Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IV 25



120 IV 25

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Januar 1994 i.S. K.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 251 Ziff. 1 StGB; Falschbeurkundung.

    Die Errichtung einer inhaltlich falschen einfach-schriftlichen
Vertragsurkunde stellt nur dann eine Falschbeurkundung dar, wenn besondere
Garantien dafür bestehen, dass die beiden übereinstimmend abgegebenen
Erklärungen dem wirklichen Willen der Vertragsparteien entsprechen (E. 3f;
Bestätigung der in BGE 117 IV 35 begründeten Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- Am 14. Juni 1991 erklärte das Wirtschaftsstrafgericht des Kantons
Bern K. schuldig des fortgesetzten und gewerbsmässigen Betrugs, der
Urkundenfälschung sowie der Gewalt und Drohung gegen Beamte und verurteilte
ihn zu sieben Jahren Zuchthaus, zu einer Busse von Fr. 10'000.--, zu 15
Jahren Landesverweisung und zur Bezahlung einer Ersatzforderung an den
Staat Bern in der Höhe von Fr. 2,3 Mio.

    B.- Eine dagegen von K. erhobene eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
hiess das Bundesgericht am 18. September 1992, soweit es darauf eintrat,
teilweise gut und hob das angefochtene Urteil in Anwendung von Art. 277
BStP (SR 312.0) auf. Die Rückweisung betraf die Verurteilung wegen
Urkundenfälschung in zwei Punkten.

    C.- Am 3. Dezember 1992 sprach das Wirtschaftsstrafgericht K. in einem
der beiden Punkte von der Anschuldigung der Urkundenfälschung frei. Im
übrigen bestätigte es sein erstes Urteil, auch in bezug auf die Sanktionen.

    D.- K. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
die Urteile des Wirtschaftsstrafgerichts vom 3. Dezember 1992 und 14. Juni
1991 aufzuheben, sowie mit prozessualen Anträgen.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerdeführer in ihrem neuen
Entscheid in bezug auf Offerten/Bestellungen wegen Falschbeurkundung. Das
Bundesgericht hatte ihr erstes Urteil insoweit in Anwendung von Art. 277
BStP aufgehoben, weil nicht ersichtlich war, welcher Sachverhalt dem
Tatbestand der Urkundenfälschung zugrundegelegt wurde. In ihrem neuen
Urteil verdeutlicht die Vorinstanz zunächst den Sachverhalt anhand
eines Pilotfalles. Im Anschluss daran stellt sie - einer Weisung des
Bundesgerichts folgend - klar, dass sie hier die Urkundenfälschung nicht
unter dem Gesichtspunkt der Echtheit der Urkunden, sondern unter jenem der
Wahrheit prüfe. Zu beurteilen sei, ob der Abschluss inhaltlich unrichtiger
Kaufverträge durch schriftliche Offerten und gestützt darauf erfolgende
schriftliche Bestellungen eine Falschbeurkundung darstelle. Die Vorinstanz
stellt fest, die Verträge seien nur zum Schein geschlossen worden. Offerten
und Bestellungen seien fiktiv gewesen. Der Beschwerdeführer, spiritus
rector der betreffenden Firmen, habe weder die vertraglich vereinbarte
hochwertige Software liefern noch die Kaufpreise bezahlen wollen. Die
Offerten und die ihnen entsprechenden Bestellungen stellten eine Einheit
dar und bildeten zusammen einen schriftlichen Vertrag. Insofern seien
sie Urkunden.

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, bei den Offerten und
Bestellungen handle es sich nicht um Urkunden. Die Verurteilung wegen
Falschbeurkundung im vorliegenden Punkt verletze deshalb Bundesrecht.

Erwägung 3

    3.- a) Eine Falschbeurkundung gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB begeht, wer
eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden
lässt, in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten
zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil
zu verschaffen.

    Urkunden sind unter anderem Schriften, die bestimmt und geeignet sind,
eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen (Art. 110 Ziff. 5
Abs. 1 StGB; BGE 101 IV 278).

    b) Der Urkundencharakter eines Schriftstückes ist relativ. Es kann
mit Bezug auf bestimmte Aspekte Urkundencharakter haben, mit Bezug auf
andere nicht. So können Rechnungen unabhängig davon, ob sie inhaltlich
richtig sind, Urkunden für den Beweis der Tatsache darstellen, dass die
entsprechende Erklärung durch den Rechnungssteller abgegeben worden ist. An
solchen Rechnungen können deshalb prinzipiell Urkundendelikte begangen
werden, etwa durch ihre unzulässige Veränderung (Urkundenfälschung) oder,
je nach den Umständen, durch ihre Beseitigung (Urkundenunterdrückung; BGE
119 IV 54 E. 2c/aa). Entsprechendes gilt für Geschäftskorrespondenzen
wie hier. Einer schriftlichen Offerte kommt insoweit Urkundencharakter
zu, als sich aus ihr ergibt, dass die unterzeichnete Person das in dem
Schriftstück enthaltene Angebot gemacht hat; der schriftlichen Annahme
einer Offerte kommt insoweit Urkundencharakter zu, als sich aus ihr ergibt,
dass der Empfänger der Offerte eine Erklärung abgegeben hat, mit welcher
er die Offerte annimmt.

    Mit der Aussage, dass ein Schriftstück prinzipiell Urkundencharakter
haben kann, ist jedoch noch keine Antwort darauf gegeben, ob eine
Falschbeurkundung vorliegt, wenn Offerten schriftlich abgegeben und
schriftlich angenommen werden, obwohl die Beteiligten keinen Vertrag
schliessen wollen oder gegebenenfalls einen Vertrag, der vom Inhalt der
Offerte und der Annahme abweicht.

    c) Bei der Falschbeurkundung geht es allein darum, dass die in der
Urkunde enthaltene Erklärung nicht mit der Wahrheit übereinstimmt,
wobei nach allgemeiner Ansicht die einfache schriftliche Lüge keine
Falschbeurkundung darstellt. Nach Lehre und Rechtsprechung darf eine
Falschbeurkundung, also eine Art qualifizierte schriftliche Lüge, nur dann
angenommen werden, wenn allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit
der Erklärung gewährleisten, wie sie u.a. in der Prüfungspflicht einer
Urkundsperson und in gesetzlichen Vorschriften gefunden werden können,
die, wie etwa die Bilanzvorschriften der Art. 958 ff. OR, gerade den
Inhalt bestimmter Schriftstücke näher festlegen. Blosse Erfahrungsregeln
hinsichtlich der Glaubwürdigkeit irgendwelcher schriftlicher Äusserungen
genügen dagegen nicht, mögen sie auch zur Folge haben, dass sich der
Geschäftsverkehr in gewissem Umfang auf die entsprechenden Angaben verlässt
(BGE 119 IV 54 E. 2c/bb mit Hinweisen).

    In seiner neueren Rechtsprechung hat das Bundesgericht deshalb eine
Falschbeurkundung in folgenden Fällen verneint: Erstellen einer Rechnung
für nicht ausgeführte Arbeiten (BGE 117 IV 35); zuhanden einer Anlegerin
ausgestellte inhaltlich unrichtige Bestätigung, wonach der Aussteller einen
von der Anlegerin einem Dritten übergebenen Geldbetrag auf treuhänderischer
Basis verwalte und einen bestimmten Jahreszins entrichten werde (BGE 117
IV 168 mit Hinweis); Erstellen von inhaltlich unwahren Regierapporten (BGE
117 IV 165); Ausstellung von Lohnabrechnungen auf den Namen einer Person,
die nicht mit dem wirklichen Arbeitnehmer identisch war (BGE 118 IV 363).

    Demgegenüber erfüllt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
ein Arzt, der einen unrichtigen Krankenschein erstellt, den Tatbestand
der Falschbeurkundung. Mit einem Krankenschein macht der Arzt gegenüber
der Krankenkasse Leistungen für sich oder den Patienten geltend. Aufgrund
seiner besonderen Stellung ist er zur wahrheitsgetreuen Angabe verpflichtet
und deshalb besonders glaubwürdig (BGE 117 IV 169 f. mit Hinweis auf
BGE 103 IV 184). Dem Krankenschein kommt somit eine über eine einfache
schriftliche Erklärung hinausgehende qualifizierte Funktion zu. In BGE
103 IV 184 f. wurde dies im wesentlichen begründet mit dem besonderen
Vertrauensverhältnis, in welchem der Arzt zur Krankenkasse steht,
sowie damit, dass sich die Ärzte vertraglich verpflichtet hatten,
jeder unberechtigten Inanspruchnahme der Kasse entgegenzuwirken. Eine
Falschbeurkundung begeht nach der neueren Rechtsprechung auch der
bauleitende Architekt, der überhöhte Rechnungen der Unternehmer prüft
und schriftlich genehmigt. Soweit er die Pflicht zur ordnungsgemässen
Prüfung der Schlussabrechnung übernommen hat, befindet er sich in einer
garantenähnlichen Stellung in bezug auf das Vermögen des Bauherrn. Die in
der schriftlichen Genehmigung der Unternehmerrechnung liegende Erklärung
des Architekten, die genehmigte Rechnung sei inhaltlich richtig,
unterscheidet sich deshalb erheblich von einer einfachen schriftlichen
Lüge (BGE 119 IV 54 E. 2d). Den Tatbestand der Falschbeurkundung erfüllt
ferner der Grossist, der afrikanisches Antilopenfleisch als europäisches
Wildfleisch bezeichnet. Das Gesetz verlangt eine korrekte Bezeichnung von
Wildfleisch bereits im Grosshandel. Der Grossist befindet sich damit in
einer garantenähnlichen Stellung zum Schutz der Konsumenten vor Täuschungen
(BGE 119 IV 289, E. 4).

    d) Die Vorinstanz geht auf die neuere restriktive Rechtsprechung
des Bundesgerichts zum Tatbestand der Falschbeurkundung nicht ein,
obwohl ihr BGE 117 IV 35 und 117 IV 165 bekannt sein mussten. Sie
stützt sich ausschliesslich auf frühere Entscheide. Soweit sie dabei auf
Urteile verweist, wo der Urkundencharakter von Verträgen bejaht wurde im
Zusammenhang mit dem Tatbestand der Urkundenfälschung im engeren Sinne
oder mit dem Tatbestand der Erschleichung einer Falschbeurkundung (Art. 253
StGB), ist diese Rechtsprechung aus den in Erwägung 3b dargelegten Gründen
nicht einschlägig.

    e) Zutreffend ist hingegen, dass in BGE 100 IV 273 (E. 4) sowie
97 IV 210 (E. 5) angenommen wurde, der Tatbestand der einfachen
Falschbeurkundung könne auch durch das Erstellen inhaltlich unrichtiger
schriftlicher Verträge erfüllt werden. Jedenfalls BGE 97 IV 210
(zurückdatierter fingierter Kaufvertrag) bezieht sich jedoch auf eine aus
einem einzigen Schriftstück bestehende Vertragsurkunde im Sinne von Art. 13
Abs. 1 OR (SCHÖNENBERGER/JÄGGI, Obligationenrecht, Zürcher Kommentar,
Art. 13 N. 59). Derartige Vertragsurkunden haben hier nicht bestanden,
sondern nur Geschäftskorrespondenzen. Schon deshalb kann man sich fragen,
ob auf die genannten Entscheidungen zurückzugreifen war. Dies kann jedoch
offenbleiben, weil die Voraussetzungen einer Falschbeurkundung aus den
nachstehenden Gründen zu verneinen sind.

    f) Eine einfach-schriftliche Vertragsurkunde beweist, dass zwei
Personen übereinstimmend eine bestimmte Willenserklärung abgegeben
haben. Dafür ist die Urkundeneigenschaft zu bejahen mit den in Erwägung
3b erwähnten Folgen. Eine einfach-schriftliche Vertragsurkunde
beweist dagegen nicht, dass die beiden übereinstimmend abgegebenen
Erklärungen dem wirklichen Willen der Vertragsparteien entsprechen. Sie
beweist insbesondere nicht, dass Willensmängel bei den Vertragsparteien
auszuschliessen sind, und sie beweist nicht, dass keine Simulation gegeben
ist. Für die inhaltliche Richtigkeit eines einfach-schriftlichen Vertrages
bedarf es besonderer Garantien, wie sie von der neueren Rechtsprechung
entwickelt worden sind. Die unterzeichneten Vertragspartner müssen sich
gegenüber dem Getäuschten in einer garantenähnlichen Stellung befinden,
vergleichbar mit jener in den in Erwägung 3c Abs. 3 erwähnten Fällen.

    Dass dem Beschwerdeführer hier eine solche Stellung zugekommen wäre,
ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Andere Gesichtspunkte
dafür, dass im Sinne der Rechtsprechung allgemeingültige objektive
Garantien die Wahrheit der Erklärung gewährleisten, sind nicht
ersichtlich. Die Verurteilung wegen Falschbeurkundung im vorliegenden
Punkt verletzt deshalb Bundesrecht.