Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 16



120 Ib 16

3. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 28.
Februar 1994 i.S. Yamina B. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG, Art. 4 und 7 ANAG sowie Art. 8 EMRK;
Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen einen Entscheid,
mit dem die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an eine Ausländerin,
deren schweizerischer Ehemann verstorben ist, verweigert wird.

    Der Tod des schweizerischen Ehegatten eines Ausländers oder einer
Ausländerin führt - unter Vorbehalt des selbständigen Anspruchs auf
Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 7 Abs. 1 zweiter Satz ANAG - zum
Erlöschen des gesetzlichen Anspruchs auf eine Aufenthaltsbewilligung
(E. 2).

    Auch das Recht auf Achtung des Familienlebens (nach Art. 8 EMRK)
vermittelt diesfalls keinen solchen Anspruch (E. 3a).

    Kann allenfalls aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens (gemäss
Art. 8 EMRK) ein Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung abgeleitet werden
(E. 3b)?

Sachverhalt

    A.- Die 1969 geborene marokkanische Staatsangehörige Yamina
B. heiratete am 28. März 1992 den 1962 geborenen Schweizer Rudolf W. Am 8.
April 1992 stellte sie ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung
zum Verbleib bei ihrem Ehemann. Da die Ehegatten an verschiedenen Adressen
gemeldet waren, wurde Yamina B. wegen des Verdachts der Eingehung einer
Schein- beziehungsweise Ausländerrechtsehe befragt. Der schwer erkrankte
Rudolf W. konnte zum gleichen Vorwurf nicht mehr einvernommen werden;
er starb am 16. November 1992.

    Mit Verfügung vom 11. Januar 1993 wies die Fremdenpolizei des Kantons
Zürich das Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ab. Ein Rekurs
an den Regierungsrat des Kantons Zürich blieb erfolglos (Entscheid des
Regierungsrates vom 11. August 1993).

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 14. September 1993 an das
Bundesgericht stellt Yamina B. den Antrag, es sei der Beschluss des
Regierungsrates aufzuheben und ihr die Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.

    Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein

Auszug aus den Erwägungen:

                aus den folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 100 lit. b Ziff. 3 OG ist auf dem Gebiete der
Fremdenpolizei die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen die
Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht
keinen Anspruch einräumt. Die zuständigen Behörden entscheiden über die
Bewilligung des Aufenthalts im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und
der Verträge mit dem Ausland nach freiem Ermessen (Art. 4 ANAG). Damit
steht dem Ausländer grundsätzlich kein Anspruch auf die Erteilung der
Aufenthaltsbewilligung zu; die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist darum
ausgeschlossen, soweit der Ausländer sich nicht auf eine Sondernorm
des Bundesrechts oder eines Staatsvertrags berufen kann, die ihm einen
Anspruch auf eine solche Bewilligung einräumt.

Erwägung 2

    2.- a) Nach dem mit der Änderung des Bürgerrechtsgesetzes vom
23. März 1990 (AS 1991 1033) revidierten Art. 7 Abs. 1 ANAG (SR
142.20), in Kraft seit dem 1. Januar 1992 (AS 1991 1042), hat der
ausländische Ehegatte eines Schweizer Bürgers Anspruch auf Erteilung und
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Nach einem ordnungsgemässen
und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat er Anspruch auf
die Niederlassungsbewilligung. Gemäss Art. 7 Abs. 2 ANAG besteht kein
Anspruch, wenn die Ehe eingegangen worden ist, um die Vorschriften über
Aufenthalt und Niederlassung von Ausländern und namentlich jene über die
Begrenzung der Zahl der Ausländer zu umgehen.

    b) In BGE 118 Ib 145 (neuerdings bestätigt in BGE 119 Ib Nr. 43
E. 2) hat das Bundesgericht, gestützt auf die parlamentarische Debatte
zur Gesetzesnovelle, entschieden, Art. 7 ANAG setze für einen Anspruch
auf Aufenthaltsbewilligung einzig voraus, dass die Ehe eines Ausländers
oder einer Ausländerin mit einem schweizerischen Ehegatten rechtlich
bestehe. Für die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist
somit nur entscheidend, ob formell eine eheliche Beziehung vorhanden
ist. Die Frage, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen zur Verfolgung
des Anspruches auch erfüllt sind, namentlich ob, zum Beispiel wegen einer
Scheinehe, eine Ausnahme vorliegt, ist bereits materieller Natur.

    Freilich hatte sich das Bundesgericht in seiner bisherigen
Rechtsprechung einzig mit der Situation zu befassen, dass die Eheleute
getrennt lebten oder gar ein Scheidungsverfahren lief. Im vorliegenden Fall
stellt sich dagegen die Frage, wie es sich verhält, wenn der schweizerische
Ehegatte verstorben ist.

    c) Zivilrechtlich endet eine Ehe durch gerichtliche Auflösung
oder durch den Tod eines Ehegatten (PETER TUOR/BERNHARD SCHNYDER, Das
Schweizerische Zivilgesetzbuch, 10. Aufl., Zürich 1986, S. 156). Auch wenn
letzteres nicht dazu führt, dass alle rechtlichen Wirkungen, die mit dem
Eheschluss eingetreten sind, aufgehoben werden - zum Beispiel berührt
der Tod eines Ehegatten den Familiennamen des Überlebenden nicht -, so
wird die Ehe dadurch doch zivilrechtlich aufgelöst (CYRIL HEGNAUER/PETER
BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts, 3. Aufl., Bern 1993, S. 59 f.,
Rz. 6.02). Es fragt sich, ob diese Folge auf Art. 7 ANAG durchschlägt.

    In seiner Botschaft vom 26. August 1987 hat der Bundesrat festgehalten,
dass der Anspruch auf Erteilung einer Anwesenheitsbewilligung erlösche,
wenn die ihm zugrundeliegenden Voraussetzungen nicht mehr erfüllt
seien. Härtefällen, wie sie beispielsweise beim Tod des schweizerischen
Ehepartners eintreten könnten, sei ihm Rahmen der allgemeinen Bestimmungen
des Gesetzes, insbesondere von Art. 4 ANAG, Rechnung zu tragen (BBl
1987 III 321). Damit vertrat der Bundesrat die Ansicht, dass beim Tod
des schweizerischen Ehegatten die zuständige Bewilligungsbehörde mit
freiem Ermessen über die Anwesenheitsregelung entscheiden könne. Diese
Meinungsäusserung stand allerdings im Zusammenhang mit dem bundesrätlichen
Antrag, wonach die Bewilligungserteilung ohnehin an die Voraussetzung
gebunden gewesen wäre, dass die Ehegatten zusammen wohnten. Das Erfordernis
wurde in der parlamentarischen Beratung fallengelassen (vgl. BGE 118 Ib 145
E. 3a-c). Aus der bundesrätlichen Botschaft kann daher genausowenig, wie
dies im Fall der gerichtlichen oder tatsächlichen Trennung der Ehegatten
zutrifft, unmittelbar abgeleitet werden, der Tod des schweizerischen
Ehegatten lasse den Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung untergehen.

    Hingegen hat das Parlament einzig aus dem Grund auf die Voraussetzung
des Zusammenlebens der Eheleute verzichtet, um den ausländischen Ehegatten
vor unzumutbarer, willkürlicher oder gar missbräuchlicher Behandlung durch
den schweizerischen Partner zu schützen (vgl. BGE 118 Ib 145 E. 3c). Auf
den Todesfall des schweizerischen Ehegatten wurde in den Räten nicht
eingegangen (vgl. Amtl.Bull. 1988 S 207-209, 1989 N 1456-1460 sowie
1990 S 124-125). Tatsächlich handelt es sich um eine gänzlich andere
Interessenlage. Das Motiv des Schutzes des ausländischen Partners vor
Willkür durch den schweizerischen Gatten fällt nach dessen Tod dahin,
weshalb sich aus der parlamentarischen Beratung im Unterschied zum
Trennungsfall nicht ableiten lässt, der Anwesenheitsanspruch müsse
fortdauern. Zudem ist im Trennungsfall, solange eine Scheidung nicht
ausgesprochen wurde, nicht ausgeschlossen, dass die Ehegatten später
allenfalls wieder zusammenfinden könnten; daraus ergibt sich ein
zusätzliches Bedürfnis, dem ausländischen Partner das Aufenthaltsrecht
zu belassen. Ein vergleichbarer Zusammenhang findet sich dagegen beim
Todesfall nicht.

    Immerhin dürfte der ausländische Gatte eines Schweizers oder
einer Schweizerin bereits durch seine Heirat regelmässig in eine enge
Beziehung zur Schweiz treten, was erst recht zutrifft, wenn die Eheleute
auch hier leben. Je länger die Ehe dauert, desto grösser wird daher das
Schutzbedürfnis, auch nach Auflösung der Ehe in der Schweiz bleiben zu
können. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber insofern Rechnung getragen,
als der ausländische Ehegatte eines Schweizers oder einer Schweizerin
nach fünf Jahren einen Anspruch auf Niederlassungsbewilligung hat (Art. 7
Abs. 1 zweiter Satz ANAG). Da die Niederlassungsbewilligung unbefristet und
bedingungslos ist (Art. 6 Abs. 1 ANAG), fällt das Anwesenheitsrecht auch
durch den Tod des schweizerischen Partners nicht mehr dahin. Selbst wenn
der Aufenthalt noch nicht fünf Jahre gedauert hat, ist die Verlängerung
der Aufenthaltsbewilligung aber nicht ausgeschlossen. Sie bleibt freilich
gemäss Art. 4 ANAG ins freie Ermessen der zuständigen kantonalen Behörden
gestellt. Dabei belässt das Gesetz genügend Spielraum für Lösungen,
welche der gebotenen Pietät sowie den allenfalls besonderen Umständen
eines Todesfalles Rechnung tragen. Ein Anspruch auf Bewilligung besteht
hingegen nicht mehr.

    Nicht massgeblich ist, ob dem ausländischen Ehegatten bereits eine
Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde oder ob es - wie im vorliegenden
Fall, in dem die kantonalen Behörden noch immer eine allfällige Scheinehe
prüften, als der schweizerische Ehemann der Beschwerdeführerin verstarb
- noch gar nicht dazu gekommen ist. Die Rechtsstellung bei erstmaliger
Erteilung unterscheidet sich nicht wesentlich von derjenigen bei einer
Verlängerung. Aus einer früheren Bewilligung leitet sich insbesondere kein
Recht auf Verlängerung ab. Die bisherige Anwesenheit mag zwar allenfalls
unter materiellen Gesichtspunkten massgeblich sein, wobei im Hinblick auf
die Ordnungsmässigkeit des Aufenthaltes auch eine bisherige Bewilligung
bedeutsam werden kann; Auswirkungen auf den Bestand eines Anspruchs auf
Bewilligungserteilung ergeben sich dadurch aber nicht.

    d) Der Tod des schweizerischen Ehegatten eines Ausländers oder einer
Ausländerin führt somit - unter Vorbehalt des selbständigen Anspruchs
gemäss Art. 7 Abs. 1 zweiter Satz ANAG - zum Erlöschen des Anspruchs auf
eine Aufenthaltsbewilligung, weshalb die Beschwerdeführerin aus Art. 7
ANAG keinen solchen Anspruch mehr ableiten kann.

Erwägung 3

    3.- a) Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantiert den Schutz des
Familienlebens. Darauf kann sich der Ausländer berufen, der nahe
Verwandte mit einem gefestigten Anwesenheitsrecht (Schweizer
Bürgerrecht oder Niederlassungsbewilligung) in der Schweiz hat;
wird ihm selber die Anwesenheit in der Schweiz untersagt, kann dies
Art. 8 EMRK verletzen. Soweit deshalb eine familiäre Beziehung im
beschriebenen Sinn tatsächlich gelebt wird und intakt ist, wird das
der zuständigen Behörde durch Art. 4 ANAG grundsätzlich eingeräumte
freie Ermessen eingeschränkt. In solchen Fällen ist daher die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde des um die fremdenpolizeiliche Bewilligung
ersuchenden Ausländers zulässig. Nicht wesentlich ist, ob eine Erneuerung
oder die erstmalige Erteilung der Anwesenheitsbewilligung in Frage steht
(BGE 119 Ib 81 E. 1c, 91 E. 1c; 118 Ib 153 E. 1c; 116 Ib 353 E. 1b;
109 Ib 183).

    Die Menschenrechtskonvention schützt das effektive Familienleben
(BGE 118 Ib 145 E. 4b; vgl. nunmehr auch STEPHAN BREITENMOSER, Das
Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens in der Schweizer
Rechtsprechung zum Ausländerrecht, in: EuGRZ 1993, S. 541). Ein solches
liegt im Verhältnis zwischen Ehegatten nach dem Tod eines Partners nicht
mehr vor. Auch wenn einzelne Gesichtspunkte familiärer Beziehungen,
namentlich erbrechtliche Ansprüche, über den Tod eines Angehörigen hinaus
wirken (LUZIUS WILDHABER, Internationaler Kommentar zur Europäischen
Menschenrechtskonvention, Art. 8, Köln/Berlin/Bonn/München 1992, Rz. 362
ff.; Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 13.
Juni 1979 in Sachen Marckx, in: EuGRZ 1979, S. 454 ff., vgl. insb. S. 459
ff.), trifft dies für das Anwesenheitsrecht des überlebenden ausländischen
Ehegatten im Land des verstorbenen Partners nicht zu. Das tatsächliche
eheliche Zusammenleben endet in jedem Fall spätestens mit dem Tod
eines Partners. Die Beschwerdeführerin kann sich somit selbst dann,
wenn die Frage offengelassen wird, ob es sich bei ihrer Ehe allenfalls
um eine Scheinehe gehandelt hat, nicht auf den Familienschutz der
Menschenrechtskonvention berufen.

    b) Art. 8 Ziff. 1 EMRK schützt auch das Privatleben. Nach einer
kürzlich erschienenen Publikation soll dem Recht auf Achtung des
Privatlebens gerade in ausländerrechtlichen Fällen, in denen qualifizierte
Familienbande namentlich infolge Todes des inländischen Partners nicht
mehr bestehen, eine wichtige Auffangfunktion gegenüber dem engeren
Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens zukommen. Die
genaue Bestimmung und Gewichtung sowohl der Aufenthaltsdauer als auch der
Qualität der privaten Beziehungen könne dabei allerdings nur im Rahmen
einer umfassenden Interessen- und Rechtsgüterabwägung nach Art. 8 Ziff. 2
EMRK vorgenommen werden (BREITENMOSER, aaO, S. 542).

    Aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens geradezu ein
Anwesenheitsrecht im Land des verstorbenen Ehegatten abzuleiten, fiele aber
höchstens dann in Betracht, wenn besonders intensive private Beziehungen
in Frage stünden. Solchen trägt das Bundesrecht allerdings wohl meist
bereits dadurch Rechnung, dass Art. 7 Abs. 1 zweiter Satz ANAG einen
Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung nach fünfjährigem Aufenthalt
vorsieht. Abgesehen davon sind im vorliegenden Fall aber ohnehin keine
ausserordentlichen Verhältnisse gegeben. Die Beschwerdeführerin ist im
Ausland aufgewachsen und weilte bis zum Tod ihres Ehemannes nur etwas mehr
als acht Monate und inzwischen gesamthaft auch erst rund zwei Jahre in
der Schweiz. Von ihrer hier lebenden Schwester abgesehen, unterhält sie
keine besonderen persönlichen Beziehungen; sie macht auch keine solchen
geltend. Umstände, wonach sie mit der Schweiz besonders verbunden wäre,
sind nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin wird durch den angefochtenen
Entscheid demnach nicht in einem solchen Masse in ihrem Privatleben
beeinträchtigt, dass sie sich insofern auf Art. 8 EMRK berufen könnte.

    Selbst wenn aber unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens auf die
Beschwerde eingetreten würde, vermöchten die geringen privaten Interessen
an einer Anwesenheitsbewilligung die entgegenstehenden öffentlichen
Interessen im Rahmen einer Abwägung gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK (vgl. dazu
namentlich BGE 118 Ib 153 E. 2d) klarerweise nicht zu überwiegen.