Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 271



123 III 271

43. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. März 1997
i.S. M. AG gegen R. Inc. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 68 Abs. 1 SchKG.

    Bundesrecht verbietet dem Schuldner, im Rechtsöffnungsverfahren
vom Gläubiger gestützt auf kantonales Prozessrecht Sicherstellung der
Parteientschädigung zu verlangen.

Sachverhalt

    In der Betreibung Nr. 62434/1996 des Betreibungsamtes Zug gegen die
M. AG verlangte die R. Inc. für den Betrag von Fr. 11'452'455.65 nebst
Zins die provisorische Rechtsöffnung. In der Folge ersuchte die M. AG um
Sicherstellung der Parteientschädigung. Mit Verfügung vom 30. September
1996 verpflichtete der Rechtsöffnungsrichter (Kantonsgerichtspräsidium Zug)
die R. Inc. zur Leistung eines Gerichtskostenvorschusses in der Höhe von
Fr. 1'500.-- und zur Sicherstellung einer allfälligen Parteientschädigung
im Betrag von Fr. 3'000.-- an die Gerichtskasse. Die von der M. AG
gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde, mit welcher sie eine Erhöhung
der sicherzustellenden Parteientschädigung angestrebt hatte, wies die
Justizkommission des Obergerichts des Kantons Zug mit Urteil vom 16. Januar
1997 ab.

    Die M. AG beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde die Aufhebung
des obergerichtlichen Urteils. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                    aus folgender Erwägung:

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführerin erblickt Willkür darin, dass die
Sicherstellung der Parteientschädigung nicht zu ihren Gunsten erhöht worden
ist. Das Obergericht sei unter Berufung auf Bundesrecht (Art. 68 Abs. 1
SchKG i.V.m. Art. 54 Abs. 2 und Art. 68 Abs. 1 GebV SchKG [SR 281.35])
verfassungswidrig zum Schluss gelangt, dieses verbiete ihm, die vom
kantonalen Prozessrecht vorgesehene Kautionsleistung (Art. 25 Ziff. 2 SchKG
und § 136 Ziff. 2 ZPO/ZG i.V.m. § 43 ff. ZPO/ZG) im Rechtsöffnungsverfahren
zuzulassen. Sie findet, die bundesrechtlichen Normen seien willkürlich
angewendet und die Regeln des kantonalen Prozessrechts unter Verletzung
von Art. 4 BV übergangen worden.

    a) Zu den Betreibungskosten im Sinne von Art. 68 Abs. 1 SchKG gehören
auch die Kosten des Rechtsöffnungsverfahrens (BGE 119 III 63 E. 2 und
4b/aa) vor allen kantonalen Instanzen (BGE 119 III 68 E. 3).

    Die neue GebV SchKG vom 23. September 1996 ist am 1. Januar 1997 in
Kraft getreten (Art. 63 Abs. 2; AS 1996 S. 2937 ff. und 2950). Deren
Art. 48 ff. und 62 Abs. 1 stimmen inhaltlich (abgesehen von den neuen
Ansätzen) mit den Art. 50 ff. und 68 Abs. 1 aGebV SchKG überein. Da
auch Art. 25 Ziff. 2 SchKG und Art. 68 Abs. 1 SchKG nach altem und
neuem Recht dieselben Regeln aufstellen, muss sich das Bundesgericht
mit dem Übergangsrecht bezüglich der Frage nach der Zulässigkeit einer
Kautionsleistung nicht befassen (Art. 2 Abs. 1 der SchlBest. der Änderung
des SchKG vom 16. Dezember 1994 und Art. 63 Abs. 1 nGebV SchKG).

    b) Der Verweis von Art. 25 Ziff. 2 lit. a SchKG (aArt. 25 Ziff. 2
SchKG) auf das kantonale Prozessrecht im Rechtsöffnungsverfahren gilt nur
insoweit, als das Bundesrecht selbst keine Verfahrensvorschriften aufstellt
(Art. 2 ÜbBest. BV; BGE 103 Ia 47 E. 2d S. 51; vgl. 116 IV 193 E. 8c
S. 204 f.; SABINE KOFMEL, Die Rechtsöffnung gemäss revidiertem SchKG,
AJP/PJA 1996 S. 1352 bei Fn. 32 f.). Ob Bundesrecht die Möglichkeit der
Sicherstellung der Parteikosten im Rechtsöffnungsverfahren ausschliesst,
spielt anders als hier dann keine Rolle, wenn nach kantonalem Recht im
Summarverfahren keine Kaution auferlegt werden kann (so z.B. Art. 313
ZPO/BE).

    Von möglicherweise zulässigen und hier nicht interessierenden Ausnahmen
(ZR 78/1979 Nr. 29 S. 46) abgesehen, regeln Art. 68 SchKG i.V.m. Art. 50
ff. und 68 Abs. 1 aGebV SchKG die Kostenfolgen des Rechtsöffnungsverfahrens
abschliessend (FRITZSCHE/ WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach
schweizerischem Recht, Bd. I, 3. Aufl. 1984, § 15 Rz. 3 und 6 S. 178
f. mit Fn. 7 sowie § 18 Rz. 17 S. 228). Auch AMONN/GASSER gehen für das
anfangs 1997 in Kraft getretene Recht davon aus, die Kantone könnten neben
Art. 68 Abs. 1 SchKG i.V.m. Art. 49 ff. und 62 Abs. 1 der neuen GebV SchKG
keine weiteren Kostenfolgen anordnen (Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, 6. Aufl. 1997, § 13 Rz. 2 f. und 11 sowie § 19 Rz. 16
und 20 S. 94, 96 und 120). Dieser Standpunkt lässt sich einleuchtend
mit Art. 64 Abs. 1 a.E. BV begründen, wonach dem Bund das Recht zur
Gesetzgebung für "das Betreibungsverfahren" zusteht. Von dieser Kompetenz
hat der Bundesgesetzgeber nur zurückhaltend Gebrauch gemacht (MAX GULDENER,
Zwangsvollstreckung und Zivilprozess, ZSR nF 74/1955 I S. 21 f.), was
dagegen spricht, den Anwendungsbereich des kantonalen Verfahrensrechts
auszuweiten.

    Nach der Ansicht verschiedener Autoren haben die kantonalen
Vorschriften zur Sicherstellung neben der bundesrechtlichen Pflicht des
Gläubigers, die Betreibungskosten vorzuschiessen, keinen Platz (C. JAEGER,
Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, 1. Bd.,
3. Aufl. 1911, N. 1 zu Art. 84 SchKG, S. 225 unten; STRÄULI/MESSMER,
Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 1982, N. 4
der Vorbemerkungen zu § 213 ZPO; JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs- und
Konkurs-Praxis der Jahre 1911-1945, 2. Bd. 1947, N. 1 zu Art. 68 GebT
SchKG von 1919, S. 95; STUDER/RÜEGG/EIHOLZER, Der Luzerner Zivilprozess,
N. 4 zu § 126 [lit. c] ZPO/LU). Das ist im Kanton Zürich langjährige
Praxis (ZR 77/1978 Nr. 102 S. 228 ff.; E. Brügger, Die Schweizerische
Gerichtspraxis im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht 1946-1984, N. 1
zu Art. 50 GebT SchKG, S. 1082; WALDER-BOHNER, Zivilprozessrecht, 3.
Aufl. 1983, § 34 Rz. 20 S. 416 in Fn. 15e). Zur Begründung wird ausgeführt,
die Möglichkeit, Sicherstellung der Parteientschädigung verlangen zu
können, verzögere das Rechtsöffnungsverfahren über Gebühr, würde das
doch einen Entscheid innert 5 Tagen nach Anhörung des Betriebenen gemäss
Art. 84 Abs. 2 SchKG illusorisch machen (vgl. aArt. 84 SchKG).

    Gegen die Zulässigkeit des Sicherstellungsbegehrens im
Rechtsöffnungsverfahren spricht auch die Geschichte der Gesetzgebung. In
der bundesrätlichen Botschaft zum SchKG vom 23. Februar 1886 schliesst
Art. 53 Abs. 1 des Vorentwurfs, der die Vorschusspflicht des Gläubigers
im Betreibungsverfahren behandelt und im übrigen inhaltlich Art. 68
Abs. 1 SchKG entspricht, mit dem Satz: "Im Übrigen kann dem Gläubiger
keine Sicherheitsbestellung (Kaution) auferlegt werden" (BBl 1886 II
S. 79 und 95, vgl. S. 1 und 59). Die ständerätliche Kommission änderte
diese Bestimmung zwar leicht, liess jedoch den erwähnten Satz stehen
(BBl. 1886 III S. 605, 626, 673, 743 und 789). In diesem Punkt fand der
Artikel in der nationalrätlichen Kommission keine Beachtung (BBl. 1887 II
S. 257 und 297). In der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung
vom 10. Februar 1888 zum SchKG wurde ausgeführt, der zitierte Satz sei aus
der zu Art. 52 des neuen Entwurfes gewordenen Bestimmung "als überflüssig"
gestrichen worden, was wie folgt begründet wurde: "Da das Bundesgesetz alle
vom Gläubiger zu erfüllenden Bedingungen in erschöpfender Weise aufzählt,
so versteht es sich von selbst, dass die Kantone nicht das Recht haben, dem
Gläubiger fernere Verpflichtungen, die in diesem Gesetze nicht vorgesehen
sind, zu überbinden" (BBl. 1888 I S. 353 und 359). Wann die Streichung
geschah, kann nicht nachvollzogen werden, weil das stenographische Bulletin
der Bundesversammlung vor 1891 nicht veröffentlicht wurde.

    c) Schliesst die Vorschusspflicht nach Art. 68 Abs. 1 SchKG die
Sicherstellung der Parteientschädigung aus und regelt Bundesrecht die
Kosten des Betreibungsverfahrens abschliessend, kann die vom Obergericht
vertretene Ansicht offensichtlich nicht willkürlich sein. Gleich hatte das
Bundesgericht schon früher entschieden (unveröffentlichtes Urteil der I.
öffentlichrechtlichen Abteilung vom 1. April 1980 i.S. W. AG, E. 5c).