Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 I 254



123 I 254

23. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26.
September 1997 i.S. Marco Metzler und Thomas Wyss gegen Regierungsrat
des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Legalitätsprinzip im Abgaberecht; Festsetzung von Gebühren für
Lateinkurse an der Universität durch Verordnung.

    Verhältnis des Erfordernisses der formell-gesetzlichen Grundlage zum
Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip (E. 2b).

    Ungenügen der bestehenden gesetzlichen Grundlagen (E. 2c-f).

Sachverhalt

    Die Philosophische Fakultät I und die Theologische Fakultät
der Universität Zürich führen für Studierende, die über keine
Lateinvorkenntnisse verfügen, Lateinische Elementarkurse bzw. Lateinkurse
durch. Bisher wurden für diese Kurse keine besonderen Gebühren verlangt. Am
11. Dezember 1996 erliess der Regierungsrat des Kantons Zürich eine
"Verordnung über die Gebühren der Lateinkurse"; gemäss dieser Verordnung
wird für die Belegung der Lateinkurse eine Kursgebühr von Fr. 310.-- pro
Semester erhoben. Auf Gesuch hin kann das Rektorat in Ausnahmefällen
die Kursgebühr reduzieren oder erlassen. Die Verordnung wurde auf das
Sommersemester 1997 in Kraft gesetzt.

    Marco Metzler und Thomas Wyss erheben staatsrechtliche Beschwerde
mit dem Antrag, die Verordnung vom 11. Dezember 1996 aufzuheben.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung des Legalitätsprinzips
im Abgaberecht und des Gewaltenteilungsprinzips.

    a) Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bedürfen öffentliche
Abgaben - abgesehen von Kanzleigebühren - einer Grundlage in einem
formellen Gesetz. Delegiert das Gesetz die Kompetenz zur Festlegung
einer Abgabe an den Verordnungsgeber, so muss es zumindest den Kreis der
Abgabepflichtigen, den Gegenstand und die Bemessungsgrundlagen der Abgabe
selber festlegen. Diese Anforderungen wurden in der Rechtsprechung für
gewisse Arten von Kausalabgaben gelockert: Sie dürfen, was die Vorgaben
über die Abgabenbemessung anbelangt, namentlich dort herabgesetzt werden,
wo das Mass der Abgabe durch überprüfbare verfassungsrechtliche Prinzipien
(Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzip) begrenzt wird und nicht allein
der Gesetzesvorbehalt diese Schutzfunktion erfüllt (BGE 122 I 61 E. 2a
S. 63; 121 I 230 E. 3e S. 235, 273 E. 3a S. 274 f.; 120 Ia 1 E. 3c S. 3,
265 E. 2a S. 266).

    b) Die angefochtene Verordnung nennt in ihrem Ingress keine gesetzliche
Bestimmung, auf die sie sich stützt. Die Erziehungsdirektion bringt vor,
mit der Gebühr von Fr. 310.-- pro Semester sei das Kostendeckungsprinzip
eingehalten. Ebenso sei das Äquivalenzprinzip respektiert, da die Gebühr
weit unter den Kursgeldern liege, die von privaten Anbietern verlangt
würden. Dem Prinzip der formellgesetzlichen Grundlage komme damit keine
eigene Schutzfunktion mehr zu. Deshalb sei auf das Erfordernis einer
formellgesetzlichen Grundlage ganz zu verzichten oder es könnten die
daran gestellten Anforderungen wesentlich gelockert werden.

    aa) Die Einhaltung des Kostendeckungs- und des Äquivalenzprinzips
vermag nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die Anforderungen an die
gesetzliche Festlegung der Abgabenbemessung zu lockern, aber nicht eine
formellgesetzliche Grundlage völlig zu ersetzen. Auf die Festlegung der
Höhe der Gebühr im formellen Gesetz kann zwar unter Umständen verzichtet
werden, wenn die staatliche Dienstleistung einen Handels- oder Marktwert
aufweist, so dass die Abgabenhöhe nach marktwirtschaftlichen Mechanismen
regulierbar ist (BGE 121 I 230 E. 3g S. 238 f., mit Hinweisen; 118 Ia 320
E. 4c S. 326; 103 Ib 324 E. 5d S. 333). Das bedeutet aber nicht, dass auf
jegliche formellgesetzliche Grundlage immer dann verzichtet werden kann,
wenn eine Gebühr anhand des Kostendekkungs- und des Äquivalenzprinzips
überprüfbar ist (LUKAS WIDMER, Das Legalitätsprinzip im Abgaberecht,
Diss. Zürich 1988, S. 109). Der Staat erbringt viele Dienstleistungen,
für welche er keine oder jedenfalls nicht kostendeckende Gebühren
erhebt. Darunter befinden sich Leistungen, welche an sich auch durch
Private angeboten werden und für welche ein Marktwert feststellbar
wäre. Der Staat kann sich jedoch aus bestimmten Gründen gerade zum Ziel
setzen, gewisse Aufgaben zu erfüllen, ohne dafür einen marktgerechten
Preis zu verlangen, insbesondere im Bestreben, diese Leistungen für
alle Bevölkerungsschichten erschwinglich zu gestalten. Ob und wie weit
dies der Fall sein soll, ist eine durch den demokratisch legitimierten
Gesetzgeber zu beantwortende Frage (WIDMER, aaO, S. 88 f., 167). Dass der
Staat aufgrund eines gesetzlichen Auftrags gewisse Aufgaben wahrnimmt,
erlaubt deshalb noch nicht den Schluss, dass er dafür kostendeckende
Gebühren verlangen kann. Die Anforderungen an die Bestimmtheit der
formellgesetzlichen Gebührenbemessung können vielmehr nur dann mit dem
Hinweis auf die Marktgerechtigkeit gelockert werden, wenn aus dem formellen
Gesetz hervorgeht, dass die Abgabe nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen
bemessen werden soll, bzw. dass eine kostendeckende Gebührenbemessung
dem Zweck und Charakter der Abgabe entspricht (BGE 120 Ia 1 E. 3f S. 6;
vgl. BGE 121 I 230 E. 3e S. 236).

    bb) Seit je hat der Staat ein Bildungsangebot unterhalten, ohne
dafür auch nur entfernt kostendeckende Gebühren zu verlangen. Das gilt
namentlich für die Studiengebühren an Universitäten, welche notorisch nur
einen kleinen Teil der staatlichen Aufwendungen dekken (vgl. BGE 121 I 273
E. 5a S. 278; 104 Ia 113 E. 4b S. 117 f.). Die Frage, welcher Anteil des
staatlichen Aufwandes durch Gebühren der Studierenden zu decken sei, ist
eine wesentliche bildungspolitische Wertungsfrage, die angesichts ihrer
Tragweite vom formellen Gesetzgeber beantwortet werden muss. Das blosse
Abstellen auf das Kostendeckungs- oder Äquivalenzprinzip als alleinige
Schranken würde dem Verordnungsgeber einen mit dem Legalitätsprinzip nicht
zu vereinbarenden übermässigen Spielraum belassen (BGE 121 I 273 E. 4b/c
S. 276 f.; 120 Ia 1 E. 3f S. 6). Wenn der Staat in Abweichung von einer
bisher seit Jahrzehnten befolgten Politik seine Bildungsangebote in Zukunft
nur noch zu kostendekkenden oder marktgerechten Preisen anbieten will,
so ist das ein politischer Entscheid, der vom formellen Gesetzgeber zu
treffen ist.

    cc) Der Umstand, dass die fraglichen Gebühren das Kostendekkungs-
und das Äquivalenzprinzip einhalten, vermag daher entgegen der Ansicht der
Erziehungsdirektion eine formellgesetzliche Grundlage nicht zu ersetzen.

    c) Die Erziehungsdirektion bringt vor, Elementarunterricht in Latein
gehöre nicht zu den in § 124 des Gesetzes vom 23. Dezember 1859 über
das gesamte Unterrichtswesen (Unterrichtsgesetz; UG) festgelegten
Aufgaben der Universität, sondern sei voruniversitäre Ausbildung.
Wenn die Universität trotzdem Lateinkurse durchführe, so stelle dies eine
freiwillige Zusatzdienstleistung dar, für welche auch separat Gebühren
erhoben werden könnten.

    Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Gemäss § 140 UG (in
der Fassung vom 25. Juni 1995) genügt jedes eidgenössisch anerkannte
Maturitätszeugnis als ausreichende Vorbildung für die Universität. Auch
für die Zulassung zu der Philosophischen Fakultät I oder zu der
Theologischen Fakultät wird nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes keine
Latein-Matura verlangt. Lateinkenntnisse sind somit nicht obligatorischer
voruniversitärer Ausbildungsstoff. Dass es möglich ist, Lateinkenntnisse
voruniversitär zu erwerben und ein erheblicher Teil der Studierenden dies
auch tut, ändert an dieser gesetzlichen Lage nichts.

    Die Universität hat seit langem die fraglichen Lateinkurse
durchgeführt, um jenen Studierenden, die über keine Lateinkenntnisse
verfügen, zu ermöglichen, sich die für das Studium erforderlichen
Kenntnisse anzueignen. Die Kurse dienen gerade dem Zweck, den
unterschiedlichen Ausbildungsstand, den das Gesetz mit seiner
Zulassungsregelung in Kauf nimmt, auszugleichen. Sie in Zukunft nicht mehr
bzw. nur noch gegen besonderes Entgelt anzubieten, würde eine Änderung
einer bisher seit langem praktizierten Politik darstellen, die nach dem
Gesagten dem formellen Gesetzgeber zusteht. Die für die Kurse zu erhebenden
Gebühren unterliegen deshalb den gleichen Anforderungen an eine gesetzliche
Grundlage wie diejenigen für die übrige universitäre Ausbildung.

    d) Fehl geht der von der Erziehungsdirektion angestellte Vergleich
mit den separat verrechneten Prüfungsgebühren, da diese im formellen
Gesetz ausdrücklich genannt sind (§ 137 UG).

    e) Die Erziehungsdirektion erblickt eine gesetzliche Grundlage für
die fragliche Gebühr in § 151a Ziff. 1 UG, wonach die Hochschulkommission
Antrag an den Erziehungsrat stellt zur Schaffung neuer Professuren,
Institute, Seminarien, Kliniken und Einrichtungen für die Belange der
Universität; zudem sei die Hochschulkommission gemäss § 151b Ziff. 1 UG
zuständig für die Erteilung von Lehraufträgen. Die angerufenen Bestimmungen
enthalten indessen keinen Hinweis auf die Erhebung von Gebühren. Dass
die Hochschulkommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, um
den Lehrauftragskredit der Universität bzw. der Fakultäten zu entlasten,
vermag eine gesetzliche Grundlage nicht zu ersetzen. Die Argumentation
der Erziehungsdirektion ist unhaltbar.

    f) Als gesetzliche Grundlage für die angefochtene Gebühr kommt
allenfalls § 137 UG in Frage, wonach der Regierungsrat Kollegiengelder
festsetzt.

    aa) Das Bundesgericht hat bereits in BGE 120 Ia 1 E. 3f S. 6 die
pauschale Delegationsnorm von § 137 UG als "mangelhaft" beurteilt. Es hat
indessen die damals zur Diskussion stehende Erhöhung der Kollegiengelder um
100% noch geschützt, da die erhöhte Pauschale sich in jener Grössenordnung
halte, die auch an anderen schweizerischen Hochschulen üblich sei; zudem
könne angenommen werden, dass sie sich innerhalb des (hypothetischen)
Rahmens halte, den der Gesetzgeber festgelegt hätte.

    bb) Dieser Entscheid wurde in der Lehre kritisiert (GEORG MÜLLER,
Rechtsgleichheit, Kommentar zu Art. 4 BV, Überarbeitung 1995, Rz. 77; JÖRG
PAUL MÜLLER, ZBJV 132/1996 S. 717). Der Kritik ist zuzugestehen, dass der
Hinweis auf den mutmasslichen Willen des Gesetzgebers das Legalitätsprinzip
aushöhlen könnte. In BGE 121 I 273 E. 5a S. 277 f. wurde die Erhöhung
der bernischen Kollegiengelder denn auch nicht mit dem Hinweis auf einen
hypothetischen gesetzgeberischen Willen geschützt, sondern deshalb, weil
sie sich gesamthaft im Rahmen des bisher Üblichen bzw. einer Anpassung
an die Teuerung hielt (vgl. auch BGE 104 Ia 112 E. 4c S. 118 f.).

    cc) Dieses Argument kommt vorliegend nicht zum Tragen. Die fraglichen
Lateinkurse wurden bisher nicht gesondert in Rechnung gestellt, sondern
waren in der Kollegiengeldpauschale inbegriffen. Diese betrug bis zum
Sommersemester 1993 Fr. 300.-- pro Semester und wurde seither in zwei
Schritten auf zur Zeit Fr. 600.-- erhöht (vgl. BGE 120 Ia 1). Wird nun
für den Unterricht in einem einzelnen Fach eine zusätzliche Gebühr
von Fr. 310.-- pro Semester verlangt, so sprengt dies den Rahmen
einer Anpassung an die Teuerung oder einer Modifikation im Rahmen des
bisher Üblichen bei weitem. Es stellt vielmehr eine Neuorientierung der
Gebührenpolitik dar, die - wie vorne ausgeführt - nicht in der Kompetenz
des Regierungsrates, sondern des formellen Gesetzgebers liegt.

Erwägung 3

    3.- Die angefochtene Verordnung entbehrt somit einer gesetzlichen
Grundlage und ist wegen Verletzung des Legalitätsprinzips im Abgaberecht
aufzuheben. Es erübrigt sich daher, auf die übrigen Rügen der
Beschwerdeführer einzugehen.