Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 83



120 II 83

18. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 19. Januar 1994
i.S. G. gegen B. und Konsorten sowie Kantonsgerichtspräsidium Graubünden
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Anerkennung eines amerikanischen Urteils (Art. 84 Abs. 1 lit.  a OG).

    Liegen dem schweizerischen Richter die nach Art. 29 Abs. 1 IPRG
erforderlichen Dokumente vor (E. 3a/aa), darf er dem ausländischen
Urteil im Rahmen der Verweigerungsgründe von Art. 27 IPRG die Anerkennung
nur versagen, wenn einer der in den Absätzen 1 und 2 dieser Bestimmung
abschliessend aufgeführten Gründe vorliegt (E. 3a/bb und cc).

Sachverhalt

    A.- Gegen den seinerzeit in Amerika wohnhaft gewesenen amerikanischen
Staatsbürger G. als Beklagten erging am 16. Februar 1988 ein Urteil des
Superior Court of California for the County of Los Angeles, wonach er
der B. Laboratories und der X. Corp. insgesamt US-$ 5'472'44l.10 sowie
der von ihm als nicht klagende Widerbeklagte ins Verfahren gezogenen
Y. Corporation US-$ 223'469.13 zu bezahlen habe.

    Da G. seinen Wohnsitz während des Verfahrens nach St. Moritz verlegt
hatte, beantragten die aus dem Urteil berechtigten Gesellschaften im Kanton
Graubünden dessen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung. Mit Verfügung
vom 6. April 1993 gab der Präsident des Kantonsgerichts dem Gesuch statt.

    Das Bundesgericht weist die gegen diesen Entscheid erhobene
staatsrechtliche Beschwerde von G. ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdeführer glaubt, im angefochtenen Entscheid seien
Verweigerungsgründe im Sinne von Art. 27 IPRG (SR 291) willkürlich und in
Verletzung des schweizerischen ordre public übergangen worden, weil das
amerikanische Urteil nichtig und selbst nach dem Recht des Urteilsstaates
nicht vollstreckbar sei.

    a) aa) Nebst dem beglaubigten Urteil des Superior Court of California
for the County of Los Angeles vom 16. Februar 1988 (Art. 29 Abs. 1 lit. a
IPRG) lag dem Gesuch der Beschwerdegegnerinnen auch eine Bestätigung
des zuständigen Gerichtssekretärs aus Amerika bei, wonach gegen das
genannte Urteil kein ordentliches Rechtsmittel ergriffen worden, dieses
mithin endgültig sei (Art. 29 Abs. 1 lit. b OG). Der Beschwerdeführer
war an der Hauptverhandlung vor dem Superior Court weder anwesend noch
vertreten. Das Kantonsgerichtspräsidium hat aus den vorgelegten Dokumenten
geschlossen, dem Beschwerdeführer sei der Sitzungstermin einen Monat im
voraus bekannt gewesen und lediglich die genaue Zeitangabe sei ihm erst
kurz zuvor mitgeteilt worden, weshalb es die Voraussetzung von Art. 29
Abs. 1 lit. c IPRG zu Recht als erfüllt betrachten konnte.

    bb) Ein im Ausland ergangenes Urteil kann in der Schweiz grundsätzlich
keine weitergehende Wirkung entfalten als im Urteilsstaat (GULDENER,
Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 386; SCHWANDER,
Einführung in das internationale Privatrecht, Allgemeiner Teil,
2. Aufl. 1990, Rz. 694, S. 326; STOJAN, Die Anerkennung und Vollstreckung
ausländischer Zivilurteile in Handelssachen, Diss. Zürich 1986,
S. 178). Ein im Ausland gefällter und dort auch als ungültig betrachteter
Entscheid kann somit in der Schweiz nicht anerkannt werden (STOJAN,
aaO, S. 35). Das amerikanische Recht kennt offenbar Nichtigkeitsgründe,
die gegen ein Urteil einredeweise jederzeit geltend gemacht werden
können. Schweizerischer Rechtsauffassung entspricht das nicht. Die Geltung
eines Urteils, das nicht rechtzeitig durch Rechtsmittel angefochten worden
ist, soll hier nicht nachträglich in Zweifel gezogen werden können mit der
Begründung, es sei unbeachtlich, weil absolut nichtig (GULDENER, aaO, S. 78
und 280 Fn. 5). Damit entsteht freilich ein gewisses Spannungsverhältnis
zum eingangs erwähnten Grundsatz, weil unter Umständen in der Schweiz
ein amerikanisches Urteil anerkannt wird, dessen Vollstreckung in Amerika
selber möglicherweise wegen Nichtigkeit scheitern müsste.

    Soweit der Beschwerdeführer daraus eine Verletzung von Art. 27
Abs. 1 IPRG herleiten will, geht er fehl. Diese Bestimmung erlaubt dem
schweizerischen Richter, einem ausländischen Urteil die Anerkennung zu
versagen, wenn es materiellrechtliche Grundsätze der schweizerischen
Rechtsordnung offensichtlich verletzt (VOLKEN, Kommentar zum IPRG,
N. 18, 20 und 23 f. zu Art. 27 IPRG und SCHWANDER, aaO, Rz. 711 f.,
S. 333 sprechen vom materiellen ordre public). Hier wird die behauptete
Nichtigkeit aber prozessrechtlich begründet.

    cc) Nach Art. 27 Abs. 2 lit. b IPRG wird ein im Ausland ergangener
Entscheid nicht anerkannt, wenn eine Partei nachweist, dass er unter
Verletzung wesentlicher Grundsätze des schweizerischen Verfahrensrechts
zustandegekommen, insbesondere dass ihr das rechtliche Gehör verweigert
worden ist. Diese Bestimmung, die dem formellen oder prozessualen ordre
public zugerechnet wird, ist restriktiv anzuwenden (BGE 118 II 188 E. 3b
S. 192, 116 II 625 E. 4a S. 629 f.; HAUSER, Zur Vollstreckbarerklärung
ausländischer Leistungsurteile in der Schweiz, Festschrift Max Keller 1989,
S. 596).

    Die behauptete Nichtigkeit leitet der Beschwerdeführer aus
dem Umstand ab, dass seine Ladung an die Hauptverhandlung vor das
amerikanische Gericht nicht gesetzeskonform protokolliert worden sei,
was das gefällte Urteil nichtig mache. Dies könne der Vollstreckung
im Urteilsstaat jederzeit entgegengehalten werden. Damit beanstandet
er nicht die von Art. 27 Abs. 2 lit. a IPRG gemeinte erstmalige Ladung
vor das urteilende Gericht (VOLKEN, aaO, N. 31 zu Art. 27 IPRG), sondern
diejenige zur Schlussverhandlung. Dabei widersetzt er sich der Auffassung
des Kantonsgerichtspräsidenten, der Mangel sei gemäss Art. 27 Abs. 2 lit. b
IPRG an den Massstäben schweizerischen Verfahrensrechts zu messen. Weil
das Urteil nach amerikanischem Recht nichtig sei, lasse es sich auch in
der Schweiz nicht vollstrecken.

    Die Auffassung des Kantonsgerichtspräsidenten, wonach die von Art. 29
Abs. 1 IPRG verlangten Nachweise genügen und die Anerkennung des Urteils
nur dann verweigert werden darf, wenn einer der in Art. 27 Abs. 1 und 2
IPRG abschliessend aufgezählten Verweigerungsgründe vorliegt, entspricht
dem Gesetz. Art. 27 Abs. 3 IPRG schliesst den in den Absätzen 1 und
2 aufgeführten Katalog der Verweigerungsgründe insofern ab, als er die
Überprüfung des Entscheids in der Sache selbst verbietet (Botschaft des
Bundesrates vom 10. November 1982, BBl 1983 I, S. 263, 328 und 478 zu
EArt. 25; VOLKEN, a.a.O, N. 14 zu Art. 27 IPRG; SCHWANDER, aaO, Rz. 716,
S. 335). Das entspricht auch dem Zweck des Gesetzes. Mit der Anerkennung
eines ausländischen Urteils duldet der ersuchte Staat die Geltung fremder
Rechtsakte auf seinem Hoheitsgebiet und begibt sich insoweit eines Teils
seiner Souveränität. Daher legt er in eigener Kompetenz die Bedingungen
fest, unter denen die Anerkennung stattzufinden hat. In der Regel gewährt
er sie dann, wenn das Urteil unter Voraussetzungen zustandegekommen ist,
die genügende Gewähr für ein faires Verfahren boten (VOLKEN, aaO, N. 6
ff. zu Art. 25 IPRG und N. 1 f. und 54 zu Art. 27 IPRG). Damit begnügt
sich denn auch das schweizerische Recht, das im Rahmen der Anerkennung
und Vollstreckung Auseinandersetzungen sowohl über den materiellen Inhalt
(Art. 27 Abs. 3 IPRG) wie auch über den Bestand des vorgelegten Urteils
tunlichst vermeiden will. Dass der schweizerische Richter hinsichtlich
der Vollstreckbarkeit im Urteilsstaat auf die Erklärung des ausländischen
Richters abstellt, entspricht daher dem Willen des Gesetzgebers. Warum bei
behaupteter Nichtigkeit in Fällen wie dem vorliegenden etwas anderes gelten
müsste, ist nicht einzusehen. Wollte man die angebliche Nichtigkeit als
selbständigen Verweigerungsgrund betrachten, müsste sich der schweizerische
Richter unweigerlich mit dem Entscheid in der Sache selber beschäftigen
(SCHWANDER, aaO, Rz. 716, S. 335; vgl. VOLKEN, aaO, N. 55 ff. zu Art. 27
IPRG), was das Kantonsgerichtspräsidium willkürfrei verweigert hat.