Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 IV 97



123 IV 97

15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. April 1997
i.S. Verein gegen Tierfabriken gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 32 StGB, 173 StGB.

    Rechtfertigung einer unwahren ehrverletzenden Äusserung durch
Amtspflicht. Voraussetzungen; Verhältnis zum Gutglaubensbeweis (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- X. verfasste am 10. März 1995 folgende Pressemitteilung:

    "Am Freitag mittag sind durch unbekannte Täter in zwei Migros-Filialen
in
   der Berner Innenstadt 'Stinkanschläge' gegen die Bankmetzgereien
   verübt worden... Durch den Anschlag wurden die betroffenen Fleischwaren
   ungeniessbar gemacht. Der genaue Sachschaden kann noch nicht beziffert
   werden. Gemäss einem Fax an verschiedene Geschäfte bekennt sich der
   Verein gegen Tierfabriken Schweiz zu den Anschlägen..."

    Der letzte Satz dieser Pressemitteilung ist inhaltlich unrichtig;
in Tat und Wahrheit hatte sich nicht der Verein gegen Tierfabriken (VgT),
sondern die Tierbefreiungsfront (TBF) zu den Anschlägen bekannt.

    Gestützt auf die Pressemitteilung der Polizei wurde in zahlreichen
schweizerischen Zeitungen, meist durch Wiedergabe einer sda-Meldung, über
die Anschläge berichtet und festgehalten, nach Angaben der Stadtpolizei
habe sich der Verein gegen Tierfabriken in einem Fax an verschiedene
Geschäfte zur Tat bekannt.

    B.- Am 20. März 1995 reichte der VgT beim Untersuchungsrichteramt Bern
gegen Unbekannte der Stadtpolizei Bern Strafklage wegen Amtsmissbrauchs
und Verleumdung, eventuell übler Nachrede ein.

    Mit Beschluss vom 8./13. August 1996 wurde die Strafverfolgung gegen X.
aufgehoben, da er weder bezüglich des Amtsmissbrauchs noch hinsichtlich
einer Ehrverletzung vorsätzlich gehandelt habe.

    Der VgT erhob Rekurs mit dem sinngemässen Antrag, das Strafverfahren
gegen X. sei wegen übler Nachrede fortzuführen. Dieser habe sämtliche
objektiven Tatbestandsmerkmale von Art. 173 StGB vorsätzlich erfüllt;
der Vorsatz setze nicht das Wissen um die inhaltliche Unrichtigkeit der
Pressemitteilung voraus. Der Entlastungsbeweis sei nicht erbracht.

    Die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern wies den Rekurs
am 9. Oktober 1996 ab.

    C.- Der VgT erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, den Beschluss der Anklagekammer aufzuheben.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                    aus folgender Erwägung:

Erwägung 2

    2.- c) aa) Nach Rechtsprechung und Lehre haben die
Rechtfertigungsgründe des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches, unter
anderem der Rechtfertigungsgrund der Amts- und Berufspflicht gemäss
Art. 32 StGB, Vorrang vor dem Entlastungsbeweis im Sinne von Art. 173
Ziff. 2 StGB, der nur zum Zuge kommt, wenn die Straflosigkeit sich nicht
bereits aus einem Rechtfertigungsgrund ergibt (BGE 106 IV 179 E. 3b S. 181;
108 IV 94 E. 2 S. 96; 116 IV 153 E. 4b S. 161, 211 E. 4a/bb S. 213 f.;
118 IV 248 E. 2c S. 252; STRATENWERTH, Schweiz. Strafrecht Bes. Teil I,
5. Aufl. 1995, § 11 N. 51; REHBERG/SCHMID, Strafrecht III, 6. Aufl. 1994,
S. 299 f.). Die ehrverletzende Äusserung eines Beamten ist, wie sich aus
der zitierten Rechtsprechung, insbesondere BGE 106 IV 179 und 108 IV 94,
ergibt, dann durch die Amtspflicht gemäss Art. 32 StGB gerechtfertigt,
wenn der Beamte sich in Erfüllung seiner Amtspflicht geäussert hat, die
Äusserung sachbezogen ist, nicht eindeutig über das Notwendige hinausgeht,
nicht unnötig verletzend ist und nicht wider besseres Wissen erfolgt. Dass
die ehrverletzende Äusserung unwahr ist und der Beamte dies bei der
nach den Umständen gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, schliesst -
gleich wie bei ehrverletzenden Äusserungen von Zeugen (siehe dazu schon
BGE 80 IV 56 E. 2 S. 60) - die Anwendung von Art. 32 StGB nicht aus. Wer
verpflichtet ist, zu äussern, was er für wahr hält, unterscheidet sich
wesentlich von demjenigen, welchem es freisteht, ob er sich äussern
will oder nicht (Corboz, La diffamation, SJ 1992 p. 629 ss, 648). Daher
rechtfertigt es sich, auf den zur Äusserung Verpflichteten unter den
genannten Voraussetzungen Art. 32 StGB anzuwenden und ihn von der Last
des Gutglaubensbeweises im Sinne von Art. 173 Ziff. 2 StGB zu befreien.

    bb) In bezug auf die inkriminierte Äusserung - "Gemäss einem Fax an
verschiedene Geschäfte bekennt sich der Verein gegen Tierfabriken Schweiz
zu den Anschlägen" - sind die genannten Voraussetzungen der Anwendung von
Art. 32 StGB erfüllt. Der Beschwerdegegner verfasste die Pressemitteilung
in Erfüllung seiner Aufgaben als beamteter Pressesprecher der Stadtpolizei,
der unter anderem die Öffentlichkeit über Straftaten und den Stand
der Ermittlungen zu informieren hat. Die inkriminierte Äusserung ist
sachbezogen, geht nicht eindeutig über das Notwendige hinaus und ist in
der Formulierung nicht unnötig verletzend; tatsächlich waren kurz zuvor
verschiedene Anschläge verübt worden und hatte sich eine Organisation
zu den Anschlägen bekannt. Allerdings ist die inkriminierte Äusserung
insoweit inhaltlich unrichtig, als sich in Tat und Wahrheit nicht der
Verein gegen Tierfabriken (VgT), sondern die Tierbefreiungsfront (TBF) zu
den Anschlägen bekannt hatte. Der Beschwerdegegner handelte nach den für
den Kassationshof im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz aber, was
insoweit massgebend ist, nicht wider besseres Wissen; vielmehr nahm er
unter anderem angesichts des Inhalts der Faxe, die den Briefkopf "Verein
gegen Tierfabriken" bzw. "Dr. Erwin Kessler" trugen, irrtümlich an,
dass sich der VgT zu den Anschlägen bekannt habe. Ob diese Verwechslung
bei Anwendung der nach den gesamten Umständen gebotenen Sorgfalt hätte
vermieden werden können, ist insoweit nicht entscheidend und muss daher
nicht geprüft werden.

    cc) Da die inkriminierte Äusserung somit nach der im Ergebnis
zutreffenden Ansicht der Vorinstanz durch Art. 32 StGB gedeckt ist,
der Vorrang vor Art. 173 Ziff. 2 StGB hat, musste die Vorinstanz nicht
darüber befinden, ob der Beschwerdegegner im Sinne der letztgenannten
Bestimmung ernsthafte Gründe hatte, seine Äusserung in guten Treuen für
wahr zu halten.