Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 248



120 Ib 248

35. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. Juni 1994
i.S. X. Y. gegen Kanton Zug (Direktprozess) Regeste

    Staatshaftung (Verantwortlichkeitsgesetz des Kantons Zug).

    Das Verhalten eines Richter ist widerrechtlich, wenn er eine für die
Ausübung seiner Funktion wesentliche Pflicht verletzt. Angesichts der
weitreichenden Bedeutung, die einem Konkurserkenntnis zukommt, darf der
Richter nicht drei Wochen mit der Mitteilung seines Entscheides zuwarten.

Sachverhalt

    A.- Das Kantonsgerichtspräsidium Zug setzte die Konkursverhandlung über
die M. AG mit Sitz in Z. auf den 3. April 1990 fest. X. Y. erschien als
Verwaltungsratspräsident der Schuldnerin an der Gerichtsverhandlung. Der
Konkurs über die M. AG wurde am 3. April 1990 um 8.15 Uhr eröffnet,
welcher Entscheid X. Y. am 24. April 1990 zugestellt wurde.

    X. Y. forderte am 7. September 1992 vom Kanton Zug den Ersatz des ihm
aus der verspäteten Zustellung des Konkurserkenntnisses über die M. AG
entstandenen Schadens. Die Justiz- und Polizeidirektion des Kantons Zug
bestritt am 4. Dezember 1992 einen Anspruch von X. Y. und wies ihn gemäss
§ 20 Abs. 3 des Verantwortlichkeitsgesetzes des Kantons Zug (nachfolgend:
VG/ZG) auf die Verwirkungsfolgen bei Nichteinreichung einer Klage innert
sechs Monaten hin.

    Am 4. Juni 1993 hat X. Y. beim Bundesgericht eine Forderungsklage gegen
den Kanton Zug eingereicht. Der Kanton Zug beantragt die vollumfängliche
Abweisung der Klage, unter Kostenfolge.

    Das Bundesgericht erachtet die Verantwortung des Kantons Zug als
gegeben und spricht X. Y. den von ihm nachgewiesenen Schadensbetrag zu.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss § 5 Abs. 1 VG/ZG haftet der Staat für den Schaden,
den ein Beamter jemandem in Ausübung amtlicher Verrichtungen durch
Rechtsverletzung zugefügt hat. Aus § 1 und § 16 VG/ZG folgt, dass
auch Richter als Beamte im Sinne dieses Gesetzes gelten. Soweit das
kantonale Verantwortlichkeitsrecht keine eigene Regelung vorsieht, sind
die Bestimmungen des Schweizerischen Obligationenrechts als ergänzendes
kantonales Recht anzuwenden (§ 23 VG/ZG).

    a) Die Haftung des Staates setzt nach dem Wortlaut von § 5 Abs. 1 VG/ZG
grundsätzlich keinerlei Verschulden des Beamten voraus. Davon ausgenommen
sind zwar einzelne Sachverhalte, die im vorliegenden Fall jedoch nicht von
Interesse sind (§ 5 Abs. 2, 3 und 4 VG/ZG). Die Praxis der Behörden des
Kantons Zug geht denn auch von einer Kausalhaftung aus (vergleiche dazu:
Gerichts- und Verwaltungspraxis des Kantons Zug 1987/88, S. 164 ff.).

    b) Das Verhalten eines Richters ist widerrechtlich, wenn er in Ausübung
seiner amtlichen Befugnis einen besonderen Fehler begeht. Ein solcher
liegt nicht bereits dann vor, wenn sich seine Entscheidung später als
unrichtig, gesetzwidrig oder sogar willkürlich erweist. Haftungsbegründende
Widerrechtlichkeit ist vielmehr erst gegeben, wenn der Richter eine für
die Ausübung seiner Funktion wesentliche Pflicht verletzt hat (BGE 118
Ib 163 E. 2 S. 164 mit Hinweis).

    aa) Der Konkurs gilt im Moment des Konkurserkenntnisses als
eröffnet. Sind die Parteien zur Gerichtsverhandlung erschienen, ist die
mündliche Eröffnung diesen gegenüber massgebend, ansonsten ist auf den
aus dem Entscheid hervorgehenden Zeitpunkt abzustellen, welcher genau
festzuhalten ist. Die anschliessende Mitteilung der Konkurseröffnung ist
ohne jede Bedeutung für den Eintritt ihrer Wirkungen. Das Konkurserkenntnis
ist ohne Einschränkung sofort mit dessen Erlass vollstreckbar, die
Durchführung des Konkursverfahrens hat ohne Aufschub zu erfolgen. Die
Konkurseröffnung ist den Amtsstellen und den Parteien unverzüglich
mitzuteilen, ausser es wäre aufgrund einer bereits eingereichten Berufung
die aufschiebende Wirkung erteilt worden (Art. 175/176 SchKG; BAUMANN,
Die Konkurseröffnung nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, Diss. Zürich 1979, S. 131-133; vergleiche auch BGE 93 III 55 E. 2
S. 58). Die Mitteilung der Konkurseröffnung ist keine Betreibungshandlung
und hat daher ohne Rücksicht auf Ferien oder Rechtsstillstand zu erfolgen
(JAEGER, Das Bundesgesetz betreffend Schuldbetreibung und Konkurs, 1. Band,
3.A. Zürich 1911, Art. 176 N. 3).

    bb) Auf Vorladung des Kantonsgerichtspräsidiums erschien der Kläger
- gemäss eigener Aussage anlässlich der Vorbereitungsverhandlung sowie
der Einvernahme des Konkursrichters bei gleicher Gelegenheit - zur
Gerichtsverhandlung vom 3. April 1990. Der Konkurs über die M. AG wurde
nicht in laufender Sitzung, jedoch gleichentags um 8.15 Uhr eröffnet;
das Konkurserkenntnis wurde dem Kläger am 24. April 1990 zugestellt.

    cc) Der Konkursrichter wartete mit der Mitteilung seines Entscheides
drei Wochen zu, welches Verhalten nicht nur gesetzwidrig ist, sondern
angesichts der weitreichenden Bedeutung, die einem Konkurserkenntnis
zukommt, eine wesentliche Verletzung seiner Amtspflichten darstellt. Der
Beklagte haftet somit für den dem Kläger aus der verspäteten Zustellung
des Konkurserkenntnisses über die M. AG erwachsenen Schaden.