Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 332



123 III 332

52. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 13.
August 1997 i.S. H. (Beschwerde) Regeste

    Lohnpfändung für Unterhaltsansprüche (Art. 93 SchKG).

    Die Rechtsprechung des Sachrichters, welche dem erwerbstätigen
unterhaltspflichtigen Ehegatten auf jeden Fall das betreibungsrechtliche
Existenzminimum belässt, ändert nichts daran, dass - entsprechend
ständiger vollstreckungsrechtlicher Praxis - im Rahmen einer Lohnpfändung
in das Existenzminimum des unterhaltspflichtigen Schuldners eingegriffen
werden kann.

Sachverhalt

    Von der unterhaltsberechtigten Ehefrau wurde ein Beschluss, den das
Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde
über Schuldbetreibung und Konkurs am 23. Juni 1997 gefällt hatte,
an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts
weitergezogen. Diese schützte die Auffassung der Beschwerdeführerin,
dass im Rahmen der beim unterhaltspflichtigen Schuldner vollzogenen
Lohnpfändung in dessen Existenzminimum eingegriffen werden könne.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Bezirksgericht Hinwil hat seinem Beschluss vom 27.  Februar
1997 die Rechtsprechung zugrunde gelegt, wonach - unter hier nicht weiter
zu diskutierenden Voraussetzungen - in das Existenzminimum des Schuldners
eingegriffen werden kann, wenn als betreibende Gläubiger Familienmitglieder
des Schuldners auftreten, die ihn für Unterhaltsforderungen aus dem letzten
Jahr vor Zustellung des Zahlungsbefehls belangen (BGE 116 III 10 E. 2;
111 III 13 E. 5; 106 III 18 E. 1, mit weiteren Hinweisen; AMONN/GASSER,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Auflage Bern 1997,
§ 23 N. 67 ff.). Es hat das Betreibungsamt angewiesen, entsprechend
der von der Rechtsprechung (BGE 111 III 13 E. 5b; 71 III 174 E. 3)
entwickelten Formel und unter Berücksichtigung der Feststellung, dass
die unterhaltsberechtigte Beschwerdeführerin auf Beiträge im Umfang von
Fr. 1'216.80 angewiesen sei, die pfändbare Quote neu zu berechnen. Diese
Berechnung hat zu einem Eingriff in den Notbedarf des unterhaltspflichtigen
Schuldners geführt.

    Demgegenüber betrachtet das Obergericht des Kantons Zürich einen
Eingriff in das Existenzminimum des Schuldners als unzulässig. Es stützt
sich für seine Auffassung auf Urteile, welche die II. Zivilabteilung des
Bundesgerichts im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde gefällt hat,
nämlich auf BGE 123 III 1, wo erkannt worden ist, dass das Existenzminimum
dem Rentenschuldner auch dann belassen werden muss, wenn Kinderalimente
zuzusprechen sind, und auf BGE 121 I 97, wo eine Unterhaltsregelung für die
Dauer des Scheidungsprozesses, die dem erwerbstätigen unterhaltspflichtigen
Ehegatten auf jeden Fall das betreibungsrechtliche Existenzminimum
belässt und einen allfälligen Fehlbetrag einzig beim Unterhaltsanspruch
des anderen Ehegatten berücksichtigt, als nicht verfassungswidrig
bezeichnet worden ist. Diese Rechtsprechung, welche die Festsetzung von
Unterhaltsansprüchen gemäss Art. 163 und 176 ZGB bzw. Art. 145 Abs. 2
ZGB durch den Massnahmerichter zum Gegenstand hat, möchte das Obergericht
auch im Zwangsvollstreckungsverfahren angewandt wissen.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer hält dem von ihm angefochtenen Beschluss
des Obergerichts des Kantons Zürich zu Recht entgegen, dass die im
Rahmen vorsorglicher Massnahmen zur familienrechtlichen Unterhaltspflicht
entwickelte Rechtsprechung, welche einen Eingriff in das Existenzminimum
des Unterhaltspflichtigen verbietet, nicht ohne weiteres auf das
Zwangsvollstreckungsverfahren, in welchem Unterhaltsbeiträge betrieben
werden, übertragen werden könne.

    Wollten der Betreibungsbeamte oder die seine Tätigkeit prüfenden
Aufsichtsbehörden Überlegungen anstellen, wie sie in BGE 121 I 97 und 123
III 1 Ausdruck gefunden haben, so würden sie damit materiellrechtliche
Ansprüche bzw. Verpflichtungen beurteilen. Das aber ist ihnen
grundsätzlich untersagt (vgl. BGE 113 III 2 E. 2b). Tangiert würde
insbesondere der Aufgabenbereich des Richters, der zuständig ist für
die Herabsetzung der vom Scheidungsrichter zugesprochenen Rente in jenen
Fällen, wo die Vermögensverhältnisse des Pflichtigen der Höhe der Rente
nicht mehr entsprechen (Art. 153 Abs. 2 ZGB).

    Der Massnahmerichter und der Scheidungsrichter befinden darüber,
welche Leistung dem Unterhaltsverpflichteten zugemutet werden
kann. Steht diese Verpflichtung betragsmässig fest, so muss sie im
Zwangsvollstreckungsverfahren durchgesetzt werden können. Es darf
insbesondere nicht dazu kommen, dass - wie die Beschwerdeführerin
zutreffend erklärt - rechtskräftig festgesetzte Unterhaltsbeiträge
von einem zahlungsunwilligen Unterhaltsverpflichteten nicht bezahlt
werden, weil er sich so einzurichten weiss, dass im Falle einer
Betreibung keine pfändbare Quote mehr übrigbleibt. Jedenfalls würde
es - wenn man der vom Obergericht des Kantons Zürich vertretenen
Rechtsauffassung nachlebte - dazu kommen, dass der Betreibungsbeamte
(oder die Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen) die
wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des unterhaltspflichtigen Schuldners
anders beurteilt als der Massnahmerichter oder der Scheidungsrichter.

    Mit der Rechtsprechung, auf welche sich der angefochtene Beschluss
stützt, wollte die II. Zivilabteilung des Bundesgerichts nicht bewirken,
dass die Möglichkeit des Eingriffs in den Notbedarf des Schuldners, wie
er in ständiger vollstreckungsrechtlicher Praxis für Unterhaltsbeiträge
zugelassen worden ist, untersagt werden sollte. Die Begrenzung des
Eingriffs in das Existenzminimum, welche in BGE 121 I 97 E. 3b, S. 102,
erwähnt wird, hat besondere Gründe, die im vorliegenden Fall nicht
gegeben sind.

    Indem es die Zulässigkeit des Eingriffs in das Existenzminimum des
unterhaltspflichtigen Schuldners verneint hat, hat das Obergericht des
Kantons Zürich Art. 93 SchKG verletzt. Die Beschwerde erweist sich als
begründet und ist demzufolge gutzuheissen.