
des Zivil- und Strafrechts im Bereich der Verjährung. Es erschiene
unbefriedigend, wenn der Täter zwar noch bestraft werden könnte, die
Wiedergutmachung des zugefügten Schadens aber nicht mehr verlangt werden
dürfte (BGE 122 III 225 E. 5 S. 228; 122 III 5 E. 2b S. 7; 100 II 332 E. 2a
S. 334 f.; BREHM, Berner Kommentar, 2. Aufl., Bern 1998, N. 66 f.; ALFRED
KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl., Bern 1998, S. 269
f.; BERTI, Basler Kommentar, 2. Aufl., Basel 1996, N. 11 zu Art. 60 OR).

    In BGE 111 II 429 E. 2d S. 439 f. (bestätigt in BGE 112 II 172
E. II/2c S. 190) entschied das Bundesgericht, die längere strafrechtliche
Verjährungsfrist sei auch juristischen Personen entgegenzuhalten, welche
den von ihren Organen verursachten Schaden zu ersetzen haben. In BGE
112 II 79 E. 3 S. 81 ff. hielt das Bundesgericht sodann fest, auch der
unmittelbare Anspruch gegen den Versicherer gemäss Art. 65 Abs. 1 SVG
unterliege gegebenenfalls der strafrechtlichen Verjährungsfrist. Es führte
aus, der Wortlaut von Art. 83 Abs. 1 SVG mache - ebenso wie Art. 60 Abs. 2
OR - die Anwendung der strafrechtlichen Verjährungsfrist allein davon
abhängig, dass die Klage aus einer strafbaren Handlung hergeleitet werde,
setze aber nicht voraus, dass diese Handlung vom Beklagten selbst begangen
worden sei. Ein Teil der Lehre schloss daraus, Art. 60 Abs. 2 OR gelte
allgemein auch gegenüber demjenigen, der für das Verhalten des Täters
wie für sein eigenes einzustehen habe (BREHM, aaO, N. 101 zu Art. 60
OR). Diese Auffassung wurde in BGE 122 III 225 E. 5 S. 228 bestätigt
und die längere Verjährungsfrist nach Art. 60 Abs. 2 OR folgerichtig auch
auf die Hilfspersonenhaftung gemäss Art. 55 OR ausgedehnt.

    c) Wird ein Haftpflichtversicherer vom Geschädigten unmittelbar in
Anspruch genommen, kann er diesem gemäss Art. 65 Abs. 2 SVG keinerlei
Einreden aus dem Versicherungsvertrag oder aus dem Bundesgesetz über den
Versicherungsvertrag (VVG; SR 221.229.1) entgegenhalten. Im Interesse eines
konsequenten und umfassenden Schutzes des Geschädigten ist der Versicherer
deshalb unter Umständen gehalten, Leistungen zu erbringen, die er aufgrund
des internen Rechtsverhältnisses zwischen ihm und dem Versicherungsnehmer
bzw. dem Versicherten abzulehnen oder zu kürzen berechtigt wäre. Zum
Ausgleich räumt ihm Art. 65 Abs. 3 SVG ein gesetzliches Rückgriffsrecht
ein. Diesen Anspruch in verjährungsrechtlicher Hinsicht anders zu behandeln
als das direkte Forderungsrecht des Geschädigten, ist sachlich nicht
gerechtfertigt. Der Versicherer, der von Gesetzes wegen eine Leistung zu
erbringen hat, zu der er vertraglich nicht verpflichtet ist, muss sich vom
Geschädigten die längere strafrechtliche Verjährungsfrist entgegenhalten
lassen (BGE 112 II 79 E. 3 S. 81 ff.). Es wäre daher unbillig, wenn
sein Rückgriff gegen den Schädiger seinerseits der kürzeren zweijährigen
Verjährungsfrist unterliegen würde. Umgekehrt gibt es keinen Grund, einen
Schädiger, der eine strafbare Handlung begangen hat, zu privilegieren
und seine zivilrechtliche Leistungspflicht vor dem ihr zugrunde liegenden
Delikt verjähren zu lassen, nur weil der Geschädigte in Anwendung von Art.
65 Abs. 1 SVG direkt gegen den Versicherer vorgegangen ist. Es erschiene
nicht weniger unbefriedigend als im Falle des Direktanspruchs, wenn der
Regressanspruch verjähren könnte, solange der Schädiger noch strafrechtlich
verfolgt werden kann. Dies ist denn auch die einhellige Meinung jener
Autoren, die sich zu dieser Frage äussern (OFTINGER/STARK, Schweizerisches
Haftpflichtrecht, Besonderer Teil, Bd. II/2, 4. Aufl., Zürich 1989,
Rz. 776; BUSSY/RUSCONI, aaO, N. 5.3 zu Art. 83 SVG; SCHAFFHAUSER/ZELLWEGER,
Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Bd. II, Bern 1988,
Rz. 1508).

    d) Diese Überlegungen führen zum Schluss, dass der Gesetzgeber den
Verweis auf die Verjährungsfristen des Strafrechts in Art. 83 Abs. 3
SVG nicht bewusst unterlassen hat. Beim Erlass dieser Bestimmung stand
eine einheitliche Regelung von Beginn und Dauer der Verjährung der
Rückgriffsrechte des Strassenverkehrsgesetzes im Vordergrund (E. 3a
hiervor). Einer Klärung bedurfte namentlich der Beginn der Verjährung,
wofür - zusätzlich zur Kenntnis des Ersatzpflichtigen - der Zeitpunkt der
letzten Zahlung des Rückgriffsberechtigten nahe lag, da damit erst das
Regressrecht entstehen und dessen Obergrenze bestimmt werden kann. Eine
Abweichung von den in Art. 83 Abs. 1 SVG vorgesehenen Fristen wurde
hingegen nicht beabsichtigt. Dem Bestreben nach möglichst weitgehender
Vereinheitlichung der Verjährung würde vielmehr zuwiderlaufen, den
regressierenden Versicherer anders zu behandeln als den unmittelbar
Geschädigten. Demnach ist Abs. 3 so zu lesen, dass die erneute Erwähnung
derselben Verjährungsfrist wie in Abs. 1 lediglich den Gleichlauf der
Verjährungsdauer betont, während eigentlicher Regelungsgegenstand der dies
a quo ist. Bei Herleitung der Schadenersatzklage aus einer strafbaren
Handlung muss die in Art. 83 Abs. 1 SVG vorgesehene strafrechtliche
Verjährungsfrist deshalb auch für den Regressanspruch gelten.

Erwägung 4

    4.- a) Was der Beklagte in der Berufungsschrift dagegen vorbringt,
vermag daran nichts zu ändern. Verfehlt ist zunächst das Argument, der
Regress des Versicherers sei vertraglicher Natur, so dass es an einer
strafbaren Handlung und damit an einer Voraussetzung für die Anwendung
der strafrechtlichen Verjährungsfrist fehle. Wie aus dem Wortlaut von
Art. 83 Abs. 1 SVG hervorgeht, setzt die Anwendbarkeit der längeren
strafrechtlichen Verjährungsfrist bloss voraus, dass die Klage aus einer
strafbaren Handlung hergeleitet wird. Weder kommt es darauf an, dass die
Straftat vom Beklagten selbst begangen wurde (BGE 122 III 225 E. 5 S. 228),
noch verlangt der Wortlaut dieser Bestimmung, dass der Kläger als Opfer
zu betrachten ist. Die Rechtsnatur des Rückgriffsrechts des Versiche-rers
ist im Übrigen umstritten (vgl. OFTINGER/STARK, aaO, § 26 Rz. 214 und FN
376). Fest steht jedoch, dass der Regress auf dem Gesetz, nämlich Art. 65
Abs. 3 SVG beruht, und dass er auf eine Rückerstattung von Leistungen
zielt, die der Versicherer über seine Vertragspflicht hinaus erbracht hat.
Diese Leistungen erbringt der Versicherer mithin entgegen der Auffassung
des Beklagten nicht in Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten, sondern
vielmehr - aufgrund des gesetzlichen Einredenausschlusses gemäss Art. 65
Abs. 2 SVG - trotz möglicher Einreden aus Vertrag oder Gesetz.

    b) Auch die vom Beklagten vorgeschlagene grammatikalische Auslegung
von Art. 83 Abs. 1 SVG vermag nicht zu überzeugen. Beim Regress des
Versicherers gemäss Art. 65 Abs. 3 SVG wird der Anspruch offensichtlich
«aus einer strafbaren Handlung hergeleitet», ist diese (bzw. die
grobfahrlässige Herbeiführung des Schadenereignisses) doch gerade Grund
und Voraussetzung für den Rückgriff.

    c) Der Beklagte will seinen Standpunkt ferner aufgrund
systematischer Auslegung gestützt wissen. Er macht geltend, das
Rückgriffsrecht des Versicherers bezwecke eine Wiederherstellung der
«normalen Verhältnisse gemäss VVG». Dieses Gesetz sehe aber in Art. 46
VVG für alle Forderungen aus Versicherungsverträgen eine zweijährige
Verjährungsfrist vor. Der Beklagte übersieht allerdings, dass Art. 83 SVG
eigene Verjährungsbestimmungen enthält und nicht auf das VVG verweist. Das
erscheint folgerichtig, da der Einredenausschluss gemäss Art. 65 Abs. 2
SVG und als dessen Ausgleich der Regress des Versicherers gemäss Art. 65
Abs. 3 SVG ihre Grundlage nicht im Versicherungsvertrag, sondern im Gesetz
haben (OFTINGER/STARK, aaO, § 26 Rz. 214 und FN 376). Im Übrigen hätte
es der Gesetzgeber, wenn er eine blosse Anpassung an die Fristen des VVG
bezweckt hätte, bei einem Verweis belassen können.

    d) Unbegründet ist sodann die Befürchtung des Beklagten, die allgemeine
zweijährige Verjährungsfrist gemäss Art. 83 Abs. 3 SVG würde zur Makulatur
verkommen, weil einige der im SVG geregelten Rückgriffsrechte stets
mit einer als Vergehen strafbaren Handlung in Zusammenhang stünden. Wie
der Beklagte selbst aufzeigt, handelt es sich dabei um weniger als die
Hälfte, nämlich um zwei der insgesamt fünf Rückgriffsrechte, welche das
SVG erwähnt. Für die Anwendung der zweijährigen Verjährungsfrist bleibt
mithin genügend Raum.

    e) Die Ausführungen des Beklagten zu den Unterschieden zwischen Ersatz-
und Rückgriffsanspruch vermögen seinen Standpunkt ebenso wenig zu stützen.
Namentlich trifft nicht zu, dass es der Versicherer in der Hand habe,
den Beginn der Verjährungsfrist durch Erbringen der letzten Zahlung selbst
festzusetzen. Die Zahlungen an den Geschädigten stehen nicht im Belieben
des Versicherers, sondern er ist von Gesetzes wegen dazu verpflichtet
(Art. 65 Abs. 1 SVG) und kann im Rahmen des vom Schädiger zu ersetzenden
Schadens vom Geschädigten dazu angehalten werden. Auch das Argument, der
Versicherer werde anders als der Geschädigte an den Schadenfall und damit
an die Möglichkeit des Regresses erinnert, wenn er vom Geschädigten direkt
in Anspruch genommen werde, ist verfehlt. Der Beklagte verkennt dabei den
wahren Regelungszweck, die Harmonisierung der zivil- und strafrechtlichen
Verjährung (E. 3b hiervor). Namentlich kann er aus einer anders gelagerten,
speziellen Verjährungsregelung im Kernenergiehaftpflichtgesetz nichts zu
seinen Gunsten ableiten. Dasselbe gilt für die vom Beklagten angeführte
Anzeigeobliegenheit gemäss Vorentwurf zur Revision des Haftpflichtrechts,
den das geltende Recht nicht kennt.

    f) Schliesslich lässt sich auch aus dem Aspekt der Rechtssicherheit
nichts zu Gunsten des Beklagten ableiten. Die Anwendbarkeit der längeren
strafrechtlichen Verjährungsfristen bedeutet keineswegs, dass der Schuldner
in alle Zukunft noch in Anspruch genommen werden kann, sondern nur, dass
Direktanspruch und Regress-anspruch in verjährungsrechtlicher Hinsicht
einheitlich behandelt werden.

Erwägung 5

    5.- Nach dem Gesagten unterliegt die Regressforderung der Klägerin
der längeren strafrechtlichen Verjährungsfrist. Der Beklagte wurde
wegen des Unfalls vom 10. Oktober 1994 wegen grober Verletzung der
Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG verurteilt. Diese Bestimmung
sieht als Strafe Gefängnis oder Busse vor. Gemäss Art. 70 StGB tritt
die Verfolgungsverjährung in diesem Fall nach fünf Jahren ein. Die
Vorinstanz hat mithin im Ergebnis kein Bundesrecht verletzt, wenn sie
die Verjährungseinrede des Beklagten abgewiesen hat.