Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 III 57



120 III 57

19. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 16.
Mai 1994 i.S. X. AG (Rekurs) Regeste

    Zustellung einer Schätzungsurkunde (Art. 34 und Art. 64 ff.  SchKG).

    Die Schätzungsurkunde ist den am Betreibungsverfahren Beteiligten
als Mitteilung und nicht als Betreibungsurkunde zuzustellen.

Sachverhalt

    A.- Im Betreibungsverfahren Nr. ... teilte das Betreibungsamt Zürich im
Anschluss an das Begehren der K. auf Verwertung von fünf ihr zu Faustpfand
übergebenen Inhaberschuldbriefen den Beteiligten mit eingeschriebenem
Brief vom 9. Juli 1993 das Ergebnis der Schätzung mit; für die X. AG nahm
M. am 12. Juli 1993 die Schätzungsurkunde entgegen.

    Das Bezirksgericht Zürich als untere kantonale Aufsichtsbehörde über
Schuldbetreibung und Konkurs trat auf die gegen diese Schätzung von der
X. AG am 28. Juli 1993 erhobene Beschwerde wegen Verspätung nicht ein.

    Das Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde
über Schuldbetreibung und Konkurs wies den von der X. AG dagegen erhobenen
Rekurs mit Beschluss vom 12. April 1994 ab.

    Die X. AG hat sich mit Rekurs vom 25. April 1994 an die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts gewandt. Sie
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Anweisung
an das Betreibungsamt, ihr die Schätzungsurkunde erneut zuzustellen,
eventualiter das Bezirksgericht Zürich anzuweisen, auf ihre Beschwerde
vom 28. Juli 1993 einzutreten.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Ansicht der Rekurrentin handelt es sich bei der
Schätzungsurkunde um eine Betreibungsurkunde, die ihr nach den
Erfordernissen von Art. 64 ff. SchKG hätte zugestellt werden müssen.

    a) Das Betreibungsamt setzt sich durch Mitteilung (Art. 34 SchKG),
öffentliche Bekanntmachung (Art. 35 SchKG) und formelle Zustellung
(Art. 64 ff. SchKG) mit den am Betreibungsverfahren Beteiligten
in Verbindung. Die Vorschriften über die Zustellungsform und die
Zustellungsempfänger sind einzig für Betreibungsurkunden zu beachten,
was sich aus der Bedeutung des Inhalts dieser Urkunden ergibt. Das
Gesetz zählt die Fälle nicht auf, in denen sich das Betreibungsamt der
formellen Zustellung bedienen muss. Sicher gehören der Zahlungsbefehl
und die Konkursandrohung dazu (Art. 71/72 SchKG, Art. 160/161 SchKG;
BGE 97 III 107 E. 1 S. 109). JAEGER zählt überdies alle Mitteilungen des
Betreibungsamtes an den Schuldner über die für ihn wichtigen Vorgänge zu
den Betreibungsurkunden (Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung
und Konkurs, 1. Band, 3.A. 1911, S. 137 N. 1). Nach AMONN (Grundriss
des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5.A. Bern 1993, S. 104
N. 7 und N. 8) gibt es hingegen ausser dem Zahlungsbefehl und der
Konkursandrohung keine weitern Betreibungsurkunden im Sinne von Art. 64
ff. SchKG, da nur die beiden genannten den Schuldner zur Befriedigung
des Gläubigers auffordern und gleichzeitig auf bestimmte Rechtsfolgen
im Unterlassungsfall hinweisen. Gleicher Ansicht - unter Hinweis auf die
Gesetzesmaterialien - ist auch BLUMENSTEIN (Handbuch des Schweizerischen
Schuldbetreibungsrechts, Bern 1911, S. 220). JEKER möchte jede vom
Betreibungsamt zu erlassende Verlautbarung, deren Kenntnisnahme durch den
Schuldner unerlässliche gesetzliche Voraussetzung für den Fortgang des
Betreibungsverfahrens bildet, als Betreibungsurkunde verstehen; darunter
fallen demnach - neben dem Zahlungsbefehl und der Konkursandrohung -
auch die Pfändungsankündigung, die Pfändungsurkunde und die Mitteilung
des Verwertungsbegehrens (Die Zustellung der Betreibungsurkunden nach
schweizerischem Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz, Diss. Bern 1942,
S. 10/11). GILLIÉRON (Poursuite pour dettes, faillite et concordat,
3.A. Lausanne 1993, S. 102) und FRITZSCHE/WALDER (Schuldbetreibung und
Konkurs nach schweizerischem Recht, Band 1, Zürich 1984, S. 170 N. 30)
stufen die praktische Bedeutung dieser Frage als gering ein.

    b) Im vorliegenden Fall ist der Rekurrentin im Anschluss an das
Verwertungsbegehren der Gläubigerin die Schätzung der Faustpfänder
bekanntgegeben worden. Diese Vorkehr des Betreibungsamtes war einzig mit
dem Hinweis verbunden, dass die Schätzung als anerkannt gelte, falls
nicht innert zehn Tagen dagegen eine Beschwerde beim Bezirksgericht
eingereicht werde. Eine Aufforderung an die Rekurrentin, in irgendeiner
Weise tätig zu werden, insbesondere die Gläubigerin zu befriedigen,
war damit nicht verbunden. Die Zustellung der Schätzungsurkunde ist
demnach weder auf die Einleitung noch die Fortsetzung des Verfahrens
ausgerichtet, das seinerseits darauf abzielt, den Gläubiger auf dem Weg
der Zwangsvollstreckung aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen,
und dadurch in die Rechtsstellung des Schuldners einzugreifen; eine
Betreibungshandlung im Sinne der Rechtsprechung ist nicht gegeben (BGE 115
III 11 E. 1b S. 13). Setzt das Betreibungsamt die Beteiligten über das
Ergebnis der Schätzung in Kenntnis, so handelt es sich hiebei vielmehr
um eine der zahlreichen Tätigkeiten, die sich aus der gesetzeskonformen
Durchführung des Betreibungsverfahrens ergeben. Mit ihr sind jedoch
keinesfalls Rechtswirkungen verbunden, die eine formelle Zustellung
nach Art. 64 ff. SchKG erfordern. Damit brauchte das Betreibungsamt
insbesondere nicht zu prüfen, wer seitens der Rekurrentin berechtigt war,
die Schätzungsurkunde in Empfang zu nehmen (BGE 119 III 57 E. 3c S. 59
mit Hinweisen). Es obliegt allein der Rekurrentin, ihre betriebsinternen
Abläufe derart zu gestalten und im Auge zu behalten, dass sie eine nach
Art. 34 SchKG erfolgte Mitteilung des Betreibungsamtes auch tatsächlich
zur Kenntnis nehmen kann. Dies gilt umsomehr, als der in Frage stehende
Einschreibebrief in einer hängigen, ja bereits fortgeschrittenen
Betreibung, erfolgt ist.

    Der Rekurs erweist sich demnach insgesamt als unbegründet.