Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 V 118



123 V 118

20. Auszug aus dem Urteil vom 15. Juli 1997 i.S. Sozialversicherungsanstalt
des Kantons St. Gallen gegen M. und Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen Regeste

    Art. 76 AHVV, Art. 22 Abs. 4 ELV: Drittauszahlung nachträglich
zugesprochener Ergänzungsleistungen. Art. 22 Abs. 4 ELV bildet eine
genügende Grundlage für Drittauszahlungen nachträglich zugesprochener
Ergänzungsleistungen an vorschussleistende Institutionen, ohne dass
darüber hinaus auch noch die von Art. 76 AHVV - oder von der in BGE 118
V 88 verdeutlichten und präzisierten Praxis - verlangten zusätzlichen
Drittauszahlungsvoraussetzungen erfüllt sein müssten.

    Art. 2 Abs. 3 ELG, Art. 22 Abs. 4 ELV: Verrechnung mit für Kinder
ausgerichteten Vorschussleistungen. Es ist nicht zulässig, einen in der
Ergänzungsleistung enthaltenen Anteil für die in die Leistungsberechnung
miteinbezogenen Kinder auszuscheiden; hingegen ist eine Drittauszahlung
zwecks Verrechnung mit für diese Kinder erbrachten Vorschussleistungen
in dem Umfang zulässig, in welchem damit Kosten bestritten wurden,
für die sonst der Ergänzungsleistungsberechtigte aufgrund seiner
familienrechtlichen Unterhaltspflicht hätte aufkommen müssen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- a) Offenbar übersehen hat das kantonale Gericht, dass der
Bundesrat gestützt auf Art. 3 Abs. 6 ELG mit dem auf den 1. Januar 1990
neu in Kraft gesetzten Art. 22 Abs. 4 ELV eine besondere Regelung über
die Nachzahlung von Ergänzungsleistungen getroffen hat und das in ZAK
1989 S. 224 publizierte Urteil insoweit durch die Rechtsentwicklung
überholt ist. Gemäss dieser Verordnungsbestimmung kann einer privaten
oder einer öffentlichen Fürsorgestelle, die einer Person im Hinblick auf
Ergänzungsleistungen Vorschussleistungen für den Lebensunterhalt während
einer Zeitspanne gewährt hat, für die rückwirkend Ergänzungsleistungen
ausgerichtet werden, dieser Vorschuss bei der Nachzahlung direkt
vergütet werden. Diese Norm enthält somit eine ausdrückliche materielle
Grundlage zur Koordination von Ergänzungsleistungen mit Leistungen der
öffentlichen Fürsorge, was dem Rechtszustand entspricht, der mit der
Einfügung des seit 1. Januar 1994 in Kraft stehenden Art. 85bis IVV
auch im Bereich der Invalidenversicherung erreicht worden ist. Das Ziel
dieser koordinationsrechtlichen Ordnung ist primär in der Vermeidung
eines Doppelbezugs von Leistungen zu Lasten des gleichen Gemeinwesens
zu erblicken (BGE 121 V 24 f. Erw. 4c/aa). Insofern unterscheidet
sie sich von den zur Sicherstellung zweckgemässer Leistungsverwendung
aufgestellten Normen. Vor diesem Hintergrund bildet Art. 22 Abs. 4 ELV
eine durchaus genügende Grundlage für Drittauszahlungen von nachträglich
zugesprochenen Ergänzungsleistungen an vorschussleistende Institutionen,
ohne dass darüber hinaus auch noch die von Art. 76 AHVV - oder von der
in BGE 118 V 88 verdeutlichten und präzisierten Praxis - verlangten
zusätzlichen Drittauszahlungsvoraussetzungen erfüllt sein müssten.

    b) Im vorliegenden Fall zu beachten ist allerdings, dass die dem
Beschwerdegegner zugesprochenen Leistungen an die Amtsvormundschaft
überwiesen werden sollen zwecks Verrechnung mit Vorschussleistungen,
welche nicht diesem selbst, sondern dessen Tochter gewährt wurden. Wie das
kantonale Gericht unter Hinweis auf ZAK 1989 S. 224 an sich zutreffend
erkannte, haben Kinder, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der
Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung begründen
und deshalb in die Ergänzungsleistungsberechnung miteinzubeziehen sind,
indem die für sie massgebenden Einkommensgrenzen dem anspruchsberechtigten
Elternteil zugerechnet werden (Art. 2 Abs. 3 ELG), keinen Anspruch auf
direkte Ausrichtung eines Teils der Ergänzungsleistung. Daraus schloss
die Vorinstanz, die Tatsache der finanziellen Unterstützung der Tochter
des Leistungsberechtigten durch die Fürsorgebehörde könne keinen Anspruch
auf Drittauszahlung der Ergänzungsleistung begründen. Dieser Folgerung
kann in dieser Form indessen nicht beigepflichtet werden. Zwar geht
es tatsächlich nicht an, einen in der Ergänzungsleistung enthaltenen
Anteil für die in die Leistungsberechnung miteinbezogenen Kinder
auszuscheiden. Folgerichtig hat das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 122
V 300 denn auch den auf den 1. Januar 1995 neu in Kraft getretenen Art. 7
Abs. 1 lit. c ELV, welcher eine gesonderte Ergänzungsleistungsberechnung
für den Leistungsansprecher und dessen Kind, das Anspruch auf eine
Kinderrente der Alters- und Hinterlassenen- oder der Invalidenversicherung
begründet, als gesetzeswidrig erklärt und dieser Bestimmung damit die
Anwendung versagt. (...). Zu Recht ging die Vorinstanz damit davon
aus, dass sozialversicherungsrechtlich eine reale Aufteilung des
Ergänzungsleistungsanspruchs auf den leistungsberechtigten Elternteil
und dessen Kind nicht zulässig ist, obschon dies rein rechnerisch
an sich denkbar wäre, sei dies nun in der von der Beschwerdeführerin
vorgeschlagenen oder aber auf eine andere Weise.

    Vorliegend geht es jedoch gar nicht darum, einen dem Kind des
Ergänzungsleistungsbezügers zustehenden Anteil an der Ergänzungsleistung
auszuscheiden. Diese soll ausschliesslich dem Lebensunterhalt des
Leistungsberechtigten dienen. Zu dessen Lebensunterhalt sind indessen
auch allfällige familienrechtliche Unterhaltspflichten zu zählen. Allein
damit lässt sich auch die in Art. 2 Abs. 3 ELG vorgesehene Zurechnung der
für Kinder massgebenden Einkommensgrenzen rechtfertigen. Werden nun aber
mit den von einer Fürsorgestelle vorschussweise erbrachten Leistungen
Kosten bestritten, für welche aufgrund seiner familienrechtlichen
Unterhaltspflicht der anspruchsberechtigte Ergänzungsleistungsbezüger
hätte aufkommen müssen, liegen indirekt Zuwendungen an dessen eigenen
Lebensunterhalt vor. Es ist kein plausibler Grund ersichtlich, weshalb
nachträglich ausgerichtete Ergänzungsleistungen nicht gestützt auf
Art. 22 Abs. 4 ELV mit solchen Vorschusszahlungen sollten zur Verrechnung
gebracht werden können. Vorauszusetzen ist lediglich, dass tatsächlich
Vorschussleistungen erbracht und für Aufwendungen eingesetzt wurden,
die sonst vom Ergänzungsleistungsberechtigten hätten übernommen werden
müssen. Soweit die Vorinstanz die streitige Drittauszahlung grundsätzlich
als unzulässig erklärt, erweist sich der angefochtene Entscheid somit
als bundesrechtswidrig und muss daher aufgehoben werden.

Erwägung 6

    6.- Die Amtsvormundschaft forderte die Drittauszahlung im Umfang
eines rein rechnerisch auf die Tochter des Beschwerdegegners entfallenden
Anteils an der nachträglich zugesprochenen Ergänzungsleistung, was nach dem
Gesagten nicht zulässig ist. Nichts einwenden liesse sich indessen gegen
eine Drittauszahlung bis zum Betrag, für welchen die Amtsvormundschaft der
Tochter des Beschwerdegegners Vorschussleistungen hat zukommen lassen, für
welche dieser aufgrund seiner familienrechtlichen Unterhaltspflicht hätte
aufkommen müssen. Diesbezüglich enthalten die vorhandenen Akten jedoch
keine zuverlässigen Angaben. Die Beschwerdeführerin, an welche die Sache
zurückzuweisen ist, wird deshalb von der Amtsvormundschaft entsprechende
Belege einholen und, solange kein als Tatbestand wirkendes Urteil des
zuständigen Zivilrichters vorliegt, vorfrageweise prüfen müssen, inwiefern
die geleisteten Zahlungen zur familienrechtlichen Unterhaltspflicht des
Beschwerdegegners gehören. Aufgrund der dabei gewonnenen Erkenntnisse
wird sie erneut über die streitige Drittauszahlung befinden.