Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 V 134



120 V 134

18. Auszug aus dem Urteil vom 2. Mai 1994 i.S. C. gegen Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt und Versicherungsgericht des Kantons Aargau
Regeste

    Art. 84 Abs. 2 Satz 2 UVG, Art. 86 Abs. 1 lit. a, Art. 87
Abs. 1 und 2 VUV: Verhältnis zwischen Übergangsentschädigung und
Invalidenrente. Der Bezüger einer Teilinvalidenrente kann im Rahmen
der ihm verbliebenen Resterwerbsfähigkeit zufolge einer gegen ihn
gerichteten Nichteignungsverfügung in seinem beruflichen Fortkommen auf
dem Arbeitsmarkt erheblich beeinträchtigt sein und somit - vorbehältlich
der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen - einen zusätzlichen Anspruch
auf Übergangsentschädigung begründen.

Sachverhalt

    A.- Nach Durchführung lungenärztlicher, arbeitsmedizinischer und
erwerblicher Abklärungen sprach die SUVA C. mit Verfügung vom 23. September
1991, unter Ablösung der bisherigen 15%igen Invalidenrente, ab 1. September
1991 neu eine solche auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von
35% zu. Überdies verneinte sie mit Verfügung vom 1. Oktober 1991 einen
über Ende August 1991 hinausreichenden Anspruch des Versicherten auf
Übergangsleistungen. Die gegen beide letztgenannten Verfügungen erhobene
Einsprache wies die Anstalt ab (Einspracheentscheid vom 21. Februar 1992).

    B.- In teilweiser Gutheissung der dagegen eingereichten Beschwerde
stellte das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom
23. November 1992 fest, dass C. ab 1. September 1991 Anspruch auf eine
40%ige Invalidenrente hat; soweit mit der Beschwerde eine höhere Rente,
die Weiterausrichtung der Übergangsentschädigung über den 31. August
1991 hinaus, eine Integritätsentschädigung sowie die Zusprechung von
Leistungen wegen Rückenbeschwerden unter dem Titel einer Berufskrankheit
geltend gemacht worden war, wurde sie abgewiesen.

    C.- C. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag,
die SUVA sei zu verpflichten, ihm zusätzlich zur Invalidenrente eine
Übergangsentschädigung auszurichten; eventuell sei ihm eine höhere Rente
zuzusprechen.

    Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Führt ein versichertes Ereignis, namentlich ein Berufsunfall
und/oder eine Berufskrankheit (Art. 6 Abs. 1 UVG), zu einer Invalidität
im Sinne von Art. 18 Abs. 2 UVG, so hat der Versicherte Anspruch auf eine
Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG). Dabei handelt es sich offensichtlich
um eine Versicherungsleistung (vgl. die systematische Einordnung der
Art. 18 ff. über die Invalidenrente unter dem Dritten Titel des Gesetzes
["Versicherungsleistungen"; Art. 10-52 UVG]). Der Invalidenrentenanspruch
entsteht, wenn von der Fortsetzung der ärztlichen Behandlung keine namhafte
Besserung des Gesundheitszustandes mehr erwartet werden kann und allfällige
Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung abgeschlossen sind. Mit
dem Rentenbeginn fallen die Heilbehandlung und die Taggeldleistungen dahin
(Art. 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UVG).

    b) Gemäss Art. 84 Abs. 1 UVG können die Durchführungsorgane nach
Anhören des Arbeitgebers und der unmittelbar betroffenen Versicherten
bestimmte Massnahmen zur Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten
anordnen (Satz 1). In diesem Rahmen können die Durchführungsorgane
Versicherte, die hinsichtlich Berufsunfällen oder Berufskrankheiten
durch bestimmte Arbeiten besonders gefährdet sind, von diesen Arbeiten
ausschliessen (Art. 84 Abs. 2 Satz 1 UVG). Gemäss Satz 2 dieser
Bestimmung ordnet der Bundesrat die Entschädigung für Versicherte, die
durch den Ausschluss von ihrer bisherigen Arbeit im Fortkommen erheblich
beeinträchtigt sind und keinen Anspruch auf andere Versicherungsleistungen
haben.

    Gestützt auf diese Bestimmungen hat der Bundesrat in den Art. 82
ff. der Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten
(VUV) vom 19. Dezember 1983 die Ansprüche des Arbeitnehmers
geordnet, welcher von einer befristeten oder dauernden (definitiven)
Nichteignungsverfügung betroffen ist. Zu dessen Ansprüchen gehören die
persönliche Beratung (Art. 82 VUV), das Übergangstaggeld (Art. 83-85
VUV), welches, betraglich dem vollen gewöhnlichen Taggeld des Art. 17
Abs. 1 UVG entsprechend, während höchstens vier Monaten entrichtet
wird (Art. 84 VUV), und schliesslich die Übergangsentschädigung gemäss
den Art. 86-88 VUV. Diese kann, unter den in Art. 86 VUV normierten
Voraussetzungen, welche hier nicht zur Diskussion stehen, während
höchstens vier Jahren ausgerichtet werden (Art. 87 Abs. 3 VUV). Dabei
beträgt die Übergangsentschädigung 80% der Lohneinbusse, die der
Arbeitnehmer wegen des befristeten oder dauernden Ausschlusses von der
ihn gefährdenden Arbeit oder infolge der Verfügung auf bedingte Eignung
auf dem Arbeitsmarkt erleidet; als Lohn gilt der versicherte Verdienst
nach Art. 15 UVG (Art. 87 Abs. 1 VUV). Erhält ein Arbeitnehmer, dem
eine Übergangsentschädigung zugesprochen wurde, später Taggelder oder
eine Rente für die Folgen eines Berufsunfalls oder einer Berufskrankheit,
die mit der in der Verfügung bezeichneten Arbeit zusammenhängt, so kann
die Übergangsentschädigung laut Art. 87 Abs. 2 VUV an diese Leistungen
ganz oder teilweise angerechnet werden.

    Trifft das Übergangstaggeld oder die Übergangsentschädigung mit
anderen (d.h. nicht vom zuständigen Unfallversicherer erbrachten)
Sozialversicherungsleistungen zusammen, so kommt die Kürzungsregelung
gemäss Art. 40 UVG zum Zuge (Art. 89 Abs. 1 VUV), ferner, bei Erfüllung
der in Art. 89 Abs. 2 lit. a-c VUV normierten Voraussetzungen, welche
hier ebenfalls sachlich nicht von Bedeutung sind, die Kürzungsregelung
gemäss Art. 37 Abs. 1 und 2 UVG.

Erwägung 4

    4.- a) Im Lichte dieser gesetzlichen Bestimmungen ist vorliegend
einzig zu prüfen, ob die SUVA dem Beschwerdeführer den Anspruch auf
weitergehende Übergangsentschädigung über den 31. August 1991 hinaus
deshalb ablehnen durfte, weil sie ihm mit Wirkung ab 1. September 1991 eine
neu 35%ige Invalidenrente zusprach. Ist dies zu bejahen, so erweist sich
die entsprechende vorinstanzlich bestätigte Ablehnung als Rechtens. Ist
diese Frage jedoch zu verneinen, so müsste die Sache diesbezüglich
unter Aufhebung von vorinstanzlichem und Einspracheentscheid an die
SUVA zurückgewiesen werden, damit diese die materiellen Voraussetzungen
auf Übergangsentschädigung in der Zeit ab 1. September 1991 prüfe,
gegebenenfalls die Übergangsentschädigung bemesse und sie, unter
Berücksichtigung der dargelegten Kürzungsvorschriften, verfügungsweise
festlege.

    b) Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid erwogen,
gegen die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Kumulation von
Übergangsentschädigung und Invalidenrente aufgrund einer Berufskrankheit
spreche bereits der Wortlaut von Art. 84 Abs. 2 Satz 2 UVG. Danach sei die
Übergangsentschädigung nur für Versicherte bestimmt, die keinen Anspruch
auf andere Versicherungsleistungen hätten. Dasselbe ergebe sich aus Sinn
und Zweck der beiden Leistungsarten. Wie das Eidg. Versicherungsgericht
in EVGE 1967 S. 206 f. festgehalten habe, solle dem Versicherten mit der
Übergangsentschädigung der Wechsel von der ihn gefährdenden Arbeit auf eine
neue geeignete Tätigkeit und die Erlangung der für die Wiedereingliederung
erforderlichen Fertigkeiten erleichtert werden. Demnach sei die
Übergangsentschädigung vergleichbar mit den von der Invalidenversicherung
während der Eingliederung ausgerichteten Taggeldleistungen nach Art. 22
IVG. Im Unterschied zu diesen setze sie aber - auch nach der Lehrmeinung
von MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 594 FN 1517a -
weder Arbeitsunfähigkeit noch Invalidität voraus. Dadurch unterscheide
sich die Übergangsentschädigung auch von der Invalidenrente gemäss
den Art. 18 ff. UVG. Die Zusprechung einer Invalidenrente setze
praxisgemäss (BGE 115 V 133 Erw. 2 mit Hinweisen) stets eine unfall-
oder berufskrankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit voraus. Mit einer
Invalidenrente würden die dauernden oder voraussichtlich für längere Zeit
bestehenden erwerblichen Nachteile entschädigt, die der Versicherte zufolge
seiner Arbeitsunfähigkeit auf dem gesamten für ihn in Betracht fallenden
Arbeitsmarkt erleide. Demgegenüber werde mit der Übergangsentschädigung
bloss eine vorübergehende Lohneinbusse ausgeglichen, die der Versicherte
durch die erzwungene Aufgabe einer konkreten, gesundheitsgefährdenden
Arbeit erleide. Die völlig verschiedene Zwecksetzung der beiden
Leistungsarten und die unterschiedliche Art des damit abgegoltenen Schadens
verbiete grundsätzlich eine Kumulation von Übergangsentschädigung und
Invalidenrente sowohl in sachlicher wie in zeitlicher Hinsicht. Gerade eine
solche Kumulation wolle die Koordinationsbestimmung von Art. 87 Abs. 2 VUV
vermeiden, falls hinsichtlich einer Zeitspanne, für welche bereits eine
Übergangsentschädigung zugesprochen worden sei, später auch noch eine
Rente für eine berufskrankheitsbedingte Invalidität gewährt werde. Mit
der genannten Verordnungsbestimmung solle eine Überversicherung verhindert
werden für den Fall, dass ex post eine berufskrankheitsbedingte (dauernde)
Invalidität auch für einen Zeitraum festgestellt werde, für den dies ex
ante betrachtet nicht angenommen, sondern mit Bezug auf welchen vielmehr
vorerst nur von einer vorübergehenden - durch eine Übergangsentschädigung
zu entgeltenden - erwerblichen Beeinträchtigung des Versicherten zufolge
Ausschlusses von einer ihn gefährdenden Arbeit ausgegangen worden sei.

    Die beschwerdebeklagte SUVA schliesst sich in ihrer Vernehmlassung
im wesentlichen der vom kantonalen Gericht vertretenen Auffassung an.

    c) Das Herausstellen der unterschiedlichen Zwecke der beiden in
Frage stehenden Leistungsarten und die Argumentation mit dem Wortlaut von
Art. 84 Abs. 2 Satz 2 UVG vermögen indessen vorliegend nicht zu überzeugen.

    aa) Unter der Annahme, dass der Beschwerdeführer weder aufgrund
der Folgen des versicherten Unfalles vom 10. August 1981 (operativ
sanierter Abriss der Bizepssehne) noch zufolge der chronischen asthmoiden
Bronchitis, welche die SUVA als versicherte Berufskrankheit anerkannt
hat, eine Teilinvalidenrente beanspruchen könnte, stünde ihm in dem
durch Art. 87 Abs. 3 VUV eröffneten vierjährigen Leistungsbezugsrahmen
unbestrittenermassen so lange eine Übergangsentschädigung zu, als
die Folgen der definitiven Nichteignungsverfügung - die erhebliche
Beeinträchtigung im beruflichen Fortkommen auf dem Arbeitsmarkt -
andauern. Das bedeutete, dass ihm während einer Dauer von bis
zu vier Jahren nach Art. 87 Abs. 1 Satz 1 VUV 80% der auf die
Nichteignungsverfügung zurückzuführenden Lohneinbusse vergütet
würde. Da laut Satz 2 der letztgenannten Verordnungsbestimmung als
Lohn der versicherte Verdienst nach Art. 15 UVG gilt, entspräche
die Übergangsentschädigung im Maximalfall dem Betrag der vollen
Unfallinvalidenrente (80% des versicherten Verdienstes bei Vollinvalidität;
Art. 20 Abs. 1 UVG).

    bb) Indem nun die SUVA den Fall per 1. September 1991 abgeschlossen
hat und in der Weise zur Berentung übergegangen ist, dass sie dem
Versicherten ab diesem Zeitpunkt eine 35%ige Invalidenrente für die
erwerblichen Folgen der versicherten Ereignisse zugesprochen hat, ist
dies gleichbedeutend mit der Feststellung, dass der Beschwerdeführer
aus unfallversicherungsrechtlicher Sicht über eine beträchtliche
Resterwerbsfähigkeit im Umfange von 65% verfügt. Die Vorinstanz hat diese
- mit der Anerkennung des Anspruchs auf eine 40%ige Invalidenrente, was zu
bestätigen ist - im angefochtenen Entscheid auf 60% veranschlagt. Sowohl
das kantonale Gericht als auch die SUVA übersehen, dass der Versicherte
im Rahmen dieser ihm verbliebenen Erwerbsfähigkeit nach wie vor
zufolge der definitiven Nichteignungsverfügung in seinem beruflichen
Fortkommen auf dem Arbeitsmarkt beeinträchtigt sein kann. Das in
diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument, die unterschiedlichen Ziele,
welche mit der Übergangsentschädigung einerseits und der Ausrichtung
einer Invalidenrente anderseits verfolgt würden, stünden einer
Kumulation der beiden Leistungsarten entgegen, erweist sich als nicht
stichhaltig. Gerade weil der Gegenstand von Unfallinvalidenrente und
von unfallversicherungsrechtlicher Übergangsentschädigung verschieden
ist, kann nicht angenommen werden, dass eine Teilinvalidenrente den
Anspruch auf Übergangsentschädigung konsumiere. Denn bei richtiger
Betrachtungsweise geht es - entgegen den Ausführungen von Vorinstanz und
SUVA - nicht um eine Kumulation beider Leistungsarten. Es verhält sich
nämlich nicht so, dass dem Beschwerdeführer für den gleichen Schaden
Invalidenrente und (kumulativ) Übergangsentschädigung zuzusprechen
wäre. Wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu Recht eingewendet wird,
stellt sich vielmehr die Frage nach einer sachgerechten Koordination
der beiden Leistungsarten, welchen unterschiedliche leistungsbegründende
Tatbestände, d.h. verschiedenartige Risiken, zugrunde liegen. Wenn und
soweit ein Versicherter über eine ganze oder teilweise Erwerbsfähigkeit
verfügt, steht ihm keine Invalidenrente zu Lasten des Unfallversicherers
zu. In diesem Umfange bezieht er keine anderen Versicherungsleistungen im
Sinne von Art. 84 Abs. 2 Satz 2 UVG. Damit verbietet es das UVG nicht, im
Rahmen der verbliebenen Resterwerbsfähigkeit eine Übergangsentschädigung
auszurichten. Angesichts des von der Vorinstanz zutreffenderweise auf 40%
erhöhten Invalidenrentenanspruches kommt folglich die Zusprechung einer
nach Art. 87 Abs. 1 VUV berechneten Übergangsentschädigung von maximal 60%
des Betrages einer vollen Invalidenrente in Betracht (vgl. Erw. 4c/aa in
fine hievor), dies ab 1. September 1991 während höchstens drei weiteren
Jahren und unter der Voraussetzung, dass die Anspruchserfordernisse gemäss
Art. 86 VUV weiterhin erfüllt sind. Zur Durchführung der notwendigen
Abklärungen ist die Sache an die SUVA zurückzuweisen.