Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IV 186



120 IV 186

32. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. September 1994 i.S. B.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 148 Abs. 1 StGB; Arglist, Opfermitverantwortung.

    Bei der Prüfung der Frage, ob Arglist gegeben sei, ist die Lage des
Opfers im Einzelfall zu berücksichtigen. Ist das Opfer geistesschwach,
unerfahren oder aufgrund des Alters oder einer (körperlichen oder
geistigen) Krankheit beeinträchtigt, befindet es sich in einem
Abhängigkeits- oder Unterordnungsverhältnis oder in einer Notlage, und
nützt der Täter dies aus, ist Arglist zu bejahen. Der Gesichtspunkt der
Opfermitverantwortung kann nur dort zur Verneinung der Arglist führen,
wo eine derartige Unterlegenheit des Opfers nicht besteht.

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte B. am 30.  November
1993 zweitinstanzlich wegen gewerbsmässigen Betruges, Widerhandlungen
gegen die Verordnung über den Erwerb und das Tragen von Schusswaffen
durch jugoslawische Staatsangehörige sowie wegen Widerhandlungen gegen das
Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu zweieinhalb
Jahren Zuchthaus und zu einer Busse von Fr. 10'000.--. Überdies verwies
es ihn für sieben Jahre des Landes (unbedingt).

    Die Verurteilung wegen gewerbsmässigen Betruges stützt sich auf
folgenden Anklagevorwurf: B. habe durch Vorspiegelung falscher Tatsachen
in der Zeit von Dezember 1991 bis März 1992 insgesamt ca. Fr. 191'000.--
von Landsleuten erhältlich gemacht. In zehn Fällen habe er sich als
Kontaktperson zur Fremdenpolizei ausgegeben und dadurch das Vertrauen
seiner Landsleute erschlichen. Sein Vorgehen habe sich jeweils nach dem
gleichen Muster abgespielt. Durch Vorzeigen von Papieren bzw. einer
Visitenkarte mit dem Stempelaufdruck "Fremdenpolizei" oder mit dem
Hinweis "Generalvertreter für Jugoslawien" habe er seinen Opfern Arbeits-
und Aufenthaltsbewilligungen gegen Vorausbezahlung von Fr. 10'000.-- bis
Fr. 25'000.-- pro Bewilligung versprochen. Quittungen für die einkassierten
Beträge habe er grundsätzlich keine ausgestellt. Er habe die Erteilung
der Bewilligungen seinen Geldgebern innert weniger Wochen zugesichert,
obwohl er nicht in der Lage gewesen sei, solche zu beschaffen. In einem
weiteren Fall habe er ein Darlehen von Fr. 10'000.-- für den geplanten
Aufbau eines Import-Export- Geschäftes auf betrügerische Weise erwirkt.

    B.- B. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts aufzuheben; die Sache sei zur Freisprechung vom
Vorwurf des gewerbsmässigen Betruges und zur Aufhebung der Landesverweisung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    C.- Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf
eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer bringt gegen seine Verurteilung wegen
gewerbsmässigen Betruges einzig vor, er habe nicht arglistig gehandelt;
die Vorinstanz habe den Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung, der
nach der neueren Rechtsprechung zur Verneinung der Arglist führen könne,
nicht berücksichtigt.

    a) Für die Erfüllung des Tatbestandes des Betrugs gemäss Art. 148
Abs. 1 StGB genügt nicht jede, sondern nur die arglistige Täuschung. Wer
sich mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit selbst hätte schützen,
den Irrtum durch ein Minimum zumutbarer Vorsicht hätte vermeiden können,
ist strafrechtlich nicht geschützt.

    Arglist ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gegeben, wenn
der Täter zur Täuschung eines anderen ein ganzes Lügengebäude errichtet
oder sich besonderer Machenschaften oder Kniffe (manoeuvres frauduleuses,
mise en scène) bedient, aber auch dann, wenn er bloss falsche Angaben
macht, deren Überprüfung nicht oder nur mit besonderer Mühe möglich oder
nicht zumutbar ist, sowie dann, wenn er den Getäuschten von der möglichen
Überprüfung abhält oder nach dem Umständen voraussieht, dass jener die
Überprüfung der Angaben aufgrund eines besonderen Vertrauensverhältnisses
unterlassen werde (BGE 119 IV 28 E. 3a mit Hinweisen).

    Bei der Beantwortung der Frage, ob Arglist gegeben sei, ist auch der
Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung zu berücksichtigen. So hat das
Bundesgericht in BGE 119 IV 28 die Arglist unter anderem mit der Begründung
verneint, das Opfer - eine Bank - hätte bei Beachtung der grundlegendsten
Sorgfaltsmassnahmen die Täuschung entdecken können (E. 3f). In BGE 119
IV 210 bejahte das Bundesgericht demgegenüber die Arglist in einem
Fall, wo das Opfer geistig beeinträchtigt war und die Täuschung für
einen verständigen Dritten offensichtlich gewesen wäre (E. 3d). Diese
Entscheide widersprechen sich nicht. Bei der Prüfung der Frage der
Arglist ist nicht aufgrund einer rein objektiven Betrachtungsweise darauf
abzustellen, wie ein durchschnittlich vorsichtiger und erfahrener Dritter
auf die Täuschung reagiert hätte. Zu berücksichtigen ist auch die Lage des
Opfers im Einzelfall, soweit der Täter diese kennt und ausnützt. Das gilt
insbesondere bei geistesschwachen, unerfahrenen oder aufgrund des Alters
oder einer (körperlichen oder geistigen) Krankheit beeinträchtigten
Opfern, ferner bei solchen, die sich in einem Abhängigkeits- oder
Unterordnungsverhältnis oder in einer Notlage befinden und deshalb kaum
imstande sind, dem Täter zu misstrauen. Das Ausnützen einer derartigen
Lage ist gerade eine der Erscheinungsformen der Arglist.

    b) Nach den Darlegungen im angefochtenen Urteil untermauerte
der Beschwerdeführer in neun Fällen seine falschen Angaben bezüglich
Vermittlung von Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen durch Vorlage eines
gefälschten Ausweises mit dem Stempelaufdruck "Fremdenpolizei" und dem
Hinweis "Generalvertreter für Jugoslawien" und/oder eines gefälschten
Schreibens mit dem Stempelaufdruck "Polizei".

    Mit Hilfe dieser fingierten Dokumente habe er sich gegenüber seinen
wenig rechtskundigen Landsleuten den Anschein einer mit staatlicher
Genehmigung zur Vermittlung von Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen
befugten Privatperson verliehen. Die Vorinstanz nimmt an, mit dieser
kombinierten Vorgehensweise von Lüge und besonderer Machenschaft habe er
bei seinen unerfahrenen Landsleuten ein hohes Mass an Glaubwürdigkeit
bewirkt. Seine Landsleute seien jedenfalls von seinen angeblich
guten Beziehungen zu den Amtsstellen in Luzern und Bern überzeugt
gewesen. In einem weiteren Fall habe er dem Opfer für dessen Schwester
die Vermittlung einer Arbeitsstelle mitsamt einer fremdenpolizeilichen
Aufenthaltsbewilligung offeriert. Dabei habe er angegeben, schon wiederholt
ausländischen Arbeitnehmern Stellen mit Arbeitsbewilligungen vermittelt
zu haben, was er an einem Beispiel ausgeführt habe. Schliesslich habe
er sich beim Darlehensbetrug insofern arglistig verhalten, als er sich
unter anderem mittels einer gefälschten Visitenkarte einem Landsmann als
erfolgreicher Geschäftsmann im Aussendienst vorgestellt habe; ausserdem
habe er sich als Mitarbeiter der Fremdenpolizei ausgegeben.

    Gesamthaft kommt die Vorinstanz zum Schluss, das Tatbestandsmerkmal
der Arglist sei erfüllt aufgrund der Intensität der breit abgestützten
und raffiniert inszenierten Lügengeschichten. Die Arglist könne auch
nicht unter dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung in Frage
gestellt werden. Die Opfer seien durchwegs Bürger aus Ex-Jugoslawien,
bei denen infolge der Greueltaten im jugoslawischen Bürgerkrieg ein
grosses Sicherheitsbedürfnis bestanden habe. Aufgrund ihres starken
verwandtschaftlichen Zusammenhalts seien sie daran interessiert gewesen,
auch anderen Familienangehörigen das Verlassen ihrer Heimat zu ermöglichen
und ihnen mittels Aufenthaltsbewilligungen in der Schweiz Sicherheit zu
verschaffen. Diese Opfersituation habe der Beschwerdeführer hemmungslos
ausgenützt. Aufgrund der vorgelegten gefälschten Dokumente hätten sich
für die Opfer keine Nachforschungen bei der Fremdenpolizei aufgedrängt.
Auch beim Darlehensbetrug habe das Opfer keinen Anlass zur Überprüfung
der gemachten Angaben gehabt, da der Beschwerdeführer deren Richtigkeit
durch das Vorzeigen der gedruckten Visitenkarte seiner angeblich ihm
gehörenden Firma bestätigt habe.

    c) Die Vorinstanz hat damit die Arglist zutreffend bejaht. Wer, wie
der Beschwerdeführer, die Unterlegenheit seiner Opfer derart ausnützt,
handelt arglistig. Der Fall unterscheidet sich deutlich von BGE 119 IV
28, wo sich das Opfer - eine Bank, die sich in der Vergabe von Darlehen
auskennt - nicht in einer unterlegenen Stellung befand.

    Der Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung darf insbesondere nicht
zur Verneinung der Arglist mit dem Argument führen, das Opfer hätte sich
theoretisch durch geeignete Rückfragen Klarheit verschaffen können. Arglist
ist auch dann zu bejahen, wenn diese theoretische Möglichkeit besteht,
die Opfer jedoch nicht rückfragen, weil sie - wie hier - unerfahren
sind, sich rechtlich und tatsächlich nicht auskennen und dem Täter
vertrauen. Gerade bei Ausländern in der Situation der Opfer ist die
unter Umständen gegebene Scheu, mit Amtsstellen Kontakt aufzunehmen, zu
berücksichtigen. Unbehelflich ist auch der Einwand des Beschwerdeführers,
ein kritisches Opfer hätte sich nicht täuschen lassen, da er in einzelnen
Fällen ausdrücklich darauf hingewiesen habe, die Zahlungen würden als
Schmiergelder verwendet. Opfern aus Ländern, wo Schmiergelder nicht
unüblich sind, kann dieser Einwand nicht entgegengehalten werden.