Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 183



123 III 183

31. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. Januar 1997 i.S. R.
AG gegen Ehegatten F. (Berufung) Regeste

    Art. 187 Abs. 3 und 6 SIA-Norm 118 (Ausgabe 1977/1991);
Vergütungsanspruch des Unternehmers bei teilweisem Untergang des Werkes
infolge höherer Gewalt.

    Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 begründet für den Fall, dass das
Werk infolge höherer Gewalt ganz oder teilweise untergeht, es aber
in Weiterführung des Vertrags wieder vertragsgemäss erstellt wird,
grundsätzlich einen Anspruch des Unternehmers auf eine über den
vereinbarten Werklohn hinausgehende Mehrvergütung. Begriff des teilweisen
Untergangs (E. 3c).

    Der Unternehmer hat das Vorliegen von Billigkeitsgründen im
Sinne von Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 zu behaupten und zu beweisen
(E. 3d). Substanzierung des Wertes der vom teilweisen Untergang betroffenen
Leistungen des Unternehmers (E. 3e).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Gegenstand der Berufung bildet im weitern die vom Obergericht
abgewiesene Forderung für Reparaturarbeiten, welche die Klägerin vornehmen
musste, nachdem das noch nicht fertiggestellte Unterdach am 18. Dezember
1991 durch einen Sturmwind beschädigt worden war. Die Klägerin verlangt
dafür gestützt auf Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 einen Betrag von Fr.
15'715.70.

    a) Gemäss Art. 363 OR schuldet der Unternehmer dem Besteller die
Herstellung und Ablieferung des versprochenen Werkes. Der Unternehmer
trägt damit bis zum Zeitpunkt der Ablieferung die Gefahr, was für den
Fall des Untergangs des Werkes vor der Ablieferung in Art. 376 Abs. 1 OR
festgehalten wird. Nach dieser Bestimmung kann der Unternehmer, sofern sich
der Besteller nicht mit der Annahme im Verzug befindet, keine Vergütung
verlangen, wenn das Werk vor der Übergabe durch Zufall zugrunde geht. Bei
der Mängelhaftung gilt nach der gesetzlichen Regelung der entsprechende
Grundsatz. Der Unternehmer haftet auch für einen Mangel, der vor der
Ablieferung durch die Einwirkung von Zufall entstanden ist. Beseitigt er
vorher den Mangel, wozu er grundsätzlich verpflichtet ist, kann er dafür
keine zusätzliche Vergütung verlangen (GAUCH, Der Werkvertrag, 4. Auflage,
Rz. 1503 ff. und Rz. 2412 [nachfolgend zitiert als GAUCH, Werkvertrag]; JO
KOLLER, Der "Untergang des Werkes" nach Art. 376 OR, Diss. Freiburg 1983,
S. 62 f.). Davon abweichend bestimmt indessen Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm
118, dass beim Untergang des Werkes infolge höherer Gewalt (z.B. Krieg,
Aufruhr, Naturkatastrophe) der Unternehmer einen Anspruch darauf hat,
dass ihm die vor dem Untergang erbrachten Leistungen nach Billigkeit
ganz oder teilweise vergütet werden. Dies bedeutet eine erhebliche
Besserstellung des Unternehmers, da Art. 376 OR selbst keinen Raum für
solche Billigkeitserwägungen bietet. Gemäss Abs. 6 von Art. 187 SIA-Norm
118 gelten die Bestimmungen bei teilweisem Untergang des Werkes sinngemäss,
wobei der Unternehmer für die nicht vom Untergang betroffenen Leistungen
grundsätzlich Anspruch auf die vertragsgemässe Vergütung hat.

    b) Nach der Behauptung der Klägerin ist von allen Beteiligten
anerkannt worden, dass die Mehraufwendungen gemäss Rechnung Nr. 1543 im
Betrag von Fr. 15'715.70 kausale Folge eines Sturmwindes, mithin eines
Elementarereignisses seien. Falls damit gemeint sein sollte, es sei
vom Vorliegen höherer Gewalt im Sinne von Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118
auszugehen, könnte ihrer Auffassung jedoch nicht ohne weiteres zugestimmt
werden. Wie die Erwähnung des Beispiels der "Naturkatastrophe" zeigt,
genügt ein zwar heftiger, aber nicht aussergewöhnlicher Herbststurm wohl
nicht, sondern es müsste nach dieser Bestimmung ein unvoraussehbares
Elementarereignis grösseren Ausmasses und höherer Intensität vorliegen
(vgl. dazu GAUCH, Kommentar zur SIA-Norm 118, Artikel 157-190, N. 20
zu Art. 187 [nachfolgend zitiert als GAUCH, Kommentar]). Diese - vom
Obergericht nicht erörterte - Rechtsfrage kann indessen offenbleiben, da
ihre Beantwortung am Ausgang des Verfahrens nichts zu ändern vermöchte,
wie die folgenden Erwägungen zeigen.

    c) Das Obergericht hat die Anwendbarkeit von Art. 187 Abs. 3
SIA-Norm 118 verneint und darauf hingewiesen, dass die Klägerin gar
nicht eine Vergütung für die untergegangenen Teile des Werkes, sondern
eine Entschädigung für den zusätzlichen Aufwand bei der Erstellung
des vertragsgemässen Werkes verlange. Eine Forderung gemäss Art. 187
Abs. 3 SIA-Norm 118 macht nach der Auffassung des Obergerichts nur Sinn,
wenn das Werk oder der Werkteil nicht wiederhergestellt werden kann, das
heisst der Werkvertrag erlischt oder auf Verlangen einer Vertragspartei
aufgelöst wird und demgemäss der vertraglich vereinbarte Werklohn nicht
geschuldet wird. Mit der Berufung rügt die Klägerin, das Obergericht habe
Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 falsch ausgelegt.

    Art. 187 SIA-Norm 118 gehört zwar wie Art. 376 OR, dem er im Prinzip
folgt, nach der Systematik zum Abschnitt über die vorzeitige Beendigung des
Werkvertrages. Zu beachten ist aber, dass Art. 376 OR materiell die Tragung
von Vergütungs- und Leistungsgefahr regelt und der zufällige Untergang
des Werkes grundsätzlich nur dann zur Beendigung des Vertrages führt, wenn
beide Gefahren vom Besteller zu tragen sind (GAUCH, Werkvertrag, Rz. 1203
ff.). In analoger Weise regelt auch Art. 187 SIA-Norm 118 die Tragung
von Leistungs- und Vergütungsgefahr sowie bestimmte Fälle der vorzeitigen
Vertragsbeendigung im Zusammenhang mit dem Untergang des Werkes. Entgegen
der Auffassung des Obergerichts setzt somit Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm
118 nicht zwingend eine vorzeitige Beendigung des Vertrages voraus. Das
zeigt im übrigen auch der vorangehende Absatz 2, der die Rechtslage
bei Fortführung des Vertrags regelt. Nach richtiger Auslegung begründet
Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 für den Fall, dass das Werk infolge höherer
Gewalt untergeht und der Vertrag weitergeführt wird, das heisst das Werk
trotzdem wieder vertragsgemäss erstellt wird, grundsätzlich einen Anspruch
des Unternehmers auf eine über den vereinbarten Werklohn hinausgehende
Mehrvergütung (vgl. GAUCH, Kommentar, N 22 zu Art. 187 SIA-Norm 118).

    Ein teilweiser Untergang des Werks liegt vor, wenn nur einzelne
Teile zerstört werden (KOLLER, aaO, S. 3). Dieser durch ein quantitatives
Kriterium bestimmte Sachverhalt ist abzugrenzen von der Verschlechterung
des Werks in qualitativer Hinsicht, welche dessen umfangmässigen Bestand
nicht verändert (GAUCH, Werkvertrag, Rz. 1184; ders., Kommentar, N 39
zu Art. 197 SIA-Norm 118; KOLLER, aaO, S. 3). Nach den Feststellungen
des Bezirksgerichts, die auch dem angefochtenen Urteil zugrunde
liegen, wurden Teile der zum Unterdach gehörenden Dachfolie vom Sturm
weggerissen. Damit wurde ein Teil des Dachaufbaus vom Werk getrennt und
zerstört. Es liegt der Sachverhalt eines Teiluntergangs des Werkes vor,
womit Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 zur Anwendung kommt. Davon ist auch
das Bezirksgericht ausgegangen. Es hat den Vergütungsanspruch aber
mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe die zu vergütenden
Leistungen nicht ausreichend substanziert. Anzumerken ist im übrigen,
dass unter den gegebenen Umständen nicht erörtert zu werden braucht, ob
die Bestimmungen über den Untergang auch im Fall blosser Verschlechterung
des Werks durch Zufall während der Erstellung unmittelbar oder ergänzend
zu den Vorschriften über die Mängelhaftung anwendbar sind (vgl. zu dieser
kontroversen Frage: GAUCH, Werkvertrag, Rz. 1184 und 2411; KOLLER, aaO,
S. 61 ff.).

    d) Obergericht und Bezirksgericht haben die Frage nicht entschieden,
ob die Klägerin ein Verschulden daran treffe, dass der Sturm die
Dachfolie wegreissen konnte; die Beklagten haben ihr diesbezüglich
eine ungenügende Sicherung durch die Konterlattung vorgeworfen. Auch
zur Frage der Billigkeit eines Vergütungsanspruchs finden sich in
beiden Urteilen keine Ausführungen. Die Billigkeitsgründe, die eine
Vergütung im Sinne von Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 rechtfertigen
sollen, sind rechtserzeugende Tatsachen. Gemäss Art. 8 ZGB sind sie vom
Unternehmer zu behaupten und zu beweisen (KUMMER, Berner Kommentar, N.
146 ff. zu Art. 8 ZGB). Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es mithin
nicht Sache des Bestellers, Gründe für eine "Reduktion aus Billigkeit"
geltend zu machen. Inwieweit die Klägerin derartige Billigkeitsgründe im
kantonalen Verfahren dargetan hat, ist weder aus dem angefochtenen Urteil
noch aus jenem des Bezirksgerichts ersichtlich. Mit der Berufung macht die
Klägerin nicht geltend und weist auch nicht nach (vgl. dazu BGE 115 II 484
E. 2a), entsprechende Behauptungen im kantonalen Verfahren vorgebracht
zu haben. Ein Vergütungsanspruch der Klägerin ist somit bereits mangels
Nachweises von Billigkeitsgründen zu verneinen.

    e) Das Bezirksgericht hat den Anspruch auf Vergütung für den
untergegangen Teil des Werks als ungenügend substanziert betrachtet,
weil die Klägerin sich darauf beschränkt hatte, den Aufwand für
die Wiederherstellung des Daches, berechnet nach Arbeitszeit und
Materialaufwand, auszuweisen. Mit der Berufung macht die Klägerin
geltend, der ihr zu ersetzende Schaden entspreche dem Aufwand für die
Reparatur- und Aufräumarbeiten; dafür sei in Regie Rechnung zu stellen,
was sie getan habe. Damit ficht sie sinngemäss den Vorwurf ungenügender
Substanzierung an.

    Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 bemisst die nach Billigkeit geschuldete
Vergütung klar nach den vor dem Untergang erbrachten Leistungen bzw. den
vom Untergang betroffenen Leistungen. Das gilt auch für den Fall der
Fortführung des Vertrags. Dem widerspricht das Vorgehen der Klägerin,
die auf den Aufwand für die Wiederherstellung des Zustandes abgestellt
hat, wie er vor dem Eintritt des zerstörerischen Ereignisses bestand. Ob
diese Lösung sachgerechter wäre, braucht nicht weiter erörtert zu werden,
da der Wortlaut von Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 eindeutig ist und keine
Anhaltspunkte ersichtlich sind, die eine andere Auslegung nahelegen
würden. Das Bezirksgericht ist demnach zutreffend davon ausgegangen, dass
die Klägerin Angaben zum Wert ihrer vom Untergang betroffenen Leistungen
hätte machen müssen.

    Ob ein aus dem Bundesrecht abgeleiteter Anspruch durch die
Sachvorbringen einer Partei ausreichend substanziert ist, ist eine
Frage des Bundesrechts (BGE 108 II 337 ff.). Nach den Ausführungen
des Bezirksgerichts könnte zwar davon ausgegangen werden, dass der
Erstaufbau und der Wiederaufbau eines untergegangenen Werkteils gleich
hohe Kosten verursachen und dementsprechend der Wert der vom Untergang
betroffenen Leistungen mit der Angabe der Kosten der erneuten Erstellung
genügend substanziert wäre. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass für
beide Varianten der Wert bzw. die Vergütung nach der gleichen Preisart
festzulegen ist. Gemäss Werkvertrag war der Werklohn für die Erstellung
des Steildachs nach Einheitspreisen bestimmt. Den Reparaturaufwand hat
die Klägerin dagegen ausschliesslich in Regie abgerechnet. Wie das
Bezirksgericht zutreffend festgestellt hat, erlauben es die Angaben
der Klägerin deshalb nicht, den Wert der ursprünglich erbrachten, vom
Untergang betroffenen Leistungen zu ermitteln. Hinzu kommt, dass in
der Reparaturrechnung der Klägerin ohne erkennbare Ausscheidung auch der
Aufwand für Aufräumarbeiten und Arbeiten zur Schadensabwendung enthalten
sind. Solche Leistungen können von vornherein nicht Gegenstand einer
Vergütung nach Art. 187 Abs. 3 SIA-Norm 118 bilden.

    Die Verrechnung nach Regie lässt sich auch nicht damit rechtfertigen,
dass in den vereinbarten Einheitspreisen keine separate Position für die
Dachfolie ausgewiesen war, sondern sich der Preisansatz auf den gesamten
Dachaufbau (Deckmaterial und Unterdach) bezog. Von diesem Einheitspreis
ausgehend hätte auch der auf die Dachfolie und deren Anbringung entfallende
Teil ermittelt werden können. Diese Art der Preisermittlung gilt gemäss
Art. 87 Abs. 2 SIA-Norm 118 auch, falls bei Bestellungsänderungen für
bestimmte Leistungen ein ursprünglich vereinbarter Einheitspreis fehlt. Im
weiteren hätte ohne weiteres die Fläche bestimmt werden können, auf welcher
die bereits angebrachte Dachfolie vom Sturm weggerissen worden war. Wenn
die Klägerin demgegenüber nur die für die Neuerstellung aufgewendeten
Arbeitsstunden und das dabei verwendete Material ausgewiesen hat, ist
es nach Bundesrecht nicht zu beanstanden, dass diese Angaben für die
Substanzierung des Wertes der untergegangenen Leistungen als ungenügend
betrachtet wurden. Der Vergütungsanspruch ist demnach auch mangels
ausreichender Substanzierung zu Recht abgewiesen worden.