Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 36



120 Ib 36

6. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
12. April 1994 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen H. sowie
Verwaltungsrekurskommission und Militärpflichtersatzverwaltung des
Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Militärpflichtersatz.

    Verschiebung der Rekrutenschule wegen Lehrabschluss. Art. 8 Abs. 2 MPG:
Begriff des Dienstversäumnisses (E. 2, 3).

    Die Ersatzabgabe ist für den Wiederholungskurs, den der
Dienstpflichtige infolge der verspätet bestandenen Rekrutenschule nicht
leisten konnte, geschuldet (Praxisänderung; E. 4).

Sachverhalt

    A.- H., geboren 1969, wurde im Jahre 1988 als diensttauglich
erklärt. Als Wunschtermin für die Rekrutenschule nannte er bei der
Aushebung den Sommer 1989.

    Nachdem H. den Marschbefehl für die Frühjahrs-Rekrutenschule
1989 erhalten hatte, ersuchte er das Militärdepartement des Kantons
St. Gallen, ihn für die Rekrutenschule im Sommer 1989 aufzubieten. Er
begründete das Dienstverschiebungsgesuch damit, dass er im April 1989
die Lehrabschlussprüfungen ablegen müsse.

    Das kantonale Militärdepartement dispensierte den Dienstpflichtigen
von der Rekrutenschule des Frühjahres 1989, wies ihn indessen darauf
hin, dass er in die Rekrutenschule im Frühjahr 1990 einberufen werde;
ein Aufgebot in die stark überbelegte Sommer-Rekrutenschule sei "nur in
zwingenden Fällen (z.B. Technikum, Studium)" möglich.

    In der Folge besuchte H. die Rekrutenschule im Frühjahr 1990. Da der
Wiederholungskurs der Füsilierkompanie III/78, in die er eingeteilt worden
war, gleichzeitig stattfand, konnte er den Wiederholungskurs 1990 nicht
mit seiner Einheit leisten. Ein spezielles Aufgebot zum Wiederholungskurs
1990 bei einer anderen Einheit erging nicht. H. leistete seinen ersten
Wiederholungskurs im Jahre 1991.

    H. wurde zum Militärpflichtersatz herangezogen, weil er im Jahre
1990 keinen Wiederholungskurs geleistet hatte. Eine Einsprache wies die
Militärpflichtersatzverwaltung des Kantons St. Gallen ab.

    Die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen hiess
die Beschwerde des Ersatzpflichtigen gut und hob die Veranlagung
auf. Sie erwog, der Dienstpflichtige habe zwar um Verschiebung seiner
Rekrutenschule vom Frühjahr 1989 auf den Sommer 1989 ersucht und damit
einen ersten, in seiner Person liegenden Grund für das Dienstversäumnis
gesetzt. Ein weiteres notwendiges Glied in der Kausalkette, die zum
Dienstversäumnis geführt habe, bilde aber der Umstand, dass er nicht in die
Sommer-Rekrutenschule 1989 habe aufgeboten werden können. Der Grund hierfür
sei rein organisatorischer Natur (Überbelegung der Sommer-Rekrutenschule)
und vom Dienstpflichtigen nicht zu vertreten. Der Dienst gelte deshalb
nicht als versäumt (Art. 8 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 1959
über den Militärpflichtersatz [MPG], Fassung vom 22. Juni 1979; SR 661).

    Hiegegen führt die Eidgenössische Steuerverwaltung
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, H. sei für das Jahr 1990
ersatzpflichtig zu erklären. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 2 des Bundesgesetzes vom 12. April 1907 über
die Militärorganisation (MO, Fassung vom 1. April 1949; SR 510.10)
hat den Militärpflichtersatz zu bezahlen, wer die Wehrpflicht nicht
durch persönliche Dienstleistung (d.h. durch Militärdienst in einer
der Heeresklassen, Art. 1 Abs. 3 MO) erfüllt. Das Bundesgesetz über den
Militärpflichtersatz regelt das Nähere. Danach haben auch diensttaugliche
Wehrpflichtige die Abgabe für das betreffende Ersatzjahr (Kalenderjahr)
zu entrichten, wenn sie den Militärdienst "versäumen" (Art. 2 Abs. 1
lit. c MPG; SR 661).

    a) Art. 8 MPG bestimmt, was unter Dienstversäumnis zu verstehen
ist. Dienstversäumnis im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn der
Dienstpflichtige nicht mehr als die Hälfte des Militärdienstes leistet,
"den Dienstpflichtige gleicher Einteilung, gleichen Grades, gleicher
Funktion und gleichen Alters leisten müssen" (Art. 8 Abs. 1 MPG). Gemäss
Art. 8 Abs. 2 MPG gilt ein Dienst indes nicht als versäumt, wenn der
Dienstpflichtige den Dienst "wegen Überzähligkeit, seuchenpolizeilichen
Massnahmen oder andern, nicht in seiner Person liegenden Gründen nicht
leisten konnte". Voraussetzung der Ersatzpflicht ist somit, dass der
Wehrmann aus persönlichen Gründen an der Dienstleistung nicht teilnehmen
kann. Ein Dienstpflichtiger, für den kein Kurs durchgeführt wird und der
folglich nicht zur Dienstleistung aufgeboten werden kann, ist nach der
Rechtsprechung nicht ersatzpflichtig, da bei ihm aus dienstlichen Gründen
auf die Erfüllung der Dienstpflicht verzichtet wird (Urteil Z. gegen
Tessin vom 2. November 1984, Rep 119/1986 S. 55 f.). In gleicher Weise
wurden schon unter der Herrschaft des alten Rechts Dienstpflichtige,
die am Einrückungstag als überzählig entlassen wurden und infolgedessen
den Wiederholungskurs nicht leisten konnten, nicht zum Ersatz herangezogen
(vgl. Art. 25 der Vollziehungsverordnung vom 26. Juni 1934 zum Bundesgesetz
vom 28. Juni 1878 betreffend den Militärpflichtersatz, BS 5 S. 168,
und dazu BGE 56 I 23).

    b) Der Beschwerdegegner ist diensttauglich und vollendete sein
20. Altersjahr im Jahre 1989. Er hätte deshalb in diesem Jahr in die
Rekrutenschule und im Jahre 1990 zu seinem ersten Wiederholungskurs
einrücken müssen (Art. 4 Abs. 1 der damals geltenden Verordnung vom
2. Dezember 1963 über die Erfüllung der Instruktionsdienstpflicht, AS
1963 1084; Art. 8 und Anhang 1 der Verordnung vom 19. Januar 1983 über
die Wiederholungs-, Ergänzungs- und Landsturmkurse; VWK, SR 512.22). Der
Beschwerdegegner konnte im Jahre 1990 keinen Wiederholungskurs absolvieren,
weil der Wiederholungskurs seiner Einheit mit der Rekrutenschule, die
er im selben Jahr nachholen musste, zusammenfiel. Der Beschwerdegegner
wurde im gleichen Jahr auch nicht zu einem Wiederholungskurs mit einer
anderen Einheit aufgeboten. Er hat somit den Dienst, zu dem er nach
den militärrechtlichen Vorschriften verpflichtet war, nicht geleistet
(Art. 8 Abs. 1 MPG). Fragen kann sich nur, ob er aus Gründen, die nicht
in seiner Person liegen, an der Dienstleistung nicht teilnehmen konnte
(Art. 8 Abs. 2 MPG). Der Beschwerdegegner beruft sich hierauf und macht
geltend, er habe es nicht zu vertreten, dass er im Jahre 1990 keinen
Wiederholungskurs geleistet habe, da er bereit gewesen wäre, im Sommer
1989 in die Rekrutenschule einzurücken. Wie es sich damit verhält, ist
im folgenden zu prüfen.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdegegner wurde im Jahre 1989 von der Rekrutenschule, zu
der er nach Aufgebot verpflichtet war, im Hinblick auf den Lehrabschluss
dispensiert. Er konnte in der Folge den Wiederholungskurs des Jahres
1990 mit seiner Einheit nicht leisten, weil er zur selben Zeit die
Rekrutenschule nachholen musste, was in seiner Person begründet
war. Er kann sich nicht darauf berufen, dass er sich bereit erklärt
hat, die Rekrutenschule im Sommer 1989 zu leisten. Gemäss Art. 112
MO sind zwar Instruktionsdienste, namentlich die Rekrutenschulen,
zeitlich so anzuordnen, dass die Wehrpflichtigen in ihrem bürgerlichen
Beruf möglichst wenig gestört werden. Deshalb, und weil auch nicht
genügend Instruktionspersonal zur Verfügung steht, wird für die meisten
Truppengattungen je eine Rekrutenschule im Frühjahr und im Sommer
durchgeführt. Eine freie Wahlmöglichkeit des Wehrmannes, die Rekrutenschule
im Frühjahr oder im Sommer zu besuchen, besteht indessen nicht. Auch der
Wehrmann, der den Wiederholungskurs verschiebt, hat keinen gesetzlichen
Anspruch darauf, den versäumten Kurs mit einer anderen Einheit im gleichen
Jahr nachzuholen.

    Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Militärbehörde des Kantons
einer Verschiebung der Rekrutenschule vom Frühjahr auf den Sommer nur in
"zwingenden Fällen" wie z.B. bei Technikum oder Studium stattgibt. Dass
diese Regelung vor allem den HTL-Absolventen und Studenten zugute kommt,
ist verfassungsrechtlich unbedenklich, solange die Militärbehörden ihre
Praxis rechtsgleich anwenden, d.h. sie auf die wirklich zwingenden Fälle
beschränken. Der Beschwerdegegner befand sich nicht in einer derartigen
Situation. Nachdem er die Lehre im Frühjahr 1989 abgeschlossen hatte,
bestand für ihn keine berufliche Notwendigkeit, dass er die Rekrutenschule
im Sommer des gleichen Jahres absolvieren konnte. Insofern verhält
es sich bei ihm anders als bei einem HTL-Absolventen oder Studenten,
der sein Studium, das im Herbst beginnt, nicht rechtzeitig aufnehmen
kann oder es unterbrechen muss, wenn er nicht die Möglichkeit hat,
die Rekrutenschule im Sommer, d.h. vor Studienbeginn oder während den
Semesterferien, zu besuchen.

Erwägung 4

    4.- a) Die kantonale Militärpflichtersatzverwaltung veranlagte für
das Jahr 1990, nicht aber für 1989, eine Ersatzabgabe. Sie ging davon aus,
dass der Beschwerdegegner die Rekrutenschule, die er im Jahre 1989 hätte
leisten müssen, im Jahre 1990 nachgeholt habe, und dass er im Jahre 1990
den Wiederholungskurs versäumt habe.

    Im Urteil Ballinari hat das Bundesgericht (in Änderung einer früheren
Rechtsprechung, BGE 56 I 44 und 57 I 32) gefunden, dass der Wehrmann
für das Jahr, in dem er die Rekrutenschule verspätet absolviert, keinen
Wiederholungskurs zu leisten habe (Art. 5 der damals geltenden Verordnung
vom 27. November 1953 über die Erfüllung der Instruktionsdienstpflicht; AS
1953 993) und deshalb für dieses Jahr nicht zur Ersatzabgabe herangezogen
werden könne. Der Wehrmann schulde den Militärpflichtersatz vielmehr für
das Jahr, in dem er die Rekrutenschule richtigerweise hätte bestehen müssen
(BGE 79 I 352 f.). Nach dieser Rechtsprechung müsste der Beschwerdegegner
für das Jahr 1989 und nicht für das Jahr 1990 ersatzpflichtig erklärt
werden. Diese Rechtsprechung bedarf der Überprüfung.

    b) Wenn im Entscheid Ballinari gesagt wird, dass der Wehrmann im
Jahr der Rekrutenschule keinen Wiederholungskurs zu leisten habe,
so trifft das nach den geltenden militärrechtlichen Vorschriften
grundsätzlich noch immer zu (Art. 3 Abs. 4 VWK). Soweit das Urteil
jedoch zum Schluss gelangt, dass der Dienstpflichtige, der seine
Rekrutenschule verspätet besteht, im gleichen Jahr für den versäumten
Wiederholungskurs keinen Militärpflichtersatz zu bezahlen habe, kann daran
nicht festgehalten werden. Die geltenden ersatzrechtlichen Vorschriften
enthalten (im Gegensatz zu den damaligen Erlassen, auf die das Urteil
Ballinari sich stützt; vgl. Bundesgesetz vom 28. Juni 1878 über den
Militärpflichtersatz und Vollziehungsverordnung vom 26. Juni 1934, BS
5 S. 157, 163) in Art. 8 Abs. 1 MPG eine ausdrückliche Umschreibung,
was unter Dienstversäumnis zu verstehen ist. Diese knüpft daran an,
welche Dienstleistungen der Wehrpflichtige in Anbetracht seines Alters,
seiner Einteilung, seines Grades und seiner Funktion unter normalen
Umständen hätte erbringen müssen. Sie nimmt keine Rücksicht darauf,
ob der Dienstpflichtige, der die Rekrutenschule auf das folgende Jahr
verschiebt, nach den militärrechtlichen Vorschriften verpflichtet ist,
im selben Jahr den obligatorischen Wiederholungskurs zu absolvieren. Der
Beschwerdegegner hat daher die Ersatzabgabe für das Jahr, in dem er seinen
ersten Wiederholungskurs hätte bestehen müssen, zu entrichten.

    Diese Auslegung steht mit der Praxis, wie sie von den kantonalen
Militärpflichtersatzbehörden seit Jahren befolgt wird und auch im
Kreisschreiben der Eidgenössischen Steuerverwaltung betreffend
Ersatzpflicht der Rekrutenschule-Verschieber vom 7. März 1985
zum Ausdruck kommt, im Einklang. Danach ist mit der Veranlagung
des Militärpflichtersatzes mindestens ein Jahr zuzuwarten, wenn der
Dienstpflichtige die Rekrutenschule im Jahr, in dem er das 20. Altersjahr
vollendet, nicht leistet. Wird die Rekrutenschule im folgenden Jahr
nachgeholt, so entfällt eine Veranlagung des Militärpflichtersatzes für
die in jenem Jahr nicht besuchte Rekrutenschule. Der Wehrmann ist in
diesem Falle nur ersatzpflichtig, wenn er im Jahre der Vollendung des
21. Altersjahres nebst der Rekrutenschule nicht mindestens noch die
Hälfte der Diensttage des ersten obligatorischen Wiederholungskurses
leistet (Art. 8 Abs. 1 MPG). Der Entwurf des Bundesrates zur Revision des
Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz, wie er in der Botschaft
vom 12. Mai 1993 (BBl 1993 II 730) vorgestellt wurde und derzeit vom
Parlament beraten wird, legt keine andere Betrachtungsweise nahe. Er geht
vom gleichen Begriff des Dienstversäumnisses aus (auch wenn vom "nicht
geleisteten" Dienst und nicht mehr vom "versäumten" Dienst die Rede ist;
vgl. BBl 1993 II 738).

    c) Nach dem Gesagten ist der Beschwerdegegner somit für den
Wiederholungskurs des Jahres 1990 und nicht für die Rekrutenschule,
die er in diesem Jahr nachgeholt hat, ersatzpflichtig. Die Ersatzabgabe
kann nach den gesetzlichen Bestimmungen zurückverlangt werden, wenn der
Beschwerdegegner den letzten obligatorischen Wiederholungskurs geleistet
hat. Dabei ist die Verjährungsfrist zu beachten (Art. 39 MPG).