Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 II 42



120 II 42

11. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. März 1994 i.S. G.
gegen S. AG (Berufung) Regeste

    Differenzgeschäft; Spieleinrede (Art. 513 Abs. 2 OR).

    Kriterien des nicht klagbaren Differenzgeschäfts im Sinne von Art. 513
Abs. 2 OR.

Sachverhalt

    A.- Die S. AG (Klägerin) als Kreditgeberin und G. (Beklagter) als
Kreditnehmer schlossen am 9. Juli 1980 einen Krediteröffnungsvertrag. Darin
verpflichtete sich die Klägerin, dem Beklagten einen Kredit in laufender
Rechnung zu eröffnen. Gleichentags unterzeichnete der Beklagte auch die
Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin (AGB) und tätigte schon
bald nachher Devisengeschäfte. 1986/87 war er D., einem anderen Bankkunden
der Klägerin, behilflich, auf dessen Rechnung und Gefahr bei der Klägerin
Differenzgeschäfte abzuwickeln.

    Am 12. Oktober 1989 verpfändete der Beklagte der Klägerin zwei
Lebensversicherungspolicen zur Sicherstellung des Kredits.

    Mit Schreiben vom 8. Mai 1990 kündigte die Klägerin dem Beklagten den
Kontokorrentkredit auf den 18. Mai 1990 und forderte ihn auf, seine Schuld
zu tilgen. Da der Beklagte dieser Zahlungsaufforderung nicht nachkam,
betrieb ihn die Klägerin auf Faustpfandverwertung.

    Auf Klage der S. AG verpflichtete das Amtsgericht Luzern-Stadt am
21. Januar 1992 den Beklagen zur Zahlung seiner Schuld. Gleich entschied
auf Appellation des Beklagten das Obergericht des Kantons Luzern mit Urteil
vom 15. September 1993. Eine vom Beklagten gegen dieses Urteil eingereichte
Berufung weist das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Beklagte erblickt eine Verletzung von Art. 513 Abs. 2 OR in
der Verneinung des Spielcharakters seiner Differenzgeschäfte. Er macht
geltend, er sei von Beruf Coiffeur und es fehle damit ein notwendiger
Zusammenhang zwischen der Spekulation und seinem Beruf. Ferner unterhalte
er keine Beziehungen zu den Unternehmen, deren Aktien er gekauft habe,
er sei bei seinen Differenzgeschäften plan- und systemlos vorgegangen
und er habe gleichzeitig à la hausse und à la baisse spekuliert. Überdies
sei er nicht börsenfachkundig.

    a) Aus Darlehen und Vorschüssen, die wissentlich zum Behufe des Spiels
und der Wette gemacht werden, sowie aus Differenzgeschäften und solchen
Lieferungsgeschäften über Waren oder Börsenpapiere, die den Charakter
eines Spiels oder einer Wette haben, entsteht keine Forderung (Art. 513
Abs. 2 OR).

    Voraussetzungen für das Vorliegen eines nicht klagbaren
Differenzgeschäftes im Sinne von Art. 513 Abs. 2 OR sind ein
Termingeschäft, Waren und Börsenpapiere als Leistungsgegenstand und
der Spielcharakter des Geschäfts. Spielcharakter hat ein Vertrag, wenn
er von mindestens einer Partei in Spielabsicht abgeschlossen wird und
dies die andere Partei weiss oder objektiv hätte erkennen können (ERIC
F. STAUBER, Der Spieleinwand ["Differenzeinwand"] insbesondere bei Traded
Options, Financial Futures und Devisenterminkontrakten, S. 22 f.). Das
spielartige Differenzgeschäft unterscheidet sich weder in seiner äusseren
Form noch in seiner Durchführung vom ernsthaften Börsentermingeschäft.
Dasselbe Geschäft kann je nach dem Einzelfall ernsthafte Spekulation
oder blosses Spiel sein. Ob einem Börsengeschäft Spielcharakter
zukomme, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 78
II 61 E. 2, 65 II 21 E. 5b) und herrschender Lehrmeinung auf Grund der
sogenannten Differenzumstände, das heisst nach den gesamten Umständen
im Einzelfall zu beurteilen. Als solche gelten im wesentlichen: das
völlige Missverhältnis zwischen der Vermögenslage und dem Verlustrisiko,
das sich aus der Abwicklung des eingegangenen Geschäftes ergeben kann,
das Fehlen jeglichen Zusammenhangs zwischen den Lieferungsgeschäften über
Waren mit der Berufstätigkeit des Spekulanten, wobei das Bundesgericht
diesen Differenzumstand in seiner neueren Rechtsprechung relativiert
hat (unveröffentlichter Entscheid vom 5. November 1980, zitiert bei
THOMAS BAUER, Börsenmässige Termingeschäfte und Differenzeinwand im
schweizerischen und deutschen IPR, Diss. Basel 1988, S. 192), die Wahl-
und Planlosigkeit der Abschlüsse sowie bei Börsengeschäften das völlige
Fehlen von Kenntnissen im Börsenwesen (BGE 78 II 61 E. 2 S. 65). Gegen den
Spielcharakter spricht aber bereits, wenn der Spekulant nicht gerade als
Neuling in den betreffenden Börsengeschäften zu betrachten ist (Entscheide
des Bundesgerichts vom 19. November 1980 in SJ 103/1981, 523 E. 2c
S. 526 und der CJ GE in SJ 104/1982, 169 E. 4 S. 173; THOMAS BAUER, aaO,
S. 192; kritisch zu den Differenzumständen DIETER C. HAUSER, Spekulative
Warentermingeschäfte, Diss. Zürich 1986, S. 134 ff., 150). Hingegen
ist nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht mehr entscheidend,
ob die effektive Lieferung oder Abnahme der gekauften oder verkauften
Börsenpapiere und Waren ausgeschlossen wurde (BGE 65 II 21 E. 2b).

    Im Interesse der Verkehrssicherheit ist bei Termingeschäften, die über
eine Börse oder einen anderen organisierten Handel abgewickelt werden,
der Spieleinwand nur unter besonders strengen Voraussetzungen zuzulassen
(Entscheide des Bundesgerichts vom 19. November 1980 in SJ 103/1981, 523
E. 2b S. 526 sowie vom 2. November 1972 in SJ 95/1973, 449 E. 3b S. 454;
ERIC F. STAUBER, aaO, S. 30 f., 34; AMONN, SPR VII/2, S. 470). Nach
DIETER C. HAUSER (aaO, S. 150) sollte dem Spekulanten die Berufung auf die
Einrede aus Spiel und Wette grundsätzlich verweigert werden. Nur so könne
dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es sich bei den spielartigen
Verträgen regelmässig um Verträge des gewöhnlichen Geschäftslebens handle,
welche eine echte wirtschaftliche Funktion aufwiesen (vgl. auch AMONN,
SPR VII/2, S. 468 und 470).

    Es gilt die Vermutung, ein Termingeschäft sei nicht in Spielabsicht
abgeschlossen worden. Die den Spieleinwand erhebende Partei hat demnach
einerseits die eigene Spielabsicht sowie anderseits deren leichte
Erkennbarkeit für die Gegenpartei zu beweisen (vgl. BGE 78 II 61, 65
II 21; BK-GIOVANOLI, N. 34 zu Art. 513 OR; AMONN, SPR VII/2, S. 468;
ERIC F. STAUBER, aaO, S. 32).

    b) Das Obergericht verneint aufgrund der von der Rechtsprechung
entwickelten Indizien den Spielcharakter der vom Beklagten getätigten
Börsendifferenzgeschäfte. Der Beklagte habe während rund zehn Jahren
solche Geschäfte ausgeführt, in den Jahren 1986 und 1987 auch für
D., einen weiteren Kunden der Klägerin. Er gelte daher als erfahrener
"Hobby-Börsianer". Aus den Kontoauszügen seines Wertschriftenkredits seit
Anfang 1989 sei ersichtlich, dass er jeweils mit Devisenterminkontrakten
einen Verkauf (oder mehrere Verkäufe) tätigte, in der Folge jeweils im
Plus war, kurz darauf jedoch - ebenfalls mit Devisenterminkontrakten -
einen Kauf tätigte und so in der Regel ins Minus geriet. Er habe um das
Spekulationsrisiko gewusst und es in Kauf genommen. Von einem plan- und
wahllosen Vorgehen könne nicht gesprochen werden. Die von Roll-Aktien
habe der Beklagte gekauft, um frühere Verluste abzutragen. Auch wenn
die Klägerin seine finanziellen Verhältnisse seit 25 Jahren gekannt
und ihm in grossem Umfang Kredit gewährt habe, lasse dies nicht auf den
Spielcharakter seiner Börsengeschäfte schliessen.

    Die Würdigung der gesamten Umstände durch die Vorinstanz und die
darauf abgestützte Verneinung des Spielcharakters der beklagtischen
Spekulationen sind bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Das Obergericht
beurteilt die Spieleinrede nach den genannten Kriterien und geht zu
Recht von einer einschränkenden Zulassung der Differenzeinrede aus. Die
vom Beklagten zum Spielcharakter gemachten Ausführungen vermögen dagegen
nicht durchzudringen:

    aa) Entgegen der Auffassung des Beklagten lässt sich aus dem
behaupteten Missverhältnis zwischen seinem Vermögen und dem Umfang
der getätigten Geschäfte nichts zu seinen Gunsten ableiten. Nach den
verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz war der Beklagte seit 25 Jahren
Kunde der Klägerin und waren dieser seine Vermögensverhältnisse aus den
Geschäftsbeziehungen bekannt, auch wenn der Beklagte - wie sich später
herausstellte - über kein nennenswertes Vermögen verfügte. Entscheidend
für die Klägerin war nach Massgabe dieser Feststellungen seine
Kreditwürdigkeit. Der Beklagte führte ein gutgehendes Geschäft und
verlegte dieses später ins Stadtzentrum; er galt als erfolgreicher
Geschäftsmann. Für die Klägerin bestand daher keine Veranlassung, weitere
Abklärungen über die Vermögensverhältnisse des Beklagten vorzunehmen,
zumal sich die Geschäfte zwischen den Parteien während vieler Jahre
offensichtlich problemlos abgewickelt haben. Die Vorinstanz konnte für die
Beurteilung der ökonomischen Lage des Beklagten demnach durchaus seine
Zahlungsfähigkeit und Kreditwürdigkeit berücksichtigen (THOMAS BAUER,
aaO, S. 187 mit Nachweisen).

    bb) Das Fehlen von Beziehungen zu den Unternehmen, deren Aktien
der Beklagte kaufte, ist nicht entscheidend. Im Gange der zunehmenden
Organisierung und Anonymisierung des Wertpapierhandels und des Börsenwesens
entspricht dies dem Regelfall, da es dem einzelnen Käufer regelmässig
nicht mehr um die persönliche Beziehung zum Unternehmen geht, sondern
einzig um die Geldanlage. Bezweckt wird damit, einen möglichst hohen
Gewinn zu erzielen.

    cc) Die Spieleinrede ist insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt
der doch regelmässigen und systematischen Spekulation des Beklagten
sowie seiner Spekulation für D. zu verwerfen. Offeriert jemand seine
diesbezüglichen Kenntnisse einer Drittperson, kann kaum mehr von einem
bloss plan- und wahllosen Spiel gesprochen werden; vielmehr weist ein
solches Verhalten auf eine gute Kenntnis des Börsenwesens hin. Der Beklagte
tätigte seine Geschäfte auch nicht zufällig, sondern stützte seine Kaufs-
und Verkaufsentscheide auf Informationen aus Bankkreisen ab, namentlich
seitens der Herren S. und K., ehemalige Direktor und Mitarbeiter der
Klägerin. Diese Indizien sprechen klar gegen den Spielcharakter der
fraglichen Geschäfte.

    dd) Überdies ist aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung (BGE 117
II 256 E. 2b) und gestützt auf die tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz die Börsenkundigkeit des Beklagten durchaus zu bejahen. Aufgrund
einer zehnjährigen Spekulationstätigkeit verfügt auch ein anfänglicher
Neuling auf diesem Gebiet über hinreichende Kenntnisse, vor allem wenn
er regelmässig spekuliert.