Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 II 542



123 II 542

55. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26.
November 1997 i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
gegen Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten und Eidgenössische
Datenschutzkommission (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 48 VwVG; Beschwerdebefugnis des Eidgenössischen
Datenschutzbeauftragten.

    Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte ist nicht legitimiert,
gegen den Entscheid eines Departements Beschwerde an die Eidgenössische
Datenschutzkommission zu erheben (E. 2).

Sachverhalt

    Das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP) verfügt über eine Reihe von
Informationssystemen sowie über Online-Zugriffe auf das Zentrale
Ausländerregister (ZAR) des Bundesamtes für Ausländerfragen (BFA)
und das automatisierte Personenregistratursystem AUPER-2. Am 21. März
1994 erliess der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte eine Empfehlung,
worin er die sofortige Einstellung des Direktabrufs von ZAR-Daten durch
das Bundesamt für Polizeiwesen, die Vernichtung der bei diesem Amt
gespeicherten Daten aus dem ZAR und die Erstellung einer Dokumentation
über die Datenbedürfnisse der verschiedenen Organisationseinheiten
des Bundesamtes für Polizeiwesen verlangte. Ferner erliess der
Eidgenössische Datenschutzbeauftragte am 13. April 1994 eine analoge
Empfehlung hinsichtlich des Zugriffs des Bundesamtes für Polizeiwesen
auf Asylbewerber-Daten des Systems AUPER-2.

    Nachdem das Bundesamt für Polizeiwesen, das Bundesamt für
Ausländerfragen sowie das Bundesamt für Flüchtlinge die Empfehlung
abgelehnt hatten, zog der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte die
Sache an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (Departement)
weiter. Dieses lehnte mit Entscheiden vom 2. November 1994 bzw. 9. Dezember
1994 die Empfehlungen des Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten im
wesentlichen ab und erlaubte den vorläufigen Zugriff des Bundesamtes für
Polizeiwesen auf die beiden Datenbanken mit bestimmten Auflagen.

    Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte erhob gegen diese Entscheide
am 3. Mai 1995 zwei Verwaltungsbeschwerden bei der Eidgenössischen
Datenschutzkommission (Kommission) und beantragte im wesentlichen, die
Entscheide des Departements aufzuheben, soweit sie den Online-Zugriff
auf die beiden Datenbanken gestatteten.

    Mit Entscheid vom 29. November 1996 trat die Eidgenössische
Datenschutzkommission auf die Beschwerden ein, hiess sie teilweise gut
und wies die Sache zur Neuentscheidung im Sinne der Erwägungen an das
Departement zurück. Sie erwog zum Eintreten, dass der Eidgenössische
Datenschutzbeauftragte zwar nicht nach Art. 48 lit. b VwVG zur Beschwerde
befugt sei, dass er jedoch ausnahmsweise nach Art. 48 lit. a VwVG
legitimiert sei, da das Departement ihn in der Wahrnehmung seiner
gesetzlichen Aufgabe erheblich benachteiligt habe. In der Sache hielt
die Kommission dafür, dass für die fraglichen Datenbearbeitungen nur
teilweise eine genügende gesetzliche Grundlage bestehe.

    Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement erhebt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid der
Eidgenössischen Datenschutzkommission aufzuheben. Es bringt vor,
die Kommission sei zu Unrecht auf die Beschwerde des Eidgenössischen
Datenschutzbeauftragten eingetreten, da dieser nicht zur Beschwerde
legitimiert sei.

    Das Bundesgericht heisst die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und
hebt den Entscheid der Datenschutzkommission auf

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Streitig ist vorab, ob die Kommission zu Recht auf die Beschwerde
des Datenschutzbeauftragten eingetreten ist.

    a) Ob die Kommission Art. 48 VwVG richtig angewendet hat, ist eine
Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei prüft (Art. 104 lit. a OG).

    b) Der Datenschutzbeauftragte hat die Beschwerde nicht als betroffener
Privater, sondern als Behörde eingereicht. Er macht nicht geltend, dass
mit den fraglichen Online-Zugriffen über ihn persönlich Daten bearbeitet
werden. Seine Beschwerdelegitimation kann sich insoweit nur aus den
Vorschriften über die Behördenbeschwerde ergeben.

    c) Wie die Kommission richtig ausführt, steht dem
Datenschutzbeauftragten kein Beschwerderecht im Sinne von Art. 48
lit. b VwVG zu. Die in dieser Bestimmung verlangte Ermächtigung ergibt
sich nicht bereits generell aus der Tatsache, dass eine Behörde
für eine bestimmte Aufgabe zuständig ist, sondern nur aus einer
ausdrücklichen spezialgesetzlichen Ermächtigung (ATTILIO R. GADOLA,
Das verwaltungsinterne Beschwerdeverfahren, Diss. Zürich 1991, S. 234;
ders., Die Behördenbeschwerde in der Verwaltungsrechtspflege des Bundes -
ein "abstraktes" Beschwerderecht? AJP 1993 S. 1458-1471, 1459 f.; FRITZ
GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983, S. 163; ALFRED
KÖLZ/ISABELLE HÄNER, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des
Bundes, Zürich 1993, S. 153; PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht
des Bundes, Basel 1979, S. 180, 182). Das Datenschutzgesetz (DSG;
SR 235.1) ermächtigt indessen den Datenschutzbeauftragten, von der
in Art. 29 Abs. 4 DSG für den Privatrechtsbereich statuierten Regelung
abgesehen, nicht zur Beschwerde an die Datenschutzkommission. Im Gegenteil
wurde die im Entwurf des Bundesrates vorgesehene Beschwerdemöglichkeit
(Art. 24 Abs. 5 lit. a des Entwurfs zum Datenschutzgesetz, BBl 1988 II
524) von der Bundesversammlung im Bereich der Aufsicht über Bundesorgane
ausdrücklich und bewusst gestrichen (AB StR 1990 159 f., 1991 1063-65,
NR 1992 S. 388-390; vgl. auch ROLF BRÜNDLER, in URS MAURER/NEDIM PETER
VOGT (Hrsg.), Kommentar zum schweizerischen Datenschutzgesetz, Basel 1995,
N. 14 zu Art. 27). Schliesslich erwähnt auch Art. 33 Abs. 1 lit. a DSG die
Empfehlungen des Datenschutzbeauftragten nur im Zusammenhang mit Art. 29
Abs. 4, das heisst ausschliesslich im Privatrechtsbereich. Angesichts
dieses grammatikalisch, systematisch und historisch eindeutigen
Auslegungsergebnisses kann es nicht von Bedeutung sein, dass der
Datenschutzbeauftragte geltungszeitlich ein eigenes Beschwerderecht
als wünschbar betrachtet. Zu prüfen bleibt, ob sich die beanspruchte
Beschwerdelegitimation, wie dies die Datenschutzkommission angenommen hat,
aus Art. 48 lit. a VwVG herleiten lässt.

    d) Nach Art. 48 lit. a VwVG ist zur Beschwerde befugt, wer durch
die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse
an deren Aufhebung oder Änderung hat. Nach dieser Formulierung, die
mit Art. 103 lit. a OG übereinstimmt, sind zur Beschwerde zunächst die
betroffenen Privaten berechtigt. Nach der Praxis des Bundesgerichts und
des Bundesrats ist auch ein Gemeinwesen nach 103 lit. a OG bzw. Art. 48
lit. a VwVG zur Beschwerde legitimiert, soweit es gleich oder ähnlich
wie ein Privater berührt ist (BGE 122 II 33 E. 1b S. 36; 118 Ib 614
E. 1b S. 616; 112 Ib 128 E. 2 S. 130, mit Hinweisen; VPB 59/1995 Nr. 12
S. 86). Das gilt insbesondere dann, wenn es in seinen vermögensrechtlichen
Interessen betroffen ist (BGE 122 II 33 E. 1b S. 36, 382 E. 2b S. 383;
118 Ib 614 E. 1b S. 616). Darüber hinaus ist ein Gemeinwesen legitimiert,
wenn es durch die angefochtene Verfügung in seinen hoheitlichen Befugnissen
berührt ist und ein schutzwürdiges eigenes Interesse an der Aufhebung oder
Änderung des angefochtenen Entscheids hat (BGE 123 II 371 E. 2c S. 374 f.,
mit Hinweisen).

    e) Hingegen begründet nach ständiger Praxis das blosse allgemeine
Interesse an einer richtigen Anwendung des objektiven Bundesrechts keine
Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens; insbesondere ist die in einem
Rechtsmittelverfahren unterlegene Vorinstanz nicht legitimiert (BGE 123
II 371 E. 2d S. 375; 122 II 382 E. 2c S. 383; 112 Ia 59 E. 1b S. 62;
111 V 151 E. 2 S. 152; 110 Ib 148 E. 1c S. 154; 108 Ib 167 E. 2a S. 170;
105 Ib 348 E. 5a S. 359; VPB 60/1996 Nr. 36 S. 326 f.; GADOLA, aaO (1993),
S. 1467; PIERRE MOOR, Des personnes morales de droit public, Fs. HÄFELIN,
Zürich 1989, S. 517-538, 537). Zur Legitimation genügt sodann nicht,
dass eine Behörde in einem Bereich, in welchem sie zur Rechtsanwendung
zuständig ist und insofern bestimmte, qualifizierte Interessen wahrnimmt,
eine Rechtsauffassung vertritt, die in Widerspruch steht zu derjenigen
einer anderen zuständigen bzw. übergeordneten Behörde oder Instanz,
auch wenn dadurch die Aufgabenerfüllung der betreffenden Behörde
wesentlich erschwert wird. So hat das Bundesgericht beispielsweise
einem kantonalen Untersuchungsrichter die Legitimation abgesprochen zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Weigerung einer eidgenössischen
Stelle, einen Bundesbeamten zur Zeugenaussage zu ermächtigen (BGE 123 II
371 E. 2e S. 376).

    f) Legitimiert sind sodann grundsätzlich nur Gemeinwesen als solche,
nicht hingegen einzelne Behörden oder Verwaltungszweige ohne eigene
Rechtspersönlichkeit (BGE 123 II 371 E. 2d S. 375; nicht publiziertes
Urteil des Bundesgerichts i.S. PTT vom 5. März 1996, E. 1b). Nach
schweizerischem Staatsverständnis sollen Meinungsverschiedenheiten
zwischen Behörden ein- und desselben Staatswesens nicht auf dem
Weg der Verwaltungsrechtspflege, sondern durch die übergeordneten
politischen Behörden geregelt werden (AB StR 1992 S. 389 f.; SALADIN,
aaO, S. 182). In den von der Datenschutzkommission zitierten Fällen,
in denen die Beschwerdelegitimation bejaht wurde, ging es in der Regel
um Beschwerden von Kantonen, Gemeinden oder öffentlichrechtlichen
Anstalten und Körperschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit gegen
Entscheide von Bundesbehörden oder kantonalen Gerichten (BGE 122
II 33, 382; 114 Ib 94, nicht publ. E. 2c; 113 Ib 363; 110 Ib 297;
nicht publiziertes Urteil des Bundesgerichts vom 19. August 1994
i.S. B., E. 1b) oder aber um Beschwerden eidgenössischer Stellen gegen
kantonale Entscheide (BGE 120 Ib 287 E. 3d S. 298; 116 Ib 400; 115 Ib
166; ZBl 97/1996 S. 373), mithin überall um Streitigkeiten zwischen
verschiedenen Gemeinwesen (nur auf solche Fälle bezieht sich auch die
von der Datenschutzkommission zitierte Stelle bei GYGI, aaO, S. 171 f.).
Demgegenüber ist eine Verwaltungsstelle des Bundes grundsätzlich nicht
befugt, Beschwerde gegen Entscheide einer anderen Verwaltungsstelle des
Bundes zu führen. Als Ausnahme wurde den Schweizerischen Bundesbahnen
(SBB) sowohl vom Bundesgericht als auch vom Eidgenössischen Verkehrs- und
Energiewirtschaftsdepartement die Beschwerdelegitimation nach Art. 103
lit. a OG bzw. Art. 48 lit. a VwVG zugesprochen gegen Verfügungen
der eidgenössischen Eisenbahnaufsichtsbehörden (BGE 120 Ib 287 E. 3d
S. 298; 116 I 344 E. 1a S. 346; ZBl 97/1996 S. 373 E. 1b; VPB 59/1995
Nr. 13 E. 4 S. 93 ff.). Der Grund dafür liegt darin, dass die SBB gemäss
Art. 5 Abs. 2 SBB-Gesetz (SR 742.31) parteifähig sind und dass sie als
Gesuchsteller bzw. Aufsichtsunterworfene gegenüber den eidgenössischen
Aufsichtsbehörden grundsätzlich die gleiche Stellung haben wie eine
private Eisenbahnunternehmung. Hinzu kommen historische Überlegungen,
wonach die SBB durch eine Verstaatlichung ursprünglich privater Bahnen
zustandegekommen sind.

    g) Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte ist "unabhängig" und dem
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement nur administrativ zugeordnet
(Art. 26 Abs. 2 DSG). Er hat jedoch keine eigene Rechtspersönlichkeit,
sondern ist trotz seiner Unabhängigkeit eine Verwaltungsstelle
des Bundes. Als solche versieht er eine vergleichbare Aufgabe wie
andere unabhängige Behörden des Bundes, beispielsweise die Kartell-
bzw. Wettbewerbskommission oder die Eidgenössische Bankenkommission. Seine
Tätigkeit ist nicht vergleichbar mit derjenigen der Schweizerischen
Bundesbahnen, die eine grundsätzlich auch privatwirtschaftlich
konzipierbare Unternehmung betreiben und insoweit den eidgenössischen
Aufsichtsbehörden analog wie ein Privater unterstellt sind, sondern es
handelt sich um eine typisch staatliche Handlung. Sein Interesse an einer
richtigen Erfüllung der gesetzlich vorgesehenen Datenschutzmassnahmen ist
gleichgeartet wie dasjenige jeder anderen staatlichen Behörde, welche
bestimmte Aufgaben und Interessen wahrnimmt, was sie jedoch noch nicht
zur Beschwerde legitimiert.

    Der Datenschutzbeauftragte ist zwar dem Eidgenössischen Justiz-
und Polizeidepartement nicht hierarchisch unterstellt. Er ist aber
seinerseits anderen Bundesbehörden gegenüber auch nicht weisungsbefugt;
er kann bloss Empfehlungen erlassen (Art. 27 Abs. 4 DSG). Befolgt eine
Bundesstelle seine Empfehlungen nicht, so kann er die Angelegenheit der
hierarchisch vorgesetzten Behörde dieser Stelle zum Entscheid vorlegen
(Art. 27 Abs. 5 DSG). Das Gesetz geht somit davon aus, dass über
Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Datenschutzbeauftragten und einer
anderen Bundesstelle auf dem ordentlichen politischen Weg entschieden
wird, wie das innerhalb der Bundesverwaltung üblich ist. Das ist auch der
Wille des Gesetzgebers, der das vom Bundesrat vorgesehene Beschwerderecht
des Datenschutzbeauftragten gestrichen hat (vorne E. 2c). Es kann nicht
angehen, diesen gesetzgeberischen Entscheid zu unterlaufen, indem dem
Datenschutzbeauftragten anstelle des abgelehnten Behördenbeschwerderechts
die allgemeine Beschwerdebefugnis nach Art. 48 lit. a VwVG zugestanden
wird.

    h) Die Datenschutzkommission ist grundsätzlich ebenfalls dieser
Meinung, bejahte jedoch die Beschwerdelegitimation ausnahmsweise, weil
der Datenschutzbeauftragte durch das Verhalten des Departements erheblich
benachteiligt worden sei. Diese Auffassung würde darauf hinauslaufen,
die Beschwerdebefugnis nach dem Intensitätsgrad der geltend gemachten
Verletzung zu beurteilen. Das wäre nicht nur unpraktikabel und im
Widerspruch zum Gebot der Rechtssicherheit. Es entspricht auch nicht
der dargestellten gesetzlichen Regelung, von der nicht einfach deshalb
abgewichen werden kann, weil sich eine Verwaltungsstelle besonders
behindert fühlt. Es mag zahlreiche andere Verwaltungsstellen geben,
die sich durch Entscheide eines Departements in der Wahrnehmung ihrer
öffentlichen Aufgabe, so wie sie sie verstehen, erheblich beeinträchtigt
fühlen, ohne dass sie deswegen den Entscheid des Departements
anfechten können. Es ist kein Grund ersichtlich, diesbezüglich dem
Datenschutzbeauftragten eine gesetzlich nicht vorgesehene Sonderbehandlung
zukommen zu lassen.

    i) Gesamthaft ergibt sich somit, dass die Datenschutzkommission
zu Unrecht und in Verletzung von Art. 48 VwVG auf die Beschwerden des
Datenschutzbeauftragten eingetreten ist.