Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 123 III 140



123 III 140

24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. Februar 1997
i.S. I. AG gegen R. AG (Berufung) Regeste

    Berufung gegen ein Teilurteil bei Stufenklagen (Art. 50 Abs.  1 OG).

    Gegen ein Teilurteil über einen Hilfsanspruch im Rahmen einer
Stufenklage ist die Berufung unabhängig davon zulässig, ob durch die
selbständige Anfechtung ein bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für
ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Die R. AG und die I. AG schlossen am 19. Februar 1990 eine als
"Zessionsvertrag" bezeichnete Vereinbarung. Danach zedierte die R. AG
der I. AG zahlreiche Forderungen gemäss den von ihr erstellten und
periodisch zugestellten EDV-Listen zum Inkasso. Von den eingegangenen
Zahlungen sollte die R. AG einen Anteil von 90%, die I. AG einen solchen
von 10 % erhalten. Zudem wurde eine feste Gebühr von jährlich Fr. 500.--
vereinbart. Das Bonitätsrisiko trug die I. AG, die R. AG haftete nur für
den Bestand der abgetretenen Forderungen.

    Nachdem es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien gekommen war,
kündigte die I. AG mit Schreiben vom 18. März 1991 den Vertrag per
18. Januar 1992. Mit Schreiben vom 8. April 1992 verlangte die R. AG die
Rückzession der noch offenen Forderungen und die Endabrechnung.

    Am 19. November 1993 reichte die R. AG beim Handelsgericht des
Kantons Zürich Klage gegen die I. AG ein. Mit Teilurteil vom 7. Juli 1995
verpflichtete das Handelsgericht die Beklagte unter Strafandrohung, der
Klägerin bis zum 15. September 1995 über die Abwicklung der übertragenen
Geschäfte vollständig Auskunft sowie über die ihr zum Inkasso zedierten
Forderungen vollständig Abrechnung zu erteilen.

    Die Beklagte hat das Teilurteil des Handelsgerichts mit Berufung
angefochten, die vom Bundesgericht abgewiesen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Das Handelsgericht des Kantons Zürich führte im angefochtenen
Urteil aus, die Klägerin könne eine Rechnungslegungs- und eine unbezifferte
Geldforderungsklage in der Form der Stufenklage verbinden. Es sei daher
vorab zu prüfen, ob die Beklagte auskunfts- und abrechnungspflichtig
sei. In der Folge bejahte die Vorinstanz diese Frage und hiess die
Rechtsbegehren 1 und 2 im Teilurteil vom 7. Juli 1995 gut.

    a) Das angefochtene Urteil bereinigt die Streitlage zwischen
den Parteien nicht umfassend und ist daher kein Endentscheid
im Sinne von Art. 48 OG (POUDRET, Commentaire de la loi fédérale
d'organisation judiciaire, Vol. II, Bern 1990, N 1.1.7.1 zu Art. 48 OG
mit Hinweisen). Teilurteile sind nach der Rechtsprechung selbständig
anfechtbar, wenn die davon erfassten Begehren zum Gegenstand eines
gesonderten Prozesses hätten gemacht werden können und ihre Beurteilung
für den Vollentscheid von präjudizieller Bedeutung ist (BGE 107 II 349
E. 2 S. 352 f.). Eine selbständige Anfechtung rechtfertigt sich allerdings
ebenso wie bei Zwischenentscheiden allein aus Gründen der Prozessökonomie
(vgl. BGE 117 II 349 E. 2 S. 350). Die präjudizielle Bedeutung des
Teilurteils reicht deshalb für sich allein in der Regel nicht aus, den
Weg der Berufung zu öffnen. Zusätzlich ist erforderlich, dass mit der
vorgezogenen Anfechtung ein so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für
ein weitläufiges Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte
Anrufung des Bundesgerichts gerechtfertigt erscheint (Art. 50 Abs. 1
OG; POUDRET, aaO, N 1.1.7.2 zu Art. 48 OG; unveröffentlichter Entscheid
des Bundesgerichts vom 18. April 1995 i.S. SRG E. 1; vom 22. Januar 1996
i.S. C. E. 2; vom 3. Juni 1996 i.S. S. E. 1). Es bleibt jedoch zu prüfen,
ob diese Voraussetzung auch im Falle von Stufenklagen gilt.

    b) Die Stufenklage dient der vereinfachten Durchsetzung eines
dem Kläger nach Bestand und Umfang unbekannten Anspruches, wenn die
Unkenntnis auf Tatsachen beruht, die in der Sphäre des Beklagten liegen
(ROSENBERG/SCHWAB/GOTTWALD, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., München 1993,
S. 547). Dabei wird etwa ein Begehren um Rechnungslegung mit einer zunächst
unbestimmten Forderungsklage auf Leistung des Geschuldeten verbunden
(BGE 116 II 215 E. 4a S. 220; VOGEL, recht 1992, S. 63). Hauptanspruch
ist die anbegehrte Leistung, Hilfsanspruch deren Bezifferung durch
Rechnungslegung. Das Bundesgericht hat in solchen Fällen die unbezifferte
Forderungsklage als zulässig erachtet, da es dem Kläger in der Regel
nicht möglich ist, seine Forderung ohne Erfüllung des Hilfsanspruchs
umfangmässig genau zu bestimmen. Es widerspräche den Anliegen der
Prozessökonomie und dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, vom Kläger
zu fordern, in einem ersten Prozess bloss auf Rechnungslegung zu klagen,
um sich Klarheit über die Bezifferung des Hauptanspruchs zu verschaffen,
und danach eine zweite (Leistungs-)Klage anzuheben (BGE 116 II 215 E. 4a
S. 220). Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Teilurteil
über einen Hilfsanspruch selbständig mit Berufung angefochten werden kann,
hat sich das Bundesgericht indes bisher nicht geäussert.

    Im Unterschied zum deutschen Zivilprozessrecht, wo die Stufenklage
gesetzlich verankert ist (§ 254 des deutschen Zivilprozessgesetzes vom
3. Juli 1973; DZPO), sehen die schweizerischen Zivilprozessordnungen dieses
Institut nicht ausdrücklich vor. Auch im schweizerischen Schrifttum ist
die Stufenklage bisher wenig und hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der
Zulässigkeit unbezifferter Forderungsbegehren erörtert worden (vgl. VOGEL,
recht 1992, S. 58 ff.; ders., Grundriss des Zivilprozessrechts,
3. Aufl., Bern 1992, S. 168; vgl. auch GULDENER, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 167; LEUCH/MARBACH/KELLERHALS,
Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 4. Aufl., Bern 1995, N. 3a
zu Art. 157 ZPO/BE), während die Frage der selbständigen Anfechtbarkeit
solcher Teilurteile kaum Beachtung fand. VOGEL (recht 1992, S. 63)
hält die Berufung für zulässig, weil ein solches Teilurteil die vom
Bundesgericht aufgestellten Voraussetzungen des Endentscheids im Sinne
von Art. 48 OG erfülle, indem das Teilbegehren Gegenstand eines besonderen
Prozesses hätte bilden können und seine Beurteilung für das Hauptbegehren
präjudiziell sei. Zu beachten ist jedoch, dass das

    Bundesgericht in seither ergangenen Entscheiden die präjudizielle
Bedeutung eines Teilurteils allein nicht genügen lässt, sondern die für
den materiellen Zwischenentscheid gesetzlich statuierte Voraussetzung
der Verminderung des Prozessaufwands (Art. 50 Abs. 1 OG) grundsätzlich
auch für das Teilurteil verlangt (vgl. oben E. 2a).

    c) Teilurteile sind grundsätzlich für sich allein nicht berufungsfähig,
weil das Bundesgericht sich aus Gründen der Prozessökonomie nur einmal
mit einem Rechtsstreit befasst. Mängel vorausgegangener Teilentscheide
können deshalb erst mit der Berufung gegen den Endentscheid geltend gemacht
werden (Art. 48 Abs. 3 OG; BGE 107 II 349 E. 2 S. 352; MESSMER/IMBODEN,
Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, S. 95),
was aber in der Regel für die Parteien keine gravierenden Nachteile zur
Folge hat: Für den Beklagten nicht, weil das Teilurteil vor Erlass des
Endurteils nicht rechtskräftig wird (BGE 115 Ia 123 E. 3b S. 125; 61 II
269 S. 271), für den Kläger nicht, weil das Verfahren seinen Fortgang
nehmen kann, auch ohne dass die bereits beurteilten Rechtsbegehren sofort
vollstreckt werden müssten.

    Bei der Stufenklage liegen die Verhältnisse jedoch anders: Der
Hilfsanspruch auf Auskunftserteilung oder Rechnungslegung setzt den
Kläger überhaupt erst in die Lage, seine Forderung zu beziffern und das
Verfahren fortzusetzen. Versagt man dem Teilurteil über den Hilfsanspruch
die selbständige Anfechtbarkeit, könnte sich der Beklagte gegen die
Durchsetzung der Rechenschaftspflicht mit dem Argument wehren, das
Teilurteil sei nicht in Rechtskraft erwachsen, und dadurch das Verfahren
blockieren. Die aus prozessökonomischen Gründen zugelassene Verbindung
von Hilfs- und Hauptanspruch würde sich für den Kläger damit zum Nachteil
wenden. Zwar ist die Rechnungslegung auf dem Wege der Vollstreckung
nicht unmittelbar zu erwirken, da es sich um eine Verpflichtung zu einem
Tun handelt, die nur indirektem Zwang zugänglich ist. Das Verhalten des
Schuldners wird indessen bei der Fortsetzung des Verfahrens, allenfalls
im Sinne einer Umkehr der Beweislast, zu berücksichtigen sein und die
ungefähre Streitwertschätzung nach den Angaben des Klägers dem Gericht als
Grundlage für die Bemessung des Quantitativs dienen (VOGEL, recht 1992,
S. 63 mit Hinweis auf GULDENER, aaO, S. 167). Es sind demnach nicht nur
die Interessen desjenigen, der durch das Teilurteil zur Rechnungslegung
verpflichtet wird, sondern ebenso diejenigen seines Prozessgegners,
welche die selbständige Anfechtbarkeit in Fällen wie diesen gebieten. Die
gegenteilige Auffassung wäre deshalb auch mit der dienenden Funktion des
Prozessrechtes, das dem materiellen Recht zum Durchbruch verhelfen soll,
kaum zu vereinbaren (vgl. BGE 116 II 215 E. 3 S. 218 mit Hinweis auf
GULDENER, aaO, S. 52 f.).

    Aus diesen Gründen ist die Berufung gegen ein Teilurteil im Rahmen
einer Stufenklage unabhängig vom Erfordernis der Prozessersparnis
zuzulassen.