Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 V 357



120 V 357

49. Urteil vom 24. August 1994 i.S. M. gegen Schweizerische Mobiliar
Versicherungsgesellschaft und Versicherungsgericht des Kantons Thurgau
Regeste

    Art. 68 Abs. 1 und Art. 96 UVG, Art. 19 VwVG, Art. 57 ff.  BZP. Die
nach Art. 19 VwVG in Verbindung mit Art. 57 ff. BZP im Verwaltungsverfahren
der SUVA für die Einholung von Sachverständigengutachten anwendbaren
Regeln gelten sinngemäss auch für die nach Art. 68 Abs. 1 UVG zugelassenen
Privatversicherer (Erw. 1c).

    Art. 19 VwVG, Art. 57 Abs. 2 BZP, Art. 58 Abs. 2 BZP, Art. 60
Abs. 2 BZP. Rechtsfolgen einer Verletzung der für die Einholung von
Sachverständigengutachten im Verwaltungsverfahren der obligatorischen
Unfallversicherung geltenden Vorschriften. Regeln bezüglich der Heilung
von Verfahrensmängeln (Erw. 2a und b).

    Art. 58 Abs. 1 BZP, Art. 59 Abs. 1 BZP, Art. 23 OG, Art. 58 BV,
Art. 4 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

    - Für Sachverständige gelten grundsätzlich die gleichen Ausstands-
und Ablehnungsgründe, wie sie für den Richter vorgesehen sind (Erw. 3a).

    - Im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung, welche den Arztgutachten
im Sozialversicherungsrecht zukommt, ist an die Unparteilichkeit des
Gutachters ein strenger Massstab anzusetzen (Erw. 3b).

Sachverhalt

    A.- M., geboren am 17. Oktober 1958, erlitt im Jahre 1981 einen
Skiunfall, bei welchem er sich am linken Knie verletzte. Im Oktober
1986 sprach ihm die Berner Versicherung eine Entschädigung von 15% der
versicherten Invaliditätssumme zu. In der Folge war er in seiner Tätigkeit
als Kellner und Geschäftsführer eines Restaurants in St. Moritz wieder voll
arbeitsfähig. Am 9. August 1988 stürzte er am Arbeitsplatz eine Treppe
hinunter und verletzte sich erneut am linken Knie. Eine am 17. August 1988
vorgenommene Arthroskopie zeigte eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes links
mit frischen Einblutungen. Nach vorerst konservativer Therapie wurde am
2. August 1989 in der Klinik Gut, St. Moritz, eine Kreuzbandplastik
durchgeführt. Am 6. März 1990 kam es zu einem weiteren Unfall, als
ein Passant im Bahnhof Zürich mit dem Koffer gegen das verletzte Knie
des Beschwerdeführers stiess. Wegen Zunahme der Beschwerden begab sich
M. erneut in ärztliche Behandlung. Im Juni 1990 wurde in der Klinik Gut
eine Arthroskopie und Metallentfernung vorgenommen. Der operierende Arzt,
Dr. med. A., bescheinigte im Januar 1991 eine Arbeitsunfähigkeit von 100%
bis 31. August 1990 und von 50% bis Ende Februar 1991; am 7. März 1991
bestätigte er eine vollständige Arbeitsunfähigkeit ab 1. März 1990.

    Die Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft (im folgenden:
Schweizerische Mobiliar), bei welcher M. zur Zeit seiner Unfälle
vom 9. August 1988 und 6. März 1990 obligatorisch gegen Berufs-
und Nichtberufsunfall versichert war, kam für die Heilungskosten
auf und richtete ein Taggeld aus. Im Februar 1991 ersuchte sie PD
Dr. med. X um ein Gutachten, welches am 14. Juni 1991 erstattet wurde
und worin festgestellt wird, dass der Versicherte eine abwechselnd
im Stehen und Sitzen zu verrichtende Tätigkeit vollzeitlich und
ohne Einschränkung auszuführen vermöge und ihm auch bei dauerndem
Gehen und Stehen eine tägliche Arbeitszeit von mindestens 6 bis 7
Stunden während der ganzen Woche zumutbar sei; nicht zumutbar sei das
Tragen von Lasten von mehr als 10 kg über längere Strecken und über
Treppen sowie häufiges Treppauf- und Treppabgehen. Gestützt hierauf
erliess die Schweizerische Mobiliar am 4. Juli 1991 eine Verfügung,
mit welcher sie die Ausrichtung von Taggeldleistungen ab 1. Februar
1991 und die Zusprechung einer Invalidenrente verweigerte und dem
Versicherten eine Integritätsentschädigung von Fr. 4'080.-- aufgrund eines
Integritätsschadens von 5% und eines versicherten Jahresverdienstes von
Fr. 81'600.-- zusprach.

    Mit Einspracheentscheid vom 6. August 1991 bestätigte die
Schweizerische Mobiliar diese Verfügung.

    B.- M. liess gegen den Einspracheentscheid beim Versicherungsgericht
des Kantons Thurgau Beschwerde erheben und die Zusprechung einer
Integritätsentschädigung von 20% und von Taggeld- oder Rentenleistungen
ab 1. Februar 1991 aufgrund einer Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit von 50%
beantragen. Mit der Beschwerde wurde Dr. med. X die von einem Gutachter
zu erwartende Objektivität und Distanz zum Fall abgesprochen. Gleichzeitig
wurde ein von Dr. med. M. zuhanden der Protekta-Rechtsschutz-Versicherung
verfasster Bericht vom 15. Oktober 1991 eingereicht, welcher dem
Versicherten als Kellner eine Arbeitsunfähigkeit von 50% bescheinigte.

    Das Versicherungsgericht des Kantons Thurgau wies die Beschwerde
im wesentlichen mit der Feststellung ab, dass die Objektivität und
Glaubwürdigkeit des Gutachtens von Dr. X zu Unrecht angezweifelt
werde, dass dem Beschwerdeführer die zur Zeit der Unfälle
ausgeübte Erwerbstätigkeit als Kellner und Geschäftsführer eines
Gastwirtschaftsbetriebes vollzeitlich zumutbar wäre, weshalb weder
Anspruch auf Taggeld noch auf eine Invalidenrente bestehe, und dass
die zugesprochene Integritätsentschädigung im Rahmen der massgeblichen
Richtlinien liege (Entscheid vom 9. Dezember 1991).

    C.- M. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben mit dem
Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und es
seien weitere medizinische Abklärungen anzuordnen; eventuell seien
eine Invalidenrente von 40% und eine Integritätsentschädigung von 15%
zuzusprechen. Mit der Beschwerde wird im wesentlichen das Verfahren der
Auftragserteilung an den Gutachter sowie die Objektivität und Schlüssigkeit
des Gutachtens bestritten.

    Die Schweizerische Mobiliar lässt sich mit dem Antrag auf Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vernehmen. Das Bundesamt für
Sozialversicherung enthält sich einer Stellungnahme.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Das sozialversicherungsrechtliche Verwaltungs- und
Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren ist vom Untersuchungsgrundsatz
beherrscht, indem Verwaltung und Sozialversicherungsrichter von sich aus
für die richtige und vollständige Abklärung des Sachverhaltes zu sorgen
haben. Dieser Grundsatz gilt indes nicht uneingeschränkt, sondern er
wird in zweifacher Hinsicht ergänzt durch die Mitwirkungspflicht des
betroffenen Versicherten (BGE 117 V 263 Erw. 3b) sowie durch die im
Anspruch auf rechtliches Gehör enthaltenen Parteirechte auf Teilnahme am
Verfahren und auf Einflussnahme auf den Prozess der Entscheidfindung (BGE
117 V 283 Erw. 4a). In diesem Sinne dient das rechtliche Gehör einerseits
der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes
Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, der in die
Rechtsstellung des Einzelnen eingreift (BGE 118 Ia 19 Erw. 1c, 109
Erw. 3b). Dazu gehört auch das Recht, an der Erhebung wesentlicher Beweise
mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses
geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 117 V 283 Erw. 4a mit
Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung). Im Verwaltungsverfahren gilt
dieses Mitwirkungs- oder Äusserungsrecht des Betroffenen namentlich im
Zusammenhang mit der Durchführung eines Augenscheins (BGE 116 Ia 99 f.,
113 Ia 82 Erw. 3a, 112 Ia 5 Erw. 2c), der Befragung von Zeugen (BGE 92
I 260 Erw. 3) sowie bezüglich eines Expertengutachtens (BGE 101 Ia 311
Erw. 1b und Erw. 2a, 99 Ia 46 Erw. 3b). Infolgedessen darf auf diese
Beweismittel bei der Entscheidung nicht abgestellt werden, ohne dem
Betroffenen Gelegenheit zu geben, an der Beweisabnahme mitzuwirken oder
wenigstens nachträglich zum Beweisergebnis Stellung zu nehmen (BGE 119
V 211 Erw. 3b).

    b) Für das Verwaltungsverfahren in der obligatorischen
Unfallversicherung bestimmt Art. 96 UVG, dass die Vorschriften des UVG
anwendbar sind, soweit das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren
(VwVG) für Versicherer nicht gilt oder das UVG eine abweichende Regelung
enthält. Als autonome eidg. Anstalt untersteht die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) den Verfahrensregeln des VwVG. Die in
Art. 97 ff. UVG erlassenen und in Art. 122 ff. UVV näher umschriebenen
Verfahrensbestimmungen sind deshalb für das Verwaltungsverfahren der SUVA
nur anwendbar, soweit sie eine gegenüber dem VwVG abweichende Regelung
enthalten (BGE 115 V 299 Erw. 2b). Das UVG enthält namentlich keine
besonderen Regeln über das von den Unfallversicherern durchzuführende
Beweisverfahren, insbesondere nicht über die den Parteien bei der
Beweisabnahme zustehenden Mitwirkungsrechte. Die SUVA hat diesbezüglich
daher die Vorschriften des VwVG zu beachten.

    Das VwVG enthält in Art. 12 ff. Bestimmungen zur Feststellung des
rechtserheblichen Sachverhalts, regelt in Art. 14 ff. insbesondere die
Zeugeneinvernahme und bestimmt in Art. 19, dass auf das Beweisverfahren
ergänzend die Art. 37, 39-41 und 43-61 des Bundesgesetzes über den
Zivilprozess (BZP) sinngemäss Anwendung finden. Dementsprechend hat die
SUVA bei der Einholung von Sachverständigengutachten sinngemäss nach den
Bestimmungen des Bundeszivilprozesses zu verfahren und insbesondere die in
Art. 57 ff. BZP genannten Mitwirkungsrechte der Verfahrensbeteiligten zu
beachten (RKUV 1993 Nr. U 167 S. 96 Erw. 5b). Danach ist dem Betroffenen
Gelegenheit zu geben, sich zu den Fragen an den Sachverständigen zu
äussern und Abänderungs- und Ergänzungsanträge zu stellen (Art. 57 Abs. 2
BZP); des weitern ist ihm Gelegenheit zu geben, vor der Ernennung des
Sachverständigen Einwendungen gegen die Person des in Aussicht genommenen
Sachverständigen vorzubringen (Art. 58 Abs. 2 BZP); sodann ist ihm
das Recht zu gewähren, nachträglich zum Gutachten Stellung zu nehmen
sowie dessen Erläuterung oder Ergänzung sowie eine neue Begutachtung zu
beantragen (Art. 60 Abs. 2 BZP).

    c) Im Gegensatz zum Verwaltungsverfahren der SUVA ist das VwVG
für die nach Art. 68 Abs. 1 UVG zur Durchführung der obligatorischen
Unfallversicherung zugelassenen anderen Versicherer nicht unmittelbar
anwendbar (Art. 1 Abs. 2 lit. e in Verbindung mit Art. 3 lit. a VwVG;
BGE 115 V 299 Erw. 2b mit Hinweisen). Für die anderen Versicherer
gemäss Art. 68 UVG (private Versicherungseinrichtungen, öffentliche
Unfallversicherungskassen, anerkannte Krankenkassen) gelten die
Bestimmungen von Art. 96 ff. UVG und Art. 122 ff. UVV, welche aber keine
besondern Regeln über das Beweisverfahren enthalten. Dies bedeutet
indessen nicht, dass die Privatversicherer bei der Gestaltung des
Beweisverfahrens frei wären und insbesondere die für die SUVA nach Art. 19
VwVG in Verbindung mit Art. 57 ff. BZP geltenden Regeln bei der Einholung
von Gutachten nicht zu beachten hätten. Denn es besteht angesichts des
Grundsatzes der Einheit der Sozialversicherung (vgl. BGE 113 V 331 Erw. 2c)
kein Anlass, die im Verwaltungsverfahren der SUVA für die Einholung von
Sachverständigengutachten geltenden Regeln nicht sinngemäss auch für die an
der Durchführung der obligatorischen Unfallversicherung beteiligten anderen
Versicherer als anwendbar zu erachten. Zwar gibt die Verfahrensordnung
von Art. 96 ff. UVG und Art. 122 ff. UVV den nicht unmittelbar dem VwVG
unterstellten Versicherern etwa bei der Gestaltung des Verfügungsverfahrens
oder in den Formen des Zusammenwirkens mit den Versicherten bei der
Feststellung des Sachverhaltes eine gewisse Gestaltungsfreiheit,
die sich auch aus Praktikabilitätsgründen aufdrängt. Dessenungeachtet
haben die Versicherer gemäss Art. 68 UVG als Durchführungsorgane des
Bundes die rechtsstaatlichen Garantien des Verfügungsverfahrens zu
beachten. Zumindest das Recht, nachträglich zur Person und zum Gutachten
eines Sachverständigen Stellung zu nehmen, bildet zudem Bestandteil
der unmittelbar aus Art. 4 Abs. 1 BV folgenden, verfassungsrechtlichen
Minimalgarantien zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs (BGE 117 V
283 Erw. 4a in fine, 101 Ia 310 Erw. 1, 99 Ia 46 Erw. 3b).

Erwägung 2

    2.- a) Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur.  Die
Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten
der Beschwerde in der Sache selbst zur Aufhebung der angefochtenen
Verfügung (BGE 118 V 314 Erw. 3c). Ein in Verletzung des rechtlichen
Gehörs zustande gekommener Entscheid ist indessen in aller Regel
nicht nichtig, sondern anfechtbar (ZIMMERLI, Zum rechtlichen Gehör
im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren, in Festschrift 75 Jahre
EVG, Bern 1992, S. 320; TINNER, Das rechtliche Gehör, ZSR, 83(1964) II
S. 410). Zwar kann der Richter die Frage einer allfälligen Verletzung des
Gehörsanspruchs nicht nur aufgrund von Parteivorbringen, sondern auch
von Amtes wegen prüfen (BGE 116 V 185 Erw. 1a mit Hinweisen). Anlass
zur Aufhebung eines Entscheides von Amtes wegen geben indessen nur
Verletzungen wesentlicher Verfahrensvorschriften (vgl. IMBODEN/RHINOW,
Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 6. Aufl., Basel 1986, Bd. I
Nr. 87 B I und B II, S. 545 ff. sowie RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990, Nr. 87 S. 293 ff.).

    b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann eine Verletzung
der nach Art. 19 VwVG in Verbindung mit Art. 57, 58 und 60 BZP für den
Beizug von Sachverständigen geltenden Verfahrensregeln, insbesondere der
Vorschriften, wonach den Parteien Gelegenheit zu geben ist, zur Ernennung
von Sachverständigen Stellung zu nehmen (Art. 58 Abs. 2 BZP) und sich zu
den Fragen zu äussern, deren Begutachtung beabsichtigt ist (Art. 57 Abs. 2
BZP), als geheilt gelten, wenn das Gericht den angefochtenen Entscheid
in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht frei überprüfen kann (BGE 99 Ib
57 Erw. 3). In gleichem Sinn hat das Eidg. Versicherungsgericht im Falle
eines von der SUVA eingeholten blossen Aktengutachtens entschieden und
eine Verletzung der Vorschriften von Art. 58 Abs. 2 und 57 Abs. 2 BZP
als geheilt betrachtet, nachdem der Beschwerdeführer sowohl während des
Einsprache- als auch im anschliessenden Beschwerdeverfahren Gelegenheit
hatte, entsprechende Einwendungen vorzubringen (RKUV 1993 Nr. U 167 S. 95
ff., vgl. auch BGE 116 V 185 Erw. 1b mit Hinweisen).

    Eine Heilungsmöglichkeit entfällt rechtsprechungsgemäss
jedoch bei schwerwiegenden Verletzungen der in den Art. 57 ff. BZP
garantierten Gehörs- und Mitwirkungsrechte. Davon abgesehen ist im
sozialversicherungsrechtlichen Verfügungsverfahren jeweils sorgfältig zu
prüfen, ob eine Missachtung der Verfahrensgarantien von Art. 57 ff. BZP,
insbesondere von Art. 58 Abs. 2, Art. 59 Abs. 1 und Art. 60 BZP nicht
an sich einen schwerwiegenden Verfahrensmangel darstellt, bei dem eine
Heilungsmöglichkeit entfällt (vgl. BGE 115 V 305 Erw. 2h, 119 V 218
Erw. 6 mit Hinweisen).

    c) Die Beschwerdegegnerin ist den sinngemäss anwendbaren Vorschriften
von Art. 58 Abs. 2 BZP insofern nachgekommen, als sie dem Beschwerdeführer
zwar nicht Gelegenheit gegeben hat, vorgängig des Gutachtenauftrags
Einwendungen gegen die Person des in Aussicht genommenen Gutachters
vorzubringen, ihn mit Schreiben vom 22. Februar 1991 jedoch gleichzeitig
mit dem Auftrag an den Gutachter über die Begutachtung und die Person des
Gutachters orientiert hat. Der Beschwerdeführer hatte somit noch vor der
Begutachtung und der diesbezüglichen medizinischen Untersuchung Kenntnis
von der Person des Gutachters und damit Gelegenheit, entsprechende
Einwendungen vorzubringen. Soweit eine Verletzung der sinngemäss
anwendbaren Bestimmung von Art. 58 Abs. 2 BZP vorliegt, kann sie daher
als geheilt gelten.

    Unbestrittenermassen nicht mitgeteilt wurde dem Beschwerdeführer die
Fragestellung an den Gutachter, weshalb er auch keine Gelegenheit hatte,
sich hiezu zu äussern und Abänderungs- oder Ergänzungsanträge zu stellen
(Art. 57 Abs. 2 BZP). Den Akten lässt sich sodann nicht entnehmen, dass
dem Beschwerdeführer vor Erlass der Verfügung vom 4. Juli 1991 im Sinne
von Art. 60 Abs. 2 BZP das Recht eingeräumt worden wäre, zum Gutachten
Stellung zu nehmen und allenfalls ergänzende Anträge zu stellen. Ob
hierin eine schwere, die Heilung des Verfahrensmangels ausschliessende
Gehörsverletzung zu erblicken ist, welche von Amtes wegen zur Aufhebung
des mit dem Verfahrensfehler behafteten Entscheids führt, kann indessen
offenbleiben, weil die Sache aus andern Gründen an die Beschwerdegegnerin
zur Neubegutachtung zurückzuweisen ist, wie sich aus dem folgenden ergibt.

Erwägung 3

    3.- a) Der Beschwerdeführer macht zur Hauptsache geltend, das
Gutachten lasse die erforderliche Objektivität vermissen und auf eine
Voreingenommenheit des Begutachters schliessen. Er beruft sich damit
auf das Gebot der Unparteilichkeit des Experten gemäss Art. 59 Abs. 1
BZP und die nach Art. 58 Abs. 1 BZP anwendbaren Ablehnungsgründe des
Art. 23 OG, welche ihrerseits eine Konkretisierung des aus Art. 58 BV
folgenden Anspruchs auf Unbefangenheit und Unabhängigkeit von Gerichten,
Behörden sowie Experten darstellen (POUDRET, Commentaire de l'OJ, Bern
1990, Bd. I S. 103). Werden die Regeln über die Unparteilichkeit von
Sachverständigen vom Gericht nicht beachtet bzw. wird die Parteilichkeit
eines Experten vom Gericht nicht wahrgenommen, so verletzt dies auch
das Gebot des fairen Verfahrens und den Grundsatz der Waffengleichheit
im Sinne von Art. 4 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK (vgl. HÄFLIGER,
Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993,
S. 111 und 148 f.; MEYER-BLASER, Die Bedeutung von Art. 4 BV für das
Sozialversicherungsrecht, ZSR 111(1992) II S. 459; SCHWEIZER, Europäische
Menschenrechtskonvention und schweizerisches Sozialversicherungsrecht,
in: Festschrift 75 Jahre EVG, Bern 1992, S. 42 ff.; SCHWEIZER, Die
schweizerischen Gerichte und das europäische Recht, ZSR 112(1993) II
S. 684 f.; SALADIN, Das Verfassungsprinzip der Fairness, in: Festgabe der
schweizerischen Rechtsfakultäten zur Hundertjahrfeier des Bundesgerichts,
Basel 1975, S. 41 ff.).

    Für Sachverständige gelten grundsätzlich die gleichen Ausstands- und
Ablehnungsgründe, wie sie für den Richter vorgesehen sind (vgl. BGE 94 I
425; GRISEL, Traité de droit administratif, Neuchâtel 1989, Bd. II S. 853
f.; IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, 5. Aufl.,
Basel 1986, Bd. II S. 1075; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts,
2. Aufl., Bern 1988, 10 N. 154; GULDENER, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 349). Es rechtfertigt sich
daher, die Rechtsprechung zur Verfahrensgarantie des Art. 58 Abs. 1 BV,
soweit es um die richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit geht,
sinngemäss auf das Erfordernis der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
des Sachverständigen anzuwenden (nicht veröffentlichtes Urteil B. vom
29.11.88). Danach ist Befangenheit anzunehmen, wenn Umstände vorliegen,
die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit eines Richters
zu erwecken. Bei der Befangenheit handelt es sich allerdings um einen
inneren Zustand, der nur schwer bewiesen werden kann. Es braucht daher für
die Ablehnung eines Richters nicht nachgewiesen zu werden, dass dieser
tatsächlich befangen ist. Es genügt vielmehr, wenn Umstände vorliegen,
die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit
zu begründen vermögen. Bei der Beurteilung des Anscheins der Befangenheit
und der Gewichtung solcher Umstände kann jedoch nicht auf das subjektive
Empfinden einer Partei abgestellt werden. Das Misstrauen in den Richter
muss vielmehr in objektiver Weise als begründet erscheinen (BGE 115 V
263 Erw. 5a mit Hinweisen).

    b) In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird die geltend gemachte
mangelnde Objektivität bzw. die Voreingenommenheit des Gutachters
im wesentlichen daraus abgeleitet, dass Dr. X zufolge einer -
nach Darstellung des Beschwerdeführers unverschuldeten - Verspätung
anlässlich der Untersuchung vom 13. Juni 1991 ungehalten gewesen sei,
ihm massive Vorwürfe gemacht und sich in ungerechtfertigtem Masse
mit seinen persönlichen und familiären Verhältnissen befasst habe;
auch habe er ihn nicht zu Wort kommen lassen, insbesondere was die
bestehenden Schmerzen anbelange. Aufgrund der Erklärungen bezüglich seines
verspäteten Erscheinens zur Untersuchung werde ihm im Gutachten wiederholt
die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Der Gutachter scheine bestrebt zu sein,
ihn in ein ungünstiges Licht zu stellen, indem er ihm Zuverlässigkeit und
Wahrheitsliebe abspreche und ihn kurzerhand als negroiden Typ bezeichne,
wobei eine gewisse Arbeitsunlust zumindest suggeriert werde.

    Wie es sich hinsichtlich des beanstandeten Verhaltens des Gutachters
anlässlich der Untersuchung vom 13. Juni 1991 verhielt, lässt sich
im einzelnen nicht feststellen. Ob sich der Vorwurf der mangelnden
Objektivität des Gutachters als begründet erweist, ist daher aufgrund des
Gutachtens und der sich aus den Akten ergebenden Umstände der Begutachtung
zu beurteilen. Dabei kann den Ausführungen des Beschwerdeführers insoweit
nicht gefolgt werden, als dieser aus der Bezeichnung "negroider Typ"
auf eine die Parteilichkeit des Gutachters dokumentierende negative
Bewertung seiner Person schliesst. Wie sich aus dem Gutachten ergibt,
sollte damit lediglich die Physiognomie des Beschwerdeführers beschrieben
werden, was noch mit keinem Werturteil verbunden ist. Ebensowenig ist
zu beanstanden, dass der Gutachter den Beschwerdeführer eingehend zu den
persönlichen und familiären Verhältnissen befragt hat, bilden diese doch
namentlich bei nicht oder nur teilweise objektivierbaren Beschwerden eine
wichtige Beurteilungsgrundlage. Die Anamnese hat sich indessen auf die
für die Beurteilung wesentlichen, geeigneten Tatsachen zu beschränken;
dementsprechend sind im Gutachten nur solche Tatsachen zu erwähnen, die
in Zusammenhang mit dem zu beurteilenden Sachverhalt von Bedeutung sind
(vgl. FREDENHAGEN, Das ärztliche Gutachten, 3. Aufl., Bern 1994, S. 35
und 99). Unter diesem Gesichtspunkt erscheint im vorliegenden Fall als
fraglich, ob sich in Zusammenhang mit der Beurteilung einer Knieverletzung
und deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit gutachtliche Ausführungen
mit Hinweisen auf die schwierige Jugendzeit des Versicherten rechtfertigen
lassen. Daraus allein ergibt sich zwar noch keine Befangenheit des
Gutachters. Im Gutachten wird dem Beschwerdeführer jedoch wiederholt
Unzuverlässigkeit bzw. mangelnde Glaubwürdigkeit angelastet. Der
Vorwurf stützt sich im wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer das
verspätete Erscheinen zur Untersuchung mit einer Zugsverspätung begründet
hatte, was sich bei einer Rückfrage des Gutachters beim Bahnhof Luzern als
unzutreffend herausgestellt hat. Der Beschwerdeführer hält dem entgegen,
er habe sich bezüglich der Zugsverbindung an die Angaben des Gutachters
gehalten und sich bei der Begründung des verspäteten Erscheinens
möglicherweise ungeschickt ausgedrückt. Wie es sich damit verhielt,
kann dahingestellt bleiben. Denn allein aufgrund einer unzutreffenden,
allenfalls auch nur missverständlichen Äusserung hinsichtlich der
Gründe, welche zur Verspätung geführt haben, durfte der Gutachter dem
Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit bezüglich der Angaben zu dem für die
Beurteilung wesentlichen Sachverhalt nicht absprechen. Selbst wenn die
Angaben des Beschwerdeführers - wie im Gutachten ausgeführt wird - oft
ungenau und beim Nachfragen widersprüchlich gewesen sein sollten, durfte
der Gutachter nach einer einmaligen Untersuchung des Versicherten nicht zu
derart schwerwiegenden Vorwürfen gelangen und diese zu einer entscheidenden
Grundlage der Beurteilung machen. Auch geht es nicht an, die Angaben
des behandelnden Arztes zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ohne
nähere Begründung mit der "reduzierten Wahrheitsliebe" des Versicherten
zu erklären, womit unterstellt wird, dass der Beschwerdeführer dem
behandelnden Arzt unwahre Angaben gemacht hatte und dieser sich durch die
Angaben des Beschwerdeführers täuschen liess. Hiezu hätte es auf jeden
Fall konkreter Anhaltspunkte bedurft.

    Aufgrund des Gutachtens ist mithin nicht auszuschliessen, dass der
Gutachter insbesondere wegen der Verspätung des Beschwerdeführers diesem
gegenüber in einem gewissen Umfang voreingenommen war. Die Einstellung
des Gutachters gegenüber dem Beschwerdeführer, wie sie im Gutachten
vom 14. Juni 1991 zum Ausdruck kommt, war jedenfalls geeignet, beim
Beschwerdeführer objektiv den Anschein der Voreingenommenheit zu begründen,
was für die Annahme einer Befangenheit des Gutachters genügt (BGE 115 V 263
Erw. 5a). Im Hinblick auf die grosse Bedeutung, welche den Arztgutachten
im Sozialversicherungsrecht zukommt (vgl. BGE 118 V 290 Erw. 1b, 115 V 134
Erw. 2, 112 V 32 Erw. 1a), ist an die Unparteilichkeit des Gutachters ein
strenger Massstab anzusetzen. Diesen Anforderungen genügt das vorliegende
Gutachten nicht, weshalb es nicht als taugliches Beweismittel für die
Beurteilung des streitigen Leistungsanspruchs betrachtet werden kann.

Erwägung 4

    4.- Nach dem Gesagten ist die Sache an die Beschwerdegegnerin
zur Neubegutachtung zurückzuweisen, ohne dass zu prüfen wäre, wie es
sich hinsichtlich der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die
gutachtliche Beurteilung erhobenen materiellen Einwendungen verhält. Was
der Beschwerdeführer diesbezüglich vorbringt, wird im Rahmen des
einzuholenden neuen Gutachtens und der anschliessenden Neubeurteilung
des Leistungsanspruchs zu berücksichtigen sein.