Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 III 103



125 III 103

20. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. November 1998 i.S.
A. und Konsorten gegen N. (Berufung) Regeste

    Internationale Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung;
Handlungs- und Erfolgsort (Art. 133 Abs. 2 IPRG).

    Im Falle reiner Vermögensschädigungen fällt der Erfolgsort nicht
zwingend mit dem Domizil des Geschädigten zusammen (E. 2). Lassen sich
die konkret verletzten Vermögenswerte vom übrigen Vermögen abgrenzen und
ist deren Standort zum Zeitpunkt der Schädigung feststellbar, gelangt
das Recht an jenem Orte zur Anwendung (E. 3).

Sachverhalt

    N. (nachfolgend Beklagter) war seit 1974 Verwaltungsrat der O. AG,
einer Gesellschaft liechtensteinischen Rechts mit Sitz in Schaan,
welche durch Regierungsbeschluss vom 30. Januar 1990 aufgelöst und in
Zwangsliquidation versetzt wurde, bevor über sie am 25. Oktober 1990 der
Konkurs eröffnet wurde. Bis Oktober 1989 war die O. AG an der in Kingstown
(St. Vincent and the Grenadines) domizilierten Bank P. Ltd. beteiligt,
welche am 6. Februar 1991 ebenfalls in Konkurs fiel. Unter den geschädigten
Gläubigern befanden sich auch A. und Konsorten (nachfolgend Kläger),
die im Vertrauen auf hohe Renditeversprechungen der Bank P. Ltd. grössere
Geldbeträge zur Anlage überlassen hatten.

    Auch der Beklagte hatte für sich und für seine Angehörigen bei der Bank
P. Ltd. Festgelder plaziert. Zusammen mit anderen Gläubigern hatte er ab
Februar 1990 deren Guthaben bei der Bank Q. verarrestieren und rechtzeitig
durch Betreibung prosequieren lassen, so dass er für seine Forderung von
rund Fr. 1 Mio. schliesslich provisorische Rechtsöffnung erlangen konnte.
Gemäss provisorischem Verteilungsplan vom 30. Juni 1994 beläuft sich die
Quote des Beklagten an den verarrestierten Guthaben auf Fr. 850'771.85.

    Diesen Anteil des Beklagten liessen die Kläger im Mai 1993
bzw. Dezember 1994 ihrerseits mit Arrest belegen, nachdem sie es seinerzeit
verpasst hatten, die Guthaben der Bank P. Ltd. bei der Bank Q. für ihre
Forderungen verarrestieren zu lassen.

    Am 9. Januar 1995 reichten die Kläger beim Bezirksgericht Sargans
Klage auf Arrestprosequierung ein. Mit Urteil vom 31. August 1995 wurde
die Klage abgewiesen. Gleich entschied das Kantonsgericht St. Gallen auf
Berufung der Kläger mit Urteil vom 23. Dezember 1997.

    Die von den Klägern gegen dieses Urteil erhobene eidgenössische
Berufung weist das Bundesgericht ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Zur Ermittlung des anwendbaren Rechts nahm die Vorinstanz
zunächst die Bestimmung des Handlungsorts vor und stützte sich dabei auf
die Behauptung der Kläger, wonach dem Beklagten Unterlassungen in seiner
Eigenschaft als Verwaltungsrat der O. AG zur Last gelegt werden. Als Ort,
an dem der Beklagte hätte handeln sollen, erachtete sie den Sitz dieser
Gesellschaft im Fürstentum Liechtenstein. Hinsichtlich des Erfolgsorts
führte sie aus, einerseits rechtfertige es sich in Fällen, in denen
Investoren einem im Ausland befindlichen und die Geschäftstätigkeit
dort ausübenden Institut Gelder übergeben, für die Anknüpfung nicht auf
den Wohnsitz des Geschädigten abzustellen, sondern das Rechtsverhältnis
den Normen jenes Staates zu unterstellen, von wo aus die Anlagen auch
getätigt wurden. Anderseits hätten die Kläger nicht dargetan, dass die
der Bank P. Ltd. übergebenen Vermögenswerte ursprünglich von Konten
stammten, welche in Deutschland lägen. Damit fehle es an einem Nachweis,
dass der Erfolg anderswo als am Handlungsort eingetreten sei, weshalb die
deliktsrechtliche Verantwortlichkeit des Beklagten nach liechtensteinischem
Recht zu beurteilen sei.

Erwägung 2

    2.- a) Die Kläger halten demgegenüber deutsches Recht für
anwendbar. Soweit sie sich allerdings zur Begründung ihres Standpunktes auf
die sog. Ubiquitätstheorie berufen und geltend machen, dem Geschädigten
stehe ein Wahlrecht zwischen dem Recht des Handlungs- und demjenigen des
Erfolgsorts zu, übersehen sie, dass diese Konzeption zwar noch der älteren
bundesgerichtlichen Rechtsprechung zugrunde gelegen hat (vgl. zuletzt
BGE 113 II 476 E. 3a S. 479), vom Gesetzgeber mit der Einführung des
Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987
(IPRG;SR 291) jedoch bewusst aufgegeben worden ist (Art. 133 Abs. 2 IPRG;
vgl. UMBRICHT, in: Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel 1996,
N. 9 zu Art. 133 IPRG; HEINI, in: Heini et al. [Hrsg.], IPRG Kommentar,
Zürich 1993, N. 8 zu Art. 133 IPRG). Bei Fehlen einer Rechtswahl und sofern
Schädiger und Geschädigter ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen
Staaten haben, ist nach Art. 133 Abs. 2 IPRG nun vielmehr allein das
Recht des Erfolgsorts massgebend, wenn der Schädiger mit dem Eintritt des
Erfolges in diesem Staat rechnen musste. Aus demselben Grunde verfängt
auch der Hinweis der Kläger auf die entsprechenden Regeln im Strafrecht,
welches seinerseits vom Ubiquitätsprinzip beherrscht ist (Art. 7 Abs. 1
StGB), nicht.

    b) Nach Auffassung der Kläger ist der Erfolg der behaupteten
unerlaubten Handlungen nicht in Liechtenstein, sondern in Deutschland
eingetreten. Sie machen geltend, im Falle von Vermögensschädigungen sei
jeweils auf das Domizil des Geschädigten abzustellen. Wohl könne der
Schaden auf einem Bankkonto im In- oder Ausland eintreten, doch werde das
Rechtsgut '«Vermögen'« in erster Linie am Ort verletzt, wo das Opfer und
der Inhaber des betreffenden Rechtsgutes domiziliert sei. Dort werde das
Vermögen auch steuerlich und erbfallmässig erfasst.

    aa) Erfolgsort ist derjenige Ort, wo das geschützte Rechtsgut
verletzt wurde (BGE 113 II 476 E. 3a S. 479). Davon zu unterscheiden
ist der Schadensort als Platz, an dem weiterer Schaden eintritt
(UMBRICHT, aaO, N. 17 zu Art. 129 IPRG; HEINI, aaO, N. 10 zu Art. 133
IPRG; KNOEPFLER/SCHWEIZER, Droit international privé suisse, 2. Aufl.,
Bern 1995, Rz. 529; VISCHER/VON PLANTA, Internationales Privatrecht,
2. Aufl., Basel 1982, S. 199; KEGEL, Internationales Privatrecht,
7. Aufl., München 1995, S. 540). Massgeblich für die Bestimmung des
Erfolgsortes ist mithin, wo die erste, unmittelbare Einwirkung auf das
durch den Tatbestand einer Deliktsnorm geschützte Rechtsgut stattgefunden
hat (KROPHOLLER, Internationales Privatrecht, 2. Aufl., Tübingen 1994,
S. 442). Fallen Erfolgs- und Schadensort auseinander, scheidet letzterer
als Anknüpfungspunkt dagegen aus (UMBRICHT, aaO, N. 17 zu Art. 129 IPRG).

    bb) Den Erfolgsort stets mit dem Domizil des Geschädigten
gleichzusetzen, weil das Vermögen in erster Linie am Wohnsitz des Opfers
verletzt werde, wie die Kläger argumentieren, greift nach dem Gesagten zu
kurz. Jede Vermögensschädigung trifft in letzter Konsequenz die berechtigte
natürliche oder juristische Person. Das IPRG stellt im Deliktsrecht aber
gerade nicht starr auf den Wohnsitz des Geschädigten ab, sondern - in
Ermangelung besonderer Anknüpfungspunkte, die im vorliegenden Fall nicht
gegeben sind - auf die lex loci delicti (Art. 133 Abs. 2 IPRG). Etwas
anderes lässt sich auch aus dem von den Klägern angeführten Entscheid des
Bundesgerichts nicht ableiten, war in jenem Fall doch der Handlungsort
unter den Parteien umstritten, während der Erfolgsort aufgrund der
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz verbindlich feststand
(vgl. BGE 113 II 476 E. 2 S. 478). Als Anknüpfungspunkt ebenso wenig
geeignet erscheint ferner das Steuerdomizil des Geschädigten. Vom Umstand
abgesehen, dass das Steuerrecht andere Anknüpfungskriterien vorsieht
als das internationale Privatrecht, werden jedenfalls in der Schweiz
Vermögensteile von Personen im Ausland steuerlich durchaus hierzulande
erfasst (vgl. z.B. betreffend die Verrechnungssteuer auf Zinserträgen
der Kundenguthaben bei Banken und Sparkassen Art. 4 i.V.m. Art. 22 VStG
[SR 642.21]). Auch die Steuerpflicht knüpft somit in örtlicher Hinsicht
nicht schematisch an das Domizil des Steuersubjektes, sondern mitunter
an die Lage der zu besteuernden Vermögensbestandteile an.

Erwägung 3

    3.- a) Im Falle reiner Vermögensschädigungen kann die Bestimmung
des Erfolgsortes Schwierigkeiten bereiten. In der Literatur wird etwa
vorgeschlagen, das Recht am Ort des Sitzes des konkret verletzten
Vermögenswertes anzuwenden; wo nicht ein bestimmt feststellbarer
Vermögenswert vermindert worden sei, solle der Sitz des Hauptvermögens des
Geschädigten massgeblich sein (so Jean-Louis Delachaux, Die Anknüpfung der
Obligationen aus Delikt und Quasidelikt im internationalen Privatrecht,
Diss. Zürich 1960, S. 181). In Betrugsfällen soll der Ort ausschlaggebend
sein, an dem der Geschädigte die Vermögensverfügung vorgenommen hat
(DELACHAUX, aaO, S. 181, unter Hinweis auf die Lösung des ersten
Restatement of the Law of Conflict of Laws, St. Paul 1934).

    b) Die Vorinstanz führte im angefochtenen Urteil aus, die Kläger hätten
den Nachweis für ihre Behauptung, wonach die Einzahlungen an die Bank
P. Ltd. jeweils von in Deutschland liegenden Konten aus vorgenommen worden
seien, nicht erbringen können. Aus den ins Recht gelegten Unterlagen gehe
nicht hervor, woher die überwiesenen Geldbeträge ursprünglich stammten. Das
gelte insbesondere dort, wo die Beträge in Schweizer Franken über das
Postcheckamt Zürich überwiesen oder gar in bar bei der O. AG in Vaduz
vorbeigebracht worden seien. Entsprechende Nachweise über die Herkunft der
Gelder fehlten aber auch dort, wo sich die Anleger vertraglich verpflichtet
hätten, das Geld auf das Konto der Bank P. Ltd. beim Postcheckamt München
zu überweisen. Zwar hätten die Kläger zu diesem Beweisthema die Einvernahme
von vier Zeugen und der Parteien beantragt, doch fehlten bereits in den
Rechtsschriften nähere Darlegungen zur Lage der betroffenen Konten. Die
Beibringung einschlägiger Urkunden wäre ihnen aber zuzumuten gewesen.
Überdies hätten die Kläger die Adressen der Zeugen dem Gericht nicht
mitgeteilt. Auf die Einvernahme der Parteien und der Zeugen zu dieser
Frage könne deshalb verzichtet werden. Müsse aufgrund der vorliegenden
Beweise geschlossen werden, dass Handlungs- und Erfolgsort zusammenfielen,
so sei liechtensteinisches Recht anwendbar.

    Damit hat das Kantonsgericht in tatsächlicher Hinsicht für das
Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass aufgrund der Beweiswürdigung
der Ort der behaupteten Verletzung in Liechtenstein anzusiedeln ist. Ist
für die Ermittlung des Erfolgsortes massgeblich, wo sich das unmittelbar
betroffene Rechtsgut zur Zeit der Verletzung befindet (UMBRICHT, aaO, N.
17 zu Art. 129 IPRG; KROPHOLLER, aaO, S. 443), und lassen sich die
beeinträchtigten Vermögensteile vom übrigen Vermögen abgrenzen und
hinreichend lokalisieren, so ist nach dem Gesagten (E. 2b/aa hiervor)
auf deren Standort im Moment der unerlaubten Handlung abzustellen. Nach
den Feststellungen der Vorinstanz haben die Kläger die fraglichen Beträge
selbst aus ihrem Vermögen ausgeschieden und - soweit das Vorgehen überhaupt
bekannt ist - entweder per Post- oder Bankauftrag nach Liechtenstein
überwiesen oder gar persönlich in Form von Bargeld der O. AG in Vaduz
überbracht. Woher die betreffenden Gelder im Einzelfall jeweils stammten,
haben die Kläger weder hinreichend behauptet noch bewiesen. Wenn die
Vorinstanz vor diesem Hintergrund liechtensteinisches Recht für anwendbar
erklärt hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden, trägt der
Ansprecher doch nicht nur für den Schaden als solchen, sondern auch für
den Verletzungsort die Behauptungs- und Beweislast (Art. 8 ZGB).