Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 V 81



123 V 81

14. Urteil vom 6. Juni 1997 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen D.
und Verwaltungsgericht des Kantons Zug Regeste

    Art. 3 Abs. 4 lit. g und Abs. 4bis ELG, Art. 17 Abs. 1 lit. b ELKV:
Behinderungsbedingte Mehrkosten. Die in Art. 17 Abs. 1 lit. b ELKV
enthaltene Beschränkung der abziehbaren Transportkosten auf solche zum
nächstgelegenen medizinischen Behandlungsort ist gesetzmässig.

Sachverhalt

    A.- Die 1936 geborene D. ist wegen einer Tetraparese bei Hirnaneurysma
im Pflegezentrum X. hospitalisiert. Nebst einer Hilflosenentschädigung
wurde ihr ab 1. Januar 1992 eine ordentliche ganze einfache Invalidenrente
ausgerichtet. Ihr Ehemann ist seit dem 1. Februar 1994 Bezüger einer
Ehepaar-Altersrente und von Ergänzungsleistungen zur AHV. Am 13.
April 1995 erkundigte sich dieser bei der Ausgleichskasse des Kantons
Zug, ob sie die Kosten für gelegentliche Transporte seiner Ehefrau mit
dem Tixi-Taxi vom Pflegeheim bis zu ihm nach Hause übernehme. Seine Frau
sei einseitig gelähmt, aber geistig noch präsent, so dass der Aufenthalt
im Pflegeheim für sie eine grosse psychische Belastung darstelle. Der
behandelnde Arzt habe daher empfohlen, dass man die Versicherte von
Zeit zu Zeit nach Hause in die Wohnung oder in den Garten bringe. Mit
Verfügung vom 18. April 1995 lehnte die Ausgleichskasse das Begehren ab,
da als behinderungsbedingte Mehrkosten nur Kosten für Transporte zum
nächstgelegenen medizinischen Behandlungsort in Frage kämen.

    B.- Der Ehemann der Versicherten erhob Beschwerde und erneuerte sein
Begehren. Er wies darauf hin, dass er zu Hause die physische Betreuung
seiner Ehefrau übernehme, zu welchem Zweck die IV-Stelle Zug - nach
vorgängiger Konsultation des behandelnden Arztes, des Ergotherapeuten,
des Pflegeheims, der Beratungsstelle SAHP und der Pro Infirmis - die
Übernahme der Kosten für die Miete einer Treppenraupe bewilligt habe.

    Mit Entscheid vom 26. Oktober 1995 hiess das Verwaltungsgericht des
Kantons Zug die Beschwerde gut und stellte fest, dass die Versicherte
Anspruch auf Ersatz der Transportkosten im Sinne der Erwägungen habe.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) die Aufhebung des kantonalen Entscheides und
die Bestätigung der angefochtenen Verfügung.

    Die Ausgleichskasse schliesst sich diesem Begehren an, während sich
der Ehemann der Versicherten nicht vernehmen lässt.

    D.- Am 10. Mai 1996 hat sich das BSV auf Ersuchen des
Instruktionsrichters zur Frage der Gesetzmässigkeit des Art. 17 Abs. 1
lit. b ELKV geäussert.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 2 Abs. 1 und 5 ELG haben in der Schweiz wohnhafte
Schweizer Bürger, denen eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der
Alters- und Hinterlassenenversicherung oder mindestens eine halbe Rente
der Invalidenversicherung zusteht, Anspruch auf Ergänzungsleistungen,
soweit ihr anrechenbares Jahreseinkommen einen bestimmten Grenzbetrag
nicht erreicht. Dabei entspricht die jährliche Ergänzungsleistung
dem Unterschied zwischen der massgebenden Einkommensgrenze und dem
anrechenbaren Jahreseinkommen (Art. 5 Abs. 1 ELG).

    Das anrechenbare Jahreseinkommen wird nach Massgabe der in
Art. 3 Abs. 1 lit. a-g sowie Abs. 2 ELG aufgelisteten Bestandteile
bestimmt, während das Gesetz in Abs. 4 verschiedene Ausgaben von
der Einkommensanrechnung ausnimmt. Darunter fallen auch ausgewiesene
behinderungsbedingte Mehrkosten für die allgemeine Lebenshaltung bis zum
jährlichen Höchstbetrag von 3600 Franken je Person (lit. g). Laut Art. 3
Abs. 4bis ELG bezeichnet der Bundesrat u.a. die behinderungsbedingten
Mehrkosten, die abgezogen werden können. Er hat diese Kompetenz
in Art. 19 Abs. 2 ELV (in der bis Ende 1995 geltenden Fassung) dem
Eidg. Departement des Innern (EDI) delegiert. Dieses hat in Art. 17 ELKV
die behinderungsbedingten Mehrkosten geregelt. Nach Abs. 1 lit. b der
betreffenden Bestimmung gelten ausgewiesene Kosten für Transporte zum
nächstgelegenen medizinischen Behandlungsort als behinderungsbedingte
Mehrkosten. Nach dieser Vorschrift werden die Kosten vergütet, die den
Preisen der öffentlichen Transportmittel für Fahrten auf dem direkten
Weg entsprechen. Ist der Versicherte wegen seiner Behinderung auf die
Benützung eines anderen Transportmittels angewiesen, so werden diese Kosten
berücksichtigt. Gemäss Abs. 2 von Art. 17 ELKV können Heimbewohnern nur
Kosten nach Abs. 1 lit. b vergütet werden.

Erwägung 2

    2.- Das kantonale Gericht hat im wesentlichen erwogen, entscheidendes
Kriterium für die Vergütung unter dem Titel behinderungsbedingter
Mehrkosten sei der Zusammenhang zwischen medizinischer Behandlung und
Transportkosten. Im vorliegenden Fall leide die Versicherte derart unter
ihrer halbseitigen Lähmung, dass der behandelnde Arzt die gelegentliche
Rückkehr nach Hause in die Wohnung des Ehemannes oder in den Garten
empfohlen habe; so seien von Januar bis Mitte März 1995 insgesamt sieben
Transporte mit dem Tixi-Taxi durchgeführt worden. Ziel solcher Fahrten sei
es, die mit der Lähmung verbundene psychische Belastung der Versicherten
zu mildern. Die Transporte stünden somit zumindest in einem indirekten
Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung im Pflegeheim. Daher
seien die entsprechenden Auslagen (im Rahmen der verfügbaren Quote
und des jährlichen Maximalbetrages von Fr. 3'600.--) unter dem Titel
behinderungsbedingter Mehrkosten zu übernehmen. Ferner wird im kantonalen
Entscheid darauf hingewiesen, dass die Invalidenversicherung - wohl aus den
gleichen medizinischen Gründen - die leihweise Abgabe einer Treppenraupe
bewilligt habe.

    Dem hält das BSV entgegen, wohl sei es für die Beschwerdegegnerin
zweifellos wichtig, hie und da zu ihrem Ehemann nach Hause zurückkehren
zu können. Ebensowenig werde die Wünschbarkeit einer Abwechslung zum
Alltag im Pflegeheim in Frage gestellt. Dies ändere aber nichts daran,
dass die Wohnung bzw. der Garten nicht als medizinischer Behandlungsort zu
betrachten sei. Der Ehemann der Versicherten führe dort keine medizinische
Behandlung durch; auch sei er weder Arzt, Zahnarzt noch eine medizinische
Hilfsperson im Sinne von Art. 5 lit. a ELKV, sondern gelernter technischer
Angestellter.

Erwägung 3

    3.- Der vorinstanzlichen Auffassung, wonach die Auslagen für die
gelegentlichen Transporte der Beschwerdegegnerin mit dem Tixi-Taxi vom
Pflegeheim nach Hause zum Ehemann als behinderungsbedingte Mehrkosten
im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. b ELKV zu betrachten sind, kann
nicht gefolgt werden. Die fraglichen Kosten sind nicht anlässlich der
Überwindung des Weges zum nächstgelegenen medizinischen Behandlungsort
entstanden. Wie das BSV zutreffend bemerkt, ist unter dem in der erwähnten
Bestimmung verwendeten Begriff des medizinischen Behandlungsortes ein
Ort zu verstehen, an dem eine medizinische Behandlung durchgeführt wird;
dies kann beispielsweise ein Spital, eine Arzt- oder Zahnarztpraxis oder
ein Zentrum für Ergotherapie usw. sein; jedoch genügt es nicht, dass
der Ort mit einer medizinischen Behandlung in irgendeinem Zusammenhang
steht. Vor diesem Hintergrund stellen Wohnung und Garten des Ehemannes
keinen medizinischen Behandlungsort dar, auch wenn die zeitweilige Rückkehr
der Beschwerdegegnerin nach Hause in die ihr vertraute Umgebung ärztlich
empfohlen wurde und an sich zu begrüssen ist. Entgegen den Ausführungen
im kantonalen Entscheid vermag ein bloss indirekter Zusammenhang mit der
medizinischen Behandlung im Pflegeheim den in Art. 17 Abs. 1 lit. b ELKV
statuierten Voraussetzungen nicht zu genügen. Daran ändert nichts, dass der
Beschwerdegegnerin die leihweise Abgabe einer Treppenraupe bewilligt wurde.

Erwägung 4

    4.- Im weiteren stellt sich indes die Frage nach der Gesetzmässigkeit
der in Art. 17 Abs. 1 lit. b ELKV enthaltenen Beschränkung der
abziehbaren Transportkosten auf solche zum nächstgelegenen medizinischen
Behandlungsort.

    a) Nach der Rechtsprechung kann das Eidg. Versicherungsgericht
Verordnungen des Bundesrates grundsätzlich, von hier nicht in Betracht
fallenden Ausnahmen abgesehen, auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Bei
(unselbständigen) Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation
stützen, prüft es, ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat im Gesetz
eingeräumten Befugnisse halten. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche
Delegation ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung
auf Verordnungsebene eingeräumt, muss sich das Gericht auf die Prüfung
beschränken, ob die umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus
dem Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen
oder aus andern Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig sind. Es kann
jedoch sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates
setzen, und es hat auch nicht die Zweckmässigkeit zu untersuchen. Die vom
Bundesrat verordnete Regelung verstösst allerdings dann gegen Art. 4 BV,
wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, wenn sie sinn-
oder zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für
die sich ein vernünftiger Grund nicht finden lässt. Gleiches gilt, wenn die
Verordnung es unterlässt, Unterscheidungen zu treffen, die richtigerweise
hätten berücksichtigt werden sollen (BGE 122 V 93 f. Erw. 5a/bb, 118
f. Erw. 3a/bb, 303 f. Erw. 4a, 311 f. Erw. 5c/aa, 120 V 457 f. Erw. 2b,
je mit Hinweisen).

    b) Das Eidg. Versicherungsgericht hat mit Blick auf die
Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 4 lit. g ELG bereits einlässlich
dargetan, dass es dem klaren Willen des Gesetzgebers entsprach,
behinderungsbedingte Mehrkosten für die allgemeine Lebenshaltung
in dem Umfang vom für die EL anrechenbaren Einkommen abzuziehen,
als sie insbesondere Kosten enthalten, die nicht schon durch eine
Hilflosenentschädigung gedeckt sind. Ferner sollte den EL-Bezügern der
Verbleib in der eigenen Wohnung ermöglicht und damit der Zeitpunkt der
Einweisung in ein Heim hinausgeschoben werden (BGE 117 V 30 Erw. 3 f.,
115 V 360 Erw. 2c). Diese Auffassung ergibt sich namentlich aus den Voten
der Berichterstatter (Votum DOBLER, Amtl.Bull. S 1985 289; Votum ZEHNDER,
Amtl.Bull. N 1985 1395). Nationalrat ZEHNDER brachte unter Hinweis auf
die Diskussion im Ständerat und in seiner Kommission zum Ausdruck, dass
die Kostenabzugsberechtigung nach Art. 3 Abs. 4 lit. g ELG nur jener
Gruppe von Behinderten zustehe, die in ihrer eigenen Wohnung oder bei
Angehörigen leben, also nicht in einem Heim untergebracht sind. Unter
behinderungsbedingten Kosten seien insbesondere solche zu verstehen, die
nicht bereits durch eine Hilflosenentschädigung oder durch die Pro-Werke
gedeckt seien. Das Bestreben gehe dahin, den Behinderten die Möglichkeit
zu bieten, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu bleiben und eine
Heimeinweisung zu verhindern (Amtl.Bull. N 1985 1395).

    c) Die Bestimmung von Art. 3 Abs. 4bis ELG überträgt dem
Bundesrat bzw. dieser durch Subdelegation dem EDI die Kompetenz
zur Bezeichnung der behinderungsbedingten Mehrkosten, die abgezogen
werden können. Die Delegationsnorm enthält keine Richtlinien darüber,
nach welchen Gesichtspunkten die nähere Auswahl zu treffen sei. Mit
der Verwendung des unbestimmten und dehnbaren Begriffs (BGE 117
V 31 f. Erw. 4b) der "behinderungsbedingten Mehrkosten" wurde dem
Bundesrat, und an seiner Stelle dem Departement, ein weiter Spielraum
der Gestaltungsfreiheit eingeräumt. Der Richter hat sich daher im Rahmen
der Prüfung der Gesetzmässigkeit weitgehende Zurückhaltung aufzuerlegen
(Erw. 4a hievor). Wenn der Verordnungsgeber in Art. 17 Abs. 1 lit. b
ELKV die abzugsfähigen Transportkosten auf solche zum nächstgelegenen
medizinischen Behandlungsort beschränkt hat, lässt sich nicht sagen,
er habe seinen Regelungsauftrag in einer vor dem Gesetz nicht haltbaren
Weise erfüllt. Die von ihm gewählte Konkretisierung rechtfertigt sich im
wesentlichen aus der Überlegung, dass der Gesetzgeber behinderungsbedingte
Mehrkosten für die allgemeine Lebenshaltung nur in dem Umfang zum Abzug
zulassen wollte, als sie Kosten enthalten, die nicht schon durch eine
Hilflosenentschädigung gedeckt sind. Dieser gesetzgeberischen Absicht
liefe ein weitergehender Transportkostenabzug von der Art, wie ihn
die Beschwerdegegnerin verlangt, insofern zuwider, als damit Bereiche
tangiert wären, die bereits bei der Bemessung der Hilflosenentschädigung
zu berücksichtigen sind (alltägliche Lebensverrichtung der Fortbewegung
und Kontaktaufnahme). So ist es denn systematisch folgerichtig, dass
der Verordnungsgeber im abschliessenden Katalog des Art. 17 Abs. 1 ELKV
(CARIGIET, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, Zürich 1995, S. 166) in
lit. a (Kosten für die notwendige Hilfe einer Drittperson im Haushalt)
und in lit. c (Kosten für die Miete einer rollstuhlgängigen Wohnung)
wesentliche und typische behinderungsbedingte Mehrkosten aufgelistet
hat, die durch die Hilflosenentschädigung nicht abgedeckt sind. Sodann
läge die verlangte Abzugsberechtigung von Transportkosten für Fahrten
vom Heim nach Hause ausserhalb der gesetzgeberischen Zielsetzung, welche
namentlich darin besteht, EL-Bezügern den Verbleib in der eigenen Wohnung
zu ermöglichen und Heimeinweisungen zu vermeiden (Erw. 4b hievor).

    Schliesslich ändert an der festgestellten Gesetzmässigkeit der
fraglichen Norm auch nichts, dass der erste Verordnungsentwurf einen Abzug
von Transportkosten für soziale und kulturelle Kontakte innerhalb eines
vernünftigen Rahmens vorgesehen hatte, dieser aber in der definitiven
Fassung nicht mehr enthalten ist, weil man den von den Kantonen
vernehmlassungsweise vorgetragenen Bedenken (Kostenfolgen) Rechnung
tragen wollte (ZAK 1986 S. 379). Der Verordnungsgeber durfte - immer im
Rahmen des ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsspielraums - in
Berücksichtigung der Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens Änderungen
vornehmen und war nicht verpflichtet, den Inhalt des ersten Entwurfs in
den definitiven Verordnungstext zu überführen.

Erwägung 5

    5.- Sind die abzugsfähigen Transportkosten nach dem Gesagten auf
diejenigen zum nächstgelegenen medizinischen Behandlungsort zu beschränken,
kann dem Begehren um Berücksichtigung der Auslagen für Fahrten mit
dem Tixi-Taxi vom Pflegeheim nach Hause entgegen der vorinstanzlichen
Auffassung nicht entsprochen werden.