Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 70



123 III 70

11. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Dezember 1996
i.S. S. S. und R. S. gegen A. (Berufung) Regeste

    Mietzinserhöhung; Formularpflicht (Art. 18 BMM); Rechtsmissbrauch
(Art. 2 ZGB).

    Sinn und Zweck der Verwendung des Formulars bei einer Änderung des
Mietvertrags, insbesondere bei Mietzinserhöhung (E. 2, 3a-b). Berufung
auf Formmangel und Rechtsmissbrauch (E. 3c-d).

Sachverhalt

    Die Kläger, ein Wirteehepaar, mieteten vom Rechtsvorgänger der
Beklagten ab dem 1. April 1980 ein Restaurant in X. Der Mietvertrag war
für eine feste Dauer von sieben Jahren abgeschlossen und verlängerte sich
danach jeweils um fünf Jahre, sofern er von keiner Partei unter Beobachtung
einer halbjährigen Frist gekündigt würde. Die Anfangsmiete wurde auf
jährlich Fr. 36'000.-- festgelegt. In einer Staffelungsklausel wurde ab
dem 1. April 1982 ein jährlicher Mietzins von Fr. 45'000.-- zuzüglich
3% des Fr. 600'000.-- übersteigenden Jahresumsatzes vereinbart. Eine
Mietzinsanpassung gemäss dieser Klausel erfolgte aber nicht. In einem
Nachtrag kamen die ursprünglichen Vertragsparteien am 2. Juni 1982 überein,
dass sich die Vertragsdauer bis zum 31. März 1992 verlängere und der
Jahresmietzins bis zum 31. März 1987 Fr. 54'000.--, danach Fr. 65'000.--
betrage, unabhängig vom Umsatz des Restaurationsbetriebs.

    Die Beklagte erwarb das Mietobjekt am 27. Februar 1987. Im März
1991 nahmen die Parteien Gespräche über die künftige Gestaltung des
Mietverhältnisses auf. Am 7. Oktober 1991 teilten die Kläger der Beklagten
mit, sie erachteten alle über den ursprünglich vereinbarten Jahresmietzins
von Fr. 36'000.-- hinausgehenden Erhöhungen als ungültig und würden die
Mehrzahlungen zurückfordern. In der Folge bezahlten sie die bisherigen
Mietzinse unter Vorbehalt weiter, um eine Kündigung zu vermeiden.

    Am 17. März 1993 beantragten die Kläger beim Mietgericht Zürich,
die Beklagte sei zu verpflichten, die zuviel bezahlten Mietzinse
von insgesamt Fr. 174'002.40 für die Zeit vom 1. April 1987 bis zum
31. März 1993 zurückzuzahlen. Sie verlangten überdies die Feststellung,
dass der Nettomietzins Fr. 36'000.-- jährlich betrage. Im wesentlichen
machten sie geltend, der Vertragsnachtrag vom 2. Juni 1982 sei nichtig,
weil die Änderung ohne Formular erfolgt sei. Das Mietgericht Zürich
hiess die Klage mit Urteil vom 8. September 1994 gut. Auf Berufung der
Beklagten hin wies das Obergericht des Kantons Zürich schliesslich mit
Urteil vom 15. Dezember 1995 die Klage vollumfänglich ab. Es erachtete
die Vertragsänderung gemäss Nachtrag zum Mietvertrag vom 2. Juni 1982
als gültig und verneinte namentlich, dass es für die damals vereinbarte
Neugestaltung des Mietzinses eines Formulars bedurft hätte.

    Die Kläger haben eidgenössische Berufung erhoben, mit dem Antrag, ihr
Feststellungsbegehren zu schützen und ihre Leistungsklage gutzuheissen,
eventuell im Teilbetrag von Fr. 65'952.--. Das Bundesgericht hat die
Berufung abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die streitige Vertragsänderung vom 2. Juni 1982 entfaltete
ihre Wirkung vor dem 1. Juli 1990, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens
des neuen Mietrechts. Anwendbar bleibt daher das frühere Recht, das
heisst die Bestimmungen des Bundesbeschlusses über Massnahmen gegen
Missbräuche im Mietwesen vom 30. Juni 1972 (BMM) und die dazugehörigen
Ausführungsvorschriften (VMM; vgl. Art. 26 Abs. 3 Verordnung über die
Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen [VMWG; SR 221.213.11]). Davon
gehen zu Recht auch die Vorinstanz und die Parteien aus.

    a) Die Formularpflicht war altrechtlich, soweit hier von Interesse,
gleich geregelt wie nach geltendem Recht. Nach Art. 18 BMM hatte der
Vermieter für die Mitteilung von Mietzinserhöhungen ein vom Kanton
genehmigtes Formular zu verwenden. Die Mietzinserhöhung durfte nicht
mit der Androhung der Kündigung verbunden werden und aus dem Formular
musste ersichtlich sein, dass der Mieter den Mietzins gemäss Art. 19 BMM
anfechten konnte (vgl. nunmehr Art. 269d OR). Die Formvorschrift war
gemäss Art. 13 Abs. 2 VMM auch zu beachten, wenn mit der Erhöhung eine
im Mietvertrag vereinbarte Staffelung des Mietzinses beansprucht wurde
(Art. 19 Abs. 2 VMWG). Formungültig angezeigte Erhöhungen waren nach Art.
18 Abs. 2 BMM nichtig (ebenso Art. 269d Abs. 2 lit. a OR).

    b) Die Vorinstanz vertritt im angefochtenen Urteil die Auffassung,
in einem befristeten Mietverhältnis wie dem vorliegenden unterständen
Vertragsänderungen der Formularpflicht auch dann nicht, wenn sie eine
Erhöhung des Mietzinses zum Gegenstand hätten, da die Formularpflicht
nur für einseitige Vertragsänderungen durch den Vermieter gelte und
derartige einseitige Änderungen im befristeten Verhältnis begrifflich
ausgeschlossen seien. Die Kläger halten demgegenüber dafür, dass alle
Mietzinserhöhungen in bestehenden Verträgen der Formularform zu genügen
hätten, unbesehen darum, ob sie auf einseitiger Mitteilung des Vermieters
oder auf Vereinbarung der Parteien beruhten.

Erwägung 3

    3.- Das Bundesgericht hat in einem in der amtlichen Sammlung nicht
veröffentlichten Urteil vom 28. März 1995 (veröffentlicht in mp 1995 S.
145 ff. und in MRA 1995 S. 256 ff.) entschieden, die Parteien hätten die
Möglichkeit, anstelle der gesetzlich ausdrücklich geregelten einseitigen
Anpassung durch den Vermieter eine zweiseitige, einvernehmliche Änderung
ihrer Rechtsbeziehungen herbeizuführen; dabei müssten die für die
einseitige Anpassung normierten Formerfordernisse jedenfalls dann nicht
eingehalten werden, wenn der gesetzliche Schutzzweck nicht beeinträchtigt
werde. Dieses Urteil ist in der Literatur teils zustimmend (ROHRER,
Keine Formularpflicht bei einvernehmlich vereinbarter Mietzinsanpassung,
in MRA 1995 S. 259 f.), teils kritisch (BRUNNER/STOLL, Mietzinserhöhung
ohne Formular? Bemerkungen zur konsensualen Mietzinserhöhung, in mp 1996
S. 1 ff.; LACHAT, La pratique récente en matière de loyers, in 9e Séminaire
sur le droit du bail, Neuchâtel 1996, S. 2 ff., 4) gewürdigt worden.

    a) Die Formularpflicht für Mietzinserhöhungen wurde aus der Ordnung der
Mietzinsüberwachung übernommen. Unter diesem System hatte der Vermieter
Mietzinserhöhungen dem Mieter mittels eines amtlichen Formulars zu
eröffnen und der zuständigen Amtsstelle mittels eines Doppels zu
melden; Erhöhungen in Verletzung der Formular- und Meldepflicht waren
nichtig. Gegen Mietzinserhöhungen von mehr als 5% innerhalb eines Jahres
konnte der Mieter Einsprache bei einer Verwaltungsinstanz erheben, welche
zudem offensichtlich übersetzte Mietzinse von Amtes wegen senken konnte
(Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über dringliche
Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 24. April 1972, in BBl 1972
I S. 1225 ff., 1235). Dem Einspracherecht der Mietzinsüberwachung sollte
im Rahmen des Bundesbeschlusses über Missbräuche im Mietwesen das Recht
entsprechen, Mietzinserhöhungen oder sonstige Forderungen des Vermieters
anzufechten, während die Möglichkeit der Behörden, von Amtes wegen
einzuschreiten, entfiel. Die Meldepflicht an die Behörde erübrigte sich
dementsprechend; hingegen waren die Mietzinserhöhungen dem Mieter unter
Nichtigkeitsfolge weiterhin auf einem amtlichen Formular mitzuteilen,
aus welchem die Möglichkeit der Anfechtung ersichtlich war (BBl 1972 I
S. 1236). Die Formularpflicht für Mietzinserhöhungen und andere Forderungen
des Vermieters steht auch im System des Bundesbeschlusses über Missbräuche
im Mietwesen mit der Preiskontrolle in Zusammenhang. Allerdings hat die
Kontrolle insofern eine andere Bedeutung, als eine Preisüberwachung von
Amtes wegen nicht mehr vorgesehen ist. Ein öffentliches Interesse an
einem allgemeinen Verbot missbräuchlicher Mietzinse ist daher - soweit
missbräuchliche Mietzinse nicht preisbestimmend wirken, namentlich nicht
im Rahmen der Marktmiete vergleichsweise herangezogen werden können - zu
verneinen. Mit dem Verzicht auf die amtliche Preiskontrolle wird vielmehr
dem Mieter von Wohn- oder Geschäftsräumen überlassen, ein möglicherweise
missbräuchliches Entgelt für den Gebrauch der Mietsache anzufechten oder
nicht. Die Unterlassung der Anfechtung des Mietzinses kann dazu führen,
dass der Mieter ein objektiv übersetztes Entgelt für die Mietsache
freiwillig und bewusst bezahlt. Insofern wird die Vertragsfreiheit
durch die Bestimmungen über missbräuchliche Mietzinse nicht beschränkt.
Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Mieter informiert ist und nicht
unter Druck steht.

    b) Mit der Verwendung des Formulars wird der Mieter auf die
Anfechtungsmöglichkeit hingewiesen und dessen Zustellung eröffnet die
dreissigtägige Frist für die Einleitung des Verfahrens zur Überprüfung der
Angemessenheit des Entgelts für die Mietsache. Mit der Formularpflicht
soll sichergestellt werden, dass die Zustimmung zu einem möglicherweise
übersetzten Entgelt nicht unter der Androhung der Kündigung erfolgt
(vgl. Art. 18 BMM). Eine konsensuale Mietvertragsänderung, die im Sinn
des erwähnten bundesgerichtlichen Urteils vom 28. März 1995 den Schutzzweck
des Formulars nicht vereitelt, setzt daher voraus, dass die Information des
Mieters über die Möglichkeit der Anfechtung anderweitig gewährleistet ist
und jeglicher Druck, namentlich durch Kündigungsandrohung, ausgeschlossen
werden kann. Der Konsens der Vertragsparteien, der einen Verzicht auf
die Einhaltung der Formularpflicht rechtfertigt, ergibt sich jedenfalls
nicht allein aus der formellen Unterschrift des Mieters unter eine
allenfalls vom Vermieter vorbereitete Vertragsänderung (so aber ROHRER,
aaO). Nur wenn feststeht, dass der Mieter über die Anfechtungsmöglichkeit
informiert war, dass er mit dem Verzicht auf das Formular bewusst zum
voraus auf die Anfechtung verzichtet hat, und überdies ausgeschlossen
werden kann, dass er unter Druck stand, ist die Vertragsänderung von
einem Konsens, insbesondere auch des Mieters getragen, die den Verzicht
auf den formellen Schutz rechtfertigt. Soweit aus dem erwähnten Präjudiz
weitergehende Folgerungen abgeleitet wurden, kann ihnen nicht gefolgt
werden. Wie es sich im übrigen neurechtlich in Kantonen verhält, welche
die Formularpflicht im Sinn von Art. 270 Abs. 2 OR für Anfangsmieten
eingeführt haben, ist hier nicht zu beurteilen.

    c) Im vorliegenden Fall hätte die Vertragsänderung vom 2. Juni 1982
grundsätzlich mit amtlichem Formular mitgeteilt werden müssen, da der
bisherige Jahresmietzins von Fr. 36'000.-- auf Fr. 54'000.-- bis zum
31. März 1987 erhöht wurde. Feststellungen zur tatsächlichen Kenntnis der
Parteien über die Anfechtungsmöglichkeiten und die näheren Umstände des
Vertragsschlusses sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Ob und
unter welchen Umständen auf die Einhaltung der Form ausnahmsweise hätte
verzichtet werden können, kann indes offenbleiben. Das Bundesgericht hat
die Berufung auf Formmängel, insbesondere nach Erfüllung formungültiger
Verpflichtungen, stets auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs
geprüft (BGE 113 II 187 E. 1b, 110 II 494 E. 4 S. 498). Dabei hat es ein
rechtsmissbräuchliches Verhalten vor allem darin gesehen, dass das frühere
Verhalten der Mietpartei bei der Vermieterin schutzwürdiges Vertrauen
begründet und diese zu Handlungen veranlasst hat, die ihr angesichts der
neuen Situation zu Schaden gereichen könnten; erwähnt wurde der Fall, dass
der Mieter in Kenntnis der Formvorschrift von Art. 18 BMM ausdrücklich auf
deren Innehaltung verzichtet und die getroffene Vereinbarung freiwillig
erfüllt hat (vgl. BGE 110 II 494 E. 4 am Ende).

    d) Bei der Beurteilung, ob die Berufung auf die Formnichtigkeit
rechtsmissbräuchlich erfolgt, ist die Art und Weise der formungültigen
Vertragsänderung nicht unbeachtlich. Vorliegend war das Mietverhältnis
der Parteien - entgegen der Auffassung der Vorinstanz - nicht befristet,
da es sich mangels Kündigung verlängert (Art. 255 OR). Der Umstand, dass
die Abänderung im Lauf einer mehrjährigen Kündigungsfrist erfolgt ist,
lässt ohne besondere Umstände den Schluss zu, dass sie ohne Kündigungsdruck
zustande kam. Eine Abänderung in der Art des vertraglichen Nachtrags
vom 2. Juni 1982 ist überdies kaum vorstellbar, ohne dass die Parteien
darüber tatsächlich verhandeln. Der Rechtsvorgänger der Beklagten hat
darin nicht nur auf die mögliche Kündigung im Jahr 1987, sondern auch
auf die ursprünglich vereinbarte Umsatzbeteiligung verzichtet. Für die
rechtsmissbräuchliche Berufung auf die Formungültigkeit spricht aber vor
allem, dass die geschäftserfahrenen Kläger den im Juni 1982 vereinbarten
Mietzins während Jahren vorbehaltlos bezahlt haben und daher die Beklagte
bzw. ihr Rechtsvorgänger keinerlei Anlass hatte, an der Gültigkeit
der Vereinbarung über die Geschäftsmiete zu zweifeln. Anhaltspunkte
dafür, dass der von den Klägern tatsächlich über Jahre vorbehaltlos
bezahlte Mietzins objektiv missbräuchlich sein könnte, sind weder
festgestellt noch behauptet. Die Formungültigkeit der Mietzinserhöhung
haben die Kläger vielmehr erst geltend gemacht, nachdem sie im März
1991 mit der Beklagten als neuer Eigentümerin des Mietobjekts über
die Bedingungen einer Weiterführung des Mietverhältnisses nach dem
31. März 1992 Verhandlungen aufgenommen hatten, die offenbar für die
Mieter nicht befriedigend verliefen. Die Berufung der Kläger auf die
Formungültigkeit der Mietzinserhöhung vom 2. Juni 1982 ist unter diesen
Umständen rechtsmissbräuchlich.