Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IB 129



120 Ib 129

18. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 23. Juni 1994 i.S. Abdil I. gegen Regierungsrat des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 17 Abs. 2 letzter Satz ANAG und Art. 8 EMRK; Erlöschen des
Anspruchs auf Aufenthaltsbewilligung eines Ausländers, der mit einer in
der Schweiz niedergelassenen Ausländerin verheiratet ist.

    Die Voraussetzungen des Erlöschens sind weniger streng als im Fall
des ausländischen Ehegatten eines Schweizers oder einer Schweizerin (in
Anwendung von Art. 7 ANAG); die Verweigerung einer Bewilligung muss aber
verhältnismässig sein (E. 4).

    Verhältnismässigkeitsprüfung im zu beurteilenden Fall unter
Berücksichtigung des Dualismus von strafrechtlichen Sanktionen und
fremdenpolizeilichen Massnahmen (E. 5).

Sachverhalt

    A.- Der 1967 geborene türkische Staatsangehörige Abdil I.  heiratete
im August 1989 in der Türkei die 1968 geborene Landsmännin Guelses K.,
welche seit August 1983 in der Schweiz lebt und hier inzwischen eine
Niederlassungsbewilligung erhalten hatte. Am 10. Januar 1990 reiste der
Ehemann, dem im Rahmen des Familiennachzugs eine Aufenthaltsbewilligung
erteilt wurde, in die Schweiz ein. Aus der Ehe ging am 28. Oktober 1990
der Sohn C. hervor.

    Am 9. Juli 1992 befand das Bezirksgericht Hinwil Abdil I. der
Notzucht schuldig und bestrafte ihn mit 18 Monaten Zuchthaus sowie
mit Landesverweisung für die Dauer von fünf Jahren. Der Vollzug der
Freiheitsstrafe und der Landesverweisung wurde bei einer Probezeit von
drei Jahren aufgeschoben.

    Mit Verfügung vom 13. Januar 1993 wies die Fremdenpolizei des Kantons
Zürich ein Gesuch von Abdil I. um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung
ab. Ein dagegen erhobener Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich
blieb erfolglos.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 24. Februar 1994 an das
Bundesgericht beantragt Abdil I., der regierungsrätliche Entscheid vom
12. Januar 1994 sei aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Erziehungsdirektion des Kantons Zürich sowie das Bundesamt für
Ausländerfragen schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Nach Art. 17 Abs. 2 letzter Satz ANAG (SR 142.20; in der
Fassung vom 23. März 1990, in Kraft seit dem 1. Januar 1992; AS 1991
1034 und 1043) erlischt der Anspruch des Ausländers auf Verlängerung
seiner Aufenthaltsbewilligung, wenn er gegen die öffentliche Ordnung
verstossen hat. Die Voraussetzung für ein Erlöschen des Anspruches ist
weniger streng als im Fall des ausländischen Ehegatten eines Schweizers
oder einer Schweizerin, bei dem gemäss Art. 7 Abs. 1 letzter Satz ANAG
(AS 1991 1042) ein Ausweisungsgrund vorliegen muss und unter Beachtung der
Kriterien von Art. 16 Abs. 3 ANAV (SR 142.201) - Schwere des Verschuldens,
Dauer der Anwesenheit, persönliche und familiäre Nachteile - eine
Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 11 Abs. 3 ANAG stattzufinden
hat (vgl. ZBl 93/1992, S. 569, E. 2a). Nach Art. 17 Abs. 2 ANAG genügt
demgegenüber bereits ein Verstoss gegen die öffentliche Ordnung. Zwar
muss auch in diesem Falle die Verweigerung der Bewilligungsverlängerung
nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts verhältnismässig sein;
da aber bereits geringere öffentliche Interessen für ein Erlöschen des
Anspruchs genügen, sind auch die entgegenstehenden privaten Interessen
weniger stark zu gewichten als bei einer Ausweisung (unveröffentlichte
Urteile des Bundesgerichts vom 24. Januar 1994 in Sachen P., vom 9. Februar
1994 in Sachen Z. und vom 23. Februar 1994 in Sachen T.).

    b) Nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK ist ein Eingriff in das von Ziff. 1
dieser Bestimmung geschützte Rechtsgut statthaft, insoweit er gesetzlich
vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen
Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und
Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung
und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit
und Moral sowie der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

    Bei der von der Konvention geforderten Abwägung zwischen den sich
gegenüberstehenden privaten und öffentlichen Interessen ist unter anderem
zu fragen, ob den nahen Familienangehörigen zugemutet werden kann,
dem Ausländer, der keine Bewilligung erhält, ins Ausland zu folgen. Die
Zumutbarkeit der Ausreise für nahe Familienangehörige eines Ausländers ist
umso eher zu bejahen, als sein Verhalten seinen Aufenthalt in der Schweiz
als unerwünscht erscheinen lässt (BGE 116 Ib 353 E. 3d). Eine allfällige
Unzumutbarkeit der Ausreise ist mitabzuwägen, führt aber nicht für sich
allein zur Unzulässigkeit einer Bewilligungsverweigerung (BGE 116 Ib 353
E. 3f).

Erwägung 5

    5.- a) Der Beschwerdeführer wurde wegen Notzucht strafrechtlich
zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Noch vor der Vorinstanz hat er
allerdings geltend gemacht, er sei zu Unrecht verurteilt worden, da der
Geschlechtsverkehr nicht gegen den Willen des Opfers stattgefunden
habe. Das Strafurteil blieb jedoch unangefochten und erwuchs in
Rechtskraft; es ist darauf abzustellen. Der Beschwerdeführer hat somit
klarerweise gegen die öffentliche Ordnung der Schweiz verstossen. Sein
Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ist damit
erloschen. Zu prüfen bleibt, ob die daraus folgende Verweigerung der
Bewilligung auch verhältnismässig ist.

    b) Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verfehlung wiegt
schwer. Daran ändert auch nichts, dass das Bezirksgericht Hinwil das
Verschulden in seinem Strafurteil insbesondere wegen des massgeblichen
Einflusses des Mittäters des Beschwerdeführers ein wenig relativierte,
indem es dieses "unter gebührender Berücksichtigung der Beweggründe,
des Vorlebens und der persönlichen Verhältnisse ... als recht schwer"
bezeichnete. Mit dieser Beurteilung hat das Bezirksgericht eine Würdigung
vorgenommen, die in besonderem Masse auf die persönlichen Umstände
abstellt. Dennoch erachtete es das Verschulden des Beschwerdeführers noch
immer als gravierend. Unabhängig davon konnte das Gericht allerdings
den Vollzug der angeordneten Freiheitsstrafe sowie der ausgesprochenen
Landesverweisung aufschieben, indem es das Schwergewicht auf die günstige
Prognose für künftiges Wohlverhalten legte. Nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung verfolgen strafrechtliche und fremdenpolizeiliche Massnahmen
jedoch unterschiedliche Zwecke. Bei der Festsetzung der Strafe wie
auch bei der Landesverweisung hat der Strafrichter die persönliche
Situation des Verurteilten sowie seine Resozialisierungschancen zu
berücksichtigen. Für die Landesverweisung ist namentlich die Frage
entscheidend, ob die Schweiz oder das Heimatland die günstigeren
Voraussetzungen für eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft bietet.
Demgegenüber steht für die Fremdenpolizeibehörden das Interesse der
öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Vordergrund. Sie haben eine
umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, woraus sich ein im Vergleich
mit den Straf- und Strafvollzugsbehörden strengerer Beurteilungsmassstab
ergibt (ZBl 93/1992, S. 569, E. 2d; BGE 114 Ib 1 E. 3).

    Fremdenpolizeilich besonders ins Gewicht fällt, dass der
Beschwerdeführer an einem Gewaltdelikt beteiligt war und sich von einer
Drittperson zur Vornahme einer Straftat beeinflussen liess. Damit stellt
er nach wie vor eine grosse Gefahr für die hiesige öffentliche Ordnung
und Sicherheit dar, selbst wenn er sich seit Begehung der Straftat
wohlverhalten haben sollte. Bei dieser Sachlage besteht ein gewichtiges
öffentliches Interesse, ihn von der Schweiz fernzuhalten.

    c) Der Beschwerdeführer wuchs in der Türkei auf und reiste im Alter
von knapp 23 Jahren in die Schweiz ein. Straffällig wurde er bereits
nach nur einjähriger Anwesenheit. Sein gesamter hiesiger Aufenthalt
dauert erst rund viereinhalb Jahre. Im Anschluss an die Straftat verlor
er seine Arbeitsstelle; seither bezieht er Arbeitslosenunterstützung. Er
hat Schulden in erheblicher Grössenordnung. Aufgrund all dieser Umstände
kann er selbst dann, wenn er bei einem geregelten Anwesenheitsverhältnis
wieder Arbeit erhalten sollte, nicht als gut integriert gelten.

    Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist grösstenteils in der Türkei
aufgewachsen. Im Alter von rund 15 Jahren gelangte sie in die Schweiz und
lebt nunmehr seit bald zwölf Jahren hier. Ihre Eltern und Geschwister
halten sich ebenfalls hier auf. Ihr Arbeitgeber stellt ihr ein gutes
Zeugnis. Darüber hinaus erscheint aber als fraglich, ob sie auch in
persönlicher Hinsicht integriert ist. Wie es sich damit genau verhält, kann
jedoch offenbleiben. Angesichts ihrer Herkunft ist ihr eine Rückreise in
die Türkei, auch wenn diese mit gewissen wirtschaftlichen und persönlichen
Schwierigkeiten verbunden wäre, nicht unzumutbar. Auch der Sohn befindet
sich noch in einem anpassungsfähigen Alter. Der Beschwerdeführer hätte
sich im übrigen bereits früher darüber klar werden können, dass er eine
Verantwortung seiner Familie gegenüber trägt.

    d) Eine Gesamtwürdigung des vorliegenden Falles führt zum Schluss, dass
die privaten Interessen an einer Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung
vor dem öffentlichen Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers
von der Schweiz zurückzutreten haben. Die schwere Delinquenz und
die Beeinflussbarkeit des Beschwerdeführers lässt weitere Straftaten
befürchten. Dieses Risiko kann auch unter Berücksichtigung der nachteiligen
Auswirkungen einer Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung auf
die persönliche und familiäre Situation des Beschwerdeführers nicht
hingenommen werden.

    Der angefochtene Entscheid hält somit vor Art. 17 Abs. 2 ANAG und
Art. 8 EMRK stand.