Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 V 38



120 V 38

6. Auszug aus dem Urteil vom 20. Januar 1994 in Sachen W. AG gegen
EVIDENZIA, Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung und
Versicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Art. 5bis KUVG, Art. 103 lit. a OG. Unabhängig davon, ob der
Arbeitgeber oder seine Beschäftigten einen Rechtsanspruch auf die
Leistungen aus einem Kollektiv-Krankenversicherungsvertrag haben, ist
der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gegen eine leistungsverweigernde Verfügung der Krankenkasse legitimiert
(Erw. 2b).

    Art. 5bis KUVG, Art. 2 Abs. 1 Vo II KUVG, Art. 324a
OR. Dem Arbeitgeber, der sich durch den Abschluss eines
Kollektiv-Krankenversicherungsvertrages seiner Lohnfortzahlungspflicht
entledigt, steht kein eigener Anspruch auf die Versicherungsleistungen zu
(Erw. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Unter Hinweis auf WEBER, Die Kollektivversicherung bei
anerkannten Krankenkassen (SZS 1968 S. 186 ff.), ist die Vorinstanz
davon ausgegangen, dass es sich bei dem 1976 abgeschlossenen
Kollektiv-Krankenversicherungsvertrag um einen Vertrag zugunsten
Dritter, nämlich der von der Beschwerdeführerin beschäftigten
Arbeitnehmer, handelt. Vor diesem Hintergrund stellt sich zunächst die
als Sachurteilsvoraussetzung von Amtes wegen zu prüfende Frage, ob die
W. AG überhaupt zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert ist (BGE
115 V 130 Erw. 1 mit Hinweisen).

    b) Gemäss Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde
berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Die
Rechtsprechung betrachtet als schutzwürdiges Interesse im Sinne von
Art. 103 lit. a OG jedes praktische oder rechtliche Interesse, welches
eine von einer Verfügung betroffene Person an deren Änderung oder
Aufhebung geltend machen kann. Das schutzwürdige Interesse besteht somit
im praktischen Nutzen, den die Gutheissung der Beschwerde dem Betroffenen
verschaffen würde, oder - anders ausgedrückt - im Umstand, einen Nachteil
wirtschaftlicher, ideeller, materieller oder anderweitiger Natur zu
vermeiden, welchen die angefochtene Verfügung mit sich bringen würde
(BGE 119 V 87 Erw. 5b mit Hinweisen; GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege,
2. Aufl., 1983, S. 151 ff.).

    Die Beschwerdeführerin war Partei des
Kollektiv-Krankenversicherungsvertrages und ist - wie sich dem bei ihr
eingeholten Arbeitsvertrag entnehmen lässt - zumindest teilweise auch
für die Versicherungsprämien aufgekommen. Damit muss ihr zweifellos ein
erhebliches Interesse an der korrekten Ausrichtung der versicherten
Leistungen zugebilligt werden. Angesichts ihrer in Art. 324a OG
festgehaltenen und beim Ausbleiben der vereinbarten Versicherungsleistungen
allenfalls aktuell werdenden Lohnfortzahlungspflicht ist ihr Interesse
an der Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Verfügung vom
7. März 1991 auch als schutzwürdig im Sinne von Art. 103 lit. a OG
zu qualifizieren. Wiederholt hat das Eidg. Versicherungsgericht bei
im wesentlichen mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Umständen
denn auch die Beschwerdeberechtigung eines Arbeitgebers gegen die
an seinen Angestellten gerichtete leistungsverweigernde Verfügung
des Unfallversicherers anerkannt (BGE 106 V 222 Erw. 1; RKUV 1989 Nr.
U 73 S. 239 Erw. 1b). Zu einer abweichenden Beurteilung im Bereich der
Kollektiv-Krankenversicherung besteht kein sachlich begründbarer Anlass.
Unabhängig von der Beantwortung der nachfolgend noch zu prüfenden -
und von der Vorinstanz verneinten - materiell-rechtlichen Frage, ob der
Beschwerdeführerin selbst ein Anspruch auf die geltend gemachten Taggelder
zusteht, ist ihre Legitimation zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde demnach
zu bejahen.

    c) Aufgrund der derogatorischen Kraft des Bundesrechts und
entsprechend dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens dürfen nach der
Rechtsprechung bei Streitigkeiten, die mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Eidg. Versicherungsgericht weitergezogen werden können, auf
kantonaler Ebene an die Beschwerdebefugnis nicht strengere Anforderungen
gestellt werden, als sie Art. 103 lit. a OG für die Legitimation zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorsieht. Wer gemäss Art. 103 lit. a OG
im letztinstanzlichen Verfahren beschwerdebefugt ist, muss deshalb auch
im kantonalen Rechtsmittelverfahren zum Weiterzug berechtigt sein (BGE
114 V 95 f. Erw. 2a mit Hinweisen).

    Zu Recht ist das kantonale Gericht demnach auf die von der W. AG
gegen die Kassenverfügung vom 7. März 1991 erhobene Beschwerde
eingetreten. Der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellte
Eventualantrag, wonach die Sache zur "prozessual richtigen Erledigung"
an die Vorinstanz zurückzuweisen sei, weil der kantonale Richter einen
Nichteintretensentscheid hätte fällen müssen, beruht offenbar auf einem
Missverständnis, hat das vorinstanzliche Gericht - unter stillschweigender
Bejahung der Eintretensvoraussetzungen - den geltend gemachten Anspruch
doch tatsächlich in materieller Hinsicht überprüft und deshalb in der
Folge richtigerweise auch ein Sachurteil gefällt. Wenn es diesen Anspruch
darin schon grundsätzlich verneint hat, bestand selbstverständlich auch
keinerlei Veranlassung zu weiteren Abklärungen hinsichtlich des genauen
Umfangs der geforderten Taggeldnachzahlungen. Dass die Vorinstanz unter
diesen Umständen zusätzliche Nachforschungen in Richtung "Bezifferung"
des genauen Forderungsbetrages unterlassen hat, ist deshalb - entgegen
der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vertretenen Auffassung -
verfahrensmässig nicht zu beanstanden.

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt indessen, ob das kantonale Gericht den -
von der Frage nach der Beschwerdelegitimation zu unterscheidenden -
materiell-rechtlichen Anspruch der Beschwerdeführerin auf die angeblich in
den Jahren 1984 bis 1989 zuwenig ausgerichteten Taggelder zu Recht verneint
hat. Zu entscheiden ist somit, ob die Beschwerdeführerin die streitigen
Nachzahlungen aus eigenem Recht geltend machen kann bzw. ob ihr persönlich
ein Rechtsanspruch auf die geforderten Versicherungsleistungen zusteht.

    a) Da es dabei um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen geht, ist die Überprüfungsbefugnis des Eidg.
Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht
einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt,
sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen
Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung
des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren
der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).

    b) Wie die Vorinstanz zutreffend dargelegt hat, handelt es
sich beim vorliegenden Kollektiv-Krankenversicherungsvertrag um
einen Vertrag zugunsten Dritter. Vertragsparteien sind einerseits
die Beschwerdeführerin als Versicherungsnehmerin und anderseits
die Beschwerdegegnerin als Versicherer. Die Besonderheit des
Kollektiv-Krankenversicherungsvertrages liegt darin, dass die Versicherten
in aller Regel mit dem Versicherungsnehmer nicht identisch sind. Vielmehr
verhält es sich in den meisten Fällen so, dass eine bestimmte namentlich
bezeichnete oder aber auch eine nicht näher identifizierte Anzahl von
Personen oder Personengruppen als Versicherte zu betrachten sind. Diesen
steht im Versicherungsfall denn auch ein direktes Forderungsrecht gegenüber
dem Versicherer zu (WEBER, aaO, S. 188).

    c) Die Beschwerdeführerin argumentiert nun dahingehend,
dass mit dem zwischen ihr und der Krankenkasse geschlossenen
Kollektiv-Krankenversicherungsvertrag das in der Lohnfortzahlungspflicht
gemäss Art. 324a OR bestehende Arbeitgeberrisiko abgesichert werden
sollte, weshalb sie selbst auch ein direktes Forderungsrecht gegenüber
der Kasse habe.

    aa) Dafür, dass die Beschwerdeführerin als Arbeitgeberin einen
persönlichen Rechtsanspruch auf die versicherten Leistungen hat und
damit im Versicherungsfall direkt Begünstigte ist, könnte zwar die in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde aufgestellte und von der Krankenkasse nicht
bestrittene Behauptung angeführt werden, dass Versicherungsleistungen mit
Prämienausständen verrechnet wurden. Dieses Vorgehen liesse allenfalls
darauf schliessen, dass die der Beschwerdeführerin im Krankheitsfall ihrer
Arbeitnehmer aufgrund von Art. 324a OR obliegende Lohnfortzahlungspflicht
bei ihr verblieben ist und sie sich mit dem Versicherungsvertrag lediglich
dafür eine Risikodeckung in Form einer Vergütung der von ihr erbrachten
Gehaltszahlungen durch Krankengeldleistungen der Kasse schaffen wollte.

    Zu beachten ist indes, dass solche Verrechnungen in der alltäglichen
Praxis häufig anzutreffen sind und letztlich lediglich der Vereinfachung
des Zahlungsverkehrs dienen. Aus dieser Art der Vertragsabwicklung
ist deshalb nicht zwingend die Schlussfolgerung zu ziehen, dass
der Beschwerdeführerin selbst ein Leistungsanspruch gegenüber der
Kasse zusteht. Zu berücksichtigen ist denn auch, dass eine solche
Verrechnungsmöglichkeit in Art. 1 Abs. 4 des Versicherungsvertrages
ausdrücklich vorgesehen wurde. Auch ist der Kasse in den besonderen
Bestimmungen dieses Vertrages das Recht eingeräumt worden, allfällige der
Beschwerdeführerin aufgrund von erzielten Überschüssen zu gewährende
Gutschriften mit zukünftigen Mitgliederbeiträgen zu verrechnen.
Angesichts dieser vertraglichen Vereinbarungen stehen die offenbar
tatsächlich vorgenommenen Verrechnungen von Taggeldleistungen mit
Prämien der vorinstanzlichen Annahme, wonach die Beschwerdeführerin die
Versicherungsleistungen lediglich als Zahlstelle in Empfang nahm und
an die - eigentlich anspruchsberechtigten - Arbeitnehmer weiterleitete,
nicht entgegen.

    bb) Abgesehen vom erwähnten üblichen Charakter des
Kollektiv-Krankenversicherungsvertrages (Erw. 3b), lässt auch der Umstand,
dass eine direkt auf die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers
gerichtete Risikoabdeckung im Rahmen eines solchen Vertrages gesetzlich
nicht vorgesehen ist (vgl. Art. 2 Abs. 1 Vo II KUVG), die Betrachtungsweise
der Beschwerdeführerin als fragwürdig erscheinen. In der Regel erfolgt
der Abschluss einer Kollektiv-Taggeldversicherung letztlich zwar
tatsächlich zum Zweck, die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers im
Sinne von Art. 324a Abs. 4 OR abzugelten (SCHÖNENBERGER, Kommentar zu
Art. 324a OR, Zürich 1984, S. A 240, N. 54). Dies ändert jedoch nichts
daran, dass grundsätzlich die versicherten Arbeitnehmer, und nicht der
Versicherungsnehmer, Begünstigte des Vertrages sind und demnach auch
allein Anspruch auf die Versicherungsleistungen haben. In den weitaus
meisten Fällen schliesst der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer die
Versicherung auf den Arbeitnehmer als versicherte Person ab, wobei der
Arbeitnehmer gewöhnlich als Begünstigter ein direktes Forderungsrecht
gegen den Versicherer erhält. Insoweit dem Arbeitnehmer ein direktes
Forderungsrecht gegenüber dem Versicherer zusteht, ist der Arbeitgeber von
einer Lohnfortzahlungspflicht befreit (SCHÖNENBERGER, aaO, S. A 241, N.
58). Selbständige Ansprüche gegenüber dem Versicherer kann er aus dem
zugunsten seiner Arbeitnehmer geschlossenen Versicherungsvertrag aber
nicht geltend machen.

    cc) Eine nähere Prüfung des zur Diskussion stehenden
Kollektiv-Krankenversicherungsvertrages und der Ausgestaltung
der Arbeitsverhältnisse im Betrieb der Beschwerdeführerin ergibt,
dass es sich im vorliegenden Fall nicht anders verhält. So wird
in Art. 1 Abs. 1 des Kollektiv-Versicherungsvertrages ausdrücklich
davon gesprochen, dass "... die bei der Firma beschäftigten Personen
für Krankengeld" versichert werden und nicht etwa - wie in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde dargestellt - die Firma selbst für das in
der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht bestehende Arbeitgeberrisiko. In
Art. 1 Abs. 3 des Vertrages wird festgehalten, dass das den Patienten -
und nicht der Versicherungsnehmerin - zustehende Krankengeld erst nach
Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit ausgerichtet wird. Nach den von der
Beschwerdeführerin noch eingeforderten Arbeitsvertragsunterlagen wird in
den von ihr verwendeten Arbeitsvertragsformularen schliesslich bezüglich
der Rechte und Pflichten auf die Vereinbarungen und Verabredungen
zwischen dem Arbeitgeberverband schweizerischer Maschinen- und
Metall-Industrieller (ASM) und den Gewerkschaften verwiesen, wobei
im eingereichten Muster-Vertragsformular insbesondere Punkt 16.1,
16.4 und 16.7 der "Vereinbarung in der Maschinenindustrie" erwähnt
werden. Diese Vereinbarung lässt dem Arbeitgeber freie Wahl bezüglich
des Systems, wie er seiner Lohnfortzahlungspflicht im Krankheitsfall
seiner Beschäftigten genügen will (Ziff. 16.3); er kann entweder eine
Krankengeldversicherung abschliessen und hat dann einen Beitrag von 2%
des durchschnittlichen Lohnes zu bezahlen (Ziff. 16.4), oder er kann
direkt den Lohn ausrichten (Ziff. 16.5), worunter nur verstanden werden
kann, dass er die gesetzliche Lohnfortzahlung selbst schuldet. Dass in
dem von der Beschwerdeführerin benützten Vertragsformular auf Punkt 16.4
- und nicht auf Punkt 16.5 - verwiesen wird, bringt klar zum Ausdruck,
dass die Lohnfortzahlungspflicht im Falle von Krankheit des Arbeitnehmers
grundsätzlich durch die Kollektiv-Taggeldversicherung abgegolten wird und
damit nicht mehr der Beschwerdeführerin obliegt. Dass der Arbeitgeber
gemäss Ziff. 16.1 des Gesamtarbeitsvertrages für eine beschränkte
Dauer noch 100% des Lohnes auszurichten hat, ist für die sich aus dem
Kollektiv-Krankenversicherungsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten
ohne Bedeutung.

    Es ist demnach davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeführerin
mit dem Abschluss des Versicherungsvertrages und den diesbezüglichen
arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Lohnfortzahlungspflicht entledigt
und diese faktisch der Kasse überbunden hat. Dies hat zur Folge, dass im
Versicherungsfall nicht sie selbst, sondern lediglich ihre Arbeitnehmer
als Begünstigte zu betrachten sind.

    d) Wenn somit die Arbeitnehmer der Beschwerdeführerin ungenügende
Versicherungsleistungen erhalten haben sollten, hätten sie allenfalls einen
Anspruch auf die geltend gemachte Nachzahlung. Die Beschwerdeführerin
hingegen kann diese nicht für sich selbst beanspruchen. Der kantonale
Entscheid ist deshalb in diesem Punkt nicht zu beanstanden.