Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 14



125 III 14

3. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. November 1998 i.S.
S. AG gegen N. (Berufung) Regeste

    Agenturvertrag; fristlose Entlassung; Berechnung des
Schadenersatzanspruches des Agenten (Art. 418r Abs. 2 OR i.V.m. Art. 337c
OR).

    Für die Bestimmung der dem Agenten nach Art. 337c Abs. 1 OR
auszurichtenden Entschädigung ist auf die in vergleichbaren Perioden in
der Vergangenheit erzielten Provisionen abzustellen (E. 2b).

    Nach der Vertragsauflösung unerwartet eingetretene und vom Agenten
nicht zu vertretenden Umstände sind bei der Berechnung des Schadenersatzes
nicht zu berücksichtigen (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- N. (Kläger) schloss am 16. Oktober 1991 mit der S. AG (Beklagte)
einen Agenturvertrag, worin ihm die Vertretung gegenüber bestimmten
Grosskunden bezüglich eines festgelegten Süsswaren-Sortiments übertragen
wurde. Der Vertrag sah eine Kündigungsfrist von drei Monaten vor.

    Nachdem die Beklagte davon erfahren hatte, dass der Kläger sich am
Aktienkapital des neu gegründeten Konkurrenzunternehmens C. AG mit Fr.
10'000.-- beteiligt hatte, kam es am 12. Januar 1996 zu einer Aussprache
zwischen den Parteien. Am 27. Februar 1996 kündigte die Beklagte den
Agenturvertrag mit dem Kläger fristlos. Dieser akzeptierte die Kündigung
nicht und bot weiter seine vertragliche Arbeitsleistung an, die jedoch
von der Beklagten nicht angenommen wurde. Daraufhin unterzeichnete der
Kläger am 12. März 1996 einen Agenturvertrag mit der C. AG.

    Am 7. März 1997 belangte der Kläger die Beklagte auf Fr. 73'140.--
zuzüglich Zins. In der Folge reduzierte er seine Klageforderung
auf Fr. 40'740.-- nebst Zins. Mit Urteil vom 20. März 1998 hiess das
Handelsgericht des Kantons Bern die Klage teilweise gut und sprach dem
Kläger Fr. 40'210.35 nebst Zins zu.

    Das Bundesgericht weist die Berufung der Beklagten ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Handelsgericht erachtete die fristlose Entlassung des Klägers
als ungerechtfertigt. Dessen Schadenersatzanspruch gemäss Art. 337c Abs. 1
OR berechnete es auf der Grundlage der im letzten Jahr vor Auflösung des
Agenturvertrages durchschnittlich erzielten monatlichen Provisionen. Die
Beklagte bestreitet im Berufungsverfahren nicht mehr, den Agenturvertrag
mit dem Kläger ohne wichtigen Grund fristlos gekündigt zu haben. Mit
der Berufung macht sie aber geltend, das Handelsgericht habe den auf die
ordentliche Kündigungsfrist entfallenden Lohn nach falschen Grundsätzen
berechnet und damit Art. 337c Abs. 1 OR verletzt.

    a) Art. 418r Abs. 2 OR verweist für die Kündigung des
Agenturvertrages aus wichtigen Gründen auf "die Bestimmungen über den
Dienstvertrag". Gemeint sind damit grundsätzlich die Art. 337 f. OR
(Tercier, Les contrats spéciaux, Zürich 1995, Rz. 4397). Es ist -
entgegen gewissen Zweifeln in der Literatur (vgl. WETTENSCHWILER, in:
Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, 2. Aufl., N. 2 zu Art. 418r OR)
- nicht ersichtlich, weshalb Art. 337c Abs. 1 und 2 OR beim Agenturvertrag
nicht anwendbar sein sollen. Mit Blick darauf, dass Streitigkeiten der
Parteien über das Vorliegen eines wichtigen Grundes selten während der
ordentlichen Kündigungsfrist rechtsverbindlich beigelegt werden können,
ist es sachgerecht, das Agenturverhältnis auch dann als sofort beendet
zu betrachten, wenn sich die fristlose Vertragsauflösung nachträglich
als ungerechtfertigt erweist. Entsprechend schuldet der Auftraggeber
Schadenersatz im Sinne von Art. 337c Abs. 1 und 2 OR.

    b) Erweist sich die fristlose Entlassung als nicht gerechtfertigt,
so hat der Arbeitnehmer gemäss Art. 337c Abs. 1 OR Anspruch auf Ersatz
dessen, was er verdient hätte, wenn das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung
der ordentlichen Kündigungsfrist beendigt worden wäre. Die Berechnung kann
Schwierigkeiten bereiten, wenn nicht ein fester Monats- oder Stundenlohn
geschuldet ist, sondern sich die Entschädigung nach dem tatsächlich
erzielten Umsatz richtet. Ähnlich wie bei der Bestimmung des Ferienlohns
(Art. 329d OR) oder der Lohnfortzahlungspflicht bei Arbeitsverhinderung
(Art. 324a OR) besteht die Problematik, dass der Agent als Folge
der vorzeitigen Vertragsbeendigung in der fraglichen Periode keine
umsatzwirksamen Tätigkeiten entfalten kann. Zweckmässigerweise wird in
diesen Fällen für die Bestimmung der entsprechenden Entschädigungen auf die
in der Vergangenheit erzielten Durchschnittswerte abgestellt (STREIFF/VON
KAENEL, Arbeitsvertrag, 5. Aufl., N. 9 zu Art. 324a/b OR und N. 3 zu Art.
329d OR; STAEHELIN, ZÜRCHER KOMMENTAR, N. 49 zu Art. 324a OR und N. 2 f. zu
Art. 329d OR; BRÜHWILER, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, Bern 1996, N.
3b zu Art. 329d OR; teilweise abweichend: REHBINDER, Berner Kommentar, N.
23 zu Art. 324a OR und N. 5 f. zu Art. 329d OR).

    Im Lichte von Art. 337c OR ist möglichst genau und konkret zu
bestimmen, was der Arbeitnehmer tatsächlich verdient hätte, wenn ihm
ordentlich gekündigt worden wäre und er während der Kündigungsfrist
weitergearbeitet hätte. Massgebend ist grundsätzlich nicht der in
der Vergangenheit durchschnittlich erzielte Verdienst, sondern das
hypothetische Einkommen während der Kündigungsfrist. Damit ist allerdings
nichts darüber ausgesagt, wie dieses berechnet werden sollte. Hängt der
Lohn in irgend einer Form vom Umsatz ab, kann nicht auf den vom Unternehmen
in der fraglichen Periode tatsächlich erzielten Umsatz abgestellt werden,
weil ja darin die hypothetische Leistung des Anspruchsberechtigten
gerade nicht enthalten ist. Insoweit ist im Sinne einer Schätzung
darauf abzustellen, was in vergleichbaren Perioden zu einem früheren
Zeitpunkt erwirtschaftet worden ist. Sofern das Durchschnittseinkommen
des vorangegangenen Jahres für das Vertragsverhältnis typisch ist, kann
darauf abgestellt werden, wobei aber sowohl saisonalen Schwankungen
wie auch Umsatzentwicklungen der letzten Monate Rechnung zu tragen ist
(vgl. STREIFF/VON KAENEL, aaO, N. 9 zu Art. 324a/b OR, S. 156; STAEHELIN,
aaO, N. 49 zu Art. 324a OR).

    c) Im Allgemeinen ist für die Schadensberechnung der Zeitpunkt
massgebend, bis zu dem die letzte kantonale Instanz noch neue Tatsachen
berücksichtigen kann (BREHM, Berner Kommentar, 2. Aufl., N. 7 zu Art. 42
OR). Insoweit ist zu prüfen, ob auch unvorhergesehenen Entwicklungen
Rechnung zu tragen ist, die erst nach der fristlosen Entlassung eingetreten
sind und die in keinem Zusammenhang mit der Person des Entlassenen
stehen. Die Leistung der Beklagten hängt vorliegend vom Erfolg des Klägers
und damit von seinem Verhalten ab. Zu seinen vertraglichen Aufgaben
gehörte es auch, auf unvorhersehbare, veränderte Marktverhältnisse zu
reagieren. Die Möglichkeit, auf entsprechende Veränderungen einzugehen,
hat die Beklagte dem Kläger durch ihre ungerechtfertigte Vertragsauflösung
vereitelt. Eine Berücksichtigung der nach der Vertragsauflösung unerwartet
tatsächlich eingetretenen Marktveränderungen hätte zur Folge, dass
bloss Teile eines hypothetischen Kausalverlaufes - zu Ungunsten des
Entlassenen - berücksichtigt würden. Eine derartige Benachteiligung
findet im Gesetz keine Stütze. Entsprechend hat das Handelsgericht
den erst nach der fristlosen Entlassung eingetretenen Abbruch bzw. die
erhebliche Einschränkung der Geschäftsbeziehung der Beklagten zu einem
ihrer Grosskunden bei der Berechnung des Schadens nach Art. 337c Abs. 1
OR bundesrechtskonform ausser Acht gelassen.

    Der Vorwurf der Beklagten, bei dieser Berechnungsweise kassiere der
Kläger auf den gleichen Geschäften eine doppelte Provision, weil ein Teil
des Geschäfts mit der M.-Gruppe vom neuen Vertragspartner des Klägers
abgewickelt worden sei, ist unzutreffend. Die Beklagte übersieht, dass
das Handelsgericht die dem Kläger während der Kündigungsfrist von seiner
neuen Auftraggeberin ausgerichteten Provisionen bei der Schadensberechnung
berücksichtigt und von der eingeklagten Forderung in Abzug gebracht hat.